OGH 10ObS102/05f

OGH10ObS102/05f8.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter (Senat nach § 11a ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard P*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in Enns, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Juni 2005, GZ 11 Rs 44/05b-21, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Juli 2004, GZ 30 Cgs 252/03d-13, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund über die Berufung der klagenden Partei zu entscheiden.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit dem Urteil des Erstgerichtes wurde das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 5. 2003 zu gewähren, abgewiesen. Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers mit der Begründung zurück, das erstgerichtliche Urteil sei dem Klagevertreter - gleichzeitig mit dem Beschuss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und dem Bestellungsbescheid zum Verfahrenshelfer - am 31. 1. 2005 zugestellt worden. Die am 2. 3. 2005 zur Post gegebene Berufung sei daher verspätet.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Rekurs des Klägers ist berechtigt.

Nach § 464 Abs 3 Satz 1 ZPO beginnt die Berufungsfrist für eine die Verfahrenshilfe genießende oder beantragende Partei, die innerhalb dieser Frist die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragt, mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn. Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ist die Zustellung beider Entscheidungen erforderlich; erfolgt diese nicht gleichzeitig, beginnt die Frist erst mit der Zustellung des zweiten Schriftstückes zu laufen (SSV-NF 7/123 mwN). Im vorliegenden Fall hätte die Berufungsfrist daher nur dann am 31. 1. 2005 zu laufen begonnen, wenn dem beigegebenen Rechtsanwalt an diesem Tag mit der unbestrittenen Zustellung des Bestellungsbescheides auch eine Urteilsausfertigung zugestellt worden wäre.

In seinem Rekurs macht der Kläger geltend, seinem Vertreter sei am 31. 1. 2005 nur der Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe samt Bestellungsbescheid sowie ein Kostenverzeichnis für Verfahrenshilfe in Zivilsachen, nicht jedoch eine Urteilsausfertigung zugestellt worden. Eine Mitarbeiterin des Klagevertreters habe daraufhin am 1. 2. 2005 beim Erstgericht telefonisch die Übersendung einer Aktenkopie angefordert. In der Kopierstelle des Erstgerichtes seien am 2. 2. 2005 entsprechende Kopien ua auch der Urteilsausfertigung angefertigt und dem Klagevertreter am 3. 2. 2005 zugestellt worden. Die am 2. 3. 2005 zur Post gegebene Berufung sei daher rechtzeitig. Der Klagevertreter legte zum Beweis seiner Behauptungen verschiedene Schriftstücke sowie eidesstättige Erklärungen vor, deren Inhalt dahin zusammengefasst werden kann, dass dem Klagevertreter am 31. 1. 2005 lediglich der Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe (samt Bestellungsbescheid) sowie ein Kostenverzeichnis für Verfahrenshilfe in Zivilsachen zugestellt wurde, am 1. 2. 2005 von einer Mitarbeiterin des Klagevertreters in der zuständigen Geschäftsabteilung des Erstgerichtes die Übersendung einer Aktenkopie angefordert wurde, die Urteilsausfertigung dem Klagevertreter laut Eingangsstampiglie am 3. 2. 2005 zugestellt wurde und der Klagevertreter daraufhin seine Konzipientin mit der Klärung der Rechtsfrage beauftragt hat, ab welchem Zeitpunkt bei einer an verschiedenen Tagen erfolgten Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und der Urteilsausfertigung der Lauf der Berufungsfrist beginnt. Die vom Berufungsgericht veranlassten Erhebungen beim Erstgericht ergaben, dass zwar üblicherweise gemeinsam mit dem Bestellungsbescheid auch eine Urteilsausfertigung an den bestellten Verfahrenshelfer zugestellt werde, wie dies auch im vorliegenden Fall auf dem Zustellnachweis beurkundet sei, eine konkrete Wahrnehmung des gegenständlichen Vorganges jedoch nicht vorliege.

Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Rechtsmittel bis zur sicheren Widerlegung von Zweifeln die Vermutung der Rechtzeitigkeit für sich. Dieser Rechtssatz kann aber nicht auf Fälle angewendet werden, in denen bereits eine öffentliche Urkunde, wie etwa ein Rückschein, vorliegt, die zunächst vollen Beweis macht. In solchen Fällen muss der Rechtsmittelwerber den Gegenbeweis führen (2 Ob 595/92 mwN; RIS-Justiz RS0036420; Rechberger in Rechberger, ZPO2 § 292 Rz 3). Der Beweis einer solchen Unrichtigkeit, dass nämlich die dem Klagevertreter am 31. 1. 2005 zugestellte Sendung tatsächlich keine Urteilsausfertigung enthalten hat, sondern diese erst über Ersuchen einer Mitarbeiterin am 3. 2. 2005 dem Klagevertreter zugestellt wurde, ist dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Bescheinigungsmittel und der Ergebnisse der vom Erstgericht durchgeführten Erhebungen gelungen. Dafür spricht auch der Umstand, dass in der mit 25. 2. 2005 datierten Berufung des Klägers das Datum der Zustellung der Urteilsausfertigung an den Klagevertreter ebenfalls bereits mit 3. 2. 2005 angegeben wurde.

Demgemäß ist die durch die damalige Aktenlage zwar gedeckte, tatsächlich aber unrichtige Zurückweisung der Berufung des Klägers wegen Verspätung aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung des Klägers unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund seiner Verspätung aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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