OGH 10Ob13/11a

OGH10Ob13/11a29.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin S*****, gegen die Erlagsgegnerin DI Dr. E*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Anderluh, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hinterlegung nach § 1425 ABGB über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Erlagsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Mai 2009, GZ 43 R 812/08t, 43 R 813/08i-84, womit infolge Rekurses der Erlagsgegnerin der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 24. Oktober 2008, GZ 1 Nc 50/98a-64, bestätigt wurde und der Rekurs gegen den Beschluss desselben Gerichts vom 19. September 2008, GZ 1 Nc 50/98a-60, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung

Mit Beschlüssen vom 1. Oktober 1998 (ON 4) und vom 2. Februar 1999 (ON 14) nahm das Erstgericht den von der Erlegerin wegen ungeklärter Rechtslage vorgenommenen Erlag von 2.201,60 S und von 6.604,80 S gemäß § 1425 ABGB zu Gericht an und sprach jeweils aus, dass der Betrag bei der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien in Verwahrung zu nehmen sei.

Mit Beschluss vom 24. Oktober 2008 (ON 64) trug das Erstgericht der Erlagsgegnerin auf, binnen vier Wochen einen in Österreich wohnhaften Zustellbevollmächtigten namhaft zu machen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Erlagsgegnerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Den dagegen von der Erlagsgegnerin erhobenen „außerordentlichen Revisionsrekurs“ legte das Erstgericht am 16. Februar 2011 direkt dem Obersten Gerichtshof vor.

Diese Vorlage widerspricht der seit Inkrafttreten der Wertgrenzennovelle 1997 geltenden Rechtslage, woran auch das Inkrafttreten des Außerstreitgesetzes BGBl I 2003/111 mit 1. Jänner 2005 nichts geändert hat. Dessen Bestimmungen über den Rekurs und Revisionsrekurs finden zufolge des Entscheidungsdatums erster Instanz (im Jahr 2008) hier Anwendung (§ 203 Abs 7 leg cit).

Nach § 62 Abs 3 AußStrG ist der Revisionsrekurs - außer im Fall des § 63 Abs 3 AußStrG (der nachträglichen Zulassungserklärung) - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 20.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat. Die mittlerweile erfolgte Anhebung der Wertgrenze durch das BudgetbegleitG 2009, BGBl I 2009/52 auf 30.000 EUR, die trotz der irrtümlich unterbliebenen Änderung des § 59 Abs 2 AußStrG auch im Verfahren außer Streitsachen gilt (siehe RIS-Justiz RS0125732), ist im vorliegenden Fall noch nicht anzuwenden, weil das Datum der Entscheidung zweiter Instanz vor dem 30. Juni 2009 liegt (Art 16 Abs 4 der Schluss- und Übergangsbestimmungen zum ersten Abschnitt des BudgetbegleitG 2009).

Eine Partei kann aber nach § 63 Abs 1 und 2 AußStrG einen binnen 14 Tagen nach Zustellung der zweitinstanzlichen Entscheidung beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Rekursgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde („Zulassungsvorstellung“). Ein solcher Antrag, mit dem zugleich der ordentliche Revisionsrekurs auszuführen ist, muss hinreichend erkennen lassen, warum der ordentliche Revisionsrekurs (doch) für zulässig erachtet wird.

Der Antrag auf Überprüfung des Zulassungsausspruchs findet (unter den weiteren Voraussetzungen) aber nur dann Anwendung, wenn der Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur ist. Ob ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur ist, ergibt sich aus dessen materiell-rechtlichem Inhalt (RIS-Justiz RS0007110). Diesbezüglich trat durch die WGN 1997 keine Änderung ein (RIS-Justiz RS0109789). Ist - wie hier - eine verfahrensrechtliche Frage zu beurteilen, ist nach ständiger Rechtsprechung der Entscheidungsgegenstand dennoch vermögensrechtlicher Natur, sofern der Hauptsache ihrer Natur nach ebenfalls rein vermögensrechtlicher Charakter zukommt (RIS-Justiz RS0109919 [T1 und T5]). Entscheidend ist somit stets der im betreffenden Verfahren zu beurteilende Hauptgegenstand (1 Ob 144/10y). So wurde ausgesprochen, dass die (verfahrensrechtliche) Frage, ob ein Zustellkurator für den unterhaltspflichtigen Vater zu bestellen ist bzw ob im Falle der Bestellung eines Zustellkurators der Antrag auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses durch den Minderjährigen der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe, schon wegen ihres Einflusses auf die Entscheidung in der Hauptsache als solche vermögensrechtlicher Natur zu sehen ist, sofern die Hauptsache selbst vermögensrechtlicher Natur ist (10 Ob 37/04w). Eine Entscheidung, mit der für Minderjährige im Zusammenhang mit der Errichtung einer Privatstiftung ein Kollisionskurator mit dem Auftrag bestellt wurde, die Vorteilhaftigkeit der Stiftung für die Minderjährigen zu überprüfen und gegebenenfalls die Stiftungsurkunde in deren Namen zu unterfertigen, wurde als solche rein vermögensrechtlicher Natur, nämlich als Ausfluss der Vermögenspflegschaft, qualifiziert (1 Ob 56/99p).

Im vorliegenden Fall ist der Hauptanspruch im Erlagsverfahren auf die Ausfolgung eines Geldbetrags gerichtet, sodass die Hauptsache unzweifelhaft als Anspruch rein vermögensrechtlicher Natur anzusehen ist; diesem vermögensrechtlichen Anspruch folgt die verfahrensrechtliche Frage der Bestellung eines im Rahmen des Erlagsverfahrens zu bestellenden Zustellbevollmächtigten. Da der Erlagsbetrag 20.000 EUR nicht erreicht, also der Entscheidungsgegenstand in der Hauptsache 20.000 EUR nicht übersteigt, kann die Erlagsgegnerin gemäß § 63 Abs 1 und 2 AußStrG ausschließlich einen binnen 14 Tagen nach Zustellung der zweitinstanzlichen Entscheidung beim Erstgericht einzubringenden Antrag an das Rekursgericht stellen, dieses möge seinen Ausspruch dahin abändern, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt werde (Zulassungsvorstellung).

Im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage ist die Vorlage des Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof verfrüht:

Steht dem Rechtsmittelwerber nur der Rechtsbehelf der Zulassungsvorstellung nach § 63 AußStrG zur Verfügung, ist das Rechtsmittel nicht dem Obersten Gerichtshof, sondern dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen (§ 69 Abs 3 AußStrG). Dies gilt auch, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ bezeichnet wird und es direkt an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist (RIS-Justiz RS0109623 [T14]). Der Oberste Gerichtshof darf über das Rechtsmittel nämlich nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RIS-Justiz RS0109623 [T10, 11, 14]). Bislang ist eine Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs demnach nicht gegeben.

Ob im Hinblick auf die mittlerweile geschehene Ausfolgung des Erlagsbetrags (siehe ON 100) überhaupt noch eine Beschwer gegeben ist und ob (allenfalls) der Schriftsatz, der keinen Antrag auf Abänderung des Zulassungsausspruchs enthält, einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

Aus diesen Erwägungen ist der Akt dem Erstgericht zurückzustellen.

Festzuhalten ist, dass die am Beschluss des Rekursgerichts angebrachte Rechtskraftbestätigung vom 13. Jänner 2010 offensichtlich irrtümlich erteilt wurde, weil dabei die Bestimmung des § 7 Abs 2 AußStrG und damit die Rechtzeitigkeit des „ao Revisionsrekurses“ übersehen wurde. Da die Wirkung der formellen Rechtskraft einer Entscheidung kraft Gesetzes eintritt und der Entscheidung als eine Eigenschaft anhaftet, kann sie nicht durch eine mit der Aktenlage unvereinbare, unrichtig anders lautende Rechtskraftbestätigung verändert werden (RIS-Justiz RS0041308; RS0040485).

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