OGH 14Os17/23s

OGH14Os17/23s27.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Obergruber LL.M. in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. Juni 2022, GZ 12 Hv 19/21f‑245, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00017.23S.0627.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Ausspruch über den Verfall („die Abschöpfung der Bereicherung“), die Konfiskation und die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * B* des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs „2 und 3“ und § 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* und an anderen Orten gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen zu folgenden Handlungen verleitet, die diese in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt 1.495.900 Euro am Vermögen schädigten, und zwar

I. in G* durch wahrheitswidrige Vorgabe seiner (Rück‑)Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit sowie der Echtheit als Pfand und Sicherheit gegebener Goldbarren

A. am 12. Jänner 2011 * W* zur Übergabe von 35.000 Euro sowie zur Bezahlung einer offenen Hotelrechnung des B* von 65.000 Euro (US 20 f);

B. am 24. Februar 2011 * S* und * Wi* zur Übergabe von 26.400 Euro sowie zur Bezahlung einer offenen Hotelrechnung des B* von 43.600 Euro (US 21 f);

II. Dr. * H* in Österreich durch Vortäuschung des Zustandekommens eines Goldgeschäfts der Verwendung von Bargeld zur Abdeckung damit im Zusammenhang stehender vorläufiger Kosten und einer Gewinnbeteiligung (US 17)

A. im Jahr 2007 zur Übergabe von 220.000 Euro;

B. zwischen 2009 und 2010 zur Übergabe von 50.000 Euro;

III. Anfang 2004 bis 23. Dezember 2004 in W* und P* (Tschechische Republik) Dr. * St* durch Vortäuschung der Verwendung von Bargeld für ein Goldgeschäft und zur Bezahlung von damit im Zusammenhang stehenden Spesen (US 6) sowie des Erhalts von 9 Millionen Euro nach erfolgtem Verkauf von 72.199.000 kg Gold zur Übergabe von 200.000 Euro;

IV. DI * Z* in W* durch Vortäuschung seiner Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie des Erhalts eines Gewinns aus einem Goldgeschäft und der Lieferung von einem Kilogramm Gold (US 18) zur Überweisung

A. von 200.000 Euro über ein Konto der A* * * * im Juni 2010 und

B. von 50.000 Euro über ein Konto der D* * * * im Oktober 2010;

V. * G* im Jahr 2004 in W* durch Vortäuschung einer Gewinnbeteiligung aus Goldgeschäften und der Verwendung von Bargeld zu deren Vor‑ und Zwischenfinanzierung (US 6) zur Übergabe von 200.000 Euro;

VI. am 18. April 2011 in W* W* durch die wahrheitswidrige Vorgabe, seiner Verpflichtung zur Bezahlung einer offenen Hotelrechnung über einen Betrag von 80.000 Euro binnen weniger Wochen nachzukommen, zur Übergabe von im Urteil beschriebenem Schmuck als Pfand zur Besicherung dieser Verbindlichkeit (US 23), wobei W* mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 31. Jänner 2012 zur Zahlung von 116.077,60 Euro bei sonstiger Exekution in das Pfand verurteilt wurde;

VII. am 29. Mai 2011 in W* * Ba* durch die wahrheitswidrige Vorgabe, bis zum 30. November 2012 gegen Rückgabe eines vermeintlich echten, tatsächlich aber falschen Goldbarrens 35.000 Euro zu erhalten, andernfalls er den Goldbarren verwerten könne, zum Kauf dieses Goldbarrens von B* gegen Übergabe eines Kaufpreises von 25.000 Euro (US 24).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit b und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Rechtsrüge (Z 9 lit b), die (der Sache nach) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen hinsichtlich der (impliziten rechtlichen) Verneinung des Eintritts von Strafbarkeitsverjährung geltend macht, kommt Berechtigung zu:

[5] Die Strafbarkeit von Taten erlischt nach § 57 Abs 2 erster Satz StGB – außer in den in Abs 1 leg cit genannten Fällen – durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört (§ 57 Abs 2 zweiter Satz StGB). Tritt ein zum Tatbild gehörender Erfolg erst ein, nachdem die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat, so endet die Verjährungsfrist nicht, bevor sie – soweit hier relevant – auch vom Eintritt des Erfolgs ab verstrichen ist (§ 58 Abs 1 StGB).

[6] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten – abgesehen vom Fall des § 58 Abs 2 StGB – grundsätzlich jeweils für sich, woran auch deren Zusammenfassung zu einer Subsumtionseinheit nach § 29 StGB nichts ändert (Marek in WK² StGB § 57 Rz 12; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 7; RIS‑Justiz RS0090586 [T9, T10]). Es ist daher jede einzelne Tat (historisches Geschehen) anhand im Urteil getroffener Feststellungen einer (oder mehreren) strafbaren Handlung(en) zu unterstellen und auf dieser Basis der Eintritt der Verjährung zu beurteilen (vgl erneut Marek in WK² StGB § 57 Rz 12; RIS‑Justiz RS0128998).

[7] Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht nur dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten war, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos wurde (Marek in WK² StGB § 57 Rz 23; RIS‑Justiz RS0072368, RS0116876). Allerdings ist nach Art 12 § 2 des StRÄG 2015 (BGBl I 2015/112) für Taten, derentwegen am 31. Dezember 2015 ein Ermittlungsverfahren anhängig war, die Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3, § 58 StGB) nach der an diesem Tag geltenden Strafdrohung zu berechnen. Korrespondierend dazu bleibt nach § 58 Abs 3a StGB eine nach Abs 1 bis Abs 3 des § 58 StGB eingetretene Hemmung der Verjährung wirksam, auch wenn durch eine spätere Änderung des Gesetzes die Tat im Zeitpunkt der Hemmung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre (vgl Marek in WK² StGB § 58 Rz 35 f).

[8] Nach dem Urteilssachverhalt beging der Angeklagte sämtliche Taten vor Inkrafttreten des StRÄG 2015 am 1. Jänner 2016. Da sie zum damaligen Zeitpunkt zu II.B., IV.B. und VII. (jeweils) §§ 146, 147 Abs 2, § 148 zweiter Fall StGB (in der jeweiligen Fassung vor BGBl I 2015/112), im Übrigen (jeweils) §§ 146, 147 Abs 3, § 148 zweiter Fall StGB (in der jeweiligen Fassung vor BGBl I 2015/112) zu subsumieren gewesen wären, trat zufolge der zehnjährigen Verjährungsfrist des § 57 Abs 3 zweiter Fall StGB und – hinsichtlich der im Jahr 2004 begangenen Taten (III., VI.) von Bedeutung – Vorliegens der Voraussetzungen des § 58 Abs 2 StGB nach früherem Recht (also während dessen Geltung) keine Verjährung ein. Somit ist bei Beurteilung der Strafbarkeitsverjährung das im Entscheidungszeitpunkt geltende Recht anzuwenden.

[9] Da aus dem Urteil ein am 31. Dezember 2015 wegen einer oder mehrerer dieser Straftaten anhängiges Ermittlungsverfahren (§ 1 Abs 2 StPO) nicht hervorgeht, ist (auf Basis des Urteilssachverhalts) die an diesem Tag geltende Verjährungsfrist von (hier) zehn Jahren für keine der Taten von Bedeutung. Ausgehend von den – bei isolierter Betrachtung der einzelnen Taten maßgeblichen – Strafdrohungen des § 147 Abs 2 StGB (idgF) oder des § 148 zweiter Fall StGB (idgF) betragen die Verjährungsfristen daher jeweils fünf Jahre (§ 57 Abs 3 dritter Fall StGB).

[10] Beginnend mit der zeitlich ersten Tat (im Jahr 2004) beging der Angeklagte innerhalb der laufenden und innerhalb der jeweiligen Verjährungsfristen der nachfolgenden Taten weitere (allesamt) auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhende mit Strafe bedrohte Handlungen (§ 58 Abs 2 StGB). Aus diesem Grund verjähren alle vom Schuldspruch erfassten Taten (mangels Anhaltspunkten im Urteilssachverhalt für eine längere Verjährungsfrist der jeweils früheren Tat [vgl RIS‑Justiz RS0128998 {T2}]) gemeinsam, und zwar ausgehend vom Erfolgseintritt (§ 58 Abs 1 erster Fall StGB) der zeitlich letzten Tat (US 24; VII.) – sofern Art 12 § 2 des StRÄG 2015 nicht anzuwenden ist – mit Ablauf (vgl Jerabek/Ropper in WK² StGB § 68 Rz 3) des 30. Mai 2016. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass hinsichtlich keiner der Taten – soweit hier relevant – (jeweils) Fortlaufhemmung bewirkende (Marek in WK² StGB § 58 Rz 10) Zeiten eines Verfolgungshindernisses (§ 58 Abs 3 Z 1 StGB) oder Zeiten iSd § 58 Abs 3 Z 2 StGB vorlagen. Dafür bieten die Entscheidungsgründe jedoch keine Sachverhaltsgrundlage.

[11] Machen aber fehlende Feststellungen die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend mit Ablauf des 30. Mai 2016 eingetretene Verjährung) unschlüssig, liegt ein (hier aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO relevanter) Rechtsfehler mangels Feststellungen vor (RIS‑Justiz RS0122332 [T1 und T6, insb zuletzt T11]).

[12] Dies erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und des Ausspruchs über den Verfall („die Abschöpfung der Bereicherung“), die Konfiskation und die privatrechtlichen Ansprüche bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Ein Eingehen auf die weitere Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten erübrigt sich daher.

[13] Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung war der Angeklagte auf dessen Aufhebung zu verweisen.

[14] Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Qualifikation des § 147 Abs 3 StGB zufolge Spezialität jene des § 147 Abs 2 StGB verdrängt (RIS‑Justiz RS0132779; Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 147 Rz 61; vgl auch Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 35; vgl aber US 4).

[15] Zudem unterliegen – worauf die Sanktionsrüge (Z 11) zutreffend hinweist – auch vermögensrechtliche Anordnungen dem Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB), der (auch hier) bei Realkonkurrenz (selbst im Fall von Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB) für jede Tat gesondert vorzunehmen ist (RIS‑Justiz RS0119545 [insb T7, T10]). Hinsichtlich des vom Erstgericht „gemäß § 20 Abs 1 und 3 StGB“ für (ersichtlich gemeint [vgl US 35]) verfallen erklärten Geldbetrags von 1.000.000 Euro (US 4) gilt in diesem Zusammenhang Folgendes:

[16] Verfall in der Fassung des strafrechtlichen Kompetenzpakets (kurz: sKp [BGBl I 2010/108]) gibt es erst seit dem 1. Jänner 2011. Für den Zeitraum davor sah das Gesetz als vergleichbare vermögensrechtliche Maßnahme die Abschöpfung der – nach dem Nettoprinzip zu ermittelnden – (unrechtmäßigen) Bereicherung vor, die zudem nach § 20a Abs 2 Z 3 StGB (idF BGBl I 2004/136) zu unterbleiben hatte, wenn sie das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschwert oder ihn unbillig hart getroffen hätte, und daher für den Angeklagten insgesamt günstiger war.

[17] Der vom Erstgericht vorgenommene Ausspruch des Verfalls eines Geldbetrags (§ 20 Abs 3 StGB), der (ohne Differenzierung nach Taten) sämtlichen vor und nach Inkrafttreten des sKp erlangten Vermögenswerten entspricht, war daher verfehlt.

[18] Schließlich ist in Ansehung des Ausspruchs der (ebenfalls mit dem sKp eingeführten) Konfiskation (§ 19a StGB) von „sechs sichergestellten unechten Goldbarren“ (US 4) zu beachten, dass dem Urteilssachverhalt hinsichtlich vier von ihnen ein nach dem 31. Dezember 2010 gelegener Tatzeitpunkt nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist (vgl US 20 f).

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