Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erich G***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I./) sowie der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idgF (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er in M***** S*****
I./ unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar
1./ im Jänner/Februar 1993 Angelika K*****, geboren am 30. Juni 1987, indem er diese zumindest an einem Tag zur Durchführung eines Oralverkehrs an ihm verleitete;
2./ von 1992 bis (zu ergänzen: 13. Dezember) 1997 Natalie R*****, geboren am 14. Dezember 1983, durch wiederholtes Betasten an der Scheide, Einführen des Fingers in die Scheide, während er sich teilweise selbst befriedigte und sie veranlasste, ihn mit der Hand zu befriedigen sowie sie in weiterer Folge zur Durchführung eines Oralverkehrs an ihm veranlasste;
II./ von Frühjahr/Sommer 2004 bis 2006 Jasmin S***** außer den Fällen des § 201 StGB teils mit Gewalt, indem er sie an den Oberarmen festhielt und durch die gefährliche Drohung, die Pflegemutter werde ihren Job verlieren und sie komme in ein Heim, zur Duldung geschlechtlicher Handlungen, und zwar dem wiederholten Betasten ihrer Scheide über und unter der Bekleidung sowie des einmaligen Einführens eines Fingers in ihre Scheide genötigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, und 5a StPO stützt. Sie verfehlt ihr Ziel.
Rechtliche Beurteilung
Voraussetzung für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 ist, dass über einen in der Hauptverhandlung vom Beschwerdeführer gestellten Antrag nicht oder nicht in dessen Sinn mit Zwischenerkenntnis entschieden worden ist; die Hintansetzung von Verfahrensgrundsätzen zum Nachteil eines Beschwerdeführers muss also durch ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischenerkenntnis des erkennenden Gerichts erfolgt sein (RIS-Justiz RS0099250; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 302 ff; RIS-Justiz RS0099244, RS0099112), woran die Verfahrensrüge mangels entsprechender Antragstellung scheitert.
Die darin unter Bezugnahme auf Grundsätze eines fairen Verfahrens aufgestellte Behauptung, die „Abwertung“ des Gutachtens des (1997 im Hinblick auf die damals 10-jährige Zeugin Angelika K***** beigezogenen) Sachverständigen Dr. T***** durch das Erstgericht sei „äußerst überraschend“ erfolgt, die Verteidigung hätte daher keine Möglichkeit gehabt, „während des Prozesses zu reagieren und ein ergänzendes Gutachten ... zu beantragen“ stellt eine von mehreren beweiswürdigenden Erwägungen des Gerichts in den Mittelpunkt; für solche gilt in der Regel das aus § 262 StPO abgeleitete grundrechtliche Überraschungsverbot nicht. Nur dann, wenn ein zugunsten des Angeklagten sprechender erheblicher Tatumstand im gesamten Strafverfahren nie in Zweifel gezogen und kein Beweisverfahren abgeführt wurde, hat das Gericht, wenn es diesen gleichwohl für nicht gegeben erachtet, den Angeklagten bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5a StPO darauf hinzuweisen (RIS-Justiz RS0120025), weswegen die Rüge - angesichts des konkreten Verfahrensablaufs - auch unter diesem Aspekt fehl geht.
Offenbar unzureichend (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) ist eine Begründung, welche den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht. Einen Unterfall stellt die logisch oder empirisch unhaltbare Begründung dar, wenn also der Mangel nicht in einem „Zu wenig“, sondern in einem offenen Widerspruch zwischen der Feststellung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache und der dazu gegebenen Begründung - nach Maßgabe von Logik und grundlegendem Erfahrungswissen - besteht. Sowohl das „Zu wenig“ als auch der beschriebene offene Widerspruch führen dazu, eine so getroffene Feststellung im Vergleich zu ihrer Begründung als willkürlich zu werten (RIS-Justiz RS0118317; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444).
Dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider, die Begründung des Erstgerichts sei „völlig lebensfremd“, hat das Erstgericht mängelfrei dargelegt, aus welchen Gründen es den Aussagen der Opfer folgte, nicht aber den „Verschwörungstheorien“ des Angeklagten. In eben solcher Weise legte es auch dar, weswegen es die Darlegungen des Sachverständigen Dr. T***** für nicht überzeugend erachtete. Mit der Behauptung, das Erstgericht habe nicht erörtert, weswegen es den Angaben der Zeugin S***** folgte, unterlässt der Beschwerdeführer die gebotene Betrachtung der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0116504; US 9 bis 12). Insgesamt argumentiert die Mängelrüge gleich einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld ohne Begründungsdefizite aufzeigen zu können.
Der formelle Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583). Die Rüge argumentiert aber - neuerlich nach Art einer Schuldberufung - bloß, die Feststellung des Beginns der sexuellen Übergriffe mit 1992/1993 sei „grob aktenwidrig“ und weist darauf hin, dass die Zeugin Natalie R***** zweimal (ON 6 S 6, ON 39 S 7) sinngemäß angegeben habe, dass zum Zeitpunkt der polizeilichen Ermittlungen (im Jahr 1997) noch keine sexuellen Übergriffe stattgefunden hätten. Das Erstgericht hat sich mit den zeitlichen Divergenzen aber ohnehin auseinander gesetzt (US 10 f), sodass es dem Beschwerdeführer nicht gelingt, beim Obersten Gerichtshof Bedenken in obigem Sinn zu wecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der Anwendung des - zufolge nunmehriger Strafuntergrenze von sechs Monaten (gegenüber der im Tatzeitpunkt geltenden Fassung) ungünstigeren - § 202 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2009/40) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO - vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 653 und § 288 Rz 36) nicht veranlasst sieht, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff) und vorliegend das Oberlandesgericht diesen Umstand - aufgrund dieser Klarstellung - ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung bei der Entscheidung über die vom Angeklagten gegen den Sanktionsausspruch erhobene Berufung zu berücksichtigen hat (RIS-Justiz RS0118870 [insbesondere T8]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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