European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131107
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der außerordentlichen Revision selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Kläger war am Unfalltag, dem 6. 11. 2017, bei der H* GmbH in G* als Dachdecker und Zimmerer beschäftigt. Der Kläger wohnt in L* und fuhr zum Unfallzeitpunkt bereits seit drei oder vier Jahren immer mit dem öffentlichen Bus zur Arbeit und wieder nach Hause. Als Ein‑ und Ausstiegstelle benützte der Kläger dabei in G* immer die Haltestelle F*, die von L* kommend nach dem Ortszentrum von G* liegt. Von dort beträgt der Gehweg zur H* GmbH rund zwei Minuten. Dieser Bus fährt stündlich von L* kommend über G* nach F*. Der Kläger wusste aus langjähriger Erfahrung, dass bei der Heimfahrt der Bus jeweils ca 15 Minuten nach der vollen Stunde Richtung L* fährt.
[2] Es gibt eine weitere Busverbindung von L* über G* nach A*. Die Haltestelle dieses Busses befindet sich im Zentrum von G*, etwa auf der Höhe des M*platzes. Die Haltestelle des von A* Richtung L* fahrenden Busses befindet sich gegenüber dem M*platz auf der kirchenseitigen Straßenseite. Zu Fuß benötigt man für den Weg von der H* GmbH zum M*platz in G* knapp 15 Minuten.
[3] Der Kläger arbeitete im November 2017 als Vorarbeiter und fuhr täglich mit zwei Mitarbeitern mit einem Firmenbus auf die jeweilige Baustelle. Dienstbeginn war um 7:00 Uhr früh. Auf der Baustelle endete die Arbeit um 16:30 Uhr. Anschließend fuhren die Mitarbeiter zur H* GmbH zurück um wegzuräumen oder abzuladen. Dies dauerte in der Regel etwa bis zum Dienstende um 17:00 Uhr.
[4] Am 6. 11. 2017 beendete der Kläger seine Arbeit auf der Baustelle wegen starken Regens bereits gegen 16:15 Uhr und kehrte mit seinen Mitarbeitern zur H* GmbH zurück. Nach dem Dienstende um 17:00 Uhr trafen sich der Kläger und andere Mitarbeiter im Sozialraum, um den Geburtstag eines Mitarbeiters zu feiern. In einem solchen Fall ist es üblich, dass der Jubilar eine Kiste Bier mitbringt und man sich im Sozialraum zusammensetzt. Der Geschäftsführer der H* GmbH war bei der Zusammenkunft nicht dabei, er wusste auch nichts von dem Geburtstagsumtrunk. Der Kläger konsumierte alkoholische Getränke, was zu einem Alkoholisierungsgrad von zumindest 1,6 Promille (gemessen um 21:00 Uhr) führte.
[5] Der Kläger hatte vor, den Bus um 18:15 Uhr von der Haltestelle F* nach Hause zu nehmen. Er verließ den Sozialraum und machte sich auf den Weg nach Hause. Als er ein Stück gegangen war, konnte er von Weitem erkennen, dass der Bus schon abgefahren war und er ihn nicht mehr erreichen würde. Der Kläger ging weder zurück zu seinem Arbeitsplatz noch wartete er bei der Haltestelle F*. Er beschloss vielmehr, zur Haltestelle der weiteren Buslinie am M*platz im Ortszentrum zu gehen, wobei er nicht genau wusste, wann dieser Bus fuhr.
[6] Die H* GmbH liegt geografisch im östlichen, m*platzseitigen Teil von G*. Um zur Bushaltestelle in Fahrtrichtung L* zu gelangen, musste der Kläger einmal die B * (in der Folge: Bundesstraße) von Ost nach West überqueren. Der Kläger überquerte einmal von der M*platzseite kommend die Bundesstraße in Richtung der kirchenseitig gelegenen Bushaltestelle. In weiterer Folge überquerte er allerdings die Bundesstraße wieder von der Kirchenseite auf die M*platzseite hinüber und überquerte abermals die Straße von der M*platzseite zur Kirchenseite. Als der Kläger ein weiteres (viertes) Mal die Straße von der Kirchenseite zur M*tplatzseite überquerte, wurde er im Bereich eines Schutzwegs von einem aus Fahrtrichtung L* in Richtung A* fahrenden PKW angefahren und dabei schwer verletzt. Das Wetter war schlecht, es war regnerisch und rutschig. Der Kläger war dunkel gekleidet.
[7] Der Unfall ereignete sich kurz vor 19:00 Uhr. Wo sich der Kläger zwischen dem Weggehen von der Bushaltestelle F* bis zum Unfall mit Ausnahme des mehrmaligen Überquerens der Bundesstraße aufgehalten hat und welche Verrichtungen er noch vorgenommen hat, steht nicht fest. Ebenso steht nicht fest, warum der Kläger, bevor er verunfallte, nochmals die Straßenseite weg von der Bushaltestelle (gemeint: jene gegenüber dem M*platz) Richtung M*platz gewechselt hat.
[8] Mit Bescheid vom 7. 2. 2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls des Klägers vom 6. 11. 2017 als Arbeitsunfall und Leistungen aus der Unfallversicherung ab.
[9] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers auf Zuerkennung einer Versehrtenrente für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 6. 11. 2017 ab. Der Unfall des Klägers habe sich auf einem vom Kläger aus eigenwirtschaftlichen Gründen zurückgelegten Stück des Wegs ereignet, sodass kein Versicherungsschutz bestehe.
Rechtliche Beurteilung
[10] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[11] 1.1 Arbeitsunfälle sind gemäß § 175 Abs 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Arbeitsunfälle sind gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach § 175 Abs 1 ASVG zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits‑ oder Ausbildungsstätte ereignen.
[12] 1.2 Damit ein vom Unfallversicherungsschutz umfasster Wegunfall vorliegt, ist nicht allein ausreichend, dass sich der Versicherte in geografischer Hinsicht auf dem geschützten Weg befunden hat. Es ist auch erforderlich, dass der Versicherte die Absicht hatte, das geschützte Ziel (hier: den Wohnort) zu erreichen, um dort jene Tätigkeit zu verrichten, derentwegen dieser Weg geschützt ist (hier: die Inanspruchnahme der Wohnfunktion; R. Müller in SV‑Komm [264. Lfg] § 175 ASVG Rz 164).
[13] 1.3 Nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen der Arbeits‑ oder Ausbildungsstätte und der Wohnung geschützt. Dies wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangspunkt und dem Zielpunkt des Arbeitswegs sein, wobei der Versicherte zwischen im Wesentlichen gleichwertigen Möglichkeiten frei wählen kann (RIS‑Justiz RS0084838).
[14] Auf einem durch einen Umweg längeren Weg besteht in der Regel – also mangels besonderer gegenteiliger Umstände – kein Versicherungsschutz. Diesem Gedanken liegen Gesichtspunkte der Gefahrtragung für die örtlich verschobene Risikosphäre zugrunde, weil durch einen Um‑ oder Abweg im Allgemeinen und durch eine erhebliche Verlängerung der Wegstrecke im Besonderen in den meisten Fällen eine vermeidbare Gefahrenerhöhung eintritt (RS0084380 [T9]).
[15] Ist von dem Versicherten nicht der kürzeste Weg eingeschlagen worden, so entfällt der Versicherungsschutz dann, wenn für die Wahl des Wegs andere Gründe maßgebend gewesen sind als die Absicht, den Ort der Tätigkeit bzw auf dem Rückweg die Wohnung zu erreichen, und wenn die dadurch bedingte Verlängerung der Wegstrecke unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände als erheblich anzusehen ist.
[16] Ob die Voraussetzungen für einen Versicherungsschutz auf Umwegen vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind alle nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zu berücksichtigenden Umstände in Betracht zu ziehen, insbesondere der Wunsch, den Weg möglichst störungsfrei und zweckmäßig zurückzulegen, wobei auch objektive Kriterien zu berücksichtigen sind (vgl zu all dem 10 ObS 167/16f SSV‑NF 31/6 mzwN).
[17] 2.1 Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines geschützten Wegunfalls ohnehin zugunsten des Klägers unter der Annahme geprüft, dass der zeitliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit durch die etwa einstündige Geburtstagsfeier nicht unterbrochen war und dem Kläger auch bei der Wahl des Wegs nach Hause ein gewisser Spielraum– hier der Versuch, einen anderen Bus nach L* zu erreichen, dessen Station sich kirchenseitig der Bundesstraße gegenüber dem M*platz befand – zustand. Wesentlich ist, dass der Kläger diese Busstation bereits erreicht hatte, aber – aus nicht feststellbaren Gründen – wieder verließ, um – neuerlich – die Bundesstraße zu überqueren. Zum Unfallszeitpunkt, um etwa 19:00 Uhr, war überdies bereits eine dreiviertel Stunde vergangen, seit der Kläger um etwa 18:15 Uhr die Geburtstagsfeier verlassen hatte, um den von ihm ursprünglich in Aussicht genommenen Bus zu erreichen. Die Wegstrecke hätte jedoch bis ins Ortszentrum zur Bushaltestelle gegenüber dem M*platz nach den Feststellungen nur 15 Minuten benötigt. Vor dem Hintergrund dieser Gesamtumstände des konkreten Falls begegnet die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die den Unfallversicherungsschutz im vorliegenden Fall verneint haben, keinen Bedenken.
[18] 2.2 Der Revisionswerber macht geltend, dass der Versicherungsschutz nicht verlorengehe, wenn man – auf den Bus wartend – auf einem unmittelbar an die Haltestelle angrenzenden Schutzweg die Straße von der Bushaltestelle weg innerhalb des öffentlichen Raums überquere. Dem ist einerseits entgegenzuhalten, dass gerade nicht feststeht, dass der Kläger auf den Bus, der ihn nach Hause bringen sollte, an der Haltestelle gegenüber dem M*platz wartete, ehe er die Straße überqueren wollte.
[19] Darüber hinaus diente die Phase dieses Wegs auch nach den Revisionsausführungen ausschließlich eigenwirtschaftlichen (persönlichen) Interessen des Klägers, sodass grundsätzlich keine Weggefahr mehr verwirklicht war (RS0084822 [T1]). Von einem Unfall, der sich bei einer Verrichtung ereignet hätte, die auf dem Arbeitsweg „im Vorbeigehen“ und „ganz nebenher“ erledigt wird (vgl 10 ObS 30/08x SSV‑NF 22/22 = RS0123387; vgl auch deutsches Bundessozialgericht, BSG B 2 U 31/17 R, Rn 19, 20), kann hier nicht ausgegangen werden: Selbst nach für den Kläger günstigster Auslegung befand er sich jedenfalls nach dem Verlassen der Bushaltestelle gegenüber dem M*platz objektiv nicht mehr auf einem geschützten Heimweg. Mag er sich auch erst, wie er in der Revision betont, wenige Meter entfernt von der Busstation gegenüber dem M*platz auf dem Schutzweg befunden haben, so bestand doch auf diesem letzten Wegstück kein innerer Zusammenhang mit dem Heimweg mehr (10 ObS 133/16f SSV‑NF 30/70; R. Müller in SV‑Komm [264. Lfg] § 175 ASVG Rz 85). Daran ändert die vom Kläger für seinen Standpunkt ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach der Wegschutz jeweils im gesamten öffentlichen Verkehrsraum besteht, soweit dieser dem Arbeitsweg (Betriebsweg, oder einem anderen geschützten Weg) des Versicherten zuzuordnen ist (10 ObS 8/98v SSV‑NF 12/9; RS0084578), im konkreten Fall nichts.
[20] 3. Der vom Kläger ausdrücklich auch für den Fall seines Unterliegens im Revisionsverfahren begehrte Zuspruch der Verfahrenskosten kommt nicht in Betracht, weil ein ausnahmsweiser Kostenzuspruch nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) zur Voraussetzung hat, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenzuspruch nahelegen (10 ObS 76/15x, SSV‑NF 29/46 mwN). Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens sind im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht gegeben.
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