OGH 12Os69/99

OGH12Os69/9916.12.1999

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Handler als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rainer M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 25. Jänner 1999, GZ 16 Vr 1427/97-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Mag. Schnell, und des Verteidigers Dr. Bertsch, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, daß die Tat mit schwerer Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben begangen wurde, und demzufolge in der rechtlichen Beurteilung der Tat als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Rainer Klaus M***** hat durch die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch zur Last liegende Tat das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB begangen und wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren verurteilt. Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung wird aus dem Ersturteil übernommen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen gegen den Strafausspruch werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rainer Klaus M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er nachts vom 3. zum 4. November 1997 in Feldkirch-Tisis Nadine G***** mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt und durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung "bzw Vornahme" des Beischlafs und einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Eindringens mit einem Finger in ihre Scheide, genötigt, indem er sich auf Nadine G***** legte und sie auszog, wobei sie sich dagegen wehrte, indem sie ihn wegzudrücken versuchte, worauf er ihren Widerstand durch die Androhung von Faustschlägen brach, indem er ihr die Faust unter das Kinn drückte und sie sinngemäß fragte, ob sie so etwas wolle, grob an ihrer Scheide herumgriff und einen Finger in ihre Vagina einführte sowie fest an ihren Brüsten lutschte, daß es sie schmerzte und sie, nachdem er kurz von ihr abgelassen hatte, sinngemäß fragte, was sie getan hätte, wenn er ein Psychopath gewesen wäre, sie vergewaltigt, umgebracht und in einen Graben geschmissen hätte, wobei er ihre Kleidungsstücke wegnahm, als sie sich anziehen wollte, sich selbst ganz entkleidete und ihr dem Sinn nach erklärte, daß er nun mit ihr schlafen werde, sich auf die teilnahmslos Liegende, deren Widerstandskraft er vollkommen gebrochen hatte, legte, mit seinem erigierten Penis in ihre Scheide eindrang und den Geschlechtsverkehr bis kurz vor dem Samenerguß durchführte.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4, 5, 5 a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der nur teilweise Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Unrecht behauptet der Beschwerdeführer eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte (Z 4) durch Abweisung des Antrages auf Vernehmung der Zeugen Martin H***** und Kurt Z*****, welche dem Nachweis dienen sollte, daß Nadine G***** am 5. November 1997 ihm nicht hörig gewesen sei, sich in einem Gemütszustand befunden habe, der nicht auf den Tatvorwurf schließen ließe, sich als seine Tochter ausgegeben und keine Verletzungen aufgewiesen habe (S 277,281/III). Abgesehen davon, daß die Urteilsannahmen ohnehin dem zuerst genannten Beweisthema entsprechen (US 13) und tatkausale Verletzungen nicht konstatiert wurden (US 6), sind die unter Beweis gestellten Umstände insgesamt für die Lösung der Schuldfrage nicht entscheidungswesentlich, weil die Beweisaufnahme die Möglichkeit sämtlicher Modalitäten der inkriminierten Tatbegehung unberührt ließe (vgl 14 Os 53/91, 13 Os 32/92).

Der Behauptung undeutlicher Urteilsfeststellung (Z 5) zuwider wird mit der sinngemäßen Wiedergabe von Äußerungen des Angeklagten im Zuge des Tatgeschehens (US 5, 6) deren entscheidungswesentlicher Bedeutungsinhalt eindeutig zum Ausdruck gebracht. Mit dem weiteren Beschwerdeeinwand wird ein Widerspruch der Urteilsannahmen betreffend Kraftanwendung und Schmerzzufügung zur Konstatierung, daß tatkausale Verletzungen nicht feststellbar sind (jeweils US 6), nicht aufgezeigt, weil letztere nicht notwendige Folge der genannten Tatmodalitäten sind.

Nicht zielführend ist der Vorwurf der Scheinbegründung in Beziehung auf die (im übrigen auf denkmöglichen Schlüssen beruhende) Erörterung von Ab- weichungen in den Aussagen der Zeugin Nadine G***** (US 7 f), sind doch weder die exakte Tatzeit noch der Umstand, ob das tatbetroffene Mädchen am Abend vor der inkriminierten Tat allenfalls mit seinen Eltern oder nur mit seiner Mutter stritt, für die Schuldfrage von Bedeutung.

Dem weiteren Beschwerdeeinwand zuwider hat sich das Erstgericht auch mit (vom Angeklagten bloß vermuteten - vgl S 17, 107/III) Motiven für eine Falschbelastung durch die Zeugin Nadine G***** eingehend auseinandergesetzt (US 8).

Mit der unsubstantiierten Behauptung der Scheinbegründung in Beziehung auf das konstatierte Tatgeschehen (Verletzungen der Nadine G***** wurden vom Erstgericht ohnehin nicht festgestellt) übergeht der Beschwerdeführer die eingehende und denkrichtige Erörterung des Erstgerichts (US 9 bis 12), aus welchen - die Verantwortung des Angeklagten und die übrigen Beweisergebnisse umfassend miteinbeziehenden - Erwägungen es bei den Feststellungen zum Tatverlauf den detaillierten und im wesentlichen konformen Bekundungen der Zeugin Nadine G***** (S 201 f, 233 f, 239 f/III; 29 ff/I) gefolgt ist.

Mit der Tatsachenrüge (Z 5a) unternimmt der Beschwerdeführer, allein den eigenen Standpunkt hervorhebend, den in der Art einer bloßen Schuldberufung unzulässigen Versuch der Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung und vermag Bedenken, geschweige denn erheblichen Gewichtes, gegen die schlüssige Beweiswürdigung der Tatrichter nicht zu erwecken.

Soweit sich der Angeklagte auf Divergenzen in Beziehung auf nicht entscheidungswesentliche Details in der Aussage der Zeugin Nadine G***** sowie auf die Behauptung einer ungenauen Tatschilderung durch diese Zeugin stützt, kann er auf die entsprechenden Ausführungen zur Mängelrüge verwiesen werden. Der weiteren Beschwerdebehauptung zuwider ist der von der Zeugin geschilderte Widerstand (insbes S 239 f/III) ebensowenig denkunmöglich wie die Schlußfolgerung der Beschwerde zwingend, die von der Zeugin dargelegte Abwehr hätte sichtbare Verletzungen des Angeklagten zur Folge haben müssen.

Auch mit dem Hinweis auf den (an sich auch andere als jene vom Erstgericht gezogenen Schlüsse zulassenden) Umstand, daß Nadine G***** nach der Tat noch etwa vierzehn Tage mit dem Angeklagten gemeinsam mit dem LKW unterwegs war, vermag der Beschwerdeführer faßbare Zweifel an der Richtigkeit der erstrichterlichen Beweiswürdigung nicht herbeizuführen. Denn die (in der Beschwerdeargumentation übergangene) Begründung der Nachvollziehbarkeit dieses vor dem Hintergrund des vorangegangenen Tatgeschehens nur dem Anschein nach inkohärenten Verhaltens der Zeugin Nadine G***** mit dem Hinweis auf die (nach Überzeugung der Tatrichter vom Angeklagten ausgenutzte) leichte psychische Beeinflußbarkeit der Zeugin (vgl US 11, 12 und die dort angeführten Belegstellen in der Aussage der Genannten; überdies S 241/III) ist ebenso denkmöglich, wie die (durch die Aussage der Nadine G***** zu ihrer tatkausal erheblich beeinträchtigten psychischen Befindlichkeit - S 9/III; 235/III - implizierte) Bezugnahme auf Wirkungsmechanismen posttraumatischer Verdrängung (US 12) gesicherter Erfahrung entspricht. Das übrige Vorbringen erschöpft sich in der unsubstantiierten Behauptung mangelhafter Sachverhaltsermittlung.

Berechtigung kommt dagegen der Subsumtionsrüge (Z 10) zu.

Denn die in § 201 Abs 1 StGB genannten (gegenüber § 201 Abs 2 erster und dritter Fall StGB qualifizierten) Nötigungsmittel der (gegen das Tatopfer gerichteten) schweren Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben erfordern zum einen eine höhergradig intensive oder gefährliche, deutlich oberhalb der Schwelle erheblicher Gewalt (§§ 84 Abs 3, 142 Abs 2 StGB) liegende Kraftanwendung und zum andern die (glaubhafte) Androhung des unmittelbar bevorstehenden Eintritts des Todes, einer in § 106 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten körperlichen Beeinträchtigung oder der Lebens- und Gesundheitsgefährdung durch die dort genannten oder gleichwertige Mittel (NRsp 1991/199, 200; EvBl 1992/79; Leukauf/Steininger Komm3 § 201 Rz 12 und 15).

Demgemäß erfüllt aber der festgestellte Gewaltakt (US 5, 6) mangels über das an sich deliktsspezifische Maß hinaus gesteigerter Tatintensität den qualifizierten Gewaltbegriff nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB ebensowenig wie die (lediglich) konstatierte Androhung von Faustschlägen (US 5, 6) mangels Inaussichtstellens der aufgezeigten Übelszufügung das Erfordernis qualifizierter Drohung nach § 201 Abs 1 zweiter Fall StGB. Der dem Beischlafsvollzug unmittelbar vorausgegangene Täterhinweis auf eine psychopathische Mordvariante hätte zwar im Kontext mit dem Vorgeschehen eine Prüfung der zweiten Begehungsform nach § 201 Abs 1 StGB (qualifizierte Drohung) aktualisiert. Da das angefochtene Urteil (US 6, 14) diesen Aspekt jedoch völlig übergeht und lediglich eine zum Vorteil des Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde vorliegt, war einer allfälligen Wahrnehmung der auf diese Sicht gestützten Tatsubsumtion nach § 201 Abs 1 StGB im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens prozessual der Boden entzogen. Die Tat war somit - ungeachtet der physischen und psychischen Überlegenheit des Täters gegenüber dem jungen Mädchen und der Beengtheit und Abgeschiedenheit des Tatortes - spruchgemäß in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde rechtsrichtig (noch) als Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 (erster und dritter Fall) StGB zu beurteilen.

Bei der durch die Umqualifikation und Kassierung des Strafausspruches erforderlich gewordenen Strafneubemessung war das Vorliegen zweier einschlägiger, an sich rückfallsbegründender Vorstrafen als erschwerend, als mildernd hingegen kein Umstand zu werten.

Unter Bedachtnahme auf das massiv getrübte Vorleben des insgesamt sechsmal gerichtlich vorbestraften Angeklagten, der sich auch durch zweifachen (zumindest teilweisen) Vollzug jeweils mehrjähriger Freiheitsstrafen nicht hatte abhalten lassen, massiv (an der Grenze zur Qualifikation des § 201 Abs 1 StGB) in die Sexualsphäre eines ihm körperlich und psychisch unterlegenen 17-jährigen Mädchens einzugreifen, entspricht die ausgemessene Sanktion auch aus spezialpräventiver Sicht den hier aktuellen Straferfordernissen, die eine Gewährung (teilweise) bedingter Nachsicht ohne Gefährdung des gesetzlichen Strafzwecks ausschließen.

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die - eine Strafneubemessung einschließende - reformatorische Entscheidung zu verweisen.

Der Berufung des Angeklagten gegen den Zuspruch von 5.000 S an Teilschmerzengeld (S 231/III) kommt Berechtigung nicht zu, ist doch dieser Betrag - ungeachtet einer allenfalls nach § 1328 ABGB für die erlittene Beeinträchtigung zustehenden Entschädigung - auf Grund der tatbedingten Folgezustände des Opfers (Schlafstörungen, Alpträume, depressive Verstimmung, S 9/III, körperliche Schmerzen, S 235/III) schon auf der Basis des § 1325 ABGB (vgl Dittrich/Tades ABGB35 § 1325 E 14, 15) nicht unangemessen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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