OGH 11Os53/01

OGH11Os53/018.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eichinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Karl S***** wegen des Vergehens der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB, AZ 9c EVr 248/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. April 2001 (ON 15), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Sperker und des Verteidigers Dr. Schöppl, jedoch in Abwesenheit des Beschuldigten, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0110OS00053.010.0508.000

 

Spruch:

Der Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. April 2001, GZ 9 c EVr 248/01‑15, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 41 Abs 5 MedienG und 486 Abs 1 StPO.

Der Beschluss wird aufgehoben und dem Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien aufgetragen, das Verfahren durchzuführen.

 

Gründe:

 

Mit dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 9 c EVr 248/01 eingebrachten Strafantrag vom 2. April 2001 legt die Staatsanwaltschaft Wien Dr. Karl S***** das Vergehen der Beleidigung nach § 115 Abs 1 StGB zur Last, weil er am 28. November 2000 in Salzburg anlässlich einer vor etwa 450 Personen in Anwesenheit eines Kamerateams des ORF öffentlich gehaltenen Rede den Bundespräsidenten Dr. Thomas Klestil dadurch beschimpft bzw verspottet habe, dass er äußerte, "Lump" sei für ihn noch ein harmloser Ausdruck, weil das habe er auch seinen Hund genannt. Zugleich beantragte die Staatsanwaltschaft die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem gemäß § 41 Abs 2 MedienG zuständigen Landesgericht für Strafsachen Wien sowie - ua ‑ die Vorführung der bezughabenden Videoaufzeichnungen (ON 12), deren Beischaffung durch den Untersuchungsrichter sie im Zuge von Vorerhebungen mit dem Hinweis darauf, dass die zur Diskussion stehende Rede (mit Zustimmung des Beschuldigten) vom ORF aufgezeichnet und auszugsweise in mehreren Nachrichtensendungen des ORF‑Hörfunk und Fernsehen veröffentlicht worden sei, veranlasst hatte (ON 1).

Am 6. April 2001 legte der Einzelrichter des Landesgerichtes den Akt der Ratskammer "gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO" mit dem Bemerken vor, dass das Landesgericht für Strafsachen Wien "mangels Inkriminierung eines Medieninhaltsdeliktes im Strafantrag örtlich und sachlich unzuständig sei, da die Bestimmung des § 41 Abs 2 MedienG nicht anwendbar" sei.

Mit Beschluss vom 6. April 2001 (ON 15) schloß sich die Ratskammer dieser Auffassung an, sprach die örtliche und sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes aus und trat das Strafverfahren gemäß § 486 Abs 1 StPO an das Bezirksgericht Salzburg ab: Im von der Staatsanwaltschaft Wien geschilderten "historischen Sachverhalt" finde sich kein Hinweis auf die (nicht in Zweifel gezogene) Tatsache, dass die inkriminierten Äußerungen im Österreichischen Rundfunk in mehreren Fernseh‑ und Rundfunksendungen zur Ausstrahlung gelangt sind, weshalb mangels Inkriminierung eines Medieninhaltsdeliktes im Strafantrag die Zuständigkeitsbestimmung des § 41 Abs 2 MedienG nicht zur Anwendung gelange.

Dieser Beschluss der Ratskammer widerspricht, wie der Generalprokurator in seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, dem Gesetz in mehrfacher Hinsicht:

Rechtliche Beurteilung

§ 41 Abs 2 MedienG normiert für Medieninhaltsdelikte - durch den Inhalt eines Mediums begangene, mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen, die in einer an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung oder Darbietung bestehen (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) - die Eigenzuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz, welcher in Verfahren, die sonst in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes fielen, durch einen Einzelrichter zu judizieren hat (§ 41 Abs 3 leg cit). Bei Begehung in einer Rundfunksendung ist (außer in Jugendstrafsachen) das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig (§ 41 Abs 2 Satz 2).

Vorliegend nahm die Staatsanwaltschaft zur Erledigung des Strafantrages wegen des an sich in die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes fallenden Vergehens der Beleidigung nach § 115 StGB - ob zu Recht oder zu Unrecht ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung - explizit die (spezielle) Zuständigkeit des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Mediengericht nach § 41 Abs 2 MedienG in Anspruch. Hält sich der demnach gemäß § 41 Abs 3 MedienG berufene Einzelrichter indes für sachlich unzuständig, hat er nicht etwa gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO die Entscheidung der Ratskammer einzuholen, sondern selbst die ihm erforderlich scheinenden Entscheidungen und Verfügungen zu treffen, weil gemäß § 41 Abs 5 MedienG die im Einzelrichterverfahren sonst der Ratskammer zugewiesene Entscheidungskompetenz (§§ 485, 486 StPO) auf ihn als (Medien‑) Einzelrichter übergeht.

Daraus geht hervor, dass die Ratskammer zur Fassung des Unzuständigkeitsbeschlusses und zur Verweisung der Strafsache an das Bezirksgericht Salzburg nach dem Gesetz nicht legitimiert war.

Der Beschluss der Ratskammer ist aber auch inhaltlich verfehlt.

Maßgebend für die Beurteilung des Gegenstandes der Anklage und der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ist nach gesicherter Rechtsprechung das Anklagevorbringen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in seiner Gesamtheit (vgl 15 Os 96/92; 14 Os 107/94; 13 Os 196, 197/97; 13 Os 170/98; 12 Os 55, 56/99), wobei Anklagesatz und Begründung (§ 207 Abs 3 StPO) ein einheitliches Ganzes darstellen. Entfällt, wie beim Strafantrag, eine formelle Begründung, so kann auf die der Anklage zugrundeliegenden Verfahrensergebnisse zurückgegriffen werden, sofern sich der Strafantrag direkt oder konkludent darauf bezieht. Entscheidend ist, dass deutlich erkennbar sein muss, welche Tat des Beschuldigten der Ankläger verfolgt wissen will (Mayerhofer StPO4 § 262 E 1 ff) und dass die in Anspruch genommene Zuständigkeit zumindest mit vertretbarer Rechtsansicht abgeleitet werden kann (14 Os 104/94; 13 Os 170/98).

Der Verneinung des Vorliegens eines Medieninhaltsdeliktes im angefochtenen Beschluss liegt die strikte Beschränkung auf den Wortlaut des Anklagetenors des in Rede stehenden Strafantrages zugrunde, wonach dem Beschuldigten - ohne Hinweis auf die spätere, mehrfache Ausstrahlung im ORF - (nur) die am 28. November 2000 in Salzburg anlässlich einer vor etwa 450 Personen gehaltene Rede getätigten Äußerungen zur Last gelegt werden. Dem entspreche, dass weder ein Haftungsbeteiligter (Medieninhaber) noch die (verschuldensunabhängige) Haftungsbestimmung des § 35 MedienG erwähnt werde.

Dabei lässt die Ratskammer jedoch unbeachtet, dass sich die für die sachliche Zuständigkeit des Mediengerichtes bedeutsame Anklagebehauptung einer Verbreitung der Beleidigung in einer Rundfunksendung dem Strafantrag durch den Hinweis auf die damalige Anwesenheit eines Kamerateams des ORF im Anklagesatz in Verbindung mit dem (nach §§ 484 Abs 1 und 207 Abs 2 Z 4 StPO einen integrierten Bestandteil des Strafantrages bildenden) ausdrücklichen Antrag auf Durchführung einer Hauptverhandlung vor dem gemäß § 41 Abs 2 MedienG zuständigen Landesgericht für Strafsachen Wien und Vorführung der im Rahmen von (wegen des Verdachtes eines Medieninhaltsdeliktes [s Antrags‑ und Verfügungsbogen S 2] beim Landesgericht ‑ und nicht beim Bezirksgericht - geführten) Vorerhebungen beigeschafften Aufzeichnungen der bezughabenden Videoaufzeichnungen zumindest konkludent zu entnehmen ist.

Dem in diesem Zusammenhang vom Beschuldigten in seiner Stellungnahme zur Wahrungsbeschwerde vorgebrachten Einwand, die Annahne eines Medieninhaltsdeliktes sei schon mangels eines darauf gerichteten Vorsatzes verfehlt, ist zu entgegnen, dass die Begehung "durch den Inhalt eines Mediums" vorsatzunabhängig ist, weil damit nur der (abstrakte) mediale Multiplikationseffekt umschrieben wird, der das Delikt charakterisiert, nicht aber die Handlung des Täters (s Hanusch, Kommentar zum MedienG, § 1 Rz 27; Brandstetter/Schmid, Mediengesetz2 § 28 Rz 8). Wurde daher etwa eine als üble Nachrede zu qualifizierende Äußerung in einem Medium publiziert, dann liegt ein Medieninhaltsdelikt auch dann vor, wenn die Veröffentlichung vom Vorsatz des Täters nicht umfasst war. Umgekehrt ist ein Medieninhaltsdelikt zu verneinen, wenn die Äußerung nicht zumindest in einem Medium Aufnahme gefunden hat, obgleich die Publikation vom Täter beabsichtigt war.

Diesfalls wäre zwar allenfalls der Versuch qualifizierter Tatbegehung nach § 111 Abs 2 StGB anzunehmen, ein "versuchtes Medieninhaltsdelikt" wird damit jedoch nicht begründet. Dies ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber in § 1 Abs 1 Z 12 MedienG keinen eigenen Deliktstatbestand vertypt, sondern nur auf mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen verweist, welche er für den Fall ihrer Verwirklichung in einem Medium iSd § 1 Abs 1 Z 1 MedG zusammenfassend als Medieninhaltsdelikte bezeichnet und daran besondere Konsequenzen (betreffend Zuständigkeit, Verfahren, Verjährung, Einziehung, Beschlagnahme, Urteilsveröffentlichung, Haftung, Veröffentlichung einer Mitteilung über das Verfahren) knüpft, ohne damit aber die Rechtsnatur des durch das Medium begangenen Deliktes und der dafür bestimmten Sanktion zu ändern (insoweit zutreffend Hager, MuR 1/95 11). Die Definitionsmerkmale des § 1 Abs 1 Z 12 MedienG sind demnach keine Tatbestandsmerkmale und müssen daher auch nicht vom Tätervorsatz umfasst sein.

Dementsprechend ist die in Schrifttum (Brandstetter/Schmid Komm2 § 1 Rz 62, § 28 Rz 8; Hager aaO; Ratz, MuR 2/95 49 f; aA Zöchbauer MuR 6/94 233 f) und Judikatur (OLG Wien, 27 Bs 273/94; OGH 15 Os 54/90 und 15 Os 10/98) überwiegend vertretene Ansicht, ein Mediumsinhaltsdelikt könne auch in der Entwicklungsstufe des Versuches begangen werden, nur bedingt richtig, nämlich dann, wenn ein strafbarer Versuch eines sonst in den Strafgesetzen vertypten Deliktes in einem Medium begangen wurde. Wenn etwa das Medienwerk, welches die - als Vergehen der üblen Nachrede zu qualifizierende - deliktische Äußerung enthält, bereits erzeugt und zum Versand bereitgestellt wurde oder sonst die Vorbereitungen für die unmittelbar bevorstehende Verbreitung (in Rundfunk, Fernsehen, Internet u dgl) abgeschlossen sind, ist nicht "das Medieninhaltsdelikt" ins Versuchsstadium gelangt (so aber Brandstetter/Schmid aaO), sondern das Vergehen der üblen Nachrede (§§ 15111 Abs 1 und Abs 2 StGB), welches aber, weil es in einem Medium begangen wurde, ein Medieninhaltsdelikt iSd § 12 Abs 1 Z 1 MedienG darstellt. Unbestritten und mit der hier vertretenen Auffassung im Einklang ist, dass für die Frage der Zuständigkeit das subjektive Tatbestandselement unbeachtlich ist. Es genügt, wenn in der Anklage oder im Antrag der objektive Tatbestand einer in einem Medium begangenen gerichtlich strafbaren Handlung umschrieben ist.

Weil sich die aufgezeigten Verletzungen der verfassungsmäßig verankerten Zuständigkeitsordnung (Art 83 B‑VG: Recht auf den gesetzlichen Richter, welchem das Mediengesetz durch die gesetzliche Zuständigkeitsübertragung vom Bezirksgericht auf das Landesgericht und die dadurch ersichtlich angestrebte Qualitätssteigerung der Rechtsprechung in Mediensachen einen besonderen Stellenwert zumisst) zum Nachteil des Beschuldigten auswirken können, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Medienrichter aufzutragen, das Verfahren durchzuführen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte