Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Prozeßgericht erster Instanz wird aufgetragen, über das Klagebegehren unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.
Die Rechtsmittelkosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Kläger begehren die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 17,556.032,54 sA.. Dazu brachten sie im wesentlichen vor, sie seien von der Beklagten im Verfahren zu 5 Cg 282/93g des Landesgerichtes Wels auf Zahlung eines Betrages von 15,729.875,68 sA aufgrund für die Gustav W***** GmbH übernommener Wechselbürgschaften in Anspruch genommen worden. Die in jenem Verfahren klagende Bank habe ihr obliegende Schutzpflichten gegenüber den Bürgen verletzt und sie vertrags- und sittenwidrig geschädigt, da sie entgegen ihren Verpflichtungen gegenüber den Bürgen Zahlungseingänge zugunsten der Hauptschuldnerin nicht zur Abdeckung des gewährten Exportfonds-Kredits verwendet, sondern als Neukredit dem Unternehmen zur Aufrechterhaltung des Betriebes zur Verfügung gestellt habe. In Kenntnis dieses Vorgehens hätten die Kläger einer Bürgschaftsübernahme niemals zugestimmt. Eine Verständigung ohne eine Zustimmung zu einer Neukrediteinräumung an die Gustav W***** GmbH sei nie erfolgt. Diese Einwendungen seien den Klägern aufgrund der Bestimmungen über die Wechselbürgschaft im Vorverfahren verwehrt geblieben, weshalb die Beklagte gesondert in Anspruch genommen werden müsse. Sie sei auch ungerechtfertigt bereichert, weil sie unter Ausnützung der formellen und materiellen Wechselstrenge einen Exekutionstitel erwirkt habe, ohne hiefür einen "ausreichenden Titel" zu besitzen. Aufgrund dieses Urteils seien zahlreiche Versteigerungen durchgeführt und erhebliche Beträge hereingebracht worden. Die Beklagte habe aufgrund ihres Verhaltens den Klägern folgende Schadenersatzbeträge zu verantworten:
Eingänge aus Auslandsgeschäften S 13,200.000,--
zuzüglich 8,75 % Kontokorrentzinsen S 1,185.947,18
Diskontspesen S 1,317.731,50
Wechselgebühr S 19.597,--
Protestkosten S 6.600,--
Prozeßkosten der Kläger S 1,248.926,66
Prozeßkosten der Beklagten S 577.230,20
insgesamt sohin S 17,556.032,54
Diese Schadenersatzansprüche der Kläger seien im Vorverfahren nicht behandelt worden, sie seien auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens gewesen.
Die Beklagte erhob die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache und beantragte die Zurückweisung der Klage als unzulässig, allenfalls Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies mit Beschluß die vorliegende Klage zurück. Die Kläger hätten die zur Begründung der vorliegenden Klageforderung vorgetragenen Tatsachen auch im rechtskräftig beendeten Vorverfahren erfolglos eingewendet. Auch im Vorverfahren hätten sich die Gerichte aller Instanzen mit diesen Einwendungen auseinandergesetzt. Bei Identität der Klageforderung mit der rechtskräftigen Verurteilung der Kläger im Vorverfahren sei das angestrebte Rechtsschutzziel der Kläger hier als reine Negation des rechtskräftigen Ergebnisses des Vorprozesses zu sehen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge. Im Vorverfahren sei die Einrede nach § 1360 nicht etwa aus prozeßrechtlichen Gründen zurückgewiesen, sondern meritorisch behandelt worden, allerdings mit dem materiellrechtlichen Ergebnis, daß sich die Wechselbürgen zu Unrecht auf § 1360 ABGB berufen hätten. Daß wegen prozeßrechtlicher Besonderheiten des Wechselprozesses den Wechselbürgen die Einrede nach § 1360 ABGB abgeschnitten gewesen wäre, treffe nicht zu. Eine andere Frage sei allerdings, ob die Einreden nach § 1360 ABGB im Vorverfahren wenigstens abstrakt zur Abwehr der Klagsforderung geeignet gewesen sei. Die zitierte Bestimmung enthalte nur ein an den Gläubiger adressiertes Verbot, ohne die Rechtsfolgen einer Übertretung dieses Verbotes zu regeln. Als Rechtsfolge einer gegen § 1360 ABGB verstoßenden Pfandfreigabe kämen nur zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder werde der Bürge im Umfang der Uneinbringlichkeit seines Rückgriffsrechtes frei oder er erwerbe einen Schadenersatzanspruch gegen den Gläubiger, den er zur Abwehr der Bürgschaftsklage kompensando einwenden oder selbständig einklagen könne. Ob das Freiwerden des Bürgen nur das Ergebnis einer Aufrechnung von Schadenersatzforderungen gegen Bürgschaftsforderungen sein könne oder ob der beklagte Bürge die Klagsforderung auch ohne Aufrechnungseinrede mit rechtsvernichtenden Tatsachen im Sinne des § 1360 ABGB abwehren könne, könne dahingestellt bleiben, weil im rechtskräftig beendeten Vorprozeß die Einrede der beklagten Wechselbürgen gemäß § 1360 ABGB trotz unterbliebener Aufrechnungserklärung meritorisch behandelt worden sei. Auch der Oberste Gerichtshof habe in der Begründung seines Beschlusses auf Zurückweisung der außerordentlichen Revision die Inanspruchnahme der Wechselbürgen ausdrücklich als nicht sittenwidrig qualifiziert. Das Argument, ein Schadenersatzanspruch sei nicht Gegenstand des Vorprozesses gewesen, übersehe, daß es für die Beurteilung der Anspruchsidentität nicht auf die rechtliche Qualifikation durch die Prozeßpartei ankomme. Identität des Anspruchs liege schon dann vor, wenn das neu gestellte Begehren sowohl inhaltlich dieselbe Leistung, Feststellung oder Rechtsgestaltung fordere, wie sie bereits Gegenstand des rechtskräftigen Vorerkenntnisses gewesen sei, als auch die zur Begründung des neuen Begehrens vorgetragenen rechtserzeugenden Tatsachen dieselben seien, auf die sich auch die rechtskräftige Entscheidung gründe, so daß sie auch zwangsläufig dieselbe rechtliche Beurteilung zur Folge haben müßten. Die materielle Rechtskraft erstrecke sich auch auf später geltend gemachte Ansprüche, die das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruches darstellten. Wo es sich beim zweiten Begehren um die reine Negation des ersten handle, greife die Einmaligkeitswirkung ein. Volle Identität der hier rechtserzeugenden (im Vorprozeß rechtsvernichtenden) Tatsachen und der streitigen Rechtsfolge (Rückzahlung des im Vorprozeß ersiegten Betrages zuzüglich Kosten) sei hier gegeben. Daß die im Vorprozeß beklagten Wechselbürgen ihre vermeintlichen aus § 1360 ABGB abgeleiteten Rechte nicht als Schadenersatzansprüche qualifiziert und auch nicht aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung eingewendet hätten, vermöge daran nichts zu ändern. Die vorliegende Schadenersatzklage sei daher wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen.
Der von den Klägern gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof gemäß § 526 Abs 2 ZPO nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig, weil die angefochtene Entscheidung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht entspricht.
Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß die Rechtskraft einer
Entscheidung über den gleichen Gegenstand zwischen denselben Parteien
ein Prozeßhindernis ist, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts
wegen wahrgenommen und zur Zurückweisung der Klage führen muß. Die
Nichtbeachtung dieser negativen Prozeßvoraussetzung bewirkt die
Nichtigkeit der trotzdem gefällten Sachentscheidung und des
vorangegangenen Verfahrens in der Hauptsache. Die Identität des
Anspruches liegt allerdings nur dann vor, wenn das neu gestellte
Begehren sowohl inhaltlich dieselbe Leistung, Feststellung oder
Rechtsgestaltung fordert, wie sie bereits Gegenstand des
rechtskräftigen Vorerkenntnisses war, als auch die zur Begründung des
neuen Begehrens vorgetragenen rechtserzeugenden Tatsachen dieselben
sind, auf die sich auch die rechtskräftige Entscheidung gründet, so
daß sie auch zwangsläufig dieselbe rechtliche Beurteilung zur Folge
haben müssen. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich auch auf
später geltend gemachte Ansprüche, die das begriffliche Gegenteil des
rechtskräftig entschiedenen Anspruches darstellen. Die
Einmaligkeitswirkung greift jedoch nur dort ein, wo es sich beim
zweiten Begehren um die reine Negation des ersten handelt: Nur dann
ist wegen voller Identität auch der streitigen Rechtsfolge die zweite
Klage mit Beschluß als unzulässig zurückzuweisen (Fasching ZPR2 Rz
1515 und 1517; Rechberger/Simotta ZPR4 Rz 697; 1 Ob 527/94 = RdW
1995, 386; 3 Ob 512/95; 1 Ob 545/95 = SZ 68/103 = JBl 1996, 463; 7 Ob
597/95 ua). Sind dagegen die Rechtsfolgebegehren miteinander nur
deshalb unvereinbar, weil durch die Vorentscheidung die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen für das neue Begehren verneint
wurden, dann liegt keine Identität der Begehren vor, sondern ein
Sonderfall der Präjudizialität. Das Gericht muß zwar über die zweite
Klage mit Sachurteil entscheiden, dabei aber die rechtskräftige
Entscheidung im Sinne einer Bindungswirkung zugrundelegen (Fasching
aaO Rz 1517; Rechberger/Simotta aaO Rz 698; 1 Ob 574/95; 1 Ob 40/95;
4 Ob 581/95 ua).
Im vorliegenden Fall ist eine Identität der Ansprüche nicht gegeben:
Tatsächlich wird nämlich nicht das Gegenteil der Vorentscheidung
begehrt, sondern es soll lediglich die Wirkung des bereits ergangenen
rechtskräftigen Urteils beseitigt werden. Der Gegenstand der
Vorentscheidung stellt sich in Wahrheit als Vorfrage für das nunmehr
zu entscheidende Begehren dar. Diesem steht somit nicht das
Wiederholungsverbot der materiellen Rechtskraft entgegen, sondern
deren Bindungswirkung, die sich darin äußert, daß das Gericht zwar
über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen, dabei
aber die rechtskräftige Entscheidung zugrundezulegen hat (1 Ob
527/94; 1 Ob 576/92; RZ 1989/96, SZ 60/43; SZ 55/74; RZ 1977/49 ua).
Diese Bindungswirkung hindert zwar nicht die Urteilsfällung über den neuen Anspruch, schließt jedoch die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung eines rechtskräftig entschiedenen Anspruches über ein neues, begrifflich aber untrennbar mit dem Inhalt der rechtskräftigen Vorentscheidung zusammenhängendes Klagebegehren aus. Die Berufung auf Tatsachen, die bei Schluß der Verhandlung erster Instanz im Vorprozeß schon existent waren, aber nicht vorgebracht wurden, ist dabei ausgeschlossen. Neues Vorbringen wäre durch die Rechtskraft nur dann nicht präkludiert, wenn es mit dem Prozeßstoff des ersten Rechtsstreites nicht im Zusammenhang stünde. Die inhaltliche Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses hat daher zur Folge, daß die Vorentscheidung unter Ausschluß der sachlichen Verhandlung und Prüfung ihres Gegenstandes dem neuerlichen Urteil über den nunmehr erhobenen Anspruch zugrundezulegen ist. Der Richter hat in einem solchen Fall von dem bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch auszugehen und ihn ohne weiteres einer neuen Entscheidung zugrundezulegen. Diese Bindungswirkung kann durch eine im materiellen Recht begründete selbständige Klage auf Beseitigung der durch die Erfüllung der urteilsmäßigen Leistungspflicht herbeigeführten Wirkungen unter Berufung auf einen Tatbestand des materiellen Rechts, der im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz der Begründetheit des Klagebegehrens entgegenstand, nicht durchbrochen werden, mag diese Klage auch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes oder der Bereicherung gestützt werden (SZ 49/81; EvBl 1971/332; 1 Ob 527/94).
Wie im außerordentlichen Revisionsrekurs zutreffend dargelegt wird, haben die Vorinstanzen zu Unrecht Identität der Streitgegenstände des vorliegenden Verfahrens mit dem Vorprozeß angenommen. Der dortige Streitgegenstand bestand in der Geltendmachung einer Wechselforderung gegen Bürgen, deren Inanspruchnahme letztlich vom Obersten Gerichtshof (8 Ob 1016/95) nicht als sittenwidrig erkannt wurde, da die dort klagende Bank ihre Aufklärungspflicht gegenüber den Bürgen jedenfalls nicht verletzt habe. Mit der vorliegenden Klage werden hingegen angebliche Schadenersatzansprüche der Kläger gegen die Bank geltend gemacht, die nicht Gegenstand des Vorverfahrens waren und über die auch in dem rechtskräftigen Urteil nicht abgesprochen wurde. Schon im erstinstanzlichen Urteil des Vorprozesses wurde ausgeführt, der Bürge könne Schadenersatzansprüche klageweise geltend machen oder - was im damaligen Fall allerdings unterblieben sei - der Klage des Gläubigers einredeweise entgegensetzen. Hier ist nicht zu beurteilen, ob dem Klagebegehren ein Erfolg beschieden sein kann. Die Bindungswirkung äußert sich nämlich nur darin, daß das Gericht der zweiten Entscheidung die rechtskräftige erste Entscheidung zugrundezulegen hat, sie ändert aber nichts daran, daß über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen ist (3 Ob 512/95; 1 Ob 527/94; 1 Ob 576/92; EF 70.550; SZ 60/43; SZ 55/74; RZ 1977/49 ua).
In Stattgebung des außerordentlichen Revisionsrekurses waren daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die sachliche Entscheidung über das Klagebegehren aufzutragen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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