OGH 14Os145/14a

OGH14Os145/14a16.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zonsics als Schriftführer in der Strafsache gegen Thomas U***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für StrafsachenWien als Geschworenengericht vom 21. Oktober 2014, GZ 605 Hv 2/14f‑41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Thomas U***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach §

21 Abs 2 StGB angeordnet.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 26. April 2014 in W***** Erich H***** getötet, indem er ihm mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von zirka neun Zentimetern zwei Stiche in den linken oberen Brustkorb und in den rechten Oberbauch versetzte, wobei der erste nach teilweiser Durchtrennung der zweiten linken Rippe den Herzbeutel und das Herz eröffnete und in weiterer Folge die Funktionsfähigkeit des Herzens irreparabel schädigte und der zweite zur Eröffnung einer Lebervene führte, sodass der Tod infolge Verblutens und eines Herz-Kreislauf-Versagens eintrat.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene, auf § 345 Abs 1 Z 5 und 8 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich gegen die Abweisung des Antrags, „die von der Staatsanwaltschaft Wien bestellte Sachverständige DDr. W***** nicht als Sachverständige im Hauptverfahren heranzuziehen, wie dies in der Anklage beantragt wird, sondern statt ihrer einen Sachverständigen für Psychiatrie zu bestellen, der das Vertrauen der Verteidigung genießt“. Dieser war in der Hauptverhandlung ‑ unter Berufung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (17 Os 25/14a) sowie die in diesem Zusammenhang (unter anderem) zu 11 Os 26/14d erfolgte Anrufung des Verfassungsgerichtshofs nach Art 89 Abs 2 B‑VG ‑ mit der Begründung gestellt worden, DDr. W***** habe in ihrer schriftlichen Expertise (ON 15) „beim Angeklagten einerseits eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung im Sinn einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad erkannt, andererseits aber seine Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit bejaht und trotz seiner objektivierten hohen Alkoholbeeinträchtigung keine volle Berauschung im Sinn des § 287 StGB angenommen“, womit „ihr Gutachten mängelbehaftet und als Ausfluss ihres Naheverhältnisses zur Anklagebehörde zu verstehen“ sei (ON 40 S 45 iVm ON 38).

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10. März 2015 (G 180/2014, G 216/2014, G 232/2014, G 42/2015, G 77/2015) in Stattgebung des von der Beschwerde angesprochenen Normprüfungsantrags des 11. Senats des Obersten Gerichtshofs ausgesprochen, dass die Wortfolge „Sachverständiger oder" in § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 2004/19 verfassungswidrig war. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass diese verfassungswidrige Wortfolge auch in den Rechtssachen, die ‑ wie die vorliegende ‑ zum Zeitpunkt der Entscheidung beim Obersten Gerichtshof anhängig waren, nicht mehr anzuwenden ist (Art 140 Abs 7 B‑VG).

In der Begründung führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass der angefochtene Teil der angesprochenen Bestimmung auf Basis der Auslegung, wonach damit „die Geltendmachung des (vorangegangenen) Wirkens des Sachverständigen im Auftrag der Staatsanwaltschaft als Befangenheitsgrund schlechthin ‑ unabhängig von den Umständen des Einzelfalls ‑ ausgeschlossen“ werde, es dem Angeklagten also „von Gesetzes wegen selbst dann verwehrt ist, das Vorliegen von Hinweisen auf eine 'aus seiner Tätigkeit im Ermittlungsverfahren resultierende' objektive Befangenheit des Sachverständigen mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen, wenn der Sachverständige vom Staatsanwalt mit der Durchführung von Ermittlungen ‑ allenfalls auch in Form eines Erkundungsbeweises (§ 103 Abs 2 iVm § 91 Abs 2 StPO) ‑ betraut war und sich die Anklage primär auf dessen Expertise stützt“ (Rz 39), gegen das in Art 6 Abs 3 lit d MRK garantierte Gebot der Waffengleichheit verstieß und damit verfassungswidrig war (Rz 40).

Dieses Ergebnis habe jedoch „nicht den generellen Ausschluss eines Sachverständigen allein aus dem Grund, dass er bereits im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft beigezogen wurde, für die Bestellung in der Hauptverhandlung zur Folge“, sondern führe vielmehr dazu, dass „das Gericht im Rahmen einer Einzelfallprüfung eine allfällige Befangenheit anhand der Regelung des § 47 Abs 1 Z 3 iVm § 126 Abs 4 erster Satz StPO (Vorliegen von Gründen, die geeignet sind, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen) zu beurteilen“ habe (Rz 43).

Nach Maßgabe dieser vom Verfassungsgerichtshof aufgestellten Kriterien wurden zur Begründung der behaupteten "strukturellen" Befangenheit der Sachverständigen taugliche Umstände weder im gegenständlichen Antrag, der sich ‑ wie dargelegt ‑ im bloßen Hinweis auf die Beiziehung der Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft verbunden mit der unsubstantiierten Behauptung einer Mangelhaftigkeit deren Expertise erschöpfte, angesprochen, noch in einer Stellungnahme, zu deren Einbringung dem Angeklagten vom Obersten Gerichtshof unter Hinweis auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs und gleichzeitiger Übermittlung einer Ausfertigung derselben Gelegenheit gegeben wurde, genannt.

Soweit in der Äußerung der Versuch unternommen wird, das ursprüngliche Antragsvorbringen durch die Aufzählung von Umständen, die nach Ansicht des Beschwerdeführers Befangenheit der Sachverständigen unabhängig von deren Tätigkeit im Ermittlungsverfahren begründen, zu ergänzen, hat dieses Vorbringen aufgrund des aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 325).

Fachliche Zweifel an der Expertise eines

Sachverständigen sind im Übrigen nach §

127 Abs 3 erster Satz StPO durch dessen Befragung, falls diese nicht zum Ziel führt, durch Beiziehung eines weiteren

Sachverständigen auszuräumen. Mängel im Sinn dieser Bestimmung wurden mit dem unbegründeten und nicht nachvollziehbaren Vorwurf von Widersprüchlichkeit des Gutachtens der dem Verfahren beigezogenen Sachverständigen, nicht fundiert dargetan (vgl zum Ganzen Hinterhofer, WK-StPO §

127 Rz 16). Nach ausführlicher Erörterung der Expertise in der Hauptverhandlung (ON 40 S 61 ff) hat der Angeklagte einen mit inhaltlichen Mängeln begründeten Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens zudem nicht (mehr) gestellt, weshalb der Verfahrensrüge auch unter diesem Aspekt kein Erfolg beschieden sein kann (RIS-Justiz RS0102833 [insbesondere T2]).

Dass dem Hauptverhandlungsprotokoll „keine andere als die unter ./B bezeichnete dreiseitige allgemeine Rechtsbelehrung angeschlossen“, eine auf die Fragen an die Geschworenen bezogene schriftliche Rechtsbelehrung (§ 321 StPO) demnach nicht verfasst worden wäre, wie die Instruktionsrüge (Z 8) unter Berufung auf mehrere Vermerke von Kanzleimitarbeiterinnen der Verteidigerin behauptet, trifft nicht zu.

Der Oberste Gerichtshof überzeugte sich vielmehr auf Grundlage des unbedenklichen Aktenvermerks der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom 28. November und 1. Dezember 2014 (ON 1 S 37 ‑ 39) sowie der Kanzleivermerke vom 1. Dezember 2014 und vom 12. Jänner 2015 (ON 1 S 35 f, S 43) in freier Beweiswürdigung (§ 285f StPO) davon, dass die den Geschworenen zu erteilende Rechtsbelehrung gesetzeskonform verfasst, ausgefertigt, den Geschworenen übergeben und dem Protokoll über die Hauptverhandlung als Beilage ./B angeschlossen wurde (§§ 321, 322, 323 StPO). In der Folge wurde der Verteidigerin jedoch ‑ entgegen der entsprechenden Verfügung der Vorsitzenden (ON 1 S 32) ‑ aufgrund eines Versehens einer Mitarbeiterin der Geschäftsabteilung gemeinsam mit der Urteilsausfertigung und dem Hauptverhandlungsprotokoll bloß die ‑ ebenfalls als Beilage ./B bezeichnete ‑ „allgemeine Rechtsbelehrung“, nicht jedoch der Teil, der sich konkret auf die den Geschworenen gestellten Fragen bezog, zugestellt (vgl erneut ON 1 S 43 ff), was ‑ wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt ‑ keinen Einfluss auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist des § 285 Abs 1 StPO hatte (RIS-Justiz

RS0124686; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 2, 4 mwN; aM Danek , WK-StPO § 271 Rz 40).

Anlässlich der ‑ über Auftrag des Obersten Gerichtshofs ‑ nach Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel nachgeholten Zustellung der Rechtsbelehrung wurde die Verteidigerin vom Erstgericht ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 364 StPO hingewiesen (ON 1 S 43). Da sie davon nicht Gebrauch machte, ist die bereits eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde beachtlich (vgl dazu Ratz , WK-StPO § 285 Rz 2 im Zusammenhang mit der neuerlichen Urteilszustellung nach Protokollsberichtigung).

Mit dem ‑ auf dem (nach dem Vorgesagten widerlegten) Einwand gesetzwidrigen

Fehlens der Niederschrift über die

Rechtsbelehrung (§ 321 Abs 1 StPO) vor Urteilsverkündung basierenden ‑ Vorbringen, es könne „nicht zweifelsfrei nachvollzogen werden“, „ob die den Geschworenen mündlich erteilte Rechtsbelehrung mit der Rechtslage übereingestimmt hat“ und es müsse „in dubio davon ausgegangen werden ..., dass die den Geschworenen mündlich erteilte Rechtsbelehrung unrichtig war“, verfehlt die Instruktionsrüge (Z 8) den Anfechtungsrahmen des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes, nämlich den Vergleich der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung mit ihrem nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichen Inhalt und die darauf gegründete deutliche und bestimmte Darstellung der Unrichtigkeit der den Geschworenen zuteil gewordenen juristischen Information (RIS-Justiz RS0119549, RS0119071; Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 53, 56, 65).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte