Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Das Kind und seine Eltern sind österreichische Staatsangehörige; es lebt mit seiner Mutter in der BRD (in Freilassing). Der Vater hat seinen Aufenthalt in Wien. Mit Beschluss vom 15. 4. 2010 stellte das Erstgericht aufgrund eines vom Bund (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien) gestellten Antrags den dem Kind aufgrund eines Unterhaltstitels gegen den Vater gewährten Unterhaltsvorschuss iHv 145,35 EUR monatlich mit Ablauf des 30. 4. 2010 ein.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Die mit 1. 5. 2010 in Kraft getretene neue Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 sei auf Unterhaltsvorschüsse nicht anzuwenden. Damit bestehe auch die bisher geltende „Exportverpflichtung“ nicht mehr. Auch wenn keine Übergangsbestimmung bestehe, die einen Wegfall eines bis zum Inkrafttreten der neuen Koordinierungsverordnung bestehenden Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss vorsehe, gebühre der Unterhaltsvorschuss nicht über den 30. 4. 2010 hinaus. Da zur Frage der „Exportverpflichtung“ im Zusammenhang mit der „neuen Wanderarbeitnehmerverordnung“ in Bezug auf die Einstellung bereits gewährter Unterhaltsvorschüsse noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege, erklärte das Rekursgericht den Revisionsrekurs gegen seine Entscheidung für zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse ab 1. 5. 2010.
Der Präsident des Oberlandesgerichts beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Die Revisionsrekurswerberin führt aus, Unterhaltsvorschüsse seien vom Anwendungsbereich der „neuen“ Wanderarbeitnehmerverordnung ausgenommen. Ob dadurch allerdings der beabsichtigte Wegfall der Exportverpflichtung bewirkt werden könne, sei fraglich, setze sich doch der Europäische Gerichtshof unter Berufung auf die Grundfreiheiten und die Freizügigkeits-VO über Ausnahmebestimmungen in Anhängen hinweg oder lasse auch die in der Wanderarbeitnehmerverordnung gesetzten Grenzen der Sozialrechtskoordinierung im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft außer Acht.
Die neue Rechtslage ist im Sinne der bereits veröffentlichten Entscheidungen des zuständigen Fachsenats vom 5. 10. 2010, 10 Ob 45/10f, vom 19. 10. 2010, 10 Ob 70/10g sowie vom 21. 12. 2010, 10 Ob 84/10s - zusammengefasst wie folgt zu beurteilen:
1. Nach § 8 UVG hat die Unterhaltsvorschussgewährung - abgesehen von Vorschüssen nach § 4 Z 4 UVG - für einen Zeitraum von (nunmehr) fünf Jahren zu erfolgen, soweit nicht zu erwarten ist, dass die Voraussetzungen früher wegfallen. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse bildet einen Grund für deren Einstellung nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG.
2. Mit 1. 5. 2010 wurden die VO (EWG) 1408/71 („Wanderarbeitnehmerverordnung“) von der neuen Koordinierungsverordnung VO (EG) 883/2004 und die Durchführungsverordnung VO (EWG) 574/72 von der neuen Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 abgelöst. Durch den Eintrag in den Anhang I der neuen Koordinierungsverordnung sind österreichische Unterhaltsvorschüsse, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als Familienleistungen qualifiziert wurden, vom Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ausdrücklich ausgenommen worden. Dies bedeutet, dass seit 1. 5. 2010 Unterhaltsvorschüsse im Unionsrechtskontext nicht mehr auf Grundlage des europäischen Koordinierungsrechts in Gestalt der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen sind (10 Ob 45/10f; 10 Ob 25/10i; 10 Ob 14/10x).
Die vom Europäischen Gerichtshof für den österreichischen Unterhaltsvorschuss in der Rs-Humer (EuGH 5. 2. 2002, Rs C-255/99 , Humer, Slg 2002, I-1205) nach der VO (EWG) 1408/71 statuierte Exportverpflichtung für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, besteht aufgrund der Unanwendbarkeit des Koordinierungsrechts nicht mehr (RIS-Justiz RS0125933 [T1]). Es liegt aber auch keine Konstellation vor, bei der allenfalls aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV (ex-Art 12 EG) oder aus der VO (EWG) 1612/68 ein Anspruch des Kindes auf österreichischen Unterhaltsvorschuss abgeleitet werden könnte (Felten/Neumayr, Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2010, 164, 166 ff). Dem Kind steht daher aufgrund der seit 1. 5. 2010 geltenden Rechtslage ein Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse nicht (mehr) zu.
3. Die neue VO (EG) 883/2004 enthält keine spezielle Übergangsbestimmung für bereits bewilligte Unterhaltsvorschüsse, die aufgrund der alten VO (EWG) 1408/71 in das EU-Ausland exportiert werden. Bei Ansprüchen nach der VO (EWG) 1408/71 handelt es sich in der Regel um Ansprüche, die erst durch das Unionsrecht entstanden sind. Es steht daher dem europäischen Gesetzgeber auch zu, diese Ansprüche zu ändern (vgl Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht5 Teil 2 Art 87 Rz 4). Da der Unterhaltsvorschussantrag in die Zukunft gerichtet ist, ist die Änderung der Rechtslage mit 1. 5. 2010 zu berücksichtigen. Für die Perioden ab dem 1. 5. 2010 ist demnach bereits die neue Rechtslage anzuwenden (10 Ob 14/10x mwN).
Bereits in der Entscheidung vom 19. 10. 2010, 10 Ob 70/10g, wurde aus diesen Gründen die einem im Ausland wohnhaften Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des 30. 4. 2010 eingestellt.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit dieser Rechtsprechung in Einklang.
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