OGH 10ObS26/22d

OGH10ObS26/22d24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Sozialrechtssachen

1. der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Paul Gursch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Haidingergasse 1, 1030 Wien, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Partnerschaftsbonus (AZ 27 Cgs 121/21m des Erstgerichts) sowie

2. der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Paul Gursch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, Wiedner Hauptstraße 84–86, 1051 Wien, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten (AZ 27 Cgs 122/21h des Erstgerichts), wegen Partnerschaftsbonus, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. November 2021, GZ 7 Rs 95/21 y‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 25. Juni 2021, GZ 27 Cgs 121/21m (27 Cgs 122/21h)‑7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00026.22D.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wirdzurückgewiesen.

Die klagenden Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen

 

Begründung:

[1] Die Kläger sind die Eltern der am 27. Dezember 2019 geborenen L*. Nach der Geburt von L* bezog die Mutter (in der Folge: Erstklägerin) für 222 Tage und im Anschluss daran der Vater (künftig: Zweitkläger) für 147 Tage Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Am 8. März 2021 beantragten sie jeweils die Zuerkennung des Partnerschaftsbonus nach § 5b KBGG.

[2] Mit Bescheiden vom 16. April 2021 und 6. Mai 2021 wiesen die Österreichische Gesundheitskasse (in weiterer Folge: Erstbeklagte) den Antrag der Erstklägerin und die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (hinkünftig: Zweitbeklagte) den Antrag des Zweitklägers ab.

[3] Mit ihrenKlagen begehren die Kläger jeweils den Zuspruch des Partnerschaftsbonus von 500 EUR.

[4] Die Vorinstanzenwiesen das Klagebegehren jeweils mit der Begründung ab, dass Eltern der Partnerschaftsbonus nach § 5b (iVm § 24e) KBGG nur unter der Voraussetzung zustehe, dass sie zu annähernd gleichen Teilen Kinderbetreuungsgeld bezogen hätten, was lediglich dann der Fall sei, wenn die Bezugszeiten in einem Verhältnis zwischen 50 : 50 bis 40 : 60 zueinander stünden. Da die hier vorliegende Relation von 39,84 % (Zweitkläger) zu 60,16 % (Erstklägerin) außerhalb dieser Bandbreite liege, stehe den Klägern kein Partnerschaftsbonus zu. Dass das zulässige Verhältnis nur geringfügig überschritten worden sei, ändere daran nichts und würde auch bei der von den Klägern geforderten kaufmännischen Rundung – etwa bei einer Relation von 39,49 : 60,51 – zu ähnlichen Ergebnissen führen. Eine Rundung finde überdies weder im Wortlaut des § 5b KBGG Deckung noch sei eine solche im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers geboten.

[5] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld zu annähernd gleichen Teilen iSd § 5b KBGG fehle.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die von den Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer darin aufgezeigten Rechtsfrage erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[7] 1. Nach § 5b KBGG gebührt jedem Elternteil nach Ende des Anspruchszeitraums ein Partnerschaftsbonus in Höhe von 500 EUR als Einmalzahlung, wenn die Eltern das Kinderbetreuungsgeld für dasselbe Kind zu annähernd gleichen Teilen, mindestens jedoch im Ausmaß von je 124 Tagen, beansprucht haben. Zu annähernd gleichen Teilen beziehen Eltern Kinderbetreuungsgeld nach § 5b Satz 2 KBGG nur dann, wenn der eine Elternteil mindestens 40 % und der andere Elternteil maximal 60 % bezieht.

[8] 1.2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Entgegen der Ansicht der Kläger, die eine (kaufmännische) Rundung des bei ihnen bestehenden Verhältnisses auf ganze Zahlen (von 39,84 : 60,16 auf 40 : 60) anstreben, ist das hier in Bezug auf § 5b KBGG der Fall.

[9] 2. Die Kläger stellen nicht in Frage, dass der Wortlaut des § 5b Satz 2 KBGG keine (kaufmännische) Rundung vorsieht. Die Vorgabe von Werten, die ein Elternteil „maximal“ erreichen darf und der andere „mindestens“ erreichen muss, kann nur als Normierung absoluter Grenzen verstanden werden. Schon der allgemeineSprachgebrauch versteht unter dem Begriff „maximal“ im Zusammenhang mit Zahlen einen höchstens bzw im Höchstfall zutreffenden Wert und unter dem Begriff „mindestens“ (wieder bezogen auf etwas zahlenmäßig Erfassbares) einen Wert, der auf keinen Fall geringer sein darf.

[10] 3. Soweit die Kläger darauf aufbauend meinen, der Gesetzeswortlaut schließe eine Rundung zumindest nicht aus, ist unter Heranziehung der zur Verfügung stehenden Auslegungskriterien in wertender Entscheidung der Zweck der gesetzlichen Regelung zu ermitteln (RS0008836). Das von den Klägern gewünschte Ergebnis lässt sich auf diesem Weg aber nicht gewinnen:

[11] 3.1. Angesichts des klaren Wortlauts des § 5b Satz 2 KBGG bedürfte die angestrebte Rundung des klaren Nachweises eines in diese Richtung weisenden Gesetzeszwecks, an dem sich die letztlich den Wortlaut korrigierende Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3]). Ein (klar) für die gewünschte Rundung sprechender Zweck ist allerdings nicht zu erkennen:

[12] 3.2. Nach den Gesetzesmaterialien soll durch den mit der Novelle BGBl I 2016/53 geschaffenen Partnerschaftsbonus ein Anreiz für eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung und auch des Kinderbetreuungsgeldbezugs geschaffen und Eltern für einen gleich langen Leistungsbezug belohnt werden (ErläutRV 1110 BlgNr 25. GP  8). Das grundsätzliche Ziel des § 5b KBGG ist daher, durch einen finanziellen Anreiz nach schwedischem Vorbild eine zeitlich möglichst gleichmäßig verteilte Kinderbetreuung durch die Eltern zu fördern (Holzmann‑Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, KBGG [2017] § 5b Anm 1 [81]; vgl auch Burger‑Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG3 § 5b KBGG Rz 2; Schober in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG3 § 5 Rz 1e).

[13] 3.3. Da der Gesetzgeber bei einer (exakt) gleichen Aufteilung jedoch mit praktischen Problemen rechnete, sollte auch zur Vermeidung möglicher Härten ein Bezug von Kinderbetreuungsgeld zu (bloß) annähernd gleichen Teilen ausreichen. Als annähernd gleiche Aufteilung wurde dabei ein Verhältnis innerhalb einer Bandbreite bis 60 : 40 definiert (ErläutRV 1110 BlgNr 25. GP  8). Auch wenn der Korridor den Eltern daher rein faktisch einen gewissen Spielraum bei der Gestaltung der Bezugszeiträume verschafft, besteht sein primärer Zweck nicht darin. In erster Linie bezweckt er, mögliche Härtefälle zu vermeiden, die beim Erreichen des angestrebten Idealfalls einer (genau) gleich langen Kinderbetreuung auftreten können (vgl Burger-Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG3 § 5b KBGG Rz 4).

[14] 3.4. Dieser Zweck erfordert keine Ausnahme, um (weitere) Härtefälle bei Überschreiten der ohnedies zur Abfederung möglicher Härten vorgesehenen Bandbreite zu vermeiden. Weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesmaterialien bieten einen Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, dass sich bei Berechnung des Verhältnisses zwischen den beanspruchten Bezugstagen auch Bruchteile von ganzen Zahlen ergeben können, nicht erkannt und nur deshalb keine Regelung getroffen. Aus denAusführungen von Holzmann‑Windhofer (in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, KBGG § 5b Anm 2 Fn 1 [(81]) ergibt sich nichts anderes, wirken sichdoch auch nach deren Ansicht Abweichungen im Bereich der Kommastellen auf die Anspruchsvoraussetzungen aus. Rückschlüsse auf den Willen des Gesetzgebers lassen sich daraus ebenfalls nicht ziehen.

[15] 3.5. Der angestrebten, den Wortlaut aus teleologischen Gründen korrigierenden Auslegung des § 5b KBGG stehen daher der eindeutige Gesetzeswortlaut und die erklärte Absicht des Gesetzgebers entgegen.

[16] 4. Stichhaltige Argumente für einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sind nicht ersichtlich. Der Gleichheitsgrundsatz verbietet unsachliche Differenzierungen (RS0053981; RS0054018 [T2]). Art 7 B‑VG schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgeht und auf den Regelfall abstellt (RS0053509 [T1]). Dass eine Regelung in Einzelfällen zu Härten führen kann, macht sie daher nicht gleichheitswidrig (RS0053889 [T3]). Die in § 5b KBGG vorgesehene Bandbreite mit starren Grenzen ohne Möglichkeit einer Auf‑ oder Abrundung begegnet vor diesem Hintergrund keinen Bedenken.

[17] 5. Die Auslegung des § 5b Satz 2 KBGG wirft somit keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, sodass die Revision zurückzuweisen ist.

[18] 6. Das Erstgericht hat die beiden Verfahren verbunden, obwohl weder auf Klagsseite noch auf Beklagtenseite Parteiidentität besteht. Einer weiteren Auseinandersetzung mit der Frage der Zulässigkeit der Verbindung bedarf es nicht, weil die Parteien das Vorgehen des Erstgerichts nicht gerügt haben.

[19] 7. Die Frage der Passivlegitimation der Beklagten ist kein Thema im Revisionsverfahren.

[20] 8. Aus der Aktenlage sind keine Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger ersichtlich, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten.

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