OGH 15Os112/94

OGH15Os112/9415.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 1994 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hobel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Markus Kie* wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. Dezember 1993, GZ 1 c Vr 10.948/93‑34, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten Markus Kie* und des Verteidigers Dr. Doczekal, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0150OS00112.9400000.1215.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.

Der Berufung des Angeklagten wird teilweise und zwar dahin Folge gegeben, daß ein Teil der über ihn verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwölf Monaten gemäß § 43 a Abs 3 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im übrigen wird dieser Berufung nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

I. Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus Kie* des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) sowie des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15105 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

(zu I) in den Jahren 1991 bis 1993 "in vielfachen Angriffen" den am 8. Jänner 1980 geborenen (sohin damals noch unmündigen) René R* durch wiederholten wechselseitigen Oralverkehr auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht und

(zu II) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahre 1993 Werner Kil* durch die Äußerung, daß er (der Angeklagte) "nicht wüßte, was er mit ihm (Kil*) tun werde, wenn er ihn verrate oder er (der Angeklagte) verhaftet würde", sohin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von belastenden Angaben zu den unter Punkt I angeführten Unzuchtshandlungen, zu nötigen versucht.

Das Schöffengericht stützte seine den Schuldsprüchen zugrunde gelegten Feststellungen (unter unverkennbarer Ablehnung der insgesamt leugnenden Verantwortung des Angeklagten) vor allem auf die Ausführungen des als Sachverständigen geladenen (S 319), in der Hauptverhandlung vom 1. Dezember 1993 jedoch als "Zeugen" vernommenen Dr. Max F*, dem gegenüber der unmündige René R* die in Rede stehenden Unzuchtshandlungen erstmals (nach erfolglos gebliebenen vorangegangenen Vernehmungsversuchen ‑ S 27 f, 55, 87, ON 10) detailliert bekundet hatte (S 321 ff), ferner auf die damit im Einklang stehenden Angaben der Eltern des Opfers (Maria R* S 295 ff und Alfred R* S 369 ff) in der Hauptverhandlung sowie auf die den Beschwerdeführer belastende Darstellung des mehrfach vernommenen Zeugen (einer der Unzuchtshandlungen) Werner Kil*, dem vor allem in Verbindung mit den Angaben der (mit seiner Vernehmung im Vorverfahren befaßt gewesenen) Sicherheitswachebeamten und der Untersuchungsrichterin (S 341 ff, 357 f) in ihrem wesentlichen, den Beschwerdeführer belastenden Kern Beweiskraft zuerkannt wurde, während die Tatrichter seine (von dieser Darstellung abweichenden) Bekundungen in der Hauptverhandlung auf die Beeinflussung durch den Angeklagten zurückführten (US 5).

 

Rechtliche Beurteilung

II. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer nominell auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5 a, 9 lit a und 9 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch in keinem Punkt begründet ist.

Eine Urteilsnichtigkeit nach der erstbezeichneten Gesetzesstelle (Z 3) erblickt der Beschwerdeführer darin, daß die in der Hauptverhandlung am 15. Dezember 1993 abgelegte Aussage des Zeugen Werner Kil* zum Anklagevorwurf der versuchten Nötigung (S 354 ff) in den Entscheidungsgründen verwertet worden sei; da dieses Beweisthema (auch) das Zustandekommen und die Protokollierung seiner Angaben im Vorverfahren betroffen habe, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand des gegen ihn anhängigen (abgesondert geführten) Strafverfahrens wegen Verdachtes der "Vergewaltigung" der (unmündigen) Angelika R* (der Schwester des René R*) stünden, wäre er gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO berechtigt gewesen, die Aussage zu verweigern. Die Berücksichtigung dieser ‑ ersichtlich vom Bestreben auf Vermeidung einer Selbstbezichtigung getragenen ‑ Angaben dieses Zeugen begründe eine Verletzung von Verfahrensvorschriften in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 3).

Dieser Einwand versagt:

Die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO (aF) räumte nach der zum Zeitpunkt der Urteilsfällung (23. Dezember 1993) geltenden Rechtslage lediglich Angehörigen des Beschuldigten ein Aussageverweigerungsrecht ein. Die Erweiterung dieser Verfahrensbestimmung durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl 1993/526, auf die der Angeklagte ersichtlich abstellt, ist nur auf gerichtliche Entscheidungen, die nach dem 31. Dezember 1993 ergangen sind, anwendbar (Art IV Abs 1 StPÄG 1993). Der Beschwerdeeinwand des Angeklagten geht daher schon aus diesem Grund ins Leere, weshalb sich eine Untersuchung auf seine materielle Berechtigung erübrigt. Eine allfällige Verletzung der Vorschrift des § 153 Abs 1 StPO hingegen stand auch vor Inkrafttreten des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993 nicht unter Nichtigkeitssanktion (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 E 18 f zu § 153).

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der Angeklagte auch durch die Ablehnung der von seinem Verteidiger gestellten Anträge in der Hauptverhandlung vom 15. Dezember 1993 (S 363) auf Vernehmung der Zeugen Angelika und René R* sowie der Zeugen Traude Ka* und Gertrude H* in der Hauptverhandlung vom 23. Dezember 1993 (AS 75) in seinen prozessualen Rechten nicht beeinträchtigt.

Die von der Verteidigung zum Beweis dafür, daß der Angeklagte "keine Handlungen im Sinne der Anklage in der Zeit 1991 bis 1993" begangen und "mit René R* nie einen Oralverkehr durchgeführt" habe, begehrte zeugenschaftliche Vernehmung des unmündigen Tatopfers und dessen (damals 10‑jähriger) Schwester Angelika R* verfiel im Ergebnis zu Recht der Abweisung (S 363). Denn ungeachtet der knappen Begründung des deren Vernehmung ablehnenden Zwischenerkenntnisses des Erstgerichtes liegt der relevierte Nichtigkeitsgrund nicht vor:

Von der beantragten Vernehmung eines Unmündigen, der Opfer eines Sexualdeliktes ist, kann nämlich nach herrschender Judikatur abgesehen werden, wenn das erkennende Gericht aufgrund konkreter (in der Regel von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen aufgezeigter) Umstände zur Überzeugung gelangt, daß die Einvernahme auch bei einer entsprechend behutsamen die kindliche Psyche berücksichtigenden Einvernahme eine fortdauernde psychische Schädigung des Unmündigen ernstlich befürchten läßt, die durch dessen besondere psychische Beschaffenheit bedingt ist. Unter diesen Voraussetzungen hat das Gebot der Unmittelbarkeit und das (sonst tunlichst keiner Beschränkung zu unterwerfende) Fragerecht des Angeklagten (Art 6 Abs 3 lit d MRK) im Interesse des unmündigen Tatopfers ‑ ausnahmsweise ‑ zurückzutreten (EvBl 1993/48 = NRsp 1993/19; RZ 1990/69 = EvBl 1990/72; 11 Os 96/91).

In konkreten Fall ist dem Schreiben des Vorstandes der Internen Kinderabteilung mit Psychosomatik des Wilhelminenspitals der Stadt Wien vom 29. Oktober 1993 (ON 26), aber auch den mündlichen Ausführungen des kinderpsychologischen Sachverständigen Dr. F* in der Hauptverhandlung vom 15. November 1993 (S 295 f) und vom 1.Dezember 1993 (S 321 ff) zu entnehmen, daß sich der damals noch 13‑jährige René R* wegen seiner sozialen und psychischen Auffälligkeiten mit massiver sexueller Traumatisierung zur Zeit der Hauptverhandlung in stationärer therapeutischer Behandlung befunden hat und eine (neuerliche) Konfrontation mit dem Tatgeschehen vor Gericht mit einer ernsthaften Gefährdung der erst eingeleiteten Phase zur positiven Persönlichkeitsentwicklung verbunden gewesen wäre. Im Zusammenhalt mit den Bekundungen der Mutter des Opfers (S 295 ff, insbes S 301 f) lag sohin die hohe Wahrscheinlichkeit einer gravierenden, weit über das übliche Maß der mit einer Zeugenaussage für ein unmündiges Tatopfer eines Sexualdeliktes verbundenen psychischen Belastung hinausgehenden Schädigung des Tatopfers René R* im Fall seiner (neuerlichen) gerichtlichen Einvernahme in einer Weise nahe, daß dessen Schutzbedürfnis gegenüber dem (an sich berechtigten) Interesse des Nichtigkeitswerbers an einer persönlichen Befragung prävalierte. Dazu kommt noch, daß dieser unmündige Zeuge bisher sowohl vor der Polizei als auch vor Gericht eine Aussage zur Sache verweigert hat (vgl S 27, 29, 55, 87 und ON 10) und dies auch bei einer Befragung durch das erkennende Gericht zu erwarten war, zumal bei der Antragstellung auf Vernehmung dieses Zeugen in der Hauptverhandlung am 15. Dezember 1993 dessen Bereitschaft, nunmehr zur Sache auszusagen, gar nicht behauptet wurde (S 363).

Die dargelegten Kriterien für ein Absehen von der Einvernahme eines Unmündigen treffen nach der Aktenlage aber auch auf die im selben Familienverband aufgewachsene und als Opfer von Sexualdelikten psychisch geschädigte und gleichfalls stationär in einer Kinder‑Psychosomatischen Abteilung eines Krankenhauses betreute Angelika R* zu (vgl die Angaben von deren Mutter Maria R*, S 39 und S 298, die Berichte des Bezirkspolizeikommissariats Brigittenau, S 49 und 61, und die Aussage des Mädchens vor der Untersuchungsrichterin, ON 9), sodaß unter den gegebenen Umständen (das Mädchen war zwar nicht Tatopfer der verfahrensgegenständlichen, vom Angeklagten an René R* verübten Unzuchtshandlungen, nach den Verfahrensergebnissen aber einmal Zeugin einer derartigen Tat und zugleich Opfer von sexuellen Angriffen des abgesondert verfolgten Werner Kil*) angesichts der seelischen Beschaffenheit des am 2. Juli 1983 geborenen Mädchens die schädigende und neurotisierende Wirkung einer neuerlichen Vernehmung zu den hier in Rede stehenden Sexualhandlungen auf der Hand liegt. Somit stehen der Einvernahme dieses Mädchens die gleichen Bedenken wie jener ihres Bruders entgegen.

Davon abgesehen wäre es nach Lage des Falls Sache des Angeklagten gewesen, in seinem Beweisantrag darzutun, aus welchen Gründen zu erwarten gewesen wäre, daß der begehrte Zeugenbeweis entgegen den bereits vorliegenden Verfahrensergebnissen, denenzufolge Angelika R* durchwegs gleichlautend (ihrer Mutter, der Sicherheitsbehörde und dem Gericht gegenüber) die Wahrnehmung wechselseitiger oraler Unzuchtshandlungen zwischen dem Beschwerdeführer und ihrem Bruder im Jahr 1991 bekundete (vgl S 39 ff, 49 ff, ON 9), das behauptete Ergebnis ‑ nämlich die Bestätigung, daß im Tatzeitraum zwischen den Genannten kein Mundverkehr stattgefunden habe ‑ erbringen werde (Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 4 E 19), zumal sich auch aus dem Sachzusammenhang Hinweise für die (zumindest laut Beweisthema unterstellte) Annahme der Unrichtigkeit der bisherigen Angaben des Mädchens nicht ergeben. So gesehen läuft dieser Beweisantrag auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus (vgl hiezu die Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 29. März 1993, ÖJZ 1993, 712 und vom 11. Mai 1994, Newsletter 1994, 230).

Der Meinung des Beschwerdeführers zuwider macht der Umstand, daß er keine Möglichkeit hatte, die Zeugen René und Angelika R* zu befragen, das Verfahren nicht unfair iSd Art 6 MRK. Denn Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK gibt dem Angeklagten kein uneingeschränktes Recht, die Vorladung von Zeugen vor Gericht zu erreichen und Fragen zu stellen; genug daran, daß ‑ wie vorliegend geschehen ‑ hinreichende Kontrollbeweise zur Verifizierung der Angaben jener Personen, die nicht unmittelbar vernommen werden können, aufgenommen wurden (vgl Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 26. April 1991, ÖJZ 1991, 517 und Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 2. April 1990, ÖJZ 1990, 484).

Das gerügte Unterbleiben der Vernehmung der Zeugen Traude Ka* und Gertrud H* begründet nach Lage des Falles gleichfalls keine Verletzung von Verteidigungsrechten:

Ob der Angeklagte gegenüber der erstgenannten Zeugin eine ablehnende Haltung zur Homosexualität bekundet bzw ein persönliches Erlebnis auf diesem Gebiet verneint hat, ist für die Sachentscheidung letztlich unerheblich, lassen doch solche gegenüber Dritten allenfalls abgegebenen Äußerungen noch keineswegs einen Schluß über seine tatsächliche Einstellung zur Homosexualität (insbesondere mit Kindern) zu. Die Zeugin Gertrud H* hinwieder wurde zum Nachweis dafür beantragt, daß der Zeuge René R* ihr gegenüber in Abrede gestellt habe, dem Sachverständigen (gemeint: Dr. F*) von dem geschlechtlichen Kontakt mit dem Beschwerdeführer erzählt zu haben (S 375). Selbst wenn die Zeugin dieses Beweisthema bestätigt hätte, würde dies noch nichts über den Wahrheitsgehalt der ihr von René R* gegebenen Darstellung aussagen (vgl die Aussage des Zeugen Dr. F*, S 321 ff).

Nicht begründet ist aber auch das Vorbringen zur Mängelrüge (Z 5).

Der unter der Behauptung einer Undeutlichkeit der Entscheidungsgründe erhobene Einwand des Angeklagten, der Schöffensenat habe es unterlassen, die ihm vorgeworfenen Unzuchtshandlungen in den Entscheidungsgründen näher zu konkretisieren, ist nicht stichhältig. Undeutlich ist der Ausspruch des Gerichtes über entscheidende Tatsachen nämlich nur dann, wenn aus den Feststellungen des Urteils nicht zu erkennen ist, welches Verhalten der Angeklagte mit welchem Vorsatz vorgenommen hat (Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 E 42).

Im vorliegenden Fall haben die Tatrichter indes ihre auf die Gesamtheit der Verfahrensergebnisse gestützte Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß der pädophil veranlagte Beschwerdeführer anläßlich zahlreicher Treffen mit dem trotz seiner Jugend im Zusammenhang mit Sittlichkeitsdelikten schon mehrmals in Erscheinung getretenen René R* mehrfach wiederholte "verschiedene Unzuchtshandlungen" durchgeführt hat (US 4). Im Kontext mit dem klaren und unmißverständlichen Urteilsspruch, wonach der Angeklagte in vielfachen Angriffen an dem Unmündigen "einen Oralverkehr vornahm" sowie "diesen dazu veranlaßte, an ihm einen Oralverkehr durchzuführen" (US 2 f), hat der Schöffensenat auf der Basis der Beweisergebnisse die für die rechtliche Beurteilung der Tathandlungen (nach § 207 Abs 1 StGB) wesentlichen Entscheidungsgrundlagen in tatsachenmäßiger Beziehung hinreichend dargelegt, weshalb von einer Undeutlichkeit keine Rede sein kann.

Soweit der Angeklagte im Rahmen der Mängelrüge ferner die Auseinandersetzung mit bestimmten Einzelheiten seiner Verantwortung vermißt, ist ihm entgegenzuhalten, daß die Tatrichter unter Beachtung des Gebotes gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 1 Z 5 StPO) nicht verhalten waren, alle Beweisdetails erschöpfend zu erörtern; daß der Schöffensenat die leugnende Darstellung des Beschwerdeführers aufgrund der übrigen Verfahrensergebnisse für widerlegt erachtet hat, kann den Gründen des angefochtenen Urteils eindeutig entnommen werden (US 5 f).

Die Verwertung der (in der Hauptverhandlung am 1. Dezember 1993 vorgetragenen ‑ S 321 ff) Ausführungen des Sachverständigen Dr. F* und der (in der Hauptverhandlung am 15. November 1993 abgelegten ‑ S 295 ff) Aussage der Maria R* begründet gleichfalls keine Nichtigkeit nach der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO; diese Beweise sind zwar ‑ wie der Angeklagte an sich zutreffend aufzeigt ‑ noch vor der wegen Änderung der Senatszusammensetzung (gemäß § 276 a StPO) wiederholten Hauptverhandlung am 15. Dezember 1993 (S 333) aufgenommen worden, sie wurden jedoch durch Verlesung in der Hauptverhandlung vom 23. Dezember 1993 in das Verfahren eingeführt (S 377). Lediglich die Protokollierung der Verlesung der in der Mängelrüge relevierten Aktenteile ON 28 und ON 31 war versehentlich unterblieben, sie wurde jedoch inzwischen auf Veranlassung des Obersten Gerichtshofes durch den Berichtigungsbeschluß des Vorsitzenden vom 22. August 1994 (ON 59) nachgeholt, sodaß der bezügliche Beschwerdeeinwand ins Leere geht.

Mit dem Hinweis auf einzelne, isoliert betrachtete Passagen der Aussage des Zeugen Werner Kil* zeigt der Beschwerdeführer ebensowenig einen formellen Begründungsmangel des Urteiles in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes auf wie mit der Behauptung einer Aktenwidrigkeit, die darin gelegen sein soll, daß eine Beweisgrundlage für die bekämpfte Urteilsannahme der Vornahme von Unzuchtshandlungen mit dem Unmündigen im Jahr 1991 fehle, ganz abgesehen davon, daß die (hier mehrere Jahre erfassende) Tatzeit keinen entscheidungswesentlichen, nämlich auf die Unterstellung der Tat unter das Strafgesetz oder die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes bezughabenden Umstand betrifft. Diese Ausführungen erweisen sich vielmehr als im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässiger Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung.

Im Übrigen läge eine Aktenwidrigkeit nur dann vor, wenn in den Entscheidungsgründen als Inhalt einer Urkunde oder Aussage etwas angeführt wäre, das deren Inhalt nicht bildet, wenn also der Inhalt einer Aussage oder eines anderen Beweismittels im Urteil unrichtig wiedergegeben würde (Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 E 185 f). Die vom Beschwerdeführer bekämpften Urteilsfeststellungen finden aber in den dargelegten und für beweiskräftig erachteten Verfahrensergebnissen ausreichend Deckung, wobei das Erstgericht den in der Beschwerde ins Treffen geführten Bekundungen des Zeugen Zoran S* (S 376) lediglich illustrative Bedeutung bei Erfassung der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten beimaß (US 6).

Aber auch die ‑ zum Teil die Einwände der Mängelrüge wiederholende ‑ Tatsachenrüge (Z 5 a), mit welcher der Beschwerdeführer der Sache nach bloß eine andere, für ihn günstigere Würdigung der Angaben des Sachverständigen Dr. F* und des Zeugen Kil* anstrebt, versagt: Damit werden nämlich keine sich aus den Akten ergebende erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufgezeigt; müssen sich doch solche Bedenken entweder aus schwerwiegenden, die Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§§ 3, 232 Abs 2, 254 StPO) vernachlässigenden Verfahrensmängeln ergeben oder auf der Außerachtlassung aktenkundiger Beweisresultate beruhen, die sich bei einer lebensnahen, an der allgemeinen menschlichen Erfahrung orientierenden Beurteilung mit dem als erwiesen angenommenen Sachverhalt nicht oder nur schwer in Einklang bringen lassen. Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer belastenden Aussage eines Zeugen aufgrund des von ihm in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher, den der Beschwerdeführer mit Beziehung auf den Zeugen Kil* mit dem Hinweis auf bestimmte, aus dem Zusammenhang gerissen (und damit sinnentkleidet) wiedergegebene Aussagedetails zu erschüttern sucht, ist jedoch einer Anfechtung unter dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund (Z 5 a) entzogen.

Auch den Rechtsrügen (Z 9 lit a und 9 lit b) kommt keine Berechtigung zu:

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Z 9 lit a zum Schuldspruchsfaktum II (Vergehen der versuchten Nötigung) Feststellungen über das zum Einsatz gebrachte Tatmittel vermißt, vernachlässigt er prozeßordnungswidrig die Konstatierungen, wonach er sich gegenüber Werner Kil* geäußert hat, er (der Angeklagte) "wüßte nicht, was er mit ihm tun werde, wenn er ihn verrate oder er verhaftet würde". Mit dieser ‑ nach ihrem Sinngehalt eine ernstliche Attacke gegen den Bedrohten in Aussicht stellenden ‑ Äußerung wollte er nach den weiteren Urteilsannahmen Kil* einschüchtern, damit dieser aus Angst (den Angeklagten) belastende Angaben vor Gericht unterlasse (US 3 iVm US 5). Solcherart hat das Erstgericht jedoch ‑ bei der gebotenen Gesamtbetrachtung von Urteilsspruch und Entscheidungsgründen ‑ das dem Angeklagten angelastete Nötigungsmittel der gefährlichen Drohung ausreichend konkretisiert. Der weitere in der Rechtsrüge erhobene Einwand, es fehlten im Ersturteil Feststellungen über den Sinngehalt und die Tragweite der (drohenden) Äußerung, geht ebenfalls ins Leere; läßt sich doch aus dem Urteilsspruch eindeutig entnehmen, daß dem Bedrohten damit eine Verletzung am Körper in Aussicht gestellt wurde. In Anbetracht der näheren Umstände, unter denen diese Äußerung fiel (Homosexuellen‑ bzw "Strichmilieu", in welchem Gewaltdelikte und Erpressungen häufiger vorkommen als in anderen Gesellschaftskreisen; Wissen des Angeklagten um die verbotenen geschlechtlichen Beziehungen des Werner Kil* zu René und Angelika R*; Kenntnis von dem gegen ihn ‑ den Angeklagten ‑ wegen massiver Vorwürfe eingeleiteten Strafverfahren) erweist sich die vom Erstgericht der Sache nach angenommene Eignung der Drohung, dem Betroffenen begründete Besorgnis einzuflößen (US 5, 6), unter der geforderten Anlegung eines objektiv‑individuellen Maßstabes (Leukauf/Steininger aaO § 74 RN 21) ‑ der Beschwerde zuwider ‑ als rechtlich einwandfrei.

Unzutreffend ist schließlich die zum Schuldspruchsfaktum I (Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen) unter dem Aspekt von Feststellungsmängeln dargelegte Rechtsauffassung, wonach die selbständige und aktive, von eigenem Lustempfinden getragene Mitwirkung des Tatopfers René R* an den Tathandlungen der Annahme eines "Mißbrauchs" (im Sinne des § 207 Abs 1 StGB) entgegenstehe.

Mißbrauch im Sinn des § 207 StGB bedeutet nämlich das Ausnützen des Alters des unmündigen Opfers, dessen mangelnde Reife zu einer freien Willensbildung in bezug auf sexuelle Handlungen vom Gesetz generell präsumiert wird (Pallin im WK § 207 Rz 1), zur Vornahme unzüchtiger Handlungen (Leukauf/Steininger, aaO § 207 RN 5 iVm § 205 RN 7) und erfaßt sowohl die aktive als auch die passive Beteiligung des Unmündigen an der unzüchtigen Handlung (vgl Leukauf/Steininger aaO § 207 RN 5 und 8). Das Einverständnis des Opfers spielt sohin bei dem Delikt nach § 207 Abs 1 StGB ebensowenig eine Rolle wie ein Verführen des Täters durch das Opfer oder dessen Erfahrung auf sexuellem Gebiet (Leukauf/Steininger aaO § 207 RN 11; Mayerhofer/Rieder StGB3, § 207, E 17, 17 a; Pallin aaO Rz 4) oder dessen Streben nach einer Lustempfindung.

Daher geht auch das abschließende, auf das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes zufolge Einwilligung des Betroffenen abzielende Vorbringen (Z 9 lit b) fehl. Die rechtfertigende Wirkung des Einverständnisses des Verletzten kommt nämlich nur bei solchen Delikten in Betracht, bei denen die Rechtsordnung dem Träger des Rechtsgutes die (alleinige) Verfügungsgewalt über das geschützte Rechtsgut einräumt, also bei disponiblen Rechtsgütern (vgl Leukauf/Steininger aaO § 3 RN 34, 36 f), während Eingriffe in persönliche Rechtsgüter, die auch im Interesse der Allgemeinheit geschützt sind, trotz Einwilligung des Betroffenen rechtswidrig bleiben. Zu derartigen indisponiblen Individualrechtsgütern zählt aber der Schutz Unmündiger (beiderlei Geschlechts) vor sexuellen Eingriffen, wobei durch die Strafnorm des § 207 StGB im Interesse der Allgemeinheit ‑ der Unwert eines geschlechtlichen Umgangs mit unmündigen Personen ist Bestandteil des allgemeinen Rechtsbewußtseins (Leukauf/Steininger aaO § 206 RN 6) ‑ auch der zustimmende Verletzte angesichts seines unter 14 Jahren gelegenen Alters geschützt werden soll (Leukauf/Steininger aaO § 3 RN 37).

Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang aus der angeblichen rechtlichen Gleichstellung von auf Initiative eines Unmündigen zustande gekommenen Unzuchtshandlungen mit solchen, die mit einer Beugung des Willens des Opfers durch den Täter verbunden sind, eine Verletzung des Art 7 Abs 1 B‑VG ableitet, ist ihm zu erwidern, daß der Tatunwert im Fall einer (hier nicht aktuellen) Nötigung eines Unmündigen zu sexuellen Handlungen nicht schon mit der Subsumtion unter die Bestimmung des § 207 StGB abgegolten wäre, sondern Idealkonkurrenz zwischen diesem Tatbestand und jenem des § 202 StGB (geschlechtliche Nötigung) vorläge (vgl Leukauf/Steininger aaO § 202 RN 18 und § 207 RN 29).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

III. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 207 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 28 StGB eine (unbedingte) Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten.

Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte bekämpfen den Strafausspruch mit Berufung.

A. Zur Berufung der Staatsanwaltschaft:

Dieses Rechtsmittel wurde noch am Tage der Urteilsverkündung ohne ausdrückliche Bezeichnung der Beschwerdepunkte (§ 294 Abs 2 StPO) schriftlich angemeldet (ON 37). Am 29. März 1994 übermittelte der Vorsitzende die Akten der Staatsanwaltschaft "zur Erstattung von Gegenausführungen" (zu den vom Angeklagten ausgeführten Rechtsmitteln), wo sie am 30. März 1994 einlangten (S 414).

Die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft "zur Erstattung von Gegenausführungen" bedingt Einsicht sowohl in diese Rechtsmittel als auch in das Urteil. Demnach wurde der Anklagebehörde durch diesen Vorgang auch die Urteilsurschrift im Sinn des § 78 StPO mitgeteilt (vgl 13 Os 34/87).

Am 15. April 1994 wurden die Akten dem Erstgericht mit der ausführten Berufung der Staatsanwaltschaft, in der eine Erhöhung der über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe beantragt wird, retourniert (S 415 und 3 p).

Das angefochtene Urteil wurde am 23. Dezember 1993 verkündet. Gemäß Art IV Abs 6 StPÄG 1993, BGBl 1993/526, gilt die in § 294 Abs 2 nF StPO normierte Frist von vier Wochen zur Ausführung der Berufung für Urteile, die nach dem 31. Dezember 1993 verkündet wurden. Demnach betrug im vorliegenden Fall die Frist zur Ausführung der Berufung gegen das am 23. Dezember 1993 verkündete Urteil gemäß § 294 Abs 2 aF StPO vierzehn Tage. Eine rechtzeitig ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft hätte daher spätestens am 13. April 1994 beim Erstgericht einlangen müssen. Die wenngleich mit 6. April 1994 datierte, jedoch erst am 15. April 1994 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebrachte Berufung der Staatsanwaltschaft ist daher verspätet.

Da der Staatsanwalt berechtigt ist, auch zugunsten des Angeklagten Berufung zu ergreifen (vgl § 283 Abs 2 StPO iVm § 282 Abs 1 StPO) und ‑ wie bereits erwähnt ‑ bei der Berufungsanmeldung nicht erklärt wurde, ob dieses Rechtsmittel zum Vorteil oder zum Nachteil des Angeklagten erhoben wird, war gemäß § 294 Abs 4 StPO auf diese Berufung(sanmeldung) keine Rücksicht zu nehmen.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft war daher zurückzuweisen.

B. Zur Berufung des Angeklagten:

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe, allenfalls unter Anwendung des § 41 Abs 1 Z 5 StGB, die Verhängung einer Geldstrafe unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB sowie die Gewährung bedingter Strafnachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB oder teilbedingter Strafnachsicht gemäß § 43 a Abs 1, Abs 2 oder Abs 3 StGB.

Der Berufung des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu:

Die schöffengerichtlichen Strafzumessungsgründe bedürfen einer Ergänzung. Als weiterer Erschwerungsgrund ist der lange, durch drei Jahre währende Tatzeitraum im Faktum I zu berücksichtigen, als weiterer Milderungsgrund hingegen, daß es im Faktum II beim Versuch geblieben ist.

Unter Abwägung der solcherart korrigierten Strafbemessungsgründe erweist sich das von den Tatrichtern gefundene Strafmaß durchaus tätergerecht und schuldangemessen. Den Berufungsbegehren auf Herabsetzung der Freiheitsstrafe sowie auf Verhängung einer Geldstrafe, die zur Voraussetzung hätte, daß diese statt einer sechs Monate nicht übersteigende Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, kommt daher keine Berechtigung zu.

Begründet ist die Berufung des Angeklagten jedoch, sofern sie sich gegen die Nichtanwendung des § 43 a Abs 3 StGB wendet. Denn der bisherige ordentliche Lebenwandel des Angeklagten in Verbindung mit der abschreckenden Wirkung seiner nahezu ein Jahr währenden Anhaltung in Untersuchungshaft lassen die Annahme berechtigt erscheinen, die Androhung des tatsächlichen Vollzuges bloß eines Teiles der Freiheitsstrafe würde ausreichen, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Der Gewährung gänzlicher bedingter Strafnachsicht (gemäß § 43 Abs 1 StGB) allerdings stand der durch den langen Tatbegehungszeitraum bedingte hohe Unrechtsgehalt der Tat im Faktum I entgegen.

Insgesamt war daher wie im Spruch zu erkennen.

 

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