OGH 10Ob36/16s

OGH10Ob36/16s7.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Zimmert, Rechtsanwältin in Neunkirchen, gegen die beklagten Parteien 1. W***** und 2. H*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Christian Stocker, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen Feststellung (Streitwert 7.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2016, GZ 58 R 68/15w‑31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 29. Juni 2015, GZ 8 C 353/14f‑27, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00036.16S.0607.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger erwarb 1989 durch Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren zu E ***** des Bezirksgerichts Wiener Neustadt die Liegenschaft EZ 7***** GB ***** W*****. Die Beklagten sind jeweils zur Hälfte Eigentümer der im Westen unmittelbar angrenzenden Liegenschaft EZ 8***** GB ***** W*****. Diese Liegenschaft umfasst laut Grundbuch die Grundstücke 801/1, 801/2 und 801/3.

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er durch Ersitzung Eigentum an den Grundstücken 801/1 und 801/2 (im Folgenden nur mehr: „strittige Grundstücke“) erworben habe. Er habe diese Grundstücke – ebenso wie schon sein Rechtsvorgänger (der Verpflichtete im Zwangsversteigerungsverfahren) – im guten Glauben als seine eigenen genutzt. Die Einfriedung der von ihm ersteigerten Liegenschaft umfasse auch die strittigen Grundstücke. Zudem seien diese Grundstücke im Versteigerungsverfahren (im Schätzgutachten) als der EZ 7***** zugehörig beschrieben worden, sodass er sie gutgläubig erworben habe. Erstmals im Zuge der von den Beklagten beabsichtigten Veräußerung ihrer Liegenschaft sei festgestellt worden, dass die mit der Liegenschaft EZ 7***** eingezäunten Grundstücke auch die strittigen Grundstücke umfassen.

Die Beklagten wendeten ein, der Rechtsvorgänger des Klägers habe die strittigen Grundstücke nicht als seine eigenen angesehen, sondern sei lediglich unentgeltlich bei jederzeitigem Widerruf berechtigt gewesen, diese zu nutzen. Eine Ersitzung durch den Kläger könne daher frühestens ab Zuschlagserteilung im Jahr 1989 erfolgt sein, die Ersitzungszeit sei somit noch nicht verstrichen. Die strittigen Grundstücke seien von der Schätzung im Zwangsversteigerungsverfahren nicht umfasst gewesen, weil im Schätzgutachten ausschließlich der Wert der Liegenschaft EZ 7***** (bestehend aus den Grundstücken 779/Garten, 148 Haus Nr 131, 594/4 Wald und 789/2 Wald) ermittelt worden sei. Auch das Ausmaß der Liegenschaft sei im Gutachten richtig mit insgesamt 3.682 m²angegeben worden. Der Kläger habe daher nicht im Wege des Zuschlags Eigentum an den strittigen Grundstücken erworben. Er habe bereits im Zwangsversteigerungsverfahren Kenntnis davon erlangt, dass die strittigen Grundstücke nicht zur EZ 7***** gehören, sodass es ihm am guten Glauben für eine Ersitzung gefehlt habe.

Im Zuge des Verfahrens erhob der Kläger das Eventualbegehren, es werde mit Wirkung zwischen ihm und den Beklagten festgestellt, dass er Eigentum an den Grundstücken 801/1 und 801/2 durch Zuschlagserteilung des Bezirksgerichts Wiener Neustadt im Zwangsversteigerungsverfahren zu E ***** erworben habe.

Die Beklagten bestritten auch das Eventualklagebegehren.

Das Erstgericht wies sowohl das Hauptbegehren als auch das Eventualbegehren ab.

Es stellte im Wesentlichen fest, dass der Kläger bei Ersteigerung des Objekts aus dem Schätzgutachten Kenntnis vom Gesamtumfang der Liegenschaft gehabt habe. Die Grundstücke 801/1 und 801/2 der Liegenschaft EZ 8***** seien von diesem Gutachten nicht umfasst. Der Rechtsvorgänger des Klägers sei nicht Eigentümer der strittigen Grundstücke gewesen und habe diese auch nicht als seine eigenen genutzt. Er sei zu deren Nutzung lediglich bis auf jederzeitigen Widerruf durch die Eigentümer der Liegenschaft EZ 8***** befugt gewesen. Rechtlich ging das Erstgericht zusammengefasst davon aus, dass die im offenen Grundbuch ersichtlichen Eigentumsverhältnisse hinsichtlich der Liegenschaften EZ 7***** und EZ 8***** richtig seien und unabhängig von jeglichen in natura vorhandenen optischen Abweichungen durch Einzäunungen auch den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen entsprächen. Die Tatsache der gemeinsamen Einzäunung ändere an der rechtlichen Zuordnung zu den im Grundbuch ausgewiesenen Eigentümern nichts.

Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers Folge, hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es fehle gesicherte Rechtsprechung zu der Frage, ob für den Eigentumserwerb des Erstehers im Jahr 1987 in erster Linie der Inhalt der Ausfertigung des Beschlusses über die Erteilung des Zuschlags oder der Inhalt des Versteigerungsedikts, der Versteigerungsbedingungen und die Beschreibung und Schätzung maßgeblich seien. Zum anderen fehle es auch an gesicherter Rechtsprechung zur Frage, ob es bei der Beschreibung einer Liegenschaft im Zwangsversteigerungsverfahren auf die Angabe der Grundstücke oder die Umschreibung der (natürlichen) Grenzen ankomme.

Das Berufungsgericht beurteilte das erstinstanzliche Verfahren als mangelhaft, weil kein Ortsaugenschein durchgeführt wurde. Weiters weise das Ersturteil im Zusammenhang mit dem auf Ersitzung gestützten Hauptbegehren erhebliche Begründungsmängel zur Frage einer prekaristischen Nutzung der strittigen Grundstücke durch den Kläger bzw dessen Rechtsvorgänger auf, sodass das Ersturteil schon aus diesem Grunde aufzuheben sei.

Zum Eventualbegehren gab das Berufungsgericht die Rechtsprechung zum originären Eigentumserwerb durch Zuschlag, zur Frage der Gutgläubigkeit des Erstehers im Zeitpunkt des Zuschlags und zur Frage des Umfangs des Eigentumserwerbs wieder und ging (zusammengefasst) rechtlich davon aus, nach der hier maßgeblichen Rechtslage vor der EO-Novelle 2000 seien für den Umfang des Eigentumserwerbs des Erstehers durch Zuschlag grundsätzlich die im Exekutionsverfahren erfolgte Beschreibung und Schätzung des Exekutionsobjekts, die Versteigerungsbedingungen und das Versteigerungsedikt maßgeblich. Sei der Ersteher gutgläubig, gelte dies auch für Grundstücke, die weder beschrieben noch geschätzt worden seien. Bei der Lösung der Frage, innerhalb welcher Grenzen der Ersteher ein Grundstück erwerbe, sei zu unterscheiden, ob das Grundstück im Grenzkataster eingetragen sei oder nicht. Sei das Grundstück – wie hier – im Grundsteuerkataster enthalten, seien für den Verlauf der Grenzen gegebenenfalls in erster Linie die Angaben maßgebend, die sich aus dem Schätzgutachten ergeben, sonst der Umfang, in dem der Verpflichtete das Grundstück zu besitzen berechtigt gewesen sei, also die Naturgrenzen. Aus den Angaben über das Flächenausmaß sei hingegen über den Verlauf der Grenzen eines Grundstücks nichts zu gewinnen.

Der Kläger habe im Rahmen seiner Beweisrüge auch die Feststellung bekämpft, das Schätzgutachten im Zwangsversteigerungsverfahren umfasse zwar eine detaillierte Beschreibung und Schätzung der zu schätzenden und in der Folge versteigerten Liegenschaft, nicht aber eine Schätzung der strittigen Grundstücke. Es werde daher im fortzusetzenden Verfahren auch zu klären und festzustellen sein, welche Grundstücksgrenze der Sachverständige in seinem damaligen Gutachten mit „Nord‑ und Südseite“ bezeichnet habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung aufzuheben und in der Sache selbst dahingehend zu entscheiden, dass das Urteil des Erstgerichts vollinhaltlich bestätigt werde; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen; in eventu den Rekurs abzuweisen und den Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

1.1 Der Kläger hat während des Rechtsstreits ein Eventualbegehren gestellt, dessen Verhandlung und Entscheidung von der Bedingung abhängig ist, dass dem unbedingt gestellten Hauptbegehren nicht stattgegeben wird (RIS‑Justiz RS0037585). Es handelt sich um eine Eventualklagehäufung, bei der ein Klageanspruch erstrangig und ein anderer Klageanspruch nur für den Fall der Erfolglosigkeit des erstrangigen Anspruchs gestellt wird. Dabei kann es sich um gleiche, aber auch um in Widerspruch zueinander stehende oder einander sogar ausschließende Klageansprüche handeln (RIS-Justiz RS0074353). Das Gericht muss daher immer zuerst über das Hauptbegehren verhandeln. Dieses muss bereits zur Abweisung (oder Zurückweisung) spruchreif sein, bevor in die Verhandlung über das Eventualbegehren eingegangen werden darf (RIS‑Justiz RS0110359).

1.2 Das Erstgericht hat sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren abgewiesen. Infolge Aufhebung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht und Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht liegt keine (abweisliche) Entscheidung über das Hauptbegehren mehr vor, sodass in die Verhandlung über das Eventualbegehren vorerst nicht eingegangen werden darf. Eine Entscheidung über das Eventualbegehren vor Entscheidung über das Hauptbegehren wäre unzulässig (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1134). Obwohl das Eventualbegehren im derzeitigen Verfahrensstadium demnach nicht Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung werden kann, bezieht sich aber die vom Berufungsgericht in seinem Zulassungsausspruch angesprochene Rechtsfrage ausschließlich auf das Eventualbegehren. Entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, liegt somit im derzeitigen Verfahrensstadium insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor.

2. Zur behaupteten Ersitzung:

Nach § 496 Abs 3 ZPO hat das Berufungsgericht statt der Zurückweisung die Verhandlung erster Instanz, soweit erforderlich, zu ergänzen und durch Urteil in der Sache selbst zu entscheiden, wenn nicht anzunehmen ist, dass dadurch im Vergleich zur Zurückweisung die Erledigung verzögert oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht wird. Dass das Berufungsgericht die Rechtssache infolge seiner Bedenken gegen die Beweiswürdigung ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen dennoch an das Erstgericht zurückverwiesen habe (worin eine unrichtige Lösung einer Frage des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO liegen könnte – RIS-Justiz RS0108072), machen die Rekurswerber nicht geltend, sondern sie stehen auf dem Standpunkt, dem Erstgericht sei kein Begründungsmangel unterlaufen. Die Frage, ob ein Begründungsmangel vorliegt, betrifft aber im vorliegenden Fall die Beweiswürdigung und ist – auch im Rekursverfahren über einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO – vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar (RIS-Justiz RS0048272 [T11]). Dies trifft ebenso auf die Frage zu, ob die Durchführung eines Ortsaugenscheins erforderlich ist. Auch die Rekurswerber zeigen demnach keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

3. Zu dem vom Kläger ebenfalls erhobenen Eventualbegehren ist derzeit aus den bereits dargelegten Gründen vom Obersten Gerichtshof nicht Stellung zu nehmen.

4.1 Bereits jetzt ist aber zur Fassung des Klagebegehrens Folgendes festzuhalten:

Zweck der Feststellungsklage ist die urteilsmäßige Feststellung des Bestehen oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechts oder der Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass jenes Rechtsverhältnis oder Recht oder die Urkundenechtheit durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Die Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale, mögen sie auch rechtserheblich sein, oder von rechtserzeugenden Tatsachen, die die Voraussetzung eines an sich zulässigen Feststellungsantrags sein können, ist unzulässig (RIS‑Justiz RS0038943). Nicht feststellungsfähig sind grundsätzlich auch bloße rechtliche Qualifikationen, Eigenschaften oder Vorfragen eines Rechts, es sei denn sie haben Auswirkungen auf die konkrete Ausgestaltung des strittigen Rechtsverhältnisses (RIS‑Justiz RS0038902 [T3, T4]). Auch einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses sind nicht feststellungsfähig (Fasching in Fasching/Konecny 2 III § 228 ZPO Rz 63 mwN).

4.2 Wenngleich die Feststellung des Eigentumsrechts zulässig ist, weil die Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien klargestellt und künftige Streitigkeiten verhindert werden (RIS-Justiz RS0010338 [T9]), ist demnach die Frage, ob der Eigentumserwerb aufgrund Ersitzung oder durch Zuschlag in einem Zwangsversteigerungsverfahren erfolgte, nicht feststellbar. Diese (zusätzliche) Feststellung würde nicht dazu beitragen, das strittige Eigentumsrecht grundlegend und bindend für alle künftigen Streitigkeiten zwischen den Streitteilen zu lösen, sondern würde lediglich klarstellen, aufgrund welchen Titels es zum Eigentumserwerb gekommen ist, ohne dass sich daraus Auswirkungen auf die konkrete Ausgestaltung des zwischen den Parteien strittigen Eigentumsrechts ergäben. Die Frage des Titels zum behaupteten Eigentumserwerb ist hier nur Vorfrage für die Entscheidung über das eigentliche Begehren des Klägers auf Feststellung seines Eigentumsrechts.

4.3 Da dieser Gesichtspunkt im bisherigen Verfahren aber nicht berücksichtigt wurde, wird ihn das Erstgericht mit dem Kläger zwecks Verhinderung einer Überraschungsentscheidung im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern haben (§ 182a ZPO). Sollte der Kläger im fortgesetzten Verfahren ein zulässiges Feststellungsbegehren formuliert haben, wird weiters auf eine Klarstellung hinzuwirken sein, auf welchen Rechtsgrund (Ersitzung und/oder Zuschlagserteilung) er sich nunmehr (primär, subsidiär) berufen will.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40 , 50 ZPO. Es liegt zwar ein Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO vor (vgl RIS‑Justiz RS0123222), dennoch findet ein Kostenersatz nicht statt, weil der Kläger auf den konkret vorliegenden Grund der Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten nicht hingewiesen hat (vgl 10 Ob 37/13h).

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