Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Der Kläger begehrt mit seiner am 21. 4. 2015 eingebrachten Klage von dem in Deutschland ansässigen beklagten Verein die Rückzahlung des investierten Betrags aus einem Anlagegeschäft. Er sei Verbraucher und stütze die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf Art 15 Abs 1 EuGVVO bzw Art 17 EuGVVO 2012.
Nachdem eine Klagszustellung an den Beklagten gescheitert war, legte der Kläger dem Erstgericht einen Beschluss des deutschen Amtsgerichts Charlottenburg vom 13. 4. 2015 in einem Verfahren über den Antrag des Beklagten auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das eigene Vermögen vor.
Dieser Beschluss lautet auszugsweise:
„ 1. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wird bestellt: Rechtsanwalt …
2. Dem Schuldner wird ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Abs 2 Nr 2 InsO). Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners geht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über.
3. ... “
Hierauf wies das Erstgericht die Klage zurück und erklärte implizit das durchgeführte Verfahren für nichtig. Gemäß Art 15 EuInsVO seien die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse ausschließlich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig sei, zu beurteilen. Daher sei die Frage der Prozesssperre nach § 6 IO zu beurteilen. Bei dem in Deutschland anhängigen Verfahren nach §§ 21 f dInsO handle es sich um ein Sicherungsverfahren, welches der Sicherung des schuldnerischen Vermögens in der risikobehafteten Zeit zwischen dem Eingang eines zulässigen Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht und dessen Entscheidung über die Eröffnung diene. Um der Eigenart des Insolvenzverfahrens im Eröffnungsstaat und somit dem Schutz des schuldnerischen Vermögens, wie es das deutsche Insolvenzrecht biete, gerecht zu werden, müsse die vorläufige Insolvenzeröffnung in Deutschland auch in Österreich eine Prozesssperre gemäß § 6 IO bewirken. Der Klage stehe daher die Prozesssperre des § 6 IO entgegen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den Revisionsrekurs zur Frage der Wirkung eines vor Klagseinbringung in Deutschland eingeleiteten Insolvenzverfahrens iSd § 21 Abs 2 Z 1 und 2 dInsO nach Art 16, 17 EuInsVO für zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Kläger erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1. Für Gesamtverfahren, die die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben, gilt nach deren Art 1 Abs 1 die Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (Europäische Insolvenzverordnung ‑ EuInsVO). Die VO (EU) 2015/84 8 ist noch nicht anwendbar.
1.2. Nach Art 4 Abs 2 lit f EuInsVO regelt das Recht des Staats des Insolvenzverfahrens (lex fori concursus), unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Dieses Recht regelt insbesondere, wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt; ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten. Diesbezüglich gilt nach Art 15 EuInsVO ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Rechtsstreit anhängig ist (lex fori processus).
1.3. Die lex fori concursus entscheidet sowohl über die Zulässigkeit der Einleitung als auch über die Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf bereits eingeleitete Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger (Aufschiebung, Unterbrechung oder gänzliche Unzulässigkeit der Einleitung oder Fortsetzung). Nicht von Art 4 EuInsVO erfasst sind jedoch aufgrund der Sonderregelung in Art 15 EuInsVO die Auswirkungen der Verfahrenseröffnung auf anhängige Rechtsstreitigkeiten. Die Klageerhebung gegen den Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist als Rechtsverfolgungsmaßnahme nach Art 4 Abs 2 lit f EuInsVO zu qualifizieren. Auf sie ist daher das Recht des Staats der Insolvenzeröffnung anzuwenden (vgl Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze, EuInsVO Art 4 Rz 40‑41 mwN; Lüer in Uhlenbruck, Insolvenzordnung14, EuInsVO Art 4 Rz 48; vgl auch Sima, EuGH Verfahren in Vermögensstreitigkeiten während des Konkurses einer Partei, ZIK 2005, 12; EuGH C‑527/10 Rz 38).
1.4. Im vorliegenden Fall erfolgte die Klageerhebung nach Eröffnung des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens in Deutschland. Die Auswirkung der Eröffnung dieses Verfahrens auf die gegenständliche Klageerhebung ist somit nach deutschem Recht als der lex fori concursus zu beurteilen.
2. Verhängt das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot gegen den Schuldner nach § 21 Abs 2 Z 2 dInsO und geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Verwalter gemäß § 22 dInsO über, verschafft die Regelung in § 24 Abs 2 dInsO dem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter die volle Prozessführungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners. Die sich aus § 24 Abs 2 dInsO ergebende Prozessführungsbefugnis des Verwalters gilt dabei nicht nur für unterbrochene Prozesse und sonstige Verfahren, sondern zugleich auch für neu anzustrengende Aktivprozesse sowie für Passivprozesse gegen die Masse. Eine nach Einleitung dieser gerichtlichen Maßnahmen gegen den Schuldner erhobene Klage ist unzulässig (vgl Vuia in Gottwald/Huber , Insolvenzrechts-Handbuch 5 § 14 Rz 118; Vallender in Uhlenbruck , dInsO 14 § 24 Rz 16).
3. Im hier gegebenen Fall der Einleitung des Verfahrens nach §§ 21 f dInsO vor Anhängigkeit der gegenständlichen Klage ist somit von einer Unzulässigkeit der Klagsführung gegen den den vorläufigen Maßnahmen des deutschen Insolvenzgerichts unterworfenen Beklagten auszugehen. Die von den Vorinstanzen ausgesprochene Klagszurückweisung erfolgte zu Recht. Dem Revisionsrekurs des Klägers war daher nicht Folge zu geben.
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