OGH 10Ob84/10s

OGH10Ob84/10s21.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, sowie durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen H*****, geboren am 31. Dezember 1996, *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für die Bezirke 1, 4 bis 9, Amerlingstraße 11, 1060 Wien), über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. August 2010, GZ 45 R 405/10g, 45 R 406/10d-25, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. und 23. April 2010, GZ 88 PU 66/10b-11 und -19, bestätigt wurden in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der am 31. 12. 1996 geborene H*****, Sohn von I***** (geborene A*****) und D*****, ist - wie seine Eltern - deutscher Staatsbürger. Der Minderjährige und die Mutter leben im gemeinsamen Haushalt in Neisse-Münde, Deutschland.

Der Vater lebt und arbeitet in Österreich. Er ist zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 138,05 EUR an das Kind verpflichtet. Dem Minderjährigen wurden mit Beschluss vom 26. 11. 2007 monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom 1. 11. 2007 bis 31. 10. 2010 gewährt (ON U2).

Am 8. 4. 2010 beantragte der Bund die Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des 30. 4. 2010 einzustellen, weil der Minderjährige mit seiner Mutter nach der Aktenlage in Deutschland wohne und die Exportverpflichtung ab 1. 5. 2010 im Hinblick darauf entfalle, dass mit diesem Zeitpunkt die Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 zur neuen Wanderarbeitnehmerverordnung, der VO (EG) 883/2004 , wirksam geworden sei; gleichzeitig wurde die Innehaltung des Vollzugs nach § 20 Abs 2 iVm § 16 UVG begehrt.

Mit Beschlüssen vom 14. 4. 2010 und 23. 4. 2010 ersuchte das Erstgericht daraufhin den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien um Innehaltung mit der Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des (Monats) April 2010 (ON 11) und stellte diese mit Ablauf dieses Monats ein (ON 19). In der Begründung seiner Entscheidungen schloss es sich dem Standpunkt des Bundes an.

Das Rekursgericht gab den gegen diese Beschlüsse gerichteten Rekursen des Minderjährigen nicht Folge. Die Voraussetzungen des § 7 UVG seien aufgrund der Aktenlage infolge Änderung der gesetzlichen Grundlagen mit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung zur Wanderarbeitnehmerverordnung erfüllt. Unabhängig davon, wie lange das Verfahren bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Entscheidung „durch Oberinstanzen“ andauern könnte, sei daher - trotz der grundsätzlichen Tendenz des Gesetzgebers auf Sicherung des Unterhalts des Kindes - zu Recht die Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse ausgesprochen worden. Da unter Bedachtnahme auf die im vorliegenden Fall „nicht weiter in Zweifel gezogene Sachlage“ seit dem 1. 5. 2010 eine so genannte Exportverpflichtung bei der Unterhaltsvorschussgewährung nicht mehr bestehe, habe das Erstgericht zu Recht auch die Einstellung angeordnet. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der „Exportverpflichtung“ im Fall der neuen „Wanderarbeitnehmerverordnung“ vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs des Minderjährigen, der eine ersatzlose Behebung der angefochtenen Entscheidungen anstrebt, ist nicht zulässig.

Die neue Rechtslage ist nämlich, im Sinn der Punkte 1. bis 3. der bereits veröffentlichten Entscheidung des zuständigen Fachsenats vom 5. 10. 2010, 10 Ob 45/10f, - zusammengefasst - wie folgt zu beurteilen:

1. Nach § 8 UVG sind Vorschüsse - abgesehen von Vorschüssen nach § 4 Z 4 UVG - vom Beginn des Monats, in dem das Kind dies beantragt, für die Dauer des voraussichtlichen Vorliegens der Voraussetzungen, jedoch jeweils längstens für fünf Jahre zu gewähren. Die Unterhaltsvorschussgewährung hat somit für einen Zeitraum von (nunmehr) längstens fünf Jahren zu erfolgen, soweit nicht zu erwarten ist, dass die Voraussetzungen für die Unterhaltsvorschussgewährung früher wegfallen (vgl 6 Ob 114/07v; 7 Ob 588/95 ua). Der Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse bildet auch einen Grund für die Einstellung der Vorschüsse nach § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG.

2. Seit dem 1. 5. 2010 sind Unterhaltsvorschüsse im Unionsrechtskontext nicht mehr auf Grundlage des europäischen Koordinierungsrechts in Gestalt der VO (EG) 883/2004 zu beurteilen. Die vom EuGH für den österreichischen Unterhaltsvorschuss in der Rs- Humer (vgl EuGH 5. 2. 2002, Rs C-255/99 , Humer, Slg 2002, I-1205) nach der VO (EWG) 1408/71 statuierte Exportverpflichtung für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, besteht aufgrund der Unanwendbarkeit des Koordinierungsrechts nicht mehr (RIS-Justiz RS0125933 [T1]). Es liegt hier auch keine Fallkonstellation vor, bei der allenfalls aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 18 AEUV (ex-Art 12 EG) oder aus der VO (EWG) 1612/68 ein Anspruch des Kindes auf österreichischen Unterhaltsvorschuss abgeleitet werden könnte (vgl Felten/Neumayr, Die neue Wanderarbeitnehmerverordnung und Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2010, 166 ff). Aufgrund der seit 1. 5. 2010 geltenden Rechtslage ist ein Anspruch auf österreichische Unterhaltsvorschüsse in solchen Fällen daher zu verneinen.

3. Die neue VO (EG) 883/2004 enthält in ihrem Art 87 keine spezielle Übergangsbestimmung für bereits bewilligte Unterhaltsvorschüsse, die aufgrund der alten VO (EWG) 1408/71 in das EU-Ausland exportiert werden. Bei Ansprüchen nach der VO (EWG) 1408/71 handelt es sich in der Regel um Ansprüche, die erst durch das Unionsrecht entstanden sind. Es steht daher dem europäischen Gesetzgeber auch zu, diese Ansprüche zu ändern (vgl Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht5 Teil 2 Art 87 Rz 4). Da der Unterhaltsvorschussantrag in die Zukunft gerichtet ist, ist die Änderung der Rechtslage mit 1. 5. 2010 zu berücksichtigen und es ist für die Perioden ab dem 1. 5. 2010 demnach bereits die neue Rechtslage anzuwenden (10 Ob 14/10x mwN).

4. Demgemäß entspricht auch die Beurteilung, die Voraussetzungen für die beschlossene - anfechtbare - Innehaltung seien erfüllt, der Rechtsprechung des Fachsenats des Obersten Gerichtshofs für Unterhaltsvorschusssachen (vgl 10 Ob 36/10g, 10 Ob 51/10p und 10 Ob 67/10s [zu §§ 7 Abs 1, 16 UVG iVm §§ 19, 20 UVG]). Davon abgesehen ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, ob begründete Bedenken gegen das Bestehen (oder die Höhe) der festgesetzten Unterhaltspflicht iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestehen, was in der Regel schon gegen das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage spricht (10 Ob 51/10p mwN).

5. Mangels einer solchen ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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