European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00028.16I.1125.000
Spruch:
Dem Rekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,42 EUR (darin 69,74 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin war Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ *****, KG *****, mit der Adresse *****. Mit Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 26. September 2013, AZ *****, wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt U***** zum Insolvenzverwalter bestellt.
Mit Kaufvertrag vom 24. November 2014 erwarb die A***** GmbH die Liegenschaft um einen Kaufpreis von 1.950.000 EUR. Diese verkaufte die Liegenschaft wiederum mit Kaufvertrag vom 27. November 2014 zu einem Kaufpreis von 2.350.000 EUR an die beklagte Partei, deren Eigentum am 10. Dezember 2014 im Grundbuch eingetragen wurde. Beide Kaufverträge wurden von der Rechtsanwältin Dr. A***** errichtet und abgewickelt.
Mit der am 16. Dezember 2014 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Unwirksamerklärung der grundbücherlichen Eintragung und die Löschung des Eigentumsrechts der beklagten Partei an der Liegenschaft. Bei dem ersten Verkauf handle es sich um ein sittenwidriges Umgehungsgeschäft. Von Anfang an sei der Verkauf an die beklagte Partei beabsichtigt gewesen. Durch den „Durchverkauf“ sei die Klägerin bewusst geschädigt worden und ihre Gläubiger seien verkürzt worden. Die Eintragung basiere auf einem nichtigen Titel. Das Recht des Eigentümers im Sinne des § 61 GBG bleibe auch nach Insolvenzeröffnung erhalten. Das österreichische Grundbuchsrecht gehe dem deutschen Insolvenzrecht vor.
Die beklagte Partei wandte im Wesentlichen ein, dass es der Klägerin an der Aktivlegitimation fehle, weil das Recht, das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangen sei.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Zwar richte sich das Verfahren grundsätzlich nach der lex fori concursus (also deutschem Recht), doch sei gemäß Art 11 EuInsVO das österreichische Grundbuchsrecht zu berücksichtigen, weshalb § 61 GBG anzuwenden sei. Gemäß § 80 dInsO gehe die Verwaltungs‑ und Verfügungsbefugnis des Schuldners mit Insolvenzeröffnung auf den Insolvenzverwalter über. Die Klägerin könne zwar abstrakt das Recht auf Einbringung einer Löschungsklage gemäß § 61 GBG in Anspruch nehmen; sie sei dazu aber aufgrund des Verlustes ihrer Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im konkreten Fall nicht mehr berechtigt, weshalb ihre Klage mangels Aktivlegitimation abzuweisen sei.
Aus Anlass der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück.
Hinsichtlich der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf anhängige Rechtsstreitigkeiten, die einen Bezug zu Gegenständen und Rechten der Masse aufweisen, gelte gemäß Art 15 EuInsVO ausschließlich das Recht des Mitgliedstaates, in dem das jeweilige Verfahren anhängig sei ( lex fori processus ). Während des Insolvenzverfahrens sei die Schuldnerin nicht berechtigt, vom Insolvenzverwalter vorgenommene Veräußerungen von Liegenschaften aus der Insolvenzmasse selbstständig mit Klage gegen die Erwerber anzufechten. Streitgegenstand sei in diesem Fall nämlich ein Vermögen, das zur Insolvenzmasse gehört habe und im Falle der Nichtigerklärung des Kaufvertrags wieder in diese zurückfallen müsse. Nach dem anzuwendenden österreichischen Recht könnten nach Insolvenzeröffnung Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken, nicht anhängig gemacht werden. Erhebe die Schuldnerin nach Verfahrenseröffnung eine Klage, liege ein der Prozessunfähigkeit vergleichbarer Mangel vor, auf den nach herrschender Ansicht § 477 Abs 1 Z 5 ZPO analog anzuwenden sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Durchführung des Verfahrens über die Berufung aufzutragen.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist jedenfalls zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO); er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Anzuwendendes Recht
1.1. Die Eröffnung eines Hauptinsolvenz-verfahrens in einem Mitgliedstaat entfaltet gemäß Art 17 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) in jedem anderen Mitgliedstaat unmittelbar diejenigen Wirkungen, die das Recht des Eröffnungsstaates dem Verfahren beilegt. Die EuInsVO sieht demnach nicht bloß die Anerkennung der Insolvenzeröffnung als solche vor, sondern normiert vielmehr einen die materiellen und prozessualen Rechtsfolgen der Eröffnungsentscheidung umfassenden „Export“ der lex fori concursus (Klauser/Pogacar in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 17 EuInsVO Rz 13 mwN). Nach der Kollisionsnorm des Art 4 Abs 2 EuInsVO regelt das Recht des Eröffnungsstaates insbesondere, welche Vermögenswerte zur Masse gehören (Art 4 Abs 2 lit b EuInsVO) sowie welche Befugnisse dem Schuldner zukommen (Art 4 Abs 2 lit c EuInsVO; RIS‑Justiz RS0119909). Folglich bestimmt sich der Umfang der Verfügungsbeschränkungen des Schuldners nach der lex fori concursus (Kolmann/Keller in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch5 § 133 Rz 15; Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 4 EuInsVO Rz 33).
1.2. Die Klägerin brachte ihre Klage nach der am 26. September 2013 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen ein. Welche Auswirkungen die Insolvenzeröffnung auf die Partei- und Prozessfähigkeit sowie die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hat, richtet sich nach der lex fori concursus (vgl EuGH 9. 11. 2016, C‑212/15, ENEFI), somit nach deutschem Recht. Die Sonderanknüpfung in Art 15 EuInsVO, die abweichend zu Art 4 EuInsVO das Recht der lex fori processus als maßgeblich erklärt, betrifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich die Wirkung des Insolvenzverfahrens auf Rechtsstreitigkeiten, die bei Insolvenzeröffnung bereits anhängig waren (4 Ob 160/15f; Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 15 EuInsVO Rz 2 ff), und kommt demnach im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Ebenso wenig ist für die (vorgelagerte) Frage nach den Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die prozessualen Befugnisse des Schuldners Art 11 EuInsVO, der die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die bücherlichen Rechte des Schuldners der lex libri unterstellt, von Relevanz. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem umstrittenen Normzweck dieser Bestimmung erübrigt sich (dazu Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 11 EuInsVO Rz 5 ff).
2. Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
2.1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen ging nach § 80 Abs 1 dInsO das Recht der Klägerin, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Die Insolvenzeröffnung führt nach deutschem Recht nicht zum Verlust der Partei- und Prozessfähigkeit; der Schuldner verliert aber die Befugnis, über seine Rechte zu verfügen (Ott/Vuia in MüKo‑InsO³ § 80 Rz 11 mwN). Erhebt der Schuldner trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Klage über einen zur Masse gehörenden Gegenstand, ist die Klage mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig (Ott/Vuia in MüKo-InsO³ § 80 Rz 83; OLG Frankfurt a. M. 7 U 175/05, BeckRS 2006, 10086). Der Verlust der Prozessführungsbefugnis ist auf das insolvenzverfangene Vermögen beschränkt. Die Prozessführungsbefugnis des Schuldners wird dagegen nicht beschnitten, falls ein Rechtsstreit von vornherein oder nach einer Freigabe durch den Verwalter insolvenzfreies Vermögen betrifft (BGH IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 mwN).
2.2. Gemäß § 35 dInsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Aufgrund der unionsweiten Wirkung der Eröffnung eines Hauptverfahrens umfasst die Insolvenzmasse alle, auch in anderen Mitgliedstaaten als dem Eröffnungsstaat belegene Vermögenswerte (Klauser/Pogacar in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze Art 17 EuInsVO Rz 8).
Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war die veräußerte Liegenschaft unstrittig Bestandteil des Vermögens der Klägerin und damit Teil der Insolvenzmasse. Es gibt auch keine Hinweise, dass der Insolvenzverwalter die Liegenschaft freigegeben hätte (auch die Klägerin behauptet dies nicht); vielmehr verwertete der Insolvenzverwalter die Liegenschaft durch Verkauf an die Rechtsvorgängerin der beklagten Partei. Trotz des auf diese Weise bewirkten Ausscheidens der Liegenschaft aus der Masse handelt es sich beim Streitgegenstand, dem die behauptete Nichtigkeit des Kaufvertrags zugrunde liegt, um einen insolvenzverfangenen Anspruch, weil die Liegenschaft – wie das Berufungsgericht unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 195/66 (SZ 39/126; RIS‑Justiz RS0063826) zu Recht ausführte – im Falle der Unwirksamerklärung der Eintragung wieder in die Insolvenzmasse zurückfallen müsste.
Dies ist auch nach dem hier anwendbaren deutschen Recht nicht anders. Nach diesem liegt Massebetroffenheit dann vor, wenn der Verfahrensgegenstand geeignet ist, im Insolvenzverfahren rechtlich zur Insolvenzmasse zu gehören (Stackmann in MüKo‑ZPO5 § 240 Rz 19). Die Insolvenzmasse muss – wie im konkreten Fall – vom Ausgang des Rechtsstreits unmittelbar oder mittelbar betroffen sein (Sternal in K. Schmidt, InsO19 § 85 Rz 20 mwN). Die Klägerin hat auch nicht behauptet, dass der Insolvenzverwalter den hier strittigen Anspruch auf Unwirksamerklärung und Löschung freigegeben hätte.
3. Wahrnehmung des Fehlens der Prozessführungsbefugnis
Das Fehlen der Prozessführungsbefugnis ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Ein Auftrag zur Heilung des Mangels in analoger Anwendung des § 6 Abs 2 ZPO war nicht zu erteilen, weil die im gesamten Verfahren anwaltlich vertretene Klägerin zum einen aufgrund des Insolvenzverfahrens in Kenntnis ihrer (auch prozessualen) Verfügungsbeschränkungen war und zum anderen eindeutig zu erkennen gab, nur selbst und nicht durch den Insolvenzverwalter handeln zu wollen (RIS‑Justiz RS0002293 [T2, T6]; Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny 3 § 6 ZPO Rz 6).
Zu Recht hat daher das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung als unzulässig zurückgewiesen.
4. Insoweit sich die Klägerin gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts wendet, ist ihr Rechtsmittel unzulässig. Der Zweck des § 528 Abs 2 Z 3 ZPO liegt darin, die Anrufung des Obersten Gerichtshofs im Kostenpunkt überhaupt auszuschließen (RIS‑Justiz RS0044233 [T10]). Dies gilt nicht nur dann, wenn das Berufungsgericht als Rechtsmittelgericht über die Kostenentscheidung des Erstgerichts erkennt, sondern auch in jenen Fällen, in denen es eine Kostenentscheidung funktionell als erste Instanz fällt (RIS‑Justiz RS0110033).
5. Dem Rekurs der Klägerin kommt daher keine Berechtigung zu.
6. Die Verpflichtung der Klägerin zum Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.
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