OGH 14Os107/94

OGH14Os107/948.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 1994 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. E. Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hradil als Schriftführerin, in der Strafsache des Privatanklägers Josef G* gegen Hans O* wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie der Beleidigung nach § 115 StGB, AZ 24 Vr 781/94 des Landesgerichtes I*, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes I* als Beschwerdegericht vom 26. April 1994, AZ 7 Bs 204/94 (= ON 15), auf Grund der am 18. August 1994 durchgeführten mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Privatanklägers und des Beschuldigten sowie deren Vertreter zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1994:0140OS00107.9400000.1108.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes I* als Beschwerdegericht vom 26. April 1994, AZ 7 Bs 204/94 (= ON 15), ist das Gesetz in der Bestimmung des § 46 Abs 1 StPO verletzt.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Der Beschwerde des Privatanklägers Josef G* wird nicht Folge gegeben.

Dem Privatankläger wird der Ersatz der durch seine Beschwerde verursachten Kosten auferlegt.

 

 

Gründe:

 

Am 13. Dezember 1993 langte beim Bezirksgericht L* die mit 24. November 1993 datierte Privatanklage des Josef G* gegen Hans O* wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 StGB und der Beleidigung nach § 115 StGB ein, die nach Auffassung des Privatanklägers durch eine vom Beschuldigten im November 1993 verfaßte und an Haushalte in S* versandte Postwurfsendung verwirklicht worden waren. Noch vor Durchführung der von diesem Gericht unter AZ U 288/93 für den 20. Jänner 1994 anberaumten Hauptverhandlung brachte der Beschuldigte im Rahmen eines am 17. Jänner 1994 eingelangten Beweisantrages unter anderem vor, das Bezirksgericht L* sei zur Verhandlung und Urteilsschöpfung in dieser Strafsache unzuständig, weil die Postwurfsendung vom November 1993 ein Druckwerk im Sinn des § 1 Abs 1 Z 4 MedienG, eine allenfalls mittels dieses Druckwerkes begangene strafbare Handlung demnach als Medieninhaltsdelikt zu beurteilen und daher gemäß § 41 Abs 2 MedienG das Landesgericht I* zuständig sei (ON 4).

In der Hauptverhandlung vom 20. Jänner 1994 (ON 5) fällte das Bezirksgericht ‑ nach Einholung einer Auskunft des Gemeindeamtes S*, wonach diese Gemeinde einschließlich A* 620 Haushalte mit knapp 2.000 Einwohnern umfasse (S 9), Verlesung des inkriminierten Schreibens und Einvernahme des Beschuldigten, der angab, dieses Schreiben mittels seines Computers verfaßt, ausgedruckt, im Kopierwege vervielfältigt und an sämtliche Haushalte in S* und A* versendet zu haben ‑ ein Unzuständigkeitsurteil, weil ein Medieninhaltsdelikt vorliege, welches gemäß § 41 MedienG in die Zuständigkeit des Landesgerichtes I* falle (ON 6). Nachdem dieses Urteil unangefochten am 24. Jänner 1994 in Rechtskraft erwachsen war (ON 7), wurde das Verfahren über Antrag des Privatanklägers vom 27. Jänner 1994 (bei Gericht eingelangt am 28. Jänner 1994, ON 8), mit Beschluß vom 28. Jänner 1994 (ON 9) gemäß § 41 MedienG dem Landesgericht I* abgetreten. Nach Feststellung der Rechtskraft dieses Beschlusses wurden die Akten am 4. März 1994 dem Landesgericht I* übermittelt, wo sie am 8. März 1994 eintrafen (S 24).

Der Einzelrichter des Gerichtshofes faßte am 14. März 1994 den Beschluß auf Einstellung des Strafverfahrens (unter Ausspruch der Kostenersatzpflicht des Privatanklägers) mit der Begründung, daß die Frist des § 46 Abs 1 StPO zur Einbringung des Verfolgungsantrages infolge Erhebung der Privatanklage (ursprünglich) beim unzuständigen Gericht versäumt worden sei (ON 10 des nunmehr unter AZ 24 Vr 781/94 des Landesgerichtes I* fortgeführten Aktes).

Der vom Privatankläger gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht I* mit Beschluß vom 26. April 1994, AZ 7 Bs 204/94 (= ON 15) Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und trug dem Landesgericht I* die Fortsetzung des Verfahrens durch Anberaumung einer Hauptverhandlung auf. Hiebei vertrat das Beschwerdegericht die Ansicht, daß durch einen Verfolgungsantrag des Privatanklägers gegen eine bestimmte Person auch beim sachlich oder örtlich unzuständigen Strafgericht dem prozessualen Erfordernis des § 46 Abs 1 StPO Genüge getan sei. Erkläre sich jenes Bezirksgericht, bei dem die Privatanklage rechtzeitig eingebracht worden ist, in der Folge für unzuständig, könne der Privatankläger, soferne er dagegen nicht ein Rechtsmittel ergreife, beim zuständigen Gericht unmittelbar Strafantrag stellen oder die Abtretung an dieses Gericht beantragen. Eine in diesem Sinn notwendige Verfolgungshandlung sei vom Privatankläger Josef G* rechtzeitig gesetzt worden.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes I* verletzt ‑ wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt ‑ das Gesetz in der Bestimmung des § 46 Abs 1 StPO.

Durch das Strafprozeßanpassungsgesetz BGBl 423/1974 wurde die früher in § 530 StG 1945 enthaltene Regelung der besonderen Verfolgungsfrist für Privatanklagedelikte von sechs Wochen in die Strafprozeßordnung (§ 46 Abs 1 StPO) übernommen. Diese Klagefrist ist seither eine "in diesem Gesetz bestimmte Frist" (§ 6 Abs 1 StPO), auf die demnach die Regeln des § 6 StPO anzuwenden sind. Ob diese Frist, wie vereinzelt behauptet wurde (Brauneis, MR 3/92, 110), wesensmäßig dennoch eine materiell-rechtliche Präklusivfrist geblieben sei, kann somit dahingestellt bleiben.

Gemäß § 6 Abs 3 StPO werden die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Für die Rechtzeitigkeit von Rechtsmitteln, Rechtsbehelfen und anderen fristgebundenen Eingaben, also auch für Privatanklagen, genügt daher die Postaufgabe. Diese hat jedoch nur dann die gleiche rechtliche Wirkung wie die Abgabe beim zuständigen Gericht, wenn die Eingabe der Post zur Beförderung an das zuständige Gericht übergeben wird (stRsp; SSt 4/39 uva).

Über diese Zuständigkeit kann freilich aus § 6 StPO selbst nichts gewonnen werden, zumal nicht übersehen werden darf, daß vielfach (insb bei Rechtsmitteln) die Einbringungszuständigkeit von der Entscheidungszuständigkeit zufolge besonderer gesetzlicher Anordnung (zB §§ 81 Abs 2; 113 Abs 1; 285 Abs 1; 285 b Abs 2; 294 Abs 2; 352 Abs 2; 357 Abs 3; 364 Abs 3; 392 Abs 2; 427 Abs 3; 467 Abs 1; 480 Abs 1 StPO; § 91 Abs 1 GOG; § 4 Abs 1 GRBG) auseinanderfallen kann (was allerdings für die Fristberechnung gemäß § 6 Abs 4 StPO idF StPÄG 1993 nicht mehr von Bedeutung ist).

Die Frage, bei welchem Gericht der Privatankläger innerhalb der Klagefrist zur Wahrung seines Klagerechtes einen Verfolgungsantrag zu stellen hat, kann daher nur aus § 46 Abs 1 StPO beantwortet werden. Darnach muß eine zur Privatanklage berechtigte Person, bei sonstigem Verlust des Anklagerechtes, binnen sechs Wochen von dem Tag, an dem ihr die strafbare Handlung und ein der Tat hinlänglich Verdächtiger bekannt geworden sind, einen Verfolgungsantrag gegen diesen stellen. Dieser Antrag kann auf die Einleitung der Voruntersuchung oder auf die Bestrafung des Täters gerichtet sein und muß beim Strafgericht mündlich oder schriftlich gestellt werden.

Welches Strafgericht damit gemeint ist, wird hier nicht ausdrücklich gesagt.

Die alte Fassung des § 46 Abs 1 StPO (vor dem StPAG 1974), wonach das Begehren um strafrechtliche Verfolgung ebenfalls "beim Strafgericht" zu stellen war, wurde dahin ausgelegt, daß eine Privatanklage fristwahrend bei jedem inländischen Strafgericht eingebracht werden konnte, gleichgültig ob es auch zur Entscheidung darüber zuständig war oder nicht (KH 2170, 2312 uva), denn als allein maßgebend wurde angesehen, daß der Wille des Privatanklägers, Klage zu führen, rechtzeitig bei Gericht bekannt werde.

Dieser Auslegung steht seit dem StPAG 1974 der Wortlaut des § 46 Abs 1 StPO entgegen, der sich von seiner Vorgängerbestimmung nicht nur durch die Normierung der Verfolgungsfrist, sondern auch dadurch wesentlich unterscheidet, daß nicht mehr ein ‑ den Verfolgungswillen zum Ausdruck bringendes ‑ "Begehren um strafgerichtliche Verfolgung", sondern ein (formeller) Verfolgungsantrag gestellt werden muß, der überdies dahin präzisiert wird, daß er auf die Einleitung der Voruntersuchung oder auf die Bestrafung des Täters gerichtet sein kann.

Ein Antrag ist grundsätzlich immer bei dem zur Entscheidung darüber berufenen Gericht zu stellen. Welchem Gericht das auf Grund derartiger Verfolgungsanträge einzuleitende Strafverfahren zusteht, ist aber in der Strafprozeßordnung (und mitunter auch im Nebenstrafrecht ‑ zB § 140 KartG; § 53 Abs 2 MarkSchG; § 41 Abs 2 MedienG; § 81 Abs 4 NBG; § 162 Abs 2 PatG; § 91 Abs 5 UrhG; § 4 Abs 3 UWG) nach sachlichen (§§ 8 ff StPO) und örtlichen (§§ 51 ff StPO) Gesichtspunkten genau geregelt. Diese Regeln haben immer dann zur Anwendung zu kommen, wenn nicht Sondervorschriften (wie die bereits weiter oben beispielsweise aufgezählten Bestimmungen) bestehen, in denen über die Einbringung fristgebundener Eingaben (§ 6 StPO) - unbeschadet der Kompetenz über sie zu entscheiden - ausdrücklich etwas anderes angeordnet wird. Eine solche ausdrückliche Sonderregelung kann indes § 46 Abs 1 StPO nicht entnommen werden. Das darin gemeinte "Strafgericht" ist daher nach jenen Vorschriften zu bestimmen, in denen die Entscheidungskompetenzen über Privatanklagen geregelt sind. Demnach muß, bei sonstigem Verlust des Anklagerechtes, ein Verfolgungsantrag im Sinne des § 46 Abs 1 StPO fristgerecht bei dem sachlich und örtlich für die Entscheidung darüber zuständigen Strafgericht gestellt werden (so im Ergebnis schon EvBl 1994/20).

Diese Interpretation findet übrigens im Mediengesetz durch den aktuellen Gesetzgeber selbst eine Stütze, können doch selbständige Anträge auf Zuerkennung eines Entschädigungsbetrages (§ 8 a Abs 2 MedienG) und Anträge auf Anordnung der Veröffentlichung einer Gegendarstellung oder einer nachträglichen Mitteilung (§ 14 Abs 2 MedienG) fristwahrend nur bei dem nach § 41 Abs 2 MedienG zuständigen Strafgericht gestellt werden. Wollte man § 46 Abs 1 StPO im Sinne der früheren Judikatur auslegen, würde sich die sachlich nicht zu rechtfertigende Konsequenz ergeben, daß für die Einbringung von Privatanklagen wegen eines Medieninhaltsdeliktes andere Zuständigkeiten zum Tragen kämen, als für die Einbringung der erwähnten besonderen Anträge nach eben diesem Gesetz.

Maßgebend für die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage (und damit der Rechtswirksamkeit eines Verfolgungsantrages) sind die in der Privatanklage aufgestellten Tatsachenbehauptungen, aus denen der Privatankläger mit zumindest vertretbarer Rechtsansicht die Zuständigkeit des von ihm angerufenen Gerichtes ableitet (vgl EvBl 1993/22). Nachträgliche Änderungen zuständigkeitsrelevanter Umstände vermögen daher die bereits eingetretene Rechtswirksamkeit eines Verfolgungsantrages nicht mehr zu beseitigen.

Im vorliegenden Fall ergab sich schon aus dem tatsächlichen Vorbringen in der Privatanklage, daß es sich bei den inkriminierten strafbaren Handlungen um Medieninhaltsdelikte (§ 1 Abs 1 Z 12 MedienG) gehandelt hat, sollten doch die ehrenrührigen Vorwürfe in einer als Medium (§ 1 Abs 1 Z 1 MedienG) zu beurteilenden Postwurfsendung an die Gemeindebürger und ‑bürgerinnen von S*, also in einer unzweifelhaft an einen größeren Personenkreis gerichteten Mitteilung erhoben worden sein. Die Privatanklage wäre daher innerhalb der Frist des § 46 Abs 1 StPO bei dem gemäß § 41 Abs 2 MedienG sachlich und örtlich zuständigen Landesgericht I* und nicht beim Bezirksgericht L* einzubringen gewesen, das freilich seinerseits verpflichtet gewesen wäre (§§ 65,66 StPO), die Privatanklage unverzüglich jenem Gerichtshof zuzuleiten. Da sie dort erst außerhalb der Klagefrist eingelangt ist, hat der Einzelrichter das Strafverfahren zu Recht eingestellt. Die reformatorische Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes I* war daher verfehlt.

Zur Beseitigung der dem Beschuldigten daraus erflossenen Nachteile war in der Sache selbst spruchgemäß zu erkennen (§ 292 letzter Satz StPO).

 

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