OGH 13Os122/17s

OGH13Os122/17s6.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Dezember 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schuber als Schriftführer in der Strafsache gegen Christopher M***** und einen anderen Angeklagten wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 61 U 113/16x des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 14. März 2017, GZ 61 U 113/16x-44, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Koenig, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00122.17S.1206.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 61 U 113/16x des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau verletzen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils am 14. März 2017 in Abwesenheit des – bloß im Weg einer Videokonferenz aus der Justizanstalt Salzburg zugeschalteten – Angeklagten Christopher M***** § 427 Abs 1 iVm § 478 Abs 1 StPO.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Christopher M*****, demzufolge auch im Strafausspruch, sowie der Beschluss auf Vorbehalt von Widerrufsentscheidungen werden aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau verwiesen.

 

Gründe:

Im Verfahren AZ 61 U 113/16x des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau wurde der (in einem anderen Strafverfahren) in der Justizanstalt Salzburg angehaltene Angeklagte Christopher M***** mit Verfügung vom 9. Februar 2017 – ohne Anordnung seiner Vorführung – per Adresse „JA Salzburg“ mit dem Zusatz „per Videokonferenz“ als Angeklagter zur Hauptverhandlung am 14. März 2017 geladen (ON 1 S 3c f).

Zu dieser erschien er sodann auch nicht persönlich, sondern er war mittels Videokonferenz aus der Justizanstalt Salzburg „zugeschaltet“ (ON 43 S 4). In der unter diesen Umständen durchgeführten Hauptverhandlung bekannte er sich teilweise schuldig und nahm zu ihn belastenden Verfahrensergebnissen Stellung (ON 43 S 4 ff).

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch den unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch eines Mitangeklagten enthält, wurde M***** – anklagekonform – des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde ein auf § 494a Abs 2 (letzter Satz) StPO gestützter Beschluss auf Vorbehalt der Entscheidung über den Widerruf (gemeint [US 4 f; vgl ON 7 S 3]:) der dem Genannten jeweils mit Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 8. September 2011, AZ 19 BE 2/11w (nachmals [§ 179 Abs 1 StVG]: AZ 21 BE 147/11i, nunmehr AZ 20 BE 25/15x je des Landesgerichts für Strafsachen Graz), gewährten bedingten Entlassungen aus Freiheitsstrafen sowie aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB gefasst.

Über die gegen das Urteil angemeldeten, jedoch nicht ausgeführten Berufungen des Angeklagten M***** (wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe – ON 43 S 10) und der Staatsanwaltschaft (wegen des M***** betreffenden Strafausspruchs – ON 43 S 11) wurde bislang nicht entschieden.

 

Im bezeichneten Verfahren wurde – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – das Gesetz verletzt:

 

Rechtliche Beurteilung

Die Mitwirkung des – nicht auch körperlich anwesenden – Angeklagten an der Hauptverhandlung (vgl § 6 Abs 1 erster Satz StPO) im Weg seiner „Zuschaltung“ mittels technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung („Videokonferenz“) sieht die Strafprozessordnung nicht vor (vgl Kirchbacher, WK‑StPO § 247a Rz 3; anders bei der Befragung von Zeugen und im Ermittlungsverfahren in bestimmten Fällen, § 153 Abs 4, § 172 Abs 1, § 176 Abs 3, § 247a StPO). Eine (dennoch) auf diese Weise durchgeführte Hauptverhandlung (und Urteilsfällung) findet in Abwesenheit des Angeklagten statt (vgl RIS-Justiz RS0128200, 12 Os 96/12b).

Ist aber – wie demnach hier – der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, so ist Letzteres gemäß § 427 Abs 1 StPO bei sonstiger Nichtigkeit nur zulässig, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gemäß § 164 oder § 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Gegen ein gemäß § 427 StPO in seiner Abwesenheit verkündetes Urteil des Bezirksgerichts kann der Angeklagte nach § 478 Abs 1 StPO (unter den dort normierten Voraussetzungen) Einspruch erheben, wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist oder er nachweisen kann, dass er durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sei.

Wurde dem Gericht (wie hier) bereits vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt, dass sich der Angeklagte in Haft befindet – sich seinem Erscheinen also ein unabwendbares Hindernis entgegenstellt –, so dürfen die Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in der Regel nicht in seiner Abwesenheit durchgeführt werden (RIS‑Justiz RS0101569, jüngst 11 Os 16/16m; zur hier nicht vorliegenden Ausnahme einer persönlichen und unmissverständlichen Erklärung des Angeklagten, der Verhandlung in seiner Abwesenheit zuzustimmen, vgl RIS‑Justiz RS0115797; Bauer, WK‑StPO § 427 Rz 15; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 244). Vielmehr hat das Gericht in einem solchen Fall die Justizanstalt um Vorführung des Angeklagten zur Hauptverhandlung zu ersuchen, und zwar entweder anlässlich der Ladung des Angeklagten gemäß § 221 Abs 1 StPO (Danek/Mann, WK‑StPO § 221 Rz 14) oder gemäß § 427 Abs 2 erster Satz StPO.

Die Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten verstieß daher gegen § 427 Abs 1 iVm § 478 Abs 1 StPO.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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