BVwG W234 2137588-2

BVwGW234 2137588-225.4.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W234.2137588.2.00

 

Spruch:

W234 2137576-2/4E

W234 2137580-2/3E

W234 2137583-2/3E

W234 2137588-2/3E

W234 2137585-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von

1) W234 2137576-2: XXXX , geboren am XXXX ,

2) W234 2137580-2: XXXX , geboren am XXXX ,

3) W234 2137583-2: XXXX geboren am XXXX ,

4) W234 2137588-2: XXXX , geboren am XXXX ,

5) W234 2137585-2: XXXX , geboren am XXXX ,

alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2018, Zl. 1) IFA 1090434610/Verf. Zl. 171394250, 2) IFA 1090125702/ Verf. Zl. 171394276, 3) IFA 1090125201/ Verf. Zl. 171394292, 4) IFA 1090125408/ Verf. Zl. 171394306, 5) IFA 1118938506/ Verf. Zl. 171394284, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der jeweils angefochtenen Bescheide werden gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl l. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 161/2013, als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Beschwerden gemäß § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, und § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 46 und § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass jene Teile der jeweiligen Spruchpunkte II., wonach Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 nicht zuerkannt werden, ersatzlos behoben werden.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) sind ein verheiratetes Paar und ihre drei minderjährigen Kinder (beschwerdeführenden Parteien 3) bis 5)). Sie alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und stellten am 15.06.2016 (teilweise neuerliche) Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

Die ersten Anträge der beschwerdeführenden Parteien 1) bis 4) vom 07.10.2015 wurden gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen; für die Prüfung der Anträge war gemäß Art 18 (1) c der VO (EU) Nr. 604/2013 Polen zuständig.

2. Bei ihrer Erstbefragung zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz vom 15.06.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die beschwerdeführende Partei

1) soweit wesentlich an, am 23.09.2015 die Russische Föderation verlassen zu haben. Sie sei in der Heimat beschuldigt worden, Kämpfer mit Lebensmittel versorgt zu haben. Man habe ihr damit gedroht, die für sie notwendige Dialyse nicht mehr zu ermöglichen.

Die beschwerdeführende Partei 2) brachte vor, dass ihr Ehemann in der Heimat Probleme gehabt hätte; er hätte ihr nichts davon erzählt. Außerdem leide ihr Ehegatte an Tuberkulose. Diese Erkrankung werde in der Heimat nicht gut behandelt. Die beschwerdeführenden Parteien

3) bis 5) hätten keine eigenen Fluchtgründe.

3. Am 16.09.2016 wurden die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) zu ihren Anträgen befragt.

Die beschwerdeführende Partei 1) gab dabei zusammengefasst an, Dialysepatient zu sein und an Tuberkulose zu leiden, die behandelt werde. Sie habe noch Familienangehörige in der Heimat. Ungefähr zu Beginn des Jahres 2014 sei sie das erste Mal verhört worden, weil man ihr vorgeworfen habe, die Banditen in den Bergen mit Lebensmitteln zu versorgen. Bei einem zweiten Verhör habe man ihr gedroht, ihr die Dialyse nicht mehr zu ermöglichen. Ungefähr ein halbes Jahr nach dem zweiten Vorfall seien sie ausgereist. Sie habe wegen der Medikamente Probleme mit dem Gedächtnis. Zur Dialyse gehe sie seit dem 11.08.2010. Die ersten drei Jahre sei sie in Gudermes in Behandlung gewesen; danach sei sie nach Grosny gefahren, weil dort ein neues Krankenhaus eröffnet worden sei. Im ersten Jahr sei die Behandlung dort besser gewesen, danach sei es auch dort schlechter geworden. Die Tuberkulose sei im Dezember 2015 in Österreich diagnostiziert worden.

Die beschwerdeführende Partei 2) gab bei ihrer Einvernahme an, gesund zu sein. Ihr Ehemann sei in Gudermes und dann in Grosny durch Dialyse behandelt worden; danach sei es ihm immer schlecht gegangen. Für die Dialyse hätten sie nichts bezahlt. Für die Reise sei das Auto verkauft worden, das Verwandte gekauft hätten, damit die beschwerdeführende Partei 1) zur Dialyse fahren konnte. Nach den Fluchtgründen befragt, meinte die beschwerdeführende Partei 2), dass ihr Mann glaublich zweimal abgeführt worden sei. Sie selbst sei nicht zu Hause gewesen. Der erste Vorfall mit ihrem Mann sei 2014 gewesen, an Genaueres könne sie sich nicht erinnern. Der zweite Vorfall sei glaublich 2015 gewesen; sie könne sich nicht erinnern, wieviel Zeit zwischen dem Vorfall und der Ausreise gelegen habe. Ihr Mann habe aber bis zur Ausreise zur Dialyse gehen können.

4. Mit den Bescheiden des Bundesamts vom 03.10.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 15.06.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); ferner wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tschetschenien/Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.) und Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tschetschenien/Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

5.1. Gegen diese Bescheide führten die beschwerdeführenden Parteien Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht. Diese wurden - nach Abhaltung einer Verhandlung am 28.03.2017 unter Teilnahme der beschwerdeführenden Parteien 1) und 2), ihrer Vertretung und einer Dolmetscherin für die russische Sprache - mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 für die Nichtzuerkennung des Status von Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen. Unter einem wurde Spruchpunkt III. der jeweils angefochtenen Bescheide durch Folgenden Ausspruch ersetzt:

"Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Die Rückkehrentscheidung ist gemäß § 9 Abs. 1 - 3 BFA-VG bis zum 31.12.2017 vorübergehend unzulässig."

5.2. Dies begründet das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen wie folgt:

5.2.1. Zunächst traf das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen.

Entgegen der Behauptung werde nicht festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei 1) wegen des Verdachts der Unterstützung von Rebellen mitgenommen worden wäre. Nicht festgestellt werde ferner, dass der beschwerdeführende Partei 1) wegen eines solchen Verdachts von Kadyrow-Kräften Gefahr drohe.

Die beschwerdeführende Partei 1) leide an einer terminalen Niereninsuffizienz und bedürfe dreimal wöchentlich der Dialyse. Zudem werde eine Lungentuberkulose aggressiv therapiert. Zuletzt sei eine Gürtelrose aufgetreten, die behandelt werde. Weiters seien Bluthochdruck, eine passagere Panzytopenie (eine Zellzahlabnahme in allen Zellreihen der Blutbildung) und eine mittelgradige depressive Episode und Anpassungsstörungen diagnostiziert worden. Zur Behandlung der Tuberkulose sei eine Therapie für insgesamt 24 Monate (bis November 2017) in Aussicht genommen. Zudem müsse die beschwerdeführende Partei 1) eine Reihe näher genannter Medikamente einnehmen. Die mittelgradige depressive Episode wie die Anpassungsstörung würden durch eine Psychotherapeutin behandelt. Ohne Dialsyse würde die beschwerdeführende Partei 1) innerhalb von zwei bis vier Wochen versterben.

Die beschwerdeführenden Parteien 2) bis 5) seien gesund.

Die Eltern und ein Bruder der beschwerdeführenden Partei 1) würden nach wie vor in Gudermes leben. Vor ihrer Ausreise habe die beschwerdeführende Partei 1) im Herkunftsstaat eine Pension bezogen. Davor habe sie Wohnungen renoviert und ihrem Cousin beim Schuhverkauf geholfen. Nicht festgestellt werde, dass die Familienangehörigen der beschwerdeführenden Partei 1) kein Einkommen beziehen würden. Die Verwandten der beschwerdeführenden Partei 1) hätten dieser das Geld für einen Autokauf zur Verfügung gestellt, damit diese mit dem Auto zur Dialyse nach Grosny fahren könne. Zuvor habe die beschwerdeführende Partei 1) die Dialyse in Gudermes besucht; nachdem ein neues Krankenhaus in Grosny eröffnet worden sei, sei die beschwerdeführende Partei 1) ab Ende 2014/Anfang 2015 fortan dort behandelt worden. Es könne nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei 1) keinen Zugang zu notwendigen medizinischen Behandlungen im Zuge der Dialyse gehabt hätte oder solchen künftig nicht haben würde.

Nicht festgestellt werden könne, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die beschwerdeführende Partei 2) sei in Gudermes geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern und vier ihrer Geschwister würden in einem Dorf im Rayon Gudermes leben. Bis zu ihrer Hochzeit habe die beschwerdeführende Partei 2) in einem Schönheitssalon gearbeitet. Ihre Verwandten würden gelegentlich am Bau arbeiten.

Die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) würden zu ihren Verwandten in der Russischen Föderation in Kontakt stehen. Zu näher genannten Verwandten in Österreich würden die beschwerdeführenden Parteien zwar Kontakt, jedoch keine nähere Beziehung unterhalten; sie würden von diesen auch nicht finanziell unterstützt.

Die beschwerdeführende Partei 1) versuche, über das Internet Deutsch zu lernen. Einen Deutschkurs in der Unterkunft besuche sie wegen ihres gesundheitlichen Zustands nicht. Sie meine außerdem, wegen ihrer Therapien und Dialysen nicht am gesellschaftlichen Leben in der und um die Unterkunft teilnehmen zu können.

Die beschwerdeführende Partei 2) kümmere sich um die Kinder und versuche, über das Internet Deutsch zu lernen.

Die beschwerdeführende Partei 3) besuche einen Kindergarten, die anderen Kinder würden nur zu Hause betreut.

Zudem stellte das Bundesverwaltungsgericht die Ausführungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 01.06.2016 zur Russischen Föderation und Tschetschenien als maßgebliche örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat fest.

5.2.2. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht daraus im Wesentlichen Folgendes:

Da nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass die beschwerdeführende Partei 1) zweimal vom Militär wegen einer unterstellten Unterstützung von Banditen bzw. Rebellen mitgenommen und bedroht worden sei, liege für sie keine wahrscheinliche Verfolgungsgefahr vor. Die Beschwerde sei also für die Nichtgewährung des Status des Asylberechtigten abzuweisen. Da die übrigen Parteien keine davon gesonderten Fluchtgründe vorgebracht hätten, seien ihre Beschwerden hinsichtlich der Gewährung des Status von Asylberechtigten ebenso abzuweisen.

Ferner wäre den beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat die notdürftige Lebensgrundlage nicht entzogen. Denn sie erhielten im Herkunftsstaat schon eine Rente und Kinder- bzw. Mutterschaftsgeld. Zudem habe die beschwerdeführende Partei 2) schon Arbeitserfahrung in einem Schönheitssalon gesammelt. Sie könne im Herkunftsstaat erneut eine Erwerbstätigkeit aufnehmen; die dann erforderliche Hilfe bei der Kinderbetreuung könne durch Angehörige im Herkunftsstaat geleistet werden. Auch würden im Herkunftsstaat Angehörige der beschwerdeführenden Parteien vorhanden sein, die sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auch wirtschaftlich unterstützen könnten.

Auch die Erkrankungen der beschwerdeführenden Partei 1) würden nicht zur Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten führen. Denn diese Erkrankungen seien im Herkunftsstaat ausreichend behandelbar. Die Länderfeststellungen würden zeigen, dass regelmäßige Dialyse in Tschetschenien möglich sei; die beschwerdeführende Partei 1) hätte selbst berichtet, in Gudermes und Grosny kostenlos der Dialyse unterzogen worden zu sein. Zudem würden die Länderberichte wie ihre Angaben dafür sprechen, dass die beschwerdeführende Partei 1) die gelegentliche Bezahlung von begleitender medikamentöser Behandlung - auch mit Hilfe ihres familiären Netzwerks - werde entrichten können. Im Falle der Rückkehr der beschwerdeführenden Datei 1) nach Tschetschenien sei nicht mit der baldigen und markanten Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen. Zudem stehe der beschwerdeführenden Partei 1) auch eine Behandlung in anderen Teilen der Russischen Föderation offen.

Zudem bestünde in der Russischen Föderation keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Die Anträge auf internationalen Schutz seien mithin auch für den Status von subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen.

Zwar seien sämtliche beschwerdeführenden Parteien von einer allfälligen Aufenthaltsbeendigung betroffen und würden mit sonst in Österreich aufhältigen Personen kein Familienleben führen. Sie hielten sich auch erst seit ihrer ersten Asylantragstellung am 09.10.2015 in Österreich auf; die Aufenthaltsdauer gründe sich zudem nur auf ein erstes Verfahren zur Erledigung eines Antrages auf internationalen Schutz, das nicht über das Zulassungsverfahren hinausgegangen sei und auf den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Auch hätten die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) keine vertieften privaten Beziehungen geknüpft und ihr Leben bis zur Ausreise in der Russischen Föderation verbracht, wo sie nach wie vor über Familienangehörige verfügen würden. Schließlich sei für die beschwerdeführenden Parteien 3) bis 5) wegen ihres geringen Alters und kurzen Aufenthaltsdauer und wegen des Faktums, dass sie im Familienverband in den Herkunftsort zurückkehren würden, keine soziale Verfestigung in Österreich anzunehmen. Mit Blick alleine auf diese Umstände sei kein Überwiegen der privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien an ihrem Verbleib in Österreich über das öffentliche Interesse an ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat ersichtlich. Jedoch sei auch der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) zu berücksichtigen. Aus den medizinischen Unterlagen gehe nämlich hervor, dass die Tuberkulose im Zusammentreffen mit einer Niereninsuffizienz schwierig zu behandeln sei. Auch habe die Therapie wegen Resistenzen modifiziert werden müssen. Die im Entscheidungszeitpunkt in Durchführung befindliche Therapie solle einem Entlassungsbrief vom 08.02.2017 und den Angaben beschwerdeführenden Partei 1) zufolge noch bis November 2017 dauern. Die Schwierigkeiten, eine Tuberkulose zu behandeln, die mit einer Niereninsuffizienz zusammentrifft, wie die nunmehr erreichte medikamentöse Einstellung der beschwerdeführenden Partei

1) und die fachärztliche Empfehlung, die Therapie zu beenden, um eine neuerliche wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Partei zu vermeiden, verstärke das private Interesse der beschwerdeführenden Partei 1), die Tuberkulosetherapie in Österreich beenden zu können, wesentlich. Daher erscheine eine Rückkehrentscheidung zum Entscheidungszeitpunkt wegen einer drohenden Verletzung der der beschwerdeführenden Partei 1) in ihrem Recht auf Privatleben gemäß Art. 8 EMRK unzulässig. Da es sich dabei jedoch um Umstände handle, die ihrem Wesen nach vorübergehend seien, weil die Tuberkulosetherapie voraussichtlich Ende des Jahres 2017 abgeschlossen werden sollte, sei festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur bis dahin unzulässig sei. Deswegen sei der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet bis zur Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 46a Abs. 1c FPG geduldet.

Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

6. Am 15.12.2017 stellten die beschwerdeführenden Parteien die hier maßgeblichen Anträge auf internationalen Schutz.

6.1.1. In der Erstbefragung (AS 9 ff) am 16.12.2017 gab die beschwerdeführende Partei 1) zur Begründung, weswegen sie einen Folgeantrag stelle, an, dass ihr ihre Mutter und ihr Cousin Schreiben übersendet hätten, wonach sie nach wie vor von den Sicherheitsbehörden gesucht werde. Ihr werde vorgeworfen, dass sie im Jahr 2016 in Dagestan Terroristen unterstützt hätte, obwohl sie hier in Österreich gewesen sei. Außerdem sei die beschwerdeführende Partei 1) schwer krank. Die Änderungen ihrer Situation seien der beschwerdeführenden Partei 1) seit Oktober 2017 bekannt. Ferner sei sie ein Dialysepatient und werde daher in Tschetschenien nicht behandelt. Müsste sie in den Herkunftsstaat zurückkehren, sorge sie sich um ihr Leben. Sie wolle nicht, dass ihre Kinder ohne Vater aufwachsen. Konkrete Hinweise, dass der beschwerdeführenden Partei

1) eine unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohten oder sie mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, würden nicht vorliegen.

Anlässlich der Erstbefragung legte die beschwerdeführende Partei 1) ein Schreiben der I. medizinischen Abteilung des Landesklinikums XXXX vom 05.12.2017 vor, dem zufolge sie seit dem 27.02.2016 in der genannten Krankenanstalt dreimal pro Woche der Dialyse wegen einer terminalen Niereninsuffizienz unterzogen werde; die Ursache der Niereninsuffizienz sei unbekannt. Als Co-Morbiditäten würden eine ausbehandelte Lungentuberkulose, Hypertonie und Panzytopenie bestehen.

6.1.2. In der Erstbefragung am 16.12.2017 (AS 11 ff) gab beschwerdeführende Partei 2) zu den Neuerungen ihres Falles an, dass die Familie nicht nach Tschetschenien zurückkehren könne, weil die beschwerdeführende Partei 1) dort Probleme mit den Sicherheitsbehörden habe; die beschwerdeführende Partei 2) wolle mit ihrer Familie ein ruhiges Leben führen. Sie habe Angst, dass ihr Gatte in der Heimat umgebracht werde. Konkrete Hinweise auf eine unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, Todesstrafe oder andere Sanktionen im Herkunftsstaat würden nicht vorliegen. Die Änderungen der Situation seien der beschwerdeführenden Partei 2) seit Oktober 2017 bekannt. Außerdem sei die beschwerdeführende Partei 2) in der 4. oder 5. Woche schwanger.

6.1.3. Für die übrigen beschwerdeführenden Parteien machten ihre Eltern im Zuge dieser Erstbefragungen keine gesonderten Fluchtgründe geltend.

6.2.1. In der Einvernahme (AS 51 ff) durch das Bundesamt am 05.02.2018 gab die beschwerdeführende Partei 1) an, Anfang Oktober 2015 in das österreichische Bundesgebiet eingereist zu sein und dieses seither nicht mehr verlassen zu haben. Ihre Fluchtgründe aus dem Erstverfahren würden noch bestehen und seien aufrecht. Die beschwerdeführende Partei 1) habe mit Verwandten in der Heimat per Internet kommuniziert. Diese hätten ihr gesagt, dass noch immer nach ihr gesucht werde. "Diese Leute" hätten auch behauptet, die beschwerdeführende Partei 1) im Jahre 2016 in Dagestan gesehen zu haben. Dies könne jedoch nicht stimmen, weil sie sich zu dieser Zeit in Österreich aufgehalten habe. Um wen es sich bei den Personen handele, die nach ihr suchten, wisse die beschwerdeführende Partei

1) nicht. Sie vermute jedoch, dass es sich um Angehörige des Militärs handle, weil sie uninformiert gewesen seien. Etwa seit 2014 werde schon nach der beschwerdeführenden Partei 1) gesucht. Zudem habe es vor zwei oder drei Wochen einen weiteren Vorfall gegeben. Die beschwerdeführende Partei 1) habe mit einem ehemaligen Nachbarn per Internet kommuniziert. Nach einigen Telefonaten sei dieser verschwunden. Eine Woche lang, habe niemand gewusst, wo er gewesen sei. Nach seiner Rückkehr habe der Nachbar seinen Verwandten gesagt, dass er mit Strom gefoltert worden wäre. Seitdem könne ihn die beschwerdeführende Partei 1) nicht mehr erreichen. Sie vermute, dass dies ihretwegen passiert sei. Diese Information habe sie von ihren Eltern per Internet erhalten. Dass sie im Herkunftsstaat verfolgt werde, habe sich nicht geändert. Auch die Situation in ihrem Heimatland habe sich nicht verbessert. Die beschwerdeführende Partei

1) befürchte, ihre Familie und sich selbst bei einer Rückkehr in Gefahr zu bringen. Sie rechnen damit, von jenen Leuten umgebracht zu werden, die ihre Verwandten aufgesucht hätten.

Zu ihrem Gesundheitszustand gab die beschwerdeführende Partei 1) an, sich nach wie vor in ärztlicher Behandlung zu befinden und Medikamente einzunehmen. Seit November 2015 leide sie unter Tuberkulose, seit 2010 unter Nierenproblemen. Die Tuberkuloseerkrankung habe sich gebessert, die beschwerdeführende Partei 1) nehme jedoch noch immer Medikamente ein. Der Arzt habe gesagt, in zwei Jahren sei ihre Tuberkulose geheilt.

In Österreich lebe die beschwerdeführende Partei 1) mit den übrigen beschwerdeführenden Parteien zusammen. Vor kurzem habe sie auch erfahren, dass ein Onkel in Graz lebe. Einmal habe er die beschwerdeführenden Parteien in der Unterkunft besucht. Ansonsten stehe die beschwerdeführende Partei 1) zu ihm per Internet in Kontakt. Eine finanzielle Abhängigkeit zu diesem Onkel bestehe nicht. Zudem habe die beschwerdeführende Partei 1) Deutschkurse besucht und spreche ein wenig Deutsch. Sie sei nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen in Österreich. Der Lebensunterhalt der beschwerdeführenden Parteien werde aus der Sozialhilfe bestritten.

Anlässlich dieser Einvernahme legte die beschwerdeführende Partei 1) ein Konvolut von medizinischen Befunden vor. Darunter befindet sich ein Schreiben der I. medizinischen Abteilung des Landesklinikums XXXX vom 09.10.2017, dem zufolge die beschwerdeführende Partei 1) an terminaler Niereninsuffizienz, multiresistenter Tuberkulose unter Langzeit-tuberkulostatischer Therapie, einem Zustand nach Hepatitis B, arterieller Hypertonie und Polyneuropathie leide; die antituberkulostatische Therapie solle bis mindestens November 2017 weiter fortgesetzt werden; bis zu einer Nierentransplantation werde die beschwerdeführende Partei 1) lebenslang dreimal wöchentlich der Hämodialyse bedürfen. Ferner legte die beschwerdeführende Partei 1) ein Schreiben der 2. internen Lungenabteilung - 2. interne Lungenambulanz der Krankenanstalt SMZ Otto-Wagner-Spital vom 10.10.2017 vor, dem zufolge ein Thoraxröntgen im radiologischen Bildvergleich mit früheren Aufnahmen einen sehr zufriedenstellenden Befund ergeben habe. Die Therapie könne wie geplant Ende November beendet und näher genannte Arzneimittel ersatzlos gestrichen werden; es werde noch eine Abschlussuntersuchung für Ende Februar empfohlen. Das Konvolut an medizinischen Unterlagen enthält ferner zwei Medikamentenlisten des Landesklinikums XXXX . Diese sind mit 15.09.2017 und 21.11.2017 datiert. Der Medikamentenliste vom 15.09.2017 zufolge müsse die beschwerdeführende Partei 1) eine Reihe näher genannter Medikamente einnehmen; einige dieser Medikamente sind mit der Bemerkung versehen "bis 30.11.2017 Tuberkulose-Therapie". Der Medikamentenliste vom 21.11.2017 zufolge müsse die beschwerdeführende Partei 1) nach wie vor eine Reihe von Arzneimitteln einnehmen, wobei jene Medikamente nicht mehr gelistet sind, die auf der Liste vom 15.09.2017 die Bemerkung "bis 30.11.2017 Tuberkulose-Therapie" tragen.

6.2.2. In der Einvernahme durch das Bundesamt am 05.02.2018 (AS 47 ff) gab die beschwerdeführende Partei 2) an, im Oktober 2015 in das österreichische Bundesgebiet eingereist zu sein und dieses seither nicht mehr verlassen zu haben. Nach Neuerungen befragt, gab sie an, die Fluchtgründe und Probleme im Herkunftsstaat aus dem Erstverfahren würden immer noch bestehen; neue Fluchtgründe habe sie nicht vorzubringen. Müsste sie in den Herkunftsstaat zurückkehren, würde sie um ihre drei Kinder bangen. In Tschetschenien wäre ihre Familie in Gefahr. Sie rechne damit, dass ihr Ehegatte in Tschetschenien umgebracht würde und sie dann mit den Kindern alleine sei.

In Österreich lebe sie mit den anderen beschwerdeführenden Parteien zusammen. Ferner lebe eine Cousine in Graz, zu der telefonischer Kontakt bestehe; eine finanzielle Abhängigkeit würde nicht vorliegen. Die beschwerdeführende Partei 2) habe einen Deutschkurs besucht und spreche ein wenig Deutsch. Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation in Österreich sei sie nicht. Sämtliche beschwerdeführenden Parteien würden von der Sozialhilfe leben.

Ferner habe die beschwerdeführende Partei 2) im Dezember eine Fehlgeburt erlitten; dazu legte sie einen Kurzarztbrief des Landesklinikums XXXX vom 19.12.2017 vor, dem zufolge sie am 18.12.2017 in der Krankenanstalt aufgenommen gewesen sei; es sei eine komplette Fehlgeburt diagnostiziert worden. Als Therapie werde Schonung und eine Kontrolle in der gynäkologischen Ambulanz vorgeschlagen. Lediglich bei Auftreten von Beschwerden, starken Blutungen und Schmerzen sei eine frühere Wiedervorstellung angezeigt.

6.2.3. In der Einvernahme durch das Bundesamt am 05.02.2018 gab die beschwerdeführende Partei 2) an, als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien aufzutreten; die von ihr gemachten Angaben würden auch für ihre Kinder gelten. Zusätzliche Fluchtgründe wurden für die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien nicht behauptet.

7. Mit Bescheiden vom 10.02.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 15.12.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (jeweils Spruchpunkt I.). Unter einem wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 FPG 2005 gegen die beschwerdeführenden Parteien erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG 2005 in die Russische Föderation zulässig sei (jeweils Spruchpunkt II.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Parteien bestehe gemäß § 55 Abs 1a FPG 2005 nicht.

Dies begründet das Bundesamt im Wesentlichen wie folgt:

Für eine allfällige Zuerkennung des Status des Asylberechtigten könne kein gegenüber den früheren Asylverfahren wesentlich geänderter entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden; ein solcher sei in der Behauptung, nach der beschwerdeführenden Partei 1) sei neuerlich im Herkunftsland gesucht worden, was sie durch näher genannte Verwandte erfahren hätte, nicht zu erkennen. Auch die Rechtslage habe sich seit Abschluss des letzten inhaltlichen Asylverfahrens nicht wesentlich geändert.

Auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien keine wesentlichen Sachverhaltsänderungen verglichen mit dem letzten inhaltlichen Asylverfahren feststellbar:

Schon der letzten inhaltlichen Asylentscheidung, dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017, sei zugrundegelegt worden, dass die beschwerdeführende Partei 1) regelmäßiger Dialyse bedürfe und an Tuberkulose erkrankt sei. Schon im Erstverfahren sei festgestellt worden, dass ihre Erkrankungen im Herkunftsstaat behandelbar seien. Im Übrigen habe sich die Tuberkuloseerkrankung der beschwerdeführenden Partei 1) seit Abschluss des letzten inhaltlichen Asylverfahrens sogar gebessert.

Die Rückkehrentscheidung greife in das Recht der beschwerdeführenden Parteien auf Achtung ihres Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nicht ein. Der mit der Rückkehrentscheidung einhergehende Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens erscheine gerechtfertigt.

Diese Bescheide wurden den beschwerdeführenden Parteien am 28.02.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

8. Gegen diese Bescheide richten sich gleichlautende Beschwerden, welche am 26.03.2018 beim Bundesamt per E-Mail einlangten.

Darin rügen die beschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen, dass das Bundesamt nur mangelhafte Ermittlungen zum Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) gesetzt habe. Denn es hätten keine Ermittlungen dazu stattgefunden, welche Gesundheitsbeeinträchtigungen für die beschwerdeführende Partei 1) mit ihrer Abschiebung wegen der Unterbrechung ihrer Behandlung einhergehen würden. Dazu beantragte die beschwerdeführende Partei 1) in eventu die Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass die Unterbrechung und der Abbruch ihrer Behandlung zu einer gravierenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen würden. Ferner habe das Bundesamt keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Erkrankungen der beschwerdeführenden Partei 1) in Tschetschenien behandelbar seien, sie Zugang dazu hätte und sich diese auch finanziell leisten könne. Feststellungen dazu, ob eine Behandlung von Tuberkulose und Dialyse möglich und leistbar sein, würden zur Gänze fehlen.

Zudem liege für das Vorbringen, dass die beschwerdeführende Partei

1) von ihrer Familie darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass sie nach wie vor von den Sicherheitsbehörden Herkunftsland gesucht werde, keine entschiedene Sache vor.

9. Mit E-Mail vom 16.04.2018 übersendete die beschwerdeführende Partei 1) ein Schreiben der I. medizinischen Abteilung des Landesklinikums XXXX vom 06.04.2018. Darin wird berichtet, dass die beschwerdeführende Partei 1) dreimal wöchentlich wegen einer terminalen Niereninsuffizienz dem Dialyseprogramm unterzogen werde. Als Co-Morbiditäten würden eine ausgeheilte Lungentuberkulose, Hypertonie, renale Anämie sowie Hyperparathyreoidismus bestehen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage sämtlicher Asylanträge der beschwerdeführenden Parteien, ihrer Einvernahmen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der bislang ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide vom 10.02.2018, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, das Zentrale Melderegister, das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem und das Strafregister der Republik Österreich werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zunächst stellt das Bundesverwaltungsgericht den bisherigen Verfahrensgang wie unter Pkt I. beschrieben fest. Dies schließt insbesondere auch die Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz vom 15.06.2016 und den rechtskräftigen Abschluss der betreffenden Verfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 und dessen Inhalte ein.

1.2. Zu den beschwerdeführenden Parteien:

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Sie befinden sich seit Anfang Oktober 2015 durchgängig im Bundesgebiet; die beschwerdeführende Partei 5) wurde am 31.05.2016 im Bundesgebiet geboren.

Die beschwerdeführende Partei 1) leidet an einer terminalen Niereninsuffizienz und bedarf dreimal wöchentlich der Dialyse. Sie leidet ferner an Hypertonie und Panzytopenie. Dass die beschwerdeführende Partei 1) an diesen Erkrankungen leidet und dreimal wöchentlich der Dialyse bedarf, war schon vor Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 der Fall. Die Lungentuberkulose der beschwerdeführenden Partei 1) gilt mittlerweile als austherapiert. Sollte die beschwerdeführende Partei 1) nicht der Dialyse unterzogen werden, ist - wie schon vor Abschluss des letzten Asylverfahrens - damit zu rechnen, dass sie innerhalb von zwei bis vier Wochen sterben würde.

Nach wie vor muss die beschwerdeführende Partei 1) eine Reihe von Medikamenten einnehmen. Dabei handelt es sich zunächst um jene Präparate, für die schon im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt wurde, dass sie die beschwerdeführende Partei 1) benötigt. Seither hinzugekommen sind die Medikamente Osvaren Filmtabletten und Rocaltrol 0,5 mg-Kapseln, welche die beschwerdeführende Partei 1) täglich einzunehmen hat.

Die beschwerdeführenden Parteien 2) bis 5) sind gesund.

Die beschwerdeführende Partei 2) ist nicht schwanger.

Nach wie vor leben Verwandte der beschwerdeführenden Parteien 1) und

2) im Herkunftsstaat, darunter die Eltern der beschwerdeführenden Partei 1).

Vor ihrer Ausreise bezog die beschwerdeführende Partei 1) im Herkunftsstaat eine Pension. Davor hat sie Wohnungen renoviert und ihrem Cousin beim Schuhverkauf geholfen. Die Verwandten der beschwerdeführenden Partei 1) weisen geordnete wirtschaftliche Verhältnisse auf. Ursprünglich hat die beschwerdeführende Partei 1) die Dialyse in Gudermes besucht; nachdem ein neues Krankenhaus in Grosny eröffnet worden war, wurde sie ab Ende 2014/Anfang 2015 fortan dort behandelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei 1) in der Vergangenheit keinen Zugang zu notwendigen medizinischen Behandlungen und Medikamenten im Verbund mit der Dialyse gehabt hätte oder solchen künftig nicht haben würde. Festgestellt wird, dass auch für die Zukunft zu erwarten ist, dass die beschwerdeführende Partei 1) hinreichenden Zugang zu Dialyseleistungen einschließlich der begleitenden Medikation - inklusive der seit Abschluss des letzten Asylverfahrens neu hinzugekommenen Arzneien - im Herkunftsstaat haben wird.

Die beschwerdeführende Partei 2) ist in Gudermes geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern und vier ihrer Geschwister leben in einem Dorf im Rayon Gudermes leben. Bis zu ihrer Hochzeit hat die beschwerdeführende Partei 2) in einem Schönheitssalon gearbeitet. Ihre Verwandten arbeiten gelegentlich am Bau.

Die beschwerdeführende Partei 1) steht zu ihren Verwandten in der Russischen Föderation in Kontakt. Zu näher genannten Verwandten in Österreich stehen die beschwerdeführenden Parteien zwar in Kontakt, unterhalten jedoch keine nähere Beziehung zu ihnen; sie werden von diesen auch nicht finanziell unterstützt.

Die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) haben Deutschkurse besucht, waren aber nicht dazu in der Lage, die Einvernahmen ohne Beiziehung eines Dolmetschers durchzuführen.

Sämtliche Beschwerdeführer leben im Bundesgebiet von der Sozialhilfe.

Die beschwerdeführende Partei 3) besuchte zuvor den Kindergarten und nunmehr die Schule.

1.3. Nicht festgestellt wird, dass die beschwerdeführende Partei 1) im Herkunftsstaat neuerlich wegen einer (unterstellten) Unterstützung von Rebellen gesucht würde und ihr deswegen Sanktionen einschließlich des Vorenthaltens medizinischer Leistungen - insbesondere der Dialyse - drohen würden.

1.4. Zu den Medikamenten, welche die beschwerdeführende Partei 1) seit Abschluss des letzten Asylverfahrens zusätzlich einnimmt:

OsvaRen wird angewendet zur Behandlung von hohen Blutphosphatwerten bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz, bei denen eine Dialyse durchgeführt wird. Bei eingeschränkter Nierenfunktion liegen generell auch hohe Phosphatwerte im Blut vor. Das kann zu Knochenproblemen führen. OsvaRen bindet Phosphat und gleicht somit Ihre Phosphatwerte aus.

Calcitriol, der Wirkstoff von Rocaltrol, ist die eigentlich wirksame Form des Vitamin D. Es ist mit dem im menschlichen Organismus gebildeten Vitamin D identisch. Calcitriol fördert die Aufnahme von Kalzium aus der Nahrung und führt zu einer Erhöhung der Kalzium- und Phosphatmenge im Blut. Die Kalzium- und Phosphatmenge ist notwendig für die Stabilität des Knochensystems. Rocaltrol fördert somit das Knochenwachstum und die Knochenstabilität. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist die Bildung von Calcitriol im Organismus vermindert bis aufgehoben. Dieser Mangel begünstigt die Entstehung von krankhaften Knochenveränderungen, wie sie bei schweren Nierenerkrankungen auftreten. Durch Einnahme von Rocaltrol können derartige Folgeschäden vermieden werden.

1.5. Zu den örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat übernimmt das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen der hier angefochtenen Bescheide, welche den Ausführungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom Juli 2017 entsprechen. Die davon maßgeblichen Abschnitte lauten:

"Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3 .2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3 .2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3 .2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3 .2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3 .2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 24.1.2017).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar. Ein weiteres Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine harte Politik der Einschüchterung und Repression extremistischer Elemente. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer nach Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2016).

Im ersten Quartal des Jahres 2017 gab es im Nordkaukasus 45 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 36 Todesopfer (25 Aufständische, 11 Exekutivkräfte) und neun Verwundete (sieben Exekutivkräfte, zwei Zivilisten). In Tschetschenien wurden im selben Zeitraum elf Exekutivkräfte und 17 Aufständische getötet, zwei Zivilisten und sechs Exekutivkräfte wurden verletzt. In Dagestan wurden im selben Zeitraum acht Aufständische getötet und ein Polizist verletzt. In Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschay-Tscherkessien, Nordossetien-Alania und im Stavropol Gebiet gab es im selben Zeitraum keine Opfer (Caucasian Knot 15.5.2017).

Im Jahr 2016 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 287 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 258; 2014: 525 Opfer). 202 davon wurden getötet (2015: 209; 2014: 341), 85 verwundet (2015: 49; 2014: 184) (Caucasian Knot 2.2.2017). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).

Quellen:

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).

2016 gab es in Tschetschenien 43 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015: 30; 2014: 117), davon 27 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hat einen Anschlag auf einen russischen Militärstützpunkt in Tschetschenien für sich reklamiert. Sechs Angreifer hätten am Freitag, den 24.3.2017 eine Militärbasis der russischen Nationalgarde nahe dem Dorf Naurski im Nordwesten Grosnys in Tschetschenien gestürmt. Alle Angreifer seien bei den mehrstündigen Kämpfen auf dem Stützpunkt getötet worden (Zeit Online 24.3.2017). Nach Armeeangaben wurden bei dem Angriff auch sechs russische Nationalgardisten getötet. Die Nationalgarde erklärte, der Angriff sei in den frühen Morgenstunden bei dichtem Nebel erfolgt. Die Soldaten auf dem Stützpunkt hätten den Angriff zurückgeschlagen. Außer den Toten habe es auch Verletzte gegeben. Die im vergangenen Jahr gebildete Nationalgarde ist direkt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt. Sie hat den Auftrag, Grenzen zu schützen und Extremisten zu bekämpfen (Focus Online 24.3.2017).

Quellen:

Rechtsschutz/Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassung, Zivil, Administrativ und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (lt. Amnesty International in 0,5% der Fälle) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang sind. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings weiterhin um Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AA 24.1.2017).

Am 7. Juli 2016 wurden die unter dem Begriff Yarovaya-Paket zusammengefassten Änderungen der Gesetze zur Bekämpfung des Extremismus in Kraft gesetzt. Die geänderten Rechtsvorschriften waren zu weiten Teilen unvereinbar mit Russlands internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte. So wurden alle missionarischen Aktivitäten außerhalb eigens dazu bestimmter religiöser Institutionen verboten und Provider dazu verpflichtet, den gesamten Nachrichtenverkehr sechs Monate lang und alle Metadaten drei Jahre lang zu speichern. Zudem wurde die Höchststrafe für extremistische Delikte von vier auf acht Jahre und für Anstiftung zur Beteiligung an Massenunruhen von fünf auf zehn Jahre Haft angehoben. Am 16. November 2016 kündigte Präsident Putin an, dass Russland nicht länger beabsichtige, Vertragsstaat des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu werden. Russland hatte das Statut im Jahr 2000 unterschrieben, jedoch nie ratifiziert (AI 22.2.2017).

Im November 2013 ist in Russland ein Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 3.3.2017).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Es gibt Bestrebungen zu einer weiteren Entkriminalisierung leichterer Straftaten, bislang allerdings ohne konkrete Ergebnisse. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 24.1.2017).

Quellen:

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, ein Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013, vgl. US DOS 3.3.2017). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 24.1.2017).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 24.1.2017).

Auch 2016 übte die tschetschenische Führung unmittelbaren Druck auf die Justiz aus. Am 5. Mai berief Ramzan Kadyrov eine Versammlung aller Richter ein und zwang vier von ihnen zum Rücktritt. Eine Reaktion seitens der Behörden der Russischen Föderation gab es darauf nicht (AI 22.2.2017).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Im April 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 3.3.2017).

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 24.1.2017).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenith 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramsan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017).

NGOs berichten, dass lokale Polizeibeamten manchmal nicht auf Anzeigen von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt reagieren, solange das Leben des Opfers nicht in Gefahr ist. Viele Frauen melden keine Vergewaltigungen oder andere Arten von Gewalt, besonders wenn sie von Ehepartner begangen wurden, aufgrund des sozialen Stigmas und dem Mangel an offizieller Unterstützung (US DOS 3.3.2017, vgl. EASO 3.2017).

Quellen:

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2016, vgl. EASO 3.2017).

Aus ganz Russland werden Folter und Todesfälle von Häftlingen - insbesondere in Polizeigewahrsam oder in Untersuchungshaft - gemeldet. NGOs wie "Amnesty International" oder das russische "Komitee gegen Folter" berichten, dass es bei Verhaftungen, in Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch die Polizei und die Ermittlungsbehörden kommt. Opfer, die ihr Recht auf Entschädigung geltend machen wollten, wurden häufig unter Druck gesetzt, um sie zu einer Rücknahme ihrer Klage zu bewegen. Untersuchungen von Foltervorwürfen blieben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" wurden vor Gericht als Beweismittel anerkannt. Nur in einigen wenigen Fällen, in denen sich Menschenrechtsorganisationen eingeschaltet hatten, wurde Anklage gegen die an der Folter beteiligten Staatsbediensteten erhoben. Es gibt v.a. im Nordkaukasus Fälle von Folter sowie Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte (AA 24.1.2017).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 3.3.2017).

Auch 2016 waren systematische Folter und andere Misshandlungen in den ersten Tagen der Haft und in Gefängniskolonien weit verbreitet (AI 22.2.2017).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).

Quellen:

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

Rassendiskriminierung (1969)

Zusatzprotokoll (1991)

Zusatzprotokoll (2004)

Behandlung oder Strafe (1987)

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich weiter verschlechtert. Neben der mangelnden Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten sind v. a. Gewaltakte im Strafvollzug gegenüber Häftlingen und deren unzureichende medizinische Versorgung gravierende Probleme. Die damalige Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, mahnte in ihrem Jahresbericht 2015 unter anderem eine Präzisierung des Begriffes "politische Tätigkeit" im Gesetz über NGOs an. Im Mai 2016 kam es in der Tat zu einer Gesetzesänderung. Seitdem wird allerdings nahezu jede NGO-Aktivität im öffentlichen Raum als "politisch" gewertet. Das hat zur Folge, dass NGOs in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen werden können, wodurch sie häufig gezwungen sind, ihre Tätigkeiten massiv einzuschränken oder sogar einzustellen. Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Zuletzt hat er angemahnt, Amnesty International Zugang zu ihren von der Moskauer Stadtverwaltung geschlossenen Büros zu gewähren. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt. Auch der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2015, 14,2% der anhängigen Fälle (9.200 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2015 hat der EGMR 116 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an. Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus und konstatierten mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Hälfte der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. Im Rahmen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation wird von teilweise schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet. Die OSZE (ODIHR und High Commissioner for National Minorities) berichtete im September 2015 über Einschränkungen der Versammlungs-, Vereinigungs-, Bewegungs- und Meinungsfreiheit. Im Wesentlichen leiden Kritiker der Krim-Annexion, Angehörige der Krim-Tataren, Vertreter des Kiewer Patriarchats der orthodoxen Kirche, der katholischen und protestantischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas unter Einschränkungen ihrer Rechte. Im September 2016 wurde die Mejlis, der repräsentative Rat der Krimtataren, vom russischen Obersten Gerichtshof als extremistische Organisation eingestuft und verboten. Diverse Mejlis-Mitglieder erleiden (polizeiliche) Repressalien oder stehen unter Anklage (AA 24.1.2017).

Menschenrechtsverletzungen kommen regelmäßig vor. Zwar werden in Russland die Grundrechte in der Verfassung garantiert, es wächst jedoch der Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit. Die Staatsführung bekennt sich offiziell zur Einhaltung der Menschenrechte, stellt einige jedoch mit Verweis auf "traditionelle russische Werte" infrage (z.B. Nicht-Diskriminierung von LGBT-Personen) und leistet Verletzungen Vorschub (z.B. Stigmatisierung kritischer Stimmen als staatsfeindlich) bzw. bemüht sich nicht ausreichend um Prävention und Strafverfolgung (z.B. Übergriffe gegen Journalisten). Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen bleibt der Nordkaukasus. Im Verlauf des Berichtszeitraumes hat sich trotz rückläufiger Opferzahlen die Sicherheits- und Menschenrechtslage in der Region insgesamt nicht verbessert. Insbesondere in Dagestan, Inguschetien und Tschetschenien bleibt die Menschenrechtslage schlecht. Die Sorge vor einer möglichen Ausbreitung der Gewalt im bislang relativ ruhigen westlichen Nordkaukasus besteht fort (AA 24.1.2017).

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung sowie auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit waren im Jahr 2016 verstärkten Einschränkungen unterworfen. Menschenrechtsverteidiger wurden wegen ihrer Aktivitäten mit Geldstrafen belegt oder strafrechtlich verfolgt. Zum ersten Mal kam es wegen eines Verstoßes gegen das sogenannte Agentengesetz zur Strafverfolgung. Eine Reihe von Personen wurde wegen ihrer Kritik an der Staatspolitik oder des Besitzes bzw. Verbreitens extremistischer Materialien nach den Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus unter Anklage gestellt. Es gab Berichte über Folterungen und andere Misshandlungen in den Strafvollzugsanstalten des Landes (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2017a).

Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt. Laut einer rezenten Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%) (ÖB Moskau 12.2016).

Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und traf sich mit den einzelnen Republikoberhäuptern (ein Treffen mit Ramzan Kadyrow wurde abgesagt, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters der NGO Komitee gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten) (ÖB Moskau 12.2016).

Quellen:

Tschetschenien

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Im März 2016 wurde eine Gruppe russischer und ausländischer Journalisten und Menschenrechtler an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien attackiert, ihre Fahrzeuge wurden in Brand gesteckt. Die Pressereise war von der russischen NGO "Komitee gegen Folter" organisiert worden, die in Tschetschenien bereits in den letzten Jahren zur Zielscheibe geworden war (ÖB Moskau 12.2016, vgl. AI 22.2.2017).

In den letzten Monaten häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischen Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der soziökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow darüber hinaus mit einer kaum verhüllten Warnung vor Kritik an seiner Politik in einem TV-Beitrag an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora. Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein; man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow (ÖB Moskau 12.2016).

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 12.1.2017).

Auch 2016 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Operationen der Sicherheitskräfte gemeldet, darunter Fälle von Verschwindenlassen und mutmaßlichen außergerichtlichen Hinrichtungen. Auch Menschenrechtsverteidiger waren in der Region gefährdet (AI 22.2.2017, vgl. HRW 12.1.2017).

Quellen:

Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2016). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows De facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet würden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützerinnen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

Als Vergeltungsmaßnahme sollen tschetschenische Sicherheitskräfte im Jänner 2017 27 Menschen hingerichtet haben. Das berichtete die russische regierungskritische Zeitung "Nowaja Gaseta" unter Berufung auf lokale Ordnungskräfte. Demnach wollte die tschetschenische Führung den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramsan Kadyrow bei einem Auftritt in Grosny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015). [Neuere Zahlen konnten nicht gefunden werden.]

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).

Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der KA der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.04.2014 auf youtube veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe und die Anfragen seien gestellt worden zur Identifizierung der Militärangehörigen, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt würden, konnten ho. nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden, es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über antiterroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

2. Zahlreichen Personen, nach denen von russischen Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. Fall (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. Fall (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

Quellen:

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert, die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Straffvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Allein im Jahr 2014 stellte der EGMR in fast 30 Urteilen gegen Russland fest, dass die Haftbedingungen noch immer gegen Art. 3 EMRK verstoßen. Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände (unzureichende Sanitäreinrichtungen, kein ausreichendes Ventilationssystem, Unterbringung mit Häftlingen mit Infektionskrankheiten), akuter Platzmangel (zu viele Häftlinge in zu kleinen Zellen) und Mangel an medizinischer Betreuung (ÖB Moskau 12.2016).

Die Situation im Strafvollzug ist unbefriedigend. Die Regierung ist allerdings bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien (in Russland Oberbegriff für Haftanstalten, in denen eine gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe verbüßt wird) und die Bedingungen des Strafvollzugs bleiben sehr schwierig. Die meisten Strafanstalten und Untersuchungsgefängnisse sind veraltet und überbelegt. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist vielfach nur gelegentlich möglich. Das Essen ist einseitig und vitaminarm. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Besonders schlecht ist die Lage in den Untersuchungshaftanstalten. Im Vergleich zu den Strafkolonien berichten Insassen von deutlich schlechteren Haftbedingungen (z.B. Überbelegungen) und viel geringerem Schutz gegenüber ungerechten Behandlungen. Die Untersuchungshaft wird in Einzelfällen über Jahre verlängert. Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Untersuchungshäftlinge jedoch rückläufig. Die unter Präsident Medwedew erfolgte Liberalisierung des Strafrechts für Wirtschaftsvergehen (u.a. teilweise Abschaffung der Untersuchungshaft) wird in vielen Fällen von Gerichten und Strafvollzugsbehörden nicht umgesetzt und dient manchmal korrupten Ermittlern als Mittel zur Erpressung von Geldzahlungen durch Unternehmer. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling effektiver vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge seien dort oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Nadeschda Tolokonnikowa von der Aktionsgruppe Pussy Riot beschrieb in einem offenen Brief zudem ein System der Zwangsarbeit, in dem auf die Häftlinge u.a. durch Mitgefangene psychischer und physischer Druck zur "Disziplinierung" ausgeübt werde (AA 24.1.2017).

Auch das UK Foreign and Commonwealth Office ist besorgt über die Menschenrechtsstandards in Gefängnissen und über die Unabhängigkeit der öffentlichen Einrichtungen, die die Gefängnisse beobachten (UK FCO 8.2.2017). Aufgrund der unangemessenen medizinischen Versorgung in den Hafteinrichtungen war das Leben vieler Gefangener gefährdet (AI 22.2.2017).

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafenkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017). 650.000 Menschen sitzen in Russland hinter Gittern, das ist absolut und prozentuell die zweithöchste Zahl an Strafgefangenen in den entwickelten Industrieländern. Übertroffen wird Russland in dieser Statistik nur von den USA. Doch während die Gesamtzahl in Russland immerhin rückläufig ist - in den letzten zehn Jahren ist sie um ein Viertel gesunken - stieg die Zahl der Rezidivisten auf ein Allzeithoch. Fast jeder zweite Strafgefangene in Russland ist Wiederholungstäter. Die Strafe soll vor allem für Ersttäter und bei geringeren Vergehen - maximale Haftstrafe bis zu fünf Jahre - angewendet werden. Die Verurteilten sind weniger isoliert und geraten auch nicht mehr in die Abhängigkeit krimineller Autoritäten, so das Konzept. Daneben gibt es noch andere Beweggründe für die Einführung: So könne der Staat die Straftäter zur Arbeit dort einsetzen, wo sie gebraucht würden und behält parallel auch noch einen Teil des Lohns zur Tilgung des Schadens ein, den der Verurteilte verursacht habe, erklärte Nwer Gasparjan, Berater der Anwaltskammer in Russland. Genaue Angaben dazu, welche Arbeiten die Verurteilten ausführen müssen, gibt es nicht. In der Diskussion steht, dass sie für Begrünungs- oder Reinigungsarbeiten in den Städten eingesetzt werden. Das Gulag-System zur Ausbeutung von Gefangenen zur schweren körperlichen Arbeit soll jedenfalls nicht wiederbelebt werden (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017).

Quellen:

Todesstrafe

Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist noch nicht ratifiziert. Das russische Verfassungsgericht hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe am 19.11.2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist (ÖB Moskau 12.2016, vgl. GIZ 4.2017a).

Quellen:

Religionsfreiheit

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 24.1.2017). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2017c vgl. SWP 4.2013).

2016 kriminalisierten Gesetze private religiöse Reden, die Zeugen Jehovas stehen vor einem landesweiten Verbot und es kommt vor, dass Muslime in fingierten Prozessen des Terrorismus und Extremismus angeklagt werden. Im Nordkaukasus, besonders in Tschetschenien und Dagestan führen Sicherheitskräfte Verhaftungen, Entführungen und Verschwindenlassen von Personen aus, die man verdächtigt, Beziehungen zum "nicht-traditionellen" Islam zu haben. Die Sicherheitskräfte können zumeist mit Straffreiheit rechnen (USCIRF 26.4.2017). Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2014 haben die Behörden erfolgreich die Ausreise von Extremisten reduziert und die Rekrutierung sowie potentielle Terrorzellen selbst eingedämmt, ein hartes Vorgehen und schwere Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Tschetschenien und Dagestan, würden aber weiterhin Teile der salafistischen Gemeinschaft radikalisieren und den Dschihad fördern. Mehr als zehn Jahre war eines der Hauptkontrollinstrumente in der Region die präventive Registrierung von Extremisten gewesen. Diejenigen, die verdächtigt wurden, fundamentalistischen Strömungen des Islam anzugehören, wurden auf spezielle Listen gesetzt, die Informationen zum Privatleben, zu Gewohnheiten und Familienspitznamen enthalten würden. Nach Zwischenfällen würden diese Personen von der Polizei verhaftet und verhört, wobei bei den Verhören Berichten zufolge häufig gewaltsame oder erniedrigende Methoden zum Einsatz kämen. Viele seien wegen ihres Aussehen auf diesen Listen gelandet, wegen eines Besuchs in einer falschen Moschee, wegen Kontakts zu SalafistInnen oder weil sie einer verdächtigen Person eine Wohnung vermietet oder sie mit dem Auto mitgenommen hätten (ICG 16.3.2016). Insbesondere in Tschetschenien und Dagestan werden Personen, die als Wahhabiten bezeichnet werden, manchmal auch Männer mit einem frommen muslimischen Aussehen, als Extremisten von den Strafverfolgungsbehörden verhaftet. Es gibt auch Vorwürfe wegen Folter und Verschwindenlassen (Forum 18 13.9.2016).

Das Oberste Gericht verbat die Zeugen Jehovas und entzog der Organisation das Vermögen. Die religiöse Organisation zeige "Merkmale extremistischer Tätigkeit", hieß es in der Begründung. Die Glaubensgemeinschaft müsse ihre Russland-Zentrale in St. Petersburg und 395 örtliche Organisationen auflösen, befanden die Richter am 20.4.2017 in Moskau. Die Zeugen Jehovas kündigten an, ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu tragen. Als extremistisch stufte die Behörde vor allem die Zeitschrift "Der Wachtturm" ein, die trotz Verbots weiter verteilt werde. Dass die Zeugen Jehovas ihren Mitgliedern Bluttransfusionen verbieten, sei ein Verstoß gegen Menschenrechte. Die Gemeinschaft soll in Russland nach Presseberichten etwa 170.000 Anhänger haben (Presse 20.4.2017). Die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch teilte mit, die Gerichtsentscheidung sei ein schwerer Schlag für die Religions- und Verbandsfreiheit in Russland. Sollte die Entscheidung in Kraft treten, müssten Zeugen Jehovas mit Strafverfolgung, Geldstrafen oder gar Gefängnis rechnen (Zeit Online 20.4.2017).

Quellen:

Tschetschenien

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013). Obwohl Salafismus und Wahhabismus in Russland nicht verboten sind, sind Anhänger dieser Bewegungen starkem Druck ausgesetzt. In Tschetschenien setzt Ramsan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islam durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islam, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte zu werden (USCIRF 26.4.2017).

Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV 23.11.2011). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010, vgl. ICG 16.3.2016). Laut der International Crisis Group wurden Ende Oktober 2015 in Tschetschenien viele SalafistInnen verhaftet und es kam zu Fällen von Verschwindenlassen. Die Politik gegenüber SalafistInnen ist traditionell in Tschetschenien am härtesten, wo der fundamentalistische Salafismus, der abwertend "Wahhabismus" genannt wird, verboten ist. Die Behörden haben wiederholt und öffentlich erklärt, dass Wahhabiten nicht erlaubt werde, in Tschetschenien zu leben und dass sie getötet werden sollten. Der traditionelle sufistische Islam ist zum wahren Weg und zur Staatsideologie erklärt worden (ICG 16.3.2016).

Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).

Quellen:

Ethnische Minderheiten

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2017c).

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 24.1.2017).

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

Quellen:

Frauen

Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Im Rahmen der 62. Sitzung der CEDAW von Oktober-November 2015 wurde der rezente Staatenreport der Russischen Föderation diskutiert. In seinen Schlussbemerkungen begrüßte das Komitee die Fortschritte im russischen Rechtssystem zum Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen, insb. in den Bereichen Arbeitsrecht und Schutz für Schwangere. Folgende Empfehlungen wurden an die russische Regierung gerichtet: Verabschiedung eines umfassenden Anti-Diskriminierungsgesetzes, Verbesserungen beim Zugang von Frauen zu rechtlichen Beschwerdemechanismen, die Ausarbeitung eines nationalen Aktionsplans gegen Menschenschmuggel, die Stärkung der Teilnahme von Frauen am politischen und öffentlichen Leben (z.B. durch Einführung von Quotenregelungen für Frauen in der Staatsduma, dem Föderationsrat, den Ministerien oder dem diplomatischen Dienst), die Einführung eines alters- und genderspezifischen Sexualkundeunterrichts in Grund- und Mittelschulen, die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz (z.B. durch Überarbeitung der Liste von Berufsverboten für Frauen in rund 450 Berufen) und die Verbesserung des Zugangs zu qualitativer Gesundheitsversorgung für Frauen in ländlichen Gebieten. Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt häusliche Gewalt dar. Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut Dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes. Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner, fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen. Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die Nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. Auch das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau zeigte sich bei der letzten Diskussion zur Russischen Föderation im Herbst 2015 besorgt über die weite Verbreitung von Gewalt gegen Frauen sowie die unverlässlichen offiziellen Daten dazu. Derzeit steht auch ein vom Arbeits- und Sozialministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt in Diskussion, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt (ÖB Moskau 12.2016). Die Polizei bleibt oft passiv und geht z.B. Anzeigen nicht mit genügendem Nachdruck oder zuweilen gar nicht nach, da dies als familiäre Angelegenheit gesehen wird (FH 2017, vgl. AA 24.1.2017). Nach den Statistiken einer NGO wird die Polizei in lediglich 5% der Fälle aktiv. Mit einer Gesetzesnovelle wurde häusliche Gewalt im Juli 2016 unter Strafe gestellt. Allerdings wurden diese Änderungen von der Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder kritisiert. Sie seien übertrieben und richteten sich gegen die familiären Werte. Die orthodoxe Kirche erklärte, dass körperliche Züchtigung ein gottgegebenes Recht sei, sofern sie im vernünftigen Maße und mit Liebe durchgeführt werde (AA 24.1.2017). Das russische Parlament hat nun ein Gesetz verabschiedet, das Strafen bei häuslicher Gewalt stark verringert. Das Gesetz reduziert die Strafen bei Ersttätern, wenn die Gewalt nicht zu schweren Verletzungen führt. Bislang waren dafür Strafen von bis zu zwei Jahren Gefängnis vorgesehen, nun sollen nur noch Geldstrafen gelten. Gewalt wird nicht mehr als Straftat behandelt, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit gewertet. Eine härtere Strafe soll nur dann verhängt werden, wenn die Schläge mehr als einmal im Jahr vorkommen, Blutergüsse sichtbar sind oder Knochen brechen. Für die Opfer wird es daher schwierig, Beweise vorzulegen. Und es dürfte schwerer werden, die Täter zu bestrafen (Welt 27.1.2017, vgl. Standard 27.1.2017).

Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 7.2017c). Frauen sind in Politik und Regierung unterrepräsentiert. Sie halten weniger als ein Fünftel der Sitze in der Duma und im Föderationsrat. Nur zwei von 32 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 2017). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 7.2017c).

Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist, bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 3.3.2017).

In einem Bericht der kanadischen COI-Abteilung findet sich der Hinweis, dass Amnesty International und ANNA [National Centre for the Prevention of Violence] 2013 von 23 Unterkünften für Opfer von häuslicher Gewalt in Russland berichten. RFE/RL berichtet sogar über 40 solcher Unterkünfte. Diese 23 Unterkünfte sind kleine Abteilungen der über 3.000 kleinen, staatlich unterstützten Sozialzentren in ganz Russland. Einige dieser Sozialzentren bieten Unterstützung in Notsituationen für Opfer von häuslicher Gewalt, wie z.B. temporäre Unterkunft. Frauen können dort bis zu sechs Monate bleiben, aber nicht alle Unterkünfte erlauben Kinder über 14 Jahre. Eine Registrierung in der Region scheint notwendig. Es gibt in vielen Regionen in ganz Russland ca. 140 staatliche Unterkünfte, einige nehmen Opfer von häuslicher Gewalt auf, auch wenn nur ein geringer Anteil des Personals dafür ausgebildet ist. Diese Unterkünfte dürften höchstens jeweils zwölf Betten haben. Dies sind Kurzzeitunterkünfte für ein bis sechs Monate. Diese staatlichen Unterkünfte sind für Frauen, die eine Krise erleben oder sich in einer schwierigen Lebenslage befinden. Frauen können für einige Zeit dorthin, damit ihnen geholfen wird, z.B. um gewalttätigen Beziehungen oder Obdachlosigkeit zu entkommen. Normalerweise ist das Ziel der Sozialarbeiter aber die Familie wieder zu vereinen. Keine dieser Unterkünfte ist speziell für Opfer von häuslicher Gewalt, aber manche erkennen häusliche Gewalt als Krisensituation an, andere nicht. In Moskau gibt es eine Unterkunft für Opfer von häuslicher Gewalt - laut Amnesty International - mit Platz für ca. zwölf Frauen. Reuters gibt an, dass es dreißig Betten gibt. Die Moskauer Unterkunft heißt "Nadeschda" und unterstützte im Jahr 2012 500 Personen, unter anderem mit Psychotherapie. Hier dürfen Frauen bis zu zwei Monate bleiben. Eine Registrierung in Moskau ist notwendig. Es gibt auch eine öffentliche Unterkunft in Khimki, einem Vorort von Moskau. Auch hier ist eine Registrierung in Khimki notwendig. St. Petersburg hat ein regionales und sechs kommunale Unterkünfte mit insgesamt 85 Betten. Häusliche Gewalt ist hier als schwierige Lebenssituation anerkannt, jedoch ist es möglich, dass einige Mitarbeiter auf Aussöhnung fokussieren und/oder die Frauen für die Gewalt verantwortlich machen. Laut ANNA gibt es drei Unterkünfte für Opfer von häuslicher Gewalt in St. Petersburg. Andere kommunale oder staatliche Unterkünfte für Frauen in Krisen befinden sich in Murmansk (7 Betten), Petrozavodsk (7 Betten); Syvtyvkar, in Komi (9 Betten) und Sorgvala (5 Betten). Es ist aber unklar, wie diese Unterkünfte häusliche Gewalt einstufen. Zusätzlich zu den Unterkünften in Moskau, St. Petersburg und Khimki gibt es Unterkünfte für häusliche Gewalt in Izhevsk, Yekaterinburg, Tomsk, Tyumen, Perm, Petrozavodsk, Murmansk, Saratov, Tula, Krasnodar, Arkhangelsk, Vologda, Chelyabinsk, Vladivostok, Khabarovsk, und zwei Unterkünfte in Barnaul (IRB 15.11.2013).

Quellen:

Frauen im Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien

Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Fälle von Ehrenmorden, häuslicher Gewalt, Entführungen und Zwangsverheiratungen sind laut NGOs nach wie vor ein Problem in Tschetschenien aber auch in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan. Verlässliche Statistiken dazu gibt es - wie im Rest Russlands - nicht. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group (ICG) bleibt die Gewalt gegen Frauen in der Region ein Thema, dem von Seiten der Regional- und Zentralbehörden zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Erschwert wird die Situation laut ICG durch die Ko-Existenz dreier Rechtssysteme in der Region - dem russischen Recht, Gewohnheitsrecht ("Adat") und der Scharia. Gerichtsentscheidungen werden häufig nicht umgesetzt, lokale Behörden richten sich mehr nach "Tradition" als nach den russischen Rechtsvorschriften, so der Vorwurf von ICG. Insbesondere der Fokus auf traditionelle Werte und Moralvorstellungen, der in der Republik Tschetschenien unter Ramzan Kadyrow propagiert wird, schränkt die Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau sprach im Rahmen seiner Empfehlungen an die Russische Föderation in diesem Zusammenhang von einer "Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit" (ÖB Moskau 12.2016).

Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischem Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f).

Die russische Journalistin Jelena Petrowa veröffentlichte einen Artikel zur Art, wie sich Frauen in Tschetschenien kleiden. Die Situation der Frauen sei, dass sie nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel tragen dürften. Sie müssen in offiziellen Gebäuden Kopftücher tragen, es ist ihnen aber verboten, Kopftücher zu tragen, die ihre Stirn und ihr Kinn bedecken, da dies mutmaßlich Sympathie mit den Rebellen zeigt. Die Art, wie sich Frauen in Tschetschenien kleiden, ist über Jahre im Blickfeld gewesen. Nach dem Zweiten Tschetschenienkrieg und Ramsan Kadyrows Machtergreifung haben die Behörden eine Tugend-Kampagne gestartet, in dessen Mittelpunkt das Kopftuch stand. Es ist ein obligatorischer Dresscode für öffentliche Gebäude, darunter Schulen, Regierungsgebäude und Krankenhäuser, eingeführt worden. Insgesamt ist die Situation bezüglich der Durchsetzung des Dresscodes aber besser geworden. Im Sommer 2010 hat es Berichte gegeben, dass Unbekannte in Grosny Frauen ohne Kopftücher angegriffen hätten. Das gibt es nicht mehr. Dafür gibt es nun etwas Neues. Im September 2014 sind Berichte aufgetaucht, dass eine Frau, die einen Hidschab getragen hat, von Regierungsbeamten entführt und für kurze Zeit festgehalten worden sei. Wegen des darauf folgenden Aufschreis in den Medien hat sich Ramsan Kadyrow geäußert und gesagt, dass Frauen in Tschetschenien Kopftücher im traditionellen tschetschenischen Stil tragen, aber keines, das seiner Meinung nach auf eine andere islamische Strömung hindeutet und möglicherweise Sympathie mit den Aufständischen ausdrückt. Frauen sollten nicht schwarz tragen und kein Kopftuch, das die Stirn und das Kinn bedeckt. Junge Frauen in Grosny wollen aber hübsch aussehen, besonders wenn sie jung und unverheiratet sind. Sie tragen gerne helle Farben, gewagte Muster, Make-up, sehr hohe Stöckelschuhe und Accessoires. Sie dürfen zwar keine Hose, ärmellose Tops und Miniröcke tragen, aber sie mögen gerne enge Kleidung (ODR 12.12.2014).

Vergewaltigung:

Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).

Muslimische Hochzeit:

Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art - durch einen Imam - die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, S. 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, S. 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, S. 25).

Waisenhäuser:

Wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben, nachdem beide Eltern verstorben sind, sorgt der Tradition zufolge die Familie ihres Vaters für sie. Wenn die Großeltern nicht für die Kinder sorgen können, werden sie in die Obhut der Familie ihrer Mutter übergeben. Wenn es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, kommen sie in ein Waisenhaus. In Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus setzen Familien alles daran, um zu vermeiden, dass Kinder in ein Waisenhaus kommen. Es ist nicht üblich, Kinder in Waisenhäuser zu bringen, und normalerweise leben in Waisenhäusern nur Kinder, die ihre gesamte Familie verloren haben. Im Allgemeinen vertreten Behörden die Auffassung, dass es in Tschetschenien keine Waisenhäuser geben sollte, da es Aufgabe der Familie ist, für die Kinder zu sorgen. 2009 ordnete Präsident Kadyrow an, dass alle Waisenhäuser in Tschetschenien geschlossen werden und die Kinder wieder zu ihren Verwandten zurückkehren sollten. Nach Auskunft eines Vertreters einer internationalen Organisation im Nordkaukasus lag dieser Initiative von Kadyrow der Wunsch zugrunde, deutlich zu machen, dass Familien einen starken Verbund darstellen und sie für sich selbst sorgen können. Nur wenige wollten jedoch entfernte Verwandte zu sich nehmen, zu denen sie kaum Kontakt hatten. Aufgrund des Wohnungsmangels und finanzieller Zwänge waren die Menschen nicht bereit, noch ein weiteres Mitglied in ihren Haushalt aufzunehmen und zu unterstützen. Kadyrow möchte den Eindruck vermitteln, dass die familiären Bande noch genauso stark sind wie früher, doch ist dies nach Angaben der Organisation nicht der Fall. Landinfo hat keinen Überblick über die Zahl der Waisenhäuser in Tschetschenien, doch nach Angaben eines tschetschenischen Rechtsanwalts gibt es eines in Grosny, ein weiteres im Bezirk Nadteretschny. Laut einer NGO in Moskau gibt es in Tschetschenien fünf oder sechs Waisenhäuser. In dem größten sind 200-300 Kinder untergebracht. Waisenhäuser sind öffentliche Einrichtungen (EASO 9.2014a, S. 31).

Quellen:

Mutterschaftskapital und Kindergeld

2007 stellte die russische Führung einen Maßnahmenkatalog vor, der mit Zuschüssen und Betreuungsplätzen zum einen den Frauen die Mutterschaft ans Herz legt und zum anderen durch bessere medizinische Infrastruktur die Lebensdauer der Russen verlängern soll. Für Mütter ist seither ab dem zweiten Kind das sogenannte Mutterschaftskapital vorgesehen. Umgerechnet rund 7.500 € erhalten die Frauen, Mittel die zweckgebunden vom vierten bis zum 25. Geburtstag des Kindes eingesetzt werden müssen. Mit den nicht bar auslösbaren Zertifikaten können Familien in die Ausbildung des Nachwuchses investieren, die eigene Wohnsituation verbessern oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Mit den Zertifikaten kann auch die Altersvorsorge der Mutter aufgestockt werden. Darüber hinaus bezahlt der Staat Geburtsprämien, bezuschusst Kindergartenplätze und hat das Elterngeld erhöht. Flankierend hat Moskau den Mutterschutz im Arbeitsmarkt ausgebaut (Wirtschaftsblatt 8.9.2014, vgl. IOM 6.2014; MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014). Das Mütterkapitalprogramm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Man bekommt das Geld drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen. In Chabarowsk zum Beispiel wird bei Geburt des dritten Kindes ein noch verbleibender Wohnungskredit komplett getilgt, in Mordwinien greift diese Regelung bei Geburt des vierten Kindes. Zu den derzeit erörterten Vorschlägen zählt auch die Idee, kinderreiche Familien von der Vermögenssteuer zu befreien (RBTH 22.4.2017).

Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).

Russland ist mit einer bezahlten Elternzeit von 1,5 Jahren bei gleichzeitiger Arbeitsplatzgarantie weltweit unter den Spitzenreitern bei der Freistellung von der Arbeit nach Geburt eines Kindes. Von dieser Regelung aber profitieren langfristig weder die Arbeitgeber noch die Frauen. Nach Ende der Elternzeit müssen die Kinder noch für weitere eineinhalb Jahre kontinuierlich betreut werden. Mütter müssten dann zuhause bleiben, ohne weiter bezahlt zu werden. Ein System von Kindertagesstätten ist in Russland erst im Aufbau (RBTH 22.4.2017).

Mutterschaft:

Quellen:

Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 24.1.2017, vgl. US DOS 3.3.2017, FH 2017).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 3.3.2017).

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 24.1.2017).

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

Quellen:

Meldewesen

Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist, um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:

?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die zuständige lokale Behörde schicken. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, werden am Aufenthaltsort registriert. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011). Gegen Jahresmitte 2016 wurde der FMS aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss (DIS 8.2012). Im FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).

Quellen:

Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien

Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insbesondere wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 12.2016).

Die Bevölkerung in Tschetschenien selbst wird auf etwa 1,3 Millionen geschätzt, wobei auch hier die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien in Frage gestellt werden. Laut Aussagen von Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Eine der derzeitigen Hauptmigrationsrouten aus dem Nordkaukasus nach Mitteleuropa führt über Belarus und Polen. Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich wird auf rund 30.000 Personen geschätzt. Das tschetschenische Oberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrecht halten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Prominentes Beispiel dafür sind die Brüder Jamadajew, von denen einer in Moskau erschossen und ein anderer in Dubai umgebracht wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Vor diesem Hintergrund herrscht aus menschenrechtlicher Perspektive die Einschätzung vor, dass die gemessen an der Größe der tschetschenischen Diaspora innerhalb und außerhalb Russlands quantitativ geringe Zahl an tatsächlich Verfolgten sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser nur selten begründbaren Gefährdungslage wird meist dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Laut einer aktuellen Analyse des Carnegie-Zentrums in Moskau sollen die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren, Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstrecke sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Überdies wird hervorgehoben, dass das tschetschenische Vasallentum zum Kreml in gewisser Konkurrenz mit den föderalen Sicherheitskräften um das Machtmonopol in Tschetschenien selbst stehe. Andere Kommentatoren verweisen auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als wenig autochthon kritisierten Salafismus. Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen also auch die oppositionellen Strömungen. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der bislang eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit. Dazu führte etwa der für den Nordkaukasus zuständige Minister Ende Februar 2016 Arbeitsgespräche mit dem BMWFW in Wien, und Anfang April veranstaltete die WKÖ eine Marktsondierungsreise in die Region. Für 2017 prognostiziert die Weltbank ein moderates Wachstum der russischen Volkswirtschaft (ÖB Moskau 12.2016).

Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Ihr Aufenthalt wird aber durch antikaukasische Stimmungen erschwert. In großen Städten wird der Zuzug von Personen reguliert und ist erkennbar unerwünscht. Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem "langen Arm" des Regimes von Ramsan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 24.1.2017).

Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).

Quellen:

Gefälschte Dokumente

In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 24.1.2017).

Quellen:

Grundversorgung/Wirtschaft

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

Quellen:

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

Tschetschenien

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

Quellen:

Sozialbeihilfen

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:

Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:

Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).

MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

Renten

Familienhilfe:

Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten

Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:

Behinderung

Wohnungswesen

Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen

Arbeitslosenhilfe

Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).

Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:

Quellen:

Krankenversicherung

Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind, werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).

Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1% des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf (Handelsblatt o.D.).

Quellen:

Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 7.2017c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2017a, vgl. GIZ 7.2017c, vgl. AA 24.1.2017). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 13.7.2017b, vgl. AA 24.1.2017).

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den obenstehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird. Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit durchaus variieren kann (ÖB Moskau 12.2016).

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 7.2017c).

Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).

Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:

* Notfallbehandlung

* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken

* Stationäre Behandlung

* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)

Ausgaben für Gesundheitsleistungen in Russland sind immer noch niedriger als in entwickelten Ländern. Laut offiziellen Quellen stiegen die realen Ausgaben des russischen Staates für den Gesundheitssektor in den letzten zehn Jahren um 74% an. Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedoch betrugen diese 2014 nur 5,4% des BIP, und laut der Weltbank waren es sogar nur 3,7%. Selbst optimistische Einschätzungen weisen auf eine Unterfinanzierung der Gesundheitsbranche hin im Vergleich zu entwickelten Ländern, in denen dieser Index zwischen 4 und 8% des BIP liegt. Nach Angaben des russischen Finanzministeriums sind für 2016 keine weiteren Reduzierungen der Gesundheitsausgaben geplant. Es liegen aktuell allerdings noch keine offiziellen Angaben zur längerfristigen Haushaltsplanung vor, da seit dem Föderalen Gesetz Nr. 273 vom 30. September 2015 die Planungsfrist für den staatlichen Haushalt nun ein Jahr statt drei Jahre beträgt. In der mittleren Perspektive kann man erwarten, dass die existierende Lücke in der russischen Gesundheitsfinanzierung durch öffentliche Mittel nicht gedeckt werden kann. Das hängt sowohl mit der wirtschaftlichen Gesamtsituation und den Auswirkungen des niedrigen Ölpreises auf den russischen Haushalt zusammen als auch mit Regulierungstrends, vor allem der laufenden Gesundheitsreform inklusive der Implementierung des Ko-Finanzierungsmodells für Gesundheitsleistungen zwischen dem Staat und den Verbrauchern im Rahmen des Pilotprogramms für Krankenversicherung "OMS+" (AHK o.D.).

Quellen:

Tschetschenien

Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016). Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung ist modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).

Es ist sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA 31.3.2015).

Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2017a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien [oder anderen Teilrepubliken] nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in andere Republiken geschickt (DIS 1.2015).

Quellen:

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, etc.)

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind (verfügbar auch in Tschetschenien!):

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828), als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927). Z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht

Es gibt in der Russischen Föderation ein Drogenersatzprogramm, das zwar nicht mit Methadon erfolgt, sondern durch Alternativen, wie z. B. Buprenorphin, Naloxon, Naltrexon Hydrochlorid und weitere (BMA 7750).

Quellen:

Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen

Nierenerkrankungen und (Hämo‑)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation, als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und Lebertransplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bezüglich Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) von anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011, vgl. BDA 31.3.2015).

Quellen:

Medikamente

Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS [Krankenpflichtversicherung] profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Großfamilien mit Kindern unter sechs Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).

Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (sechs Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).

Quellen:

Behandlung nach Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Gegen Jahresmitte wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2016).

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen große Teile der russischen Bevölkerung und können somit laut Einschätzung der Botschaft nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich aufgrund der regionalen Spezifika insbesondere für Frauen. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche (politische) Verfolgung durch die russischen oder im speziellen die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung von Seiten der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2016).

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert (AA 24.1.2017)."

Quellen:

1.6. Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Parteien, speziell in Tschetschenien, hat sich seit Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erknenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 nicht wesentlich geändert. Insbesondere wird nach wie vor davon berichtet, dass Dialyse im Herkunftsstaat möglich und zugänglich ist. Nach wie vor deutet auch nichts darauf hin, dass die Grundversorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet wäre oder solche Zustände herrschen, dass gleichsam jeder Rückkehrer Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, sein Leben zu verlieren oder der Todesstrafe ausgesetzt zu sein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte sowie unter Pkt. II.1.1. festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten der Verwaltungsakten des Bundesamts und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

2.2. Die Feststellungen zur Staats- und Volksgruppenangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien und ihrem durchgängigen Aufenthalt in Österreich seit Anfang Oktober 2015 folgen aus ihren in der Vergangenheit vorgelegten Identitätsdokumenten, ihren Sprachkenntnissen und ihren Angaben im vorangegangenen und diesem Asylverfahren.

Die Feststellungen, dass die beschwerdeführende Partei 1) an einer terminalen Niereninsuffizienz leidet, weswegen sie dreimal wöchentlich der Dialyse unterzogen werden muss, folgt dem Ausdruck des Schreibens der I. medizinischen Abteilung des Landesklinikums XXXX vom 05.12.2017. Dasselbe gilt für die Feststellungen, dass die Lungentuberkulose der beschwerdeführenden Partei 1) ausbehandelt ist, sie aber noch unter Hypertonie und Panzytopenie leidet. Die Feststellung, dass die Lungentuberkulose der beschwerdeführenden Partei 1) austherapiert ist, stützt sich zudem darauf, dass auf ihrer mit 20.11.2017 datierten Medikamentenliste gerade jene Arzneien nicht mehr gelistet sind, welche noch Teil ihrer Medikamentenliste vom 15.09.2017 waren und dort die Bemerkung "bis 30.11.2017 Tuberkulose-Therapie" trugen. Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 1) ohne Dialyse innerhalb von zwei bis vier Wochen sterben würde, folgt den von ihr im zuletzt abgeschlossenen Asylverfahren vorgelegten Schreiben des Landesklinikums XXXX vom 15.09.2016 (siehe AS 109 und AS 281).

Die Feststellungen, welcher Medikamente die beschwerdeführende Partei 1) bedarf, folgt aus der von ihr vorgelegten Medikamentenliste des Landesklinikums XXXX vom 21.11.2017; die Feststellung dazu, welche Medikamente die beschwerdeführende Partei

1) seit Abschluss des letzten Asylverfahrens zusätzlich einnimmt, ergibt sich aus dem Vergleich dieser Medikamentenliste mit den betreffenden Feststellungen des Erkenntnisses vom 08.05.2017.

Die Feststellung, dass die beschwerdeführenden Parteien 2) bis 5) gesund sind, folgt ihren Angaben in den bisherigen Asylverfahren sowie aus dem Umstand, dass sie keine neuen Erkrankungen vorgebracht haben.

Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 2) nicht schwanger ist, folgt daraus„ dass sie in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 05.02.2018 angab, eine Fehlgeburt erlitten zu haben und aus ihrem dazu vorgelegten medizinischen Befund.

Die Feststellung, dass nach wie vor Verwandte der beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat leben, stützt sich zunächst auf deren Angaben im vorangegangenen Asylverfahren. Ferner stützt sich diese Feststellung darauf, dass die beschwerdeführende Partei 1) in der Erstbefragung zum hier maßgeblichen Antrag auf internationalen Schutz angab, Schreiben ihrer Mutter und ihres Cousins aus dem Herkunftsstaat erhalten zu haben. Zudem stützt sich die Feststellung darauf, dass die beschwerdeführende Partei 1) in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 05.02.2018 angab, über die Neuerungen im Herkunftsstaat durch dort aufhältige Verwandte - nämlich ihre Eltern - informiert worden zu sein.

Die Feststellungen zum Pensionsbezug der beschwerdeführenden Partei

1) im Herkunftsstaat wie ihrer vorhergehenden Erwerbstätigkeit gründen sich auf die Angaben der beschwerdeführenden Parteien im vorangegangenen Asylverfahren. Die Feststellung, dass die Verwandten der beschwerdeführenden Partei 1) geordnete wirtschaftliche Verhältnisse aufweisen, gründet sich auf die Angabe der beschwerdeführenden Partei 1) im vorangegangenen Asylverfahren, dass ihre Verwandten sie unterstützt hätten, um ein Auto anzuschaffen. Die Angaben zu den Dialysebehandlungen der beschwerdeführenden Partei 1) im Herkunftsstaat gründen sich auf ihre Angaben und jene der beschwerdeführende Partei 2) im vorangegangenen Asylverfahren. Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 1) hinreichenden Zugang zu begleitenden Medikamenten zur Dialyse hatte, ergibt sich aus ihren Angaben im zuletzt inhaltlich behandelten Asylverfahren, wonach ihr die Medikation in Grosny teilweise kostenlos zur Verfügung gestanden sei und ein zeitweiliger Mangel nur mit einer verspäteten Bestellung von Hilfsmitteln und nicht mit einer Kostenpflicht begründet worden sei.

Da der beschwerdeführenden Partei 1) schon in der Vergangenheit hinreichender Zugang zur Dialyse und Begleitbehandlungen offenstand, war auch festzustellen, dass ihr dieser Zugang auch künftig offensteht. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass sie im Herkunftsstaat über ein familiäres Netzwerk mit geordneten finanziellen Verhältnissen verfügt, das - sollten ausnahmsweise entgeltliche Leistungen erforderlich werden - ihr finanziell helfen kann. Für die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei 1) auch im Herkunftsstaat Zugang zu den seit Abschluss des letzten Asylverfahrens neu verabreichten Medikamenten haben wird, spricht der auch Umstand, dass es sich dabei um Arzneien handelt, die gerade bei Nierenpatienten mit der Dialyse eingesetzt werden, um Folgeschäden zu vermeiden. Gerade die Behandlung von Nierenerkrankungen wird nach wie vor als in der Russischen Föderation wie in Tschetschenien verfügbar beschrieben. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht schon im Erkenntnis vom 08.05.2017 - genauso wie nunmehr erneut - zu den örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat festgestellt, dass die chronisch-urologischen Erkrankungen Teil jener Liste von Erkrankungen sind, für die das Ministerium für Gesundheit des Herkunftsstaates eine Kostenbefreiung vorsieht, sodass die Patienten Medikamente kostenfrei gegen Verschreibung erhalten können. Diesbezüglich hat sich die Berichtslage nicht geändert. Insofern ist davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei 1) im Herkunftsstaat nach wie vor Medikamente im Zusammenhang mit ihrer Niereninsuffizienz gegen Verschreibung kostenfrei abgegeben erhalten wird.

Die Feststellungen zum Leben und zum Werdegang sowie zu den Verwandten der beschwerdeführenden Partei 2) folgen ihren Angaben im vorangegangenen Asylverfahren.

Die Feststellungen zum Kontakt der beschwerdeführenden Parteien zu Verwandten im Inland wie im Herkunftsstaat und dem Nichtvorliegen einer finanziellen Abhängigkeit zu im Inland ansässigen Verwandten folgenden Angaben der beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) in diesem Asylverfahren.

Die Feststellungen, dass die beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) in Österreich Deutschkurse besuchten, geht auf ihre Angaben in diesem Verfahren zurück. Die Feststellung, dass sämtliche beschwerdeführenden Parteien von der Sozialhilfe leben, folgt den Angaben der beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) in diesem Verfahren.

Die Feststellung zum Kindergarten- und Schulbesuch der beschwerdeführenden Partei 3) folgt den Angaben ihrer Eltern im vorangegangenen Asylverfahren und daraus, dass für sie mittlerweile Schulpflicht eingetreten ist

Die Feststellungen zur Wirkungsweise des Medikaments Osvaren folgen den Aussagen der Datenbank medikamio < https://medikamio.com/de-at/medikamente/osvaren-435-mg235-mg-filmtabletten/pil > am 19.04.2018.

Die Feststellungen zur Wirkungsweise des Medikaments Rocaltrol folgen den Aussagen der Datenbank medikamio < https://medikamio.com/de-at/medikamente/rocaltrol-roche-05-mikrogramm-kapseln/pil > am 19.04.2018.

2.3. Nicht festgestellt wurde, dass die beschwerdeführende Partei 1) neuerlich im Herkunftsstaat wegen einer (unterstellten) Unterstützung von Rebellen gesucht würde und ihr deswegen Sanktionen einschließlich des Vorenthaltens medizinischer Leistungen - insbesondere der Dialyse - drohen würden. Zunächst steht dieses Vorbringen im engsten inhaltlichen Zusammenhang dem Vorbringen des zuletzt inhaltlich behandelten Asylverfahrens, das als nicht glaubwürdig qualifiziert wurde, bringt doch die beschwerdeführende Partei 1) im Wesentlichen vor, sie würde nach wie vor im Herkunftsstaat gesucht werden. Jedoch auch für sich genommen erscheint das nunmehr erstattete Vorbringen nicht glaubwürdig. Denn das fortgesetzte Interesse der Behörden des Herkunftsstaates an der beschwerdeführenden Partei 1 hätten deren Vertreter unter anderem damit begründet, dass sie im Jahre 2016 in Dagestan gesehen worden wäre. Da die beschwerdeführende Partei 1) zu diesem Zeitpunkt in Österreich gewesen sei, könne sie sich selbst nicht erklären, wie diese Leute auf diesen Verdacht kommen könnten. Dass offen bleibt, worauf die Behörden den Verdacht gründen, dass sich die beschwerdeführende Partei 1) nach Dagestan begeben habe, spricht gegen die Glaubwürdigkeit dieser Angabe. Gegen die Glaubwürdigkeit einer Bedrohung der beschwerdeführende Partei 1) spricht im Übrigen auch, dass sie lediglich vermutet, ihr Nachbar, mit dem sie per Internet kommuniziert hätte, sei ihretwegen verschleppt und mit Strom gefoltert worden. Selbst wenn sich der Vorfall mit ihrem früheren Nachbarn tatsächlich zugetragen haben sollte, kann die beschwerdeführende Partei 1) über das Motiv der Behörden, gegen den Nachbarn vorzugehen, ihrem Vorbringen nach nur mutmaßen, was die Glaubwürdigkeit ihrer Bedrohung reduziert. Insgesamt vermag es das Bundesverwaltungsgericht nicht als glaubhaft gemacht angesehen, dass die Behörden des Herkunftsstaates erneut nach der beschwerdeführenden Partei 1) gesucht und ihren Nachbarn deswegen verschleppt haben sollen, weil dieser per Internet mit ihr Kontakt gehabt habe.

2.4. Die wiedergegebenen Ausführungen des Länderinformationsblattes, die schon Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten der hier angefochtenen Bescheide waren, stützen sich auf die jeweils zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Im Verfahren zur Erlassung des angefochtenen Bescheids wurden diese Länderberichte den beschwerdeführenden Parteien vorgehalten. Ihnen wurde nicht substantiiert widersprochen.

2.5. Die Feststellung, wonach sich an der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Parteien, speziell in Tschetschenien, seit Abschluss des letzten Asylverfahrens nichts Wesentliches geändert hat, beruht auf einem Vergleich der nunmehrigen Länderfeststellungen mit jenen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 Auch sonst liegen dem Bundesverwaltungsgericht keine Berichte bzw. Länderdokumente vor, die ein wesentlich verändertes Bild der Lage im Herkunftsstaat zeichnen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I.:

3.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides bzw. -erkenntnisses entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

In Beschwerdeverfahren über zurückweisende Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ist "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags auf internationalen Schutz durch die erstinstanzliche Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist, ob die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren auf internationalen Schutz keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/ Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

3.1.2. Die beschwerdeführenden Parteien begründeten ihre mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 zuletzt in der Sache erledigten Anträge auf internationalen Schutz zunächst mit einer Bedrohung der beschwerdeführenden Partei 1) im Herkunftsstaat. Denn diese sei verdächtigt worden, Rebellen unterstützt zu haben und deswegen auch mitgenommen worden. Wegen dieses Verdachts gehe für sie von Kadyrow-Kräften Gefahr aus.

Diese Anträge auf internationalen Schutz wurden durch das Bundesverwaltungsgericht für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der wesentlichen Begründung rechtskräftig abgewiesen, dass dieses Vorbringen nicht als glaubhaft gemacht festgestellt werden könne; es sei nicht davon auszugehen, dass für die beschwerdeführende Partei 1) von Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates Gefahr ausgehe.

Die hier maßgeblichen Anträge auf internationalen Schutz begründen die beschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen erneut damit, dass die beschwerdeführende Partei 1) verdächtigt werde, Rebellen zu unterstützen. Deswegen hätte sie im Herkunftsstaat Sanktionen der Sicherheitsbehörden zu erwarten. Als Neuerungen seit Abschluss des letzten Asylverfahrens bringen die beschwerdeführenden Parteien dazu vor, dass die beschwerdeführende Partei 1) von verschiedenen Verwandten gewarnt worden sei, dass nach wie vor nach ihr gesucht würde. Von Verwandten habe sie auch erfahren, dass sie verdächtigt würde, im Jahr 2016 in Dagestan gewesen zu sein; ferner sei ihr zugetragen worden, dass ein ehemaliger Nachbar, mit dem sie online in Kontakt gestanden sei, danach für eine Woche verschleppt und gefoltert worden sei.

3.1.2.1. Entgegen der in den gegenständlichen Beschwerden vertretenen Auffassung behaupten die beschwerdeführenden Parteien keinen neuen Sachverhalt im Sinne der unter Pkt. II.3.1. dargelegten Judikatur, sondern machen den selben Fluchtgrund unter Bekräftigung des im ersten Verfahren angeführten Sachverhalts geltend. Sie behaupten letztlich bloß dessen "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) und beabsichtigen im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung ihres mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 bereits rechtskräftig entschiedenen Antrages auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321). Denn durch die Behauptungen, die tschetschenischen Behörden würden nach wie vor nach der beschwerdeführenden Partei 1) suchen, würden sie verdächtigen, den Herkunftsstaat aufgesucht zu haben, und hätten - dem Vorbringen nach vermutlich - wegen ihrer Kontaktaufnahme per Internet ihren ehemaligen Nachbarn mitgenommen, erweitern die beschwerdeführenden Parteien ihr bereits mit Erkenntnis vom 08.05.2017 rechtskräftig abgewiesenes Fluchtvorbringen lediglich um Nebenaspekte.

Im Übrigen kommt diesem Vorbringen vor dem Hintergrund der im genannten Erkenntnis als vollinhaltlich unglaubhaft gewürdigten Angaben betreffend die im ersten Verfahren erstatteten Fluchtgründe kein glaubhafter Kern im Sinne der angeführten Judikatur zu. Denn - wie schon in der Beweiswürdigung ausgeführt - erscheint es nicht als glaubhaft, dass sich die als Neuerungen behaupteten Vorkommnisse im Herkunftsstaat überhaupt zugetragen haben. Daher kann mit Blick darauf, dass der Kern des Fluchtvorbringens bereits als unglaubwürdig festgestellt wurde, für die nun ergänzten Sachverhaltselemente nicht von einem glaubhaften Kern ausgegangen werden.

Wie festgestellt, deuten auch die Länderberichte nicht darauf hin, dass sich die örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation und insbesondere Tschetschenien seit Abschluss des letzten Asylverfahrens so geändert hätten, dass sie eine neu zu entscheidende Sache begründen würden. Denn die Länderfeststellungen der hier angefochtenen Bescheide des Bundesamts stehen mit den Länderfeststellungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 weitestgehend in Einklang. Es sind keine Änderungen erkennbar, die als wesentliche Sachverhaltsänderung qualifiziert werden könnten.

3.1.2.2. Wie unter Pkt. II.3.1. bereits dargelegt, ist eine neuerliche Sachentscheidung nur bei einer solchen Änderung des Sachverhalts geboten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz gebildet haben, nicht von vornherein auszuschließen ist.

3.1.3. Insoweit der neuerliche Antrag des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel des Refoulementschutzes (§ 8 AsylG 2005) zu betrachten ist, ist auszuführen, dass auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK keine Anhaltspunkte erkennbar sind, wonach die Rückführung des BF in die Russische Föderation respektive Tschetschenien zu einer Situation führen würde, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte.

Aus den Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheids zur Russischen Föderation respektive Tschetschenien ergeben sich keine Gründe für die Annahme, dass mittlerweile jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Dem Bundesamt ist aufgrund der herangezogenen Länderberichte darin beizupflichten, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im letzten Asylverfahren nicht wesentlich geändert hat.

Vor allem liegt hinsichtlich des Gesundheitszustandes der beschwerdeführenden Partei 1) keine Änderung vor, die für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine wegen maßgeblicher Sachverhaltsänderungen neu zu entscheidende Rechtssache hätten entstehen lassen. Schon vor Abschluss des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 beendeten Asylverfahrens litt die beschwerdeführende Partei 1) an terminaler Niereninsuffizienz, weswegen sie schon damals dreimal wöchentlich der Dialyse bedurfte. Zudem litt die beschwerdeführende Partei 1) schon damals unter Bluthochdruck und einer passageren Panzytopenie. Zudem war die beschwerdeführende Partei 1) schon damals an Tuberkulose erkrankt und unterzog sich deswegen einer Therapie.

Seit Abschluss des letzten Asylverfahrens hat sich der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) nur insofern geändert, als ihre Tuberkulose nunmehr als austherapiert gilt. Insofern ist den Krankheitsbildern der beschwerdeführenden Partei 1) keine wesentliche Sachverhaltsänderung zu entnehmen. Dasselbe gilt letztlich für die Therapien, welche die beschwerdeführende Partei 1) erhält. Wie schon vor Abschluss des letzten Asylverfahrens bedarf die beschwerdeführende Partei 1) dreimal pro Woche der Dialyse; die Therapie ihrer Tuberkulose ist abgeschlossen. Die sonstige Medikation der beschwerdeführenden Partei 1) ist weitestgehend unverändert geblieben; seit Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 nimmt die beschwerdeführende Partei 1) jedoch zusätzlich Osvaren Filmtabletten und Rocaltrol 0,5 mg-Kapseln ein. Wie festgestellt, handelt sich dabei um Präparate, die gerade bei Patienten mit Niereninsuffizienz zur Anwendung kommen. Schon den Feststellungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 war zu entnehmen, dass Nierenerkrankungen im Herkunftsstaat behandelbar sind, Dialyse zur Verfügung steht und chronisch-urologische Erkrankungen zu jenem Kreis von Leiden gehören, für die im Herkunftsstaat Arzneimittel gegen Verschreibung kostenfrei abgegeben werden. Insofern war schon vor Abschluss des letzten inhaltlichen Asylverfahrens davon auszugehen, dass das Nierenleiden der beschwerdeführenden Partei 1) im Herkunftsstaat umfassend behandelt werden kann und sie ausreichenden Zugang zu Dialyse und begleitender Medikation haben würde. Die nunmehrigen Feststellungen des angefochtenen Bescheids zu den örtlichen Gegebenheiten in der Russischen Föderation und Tschetschenien stimmen mit diesen Aussagen überein. Im Übrigen ist wie schon im letzten Asylverfahren davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei 1) durch Unterstützung mitunter auftretende Kosten für Behandlungen und Medikamente bestreiten wird können. Denn die beschwerdeführende Partei 2) verfügt über Berufserfahrung, ist gesund und wird - auch angesichts des familiären Netzwerks im Herkunftsstaat, das die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien betreuen wird können - dazu in der Lage sein, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Zudem verfügen die beschwerdeführenden Parteien über Verwandte im Herkunftsstaat, die sie auch finanziell werden unterstützen können.

Insgesamt stellt sich also der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) in Bezug auf ihre Tuberkuloseerkrankung als verbessert und ansonsten im Wesentlichen gleichbleibend dar; die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat und der Zugang der beschwerdeführenden Partei 1) dazu stellt sich verglichen mit dem Abschluss des letzten Asylverfahrens als nahezu unverändert dar; die wenigen seither neu hinzugetretenen Medikamente, derer die beschwerdeführende Partei 1) bedarf, stehen mit ihrer Nierenerkrankung in Zusammenhang, sodass den Länderfeststellungen zufolge davon auszugehen ist, dass sie kostenfrei verschrieben werden können. Daher ist weder beim Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) noch bei den von ihr benötigten medizinischen Leistungen seit Abschluss des letzten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 eine Sachverhaltsänderung eingetreten, welche eine neue Rechtssache hätte entstehen lassen, deren inhaltlicher Erledigung die Rechtskraft des genannten Erkenntnisses nicht entgegenstehen würde. Der inhaltlichen Behandlung des Antrages auf internationalen Schutz mit Blick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten steht also die Rechtskraft des genannten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, weil die aufgezeigten Änderungen des Sachverhalts keinesfalls erwarten lassen, dass der beschwerdeführenden Partei 1) der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wäre.

Dasselbe gilt mit Blick auf den Gesundheitszustand der übrigen beschwerdeführenden Parteien, die nach wie vor gesund sind.

Auch mit Blick auf den Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Parteien ist also keine Änderung eingetreten, welche dem Bundesamt die inhaltliche Erledigung ihrer Anträge auf internationalen Schutz gestattet hätte.

3.1.4. Da weder in der maßgeblichen Sachlage noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt eine entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch zu entscheiden ist. Die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache erfolgte durch das Bundesamt daher zu Recht.

3.2. Zu Spruchpunkt III.:

3.2.1. Vorauszuschicken ist, dass das Bundesamt zu Recht davon ausgeht, dass auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 - soweit die sonstigen Voraussetzungen dafür vorliegen - mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden sind (siehe VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082).

3.2.2. Im Sinne der angeführten Judikatur ist dabei gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 zunächst die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder haben die beschwerdeführenden Parteien das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam sonst ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts hervor.

3.2.3. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

3.2.3.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

3.2.3.2. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben der beschwerdeführenden Parteien betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

3.2.3.2.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffs des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinn von Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist (EGMR 24.04.1996, Boughanemi, Appl 22070/93 [Z33 und 35]). Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern im Sinn der Rechtsprechung des EGMR kommt es also nicht darauf an, dass ein "qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Nahverhältnis" besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (vgl. VfGH 12.03.2014, U 1904/2013).

3.2.3.2.2. Zunächst wären sämtliche beschwerdeführenden Parteien von der hier zu beurteilenden Aufenthaltsbeendigung betroffen, sodass sie nicht getrennt würden und sich daraus kein Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens ergäbe. Zu den sonst im Bundesgebiet lebenden Angehörigen der beschwerdeführenden Parteien stehen diese nicht in einer derart engen Beziehung, dass diese dem Begriff des Familienlebens iSd Art 8 EMRK zu unterstellen wäre; insbesondere stehen die beschwerdeführenden Parteien zu diesen Personen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis. Daher greift eine Aufenthaltsbeendigung nicht in ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens ein.

3.2.3.3. Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen greifen jedoch in das Recht auf Achtung des Privatlebens der beschwerdeführenden Parteien ein:

3.2.3.3.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua. v. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086; VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721, und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, Solomon v. Niederlande, Appl. 44328/98; EGMR 09.10.2003, Slivenko v. Lettland, Appl. 48321/99; EGMR 22.04.2004, Radovanovic v. Österreich, Appl. 42703/98; EGMR 31.01.2006, da Silva und Hoogkamer

  1. v. Niederlande, Appl. 50435/99; EGMR 31.07.2008, Darren Omoregie ua
  2. v. Norwegen, Appl. 265/07).

3.2.3.3.2. Im vorliegenden Fall wurde die beschwerdeführende Partei

5) am 31.05.2016 im Bundesgebiet geboren. Die übrigen beschwerdeführenden Parteien halten sich seit Oktober 2015 ununterbrochen in Österreich auf.

Diesen Zeitraum nutzten die erwachsenen beschwerdeführenden Parteien dazu, sich im Bundesgebiet ein soziales Umfeld aus freundschaftlichen Beziehungen - insbesondere zu entfernten Verwandten - zu schaffen. Die erwachsenen beschwerdeführenden Parteien besuchten Deutschkurse. Diese Umstände sind zugunsten der erwachsenen beschwerdeführenden Parteien zu berücksichtigen und in der vorzunehmenden Interessenabwägung im Sinne ihres beabsichtigten Verbleibs in Österreich zu gewichten.

Dem steht gegenüber, dass keine der erwachsenen beschwerdeführenden Parteien erwerbstätig ist, sodass sämtliche beschwerdeführenden Parteien von der Sozialhilfe leben.

Ferner war der Aufenthalt sämtlicher beschwerdeführender Parteien in Österreich allein dadurch gerechtfertigt, dass sie Asylanträgen stellten, die entweder in die Zuständigkeit anderer Staaten fielen oder in der Sache unbegründet waren. Zuletzt wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 nur festgestellt, dass ihre Abschiebung vorübergehend bis zum 31.12.2017 unzulässig sei.

Auch haben die Asylverfahren der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet nicht übermäßig lange gedauert. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt v. Norwegen, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Insofern kann der - im Übrigen noch relativ kurzen - Dauer des Aufenthalts der beschwerdeführenden Parteien - isoliert betrachtet - keine hervorgehobene Bedeutung für ihren Verbleib im Bundesgebiet zugemessen werden.

Zudem ist festzuhalten, dass sie sich die erwachsenen beschwerdeführenden Parteien während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet und dem Setzen ihrer Integrationsschritte stets ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten: Sie durften sich hier bisher nur aufgrund ihrer Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die als unbegründet ab- bzw. zurückzuweisen waren (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; vgl. auch EGMR 08.04.2008, Nnyanzi v. Vereinigtes Königreich, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Auch leben nach wie vor Familienangehörige der beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat, mit der die erwachsenen beschwerdeführenden Parteien nach einen Angaben in Kontakt stehen. Auch sind die erwachsenen beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat aufgewachsen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes vertraut ist und im eine (Wieder)Eingliederung in die tschetschenische Gesellschaft möglich sein wird.

Schließlich liegen bei der beschwerdeführenden Partei 1) nicht mehr jener Gesundheitszustand und jene Therapieerfordernisse vor, weswegen das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 08.05.2017 feststellte, dass ihre Abschiebung - und damit auch jene der übrigen beschwerdeführenden Parteien - vorübergehend unzulässig sei. Denn diese vorübergehende Unzulässigkeit der Abschiebungen war auf die Schwierigkeiten der Behandlung einer Tuberkulose neben einer bestehenden Niereninsuffizienz und auf den Umstand zurückzuführen, dass eine Unterbrechung der Tuberkulosebehandlung eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes wegen Verschlimmerung der Tuberkuloseerkrankung der beschwerdeführenden Partei 1) bedeutet hätte. Deswegen erachtete das Bundesverwaltungsgericht ihre Abschiebung bis zum Abschluss der Tuberkulosetherapie - also bis 31.12.2017 - als vorübergehend unzulässig. Dieses besondere Zusammentreffen der Tuberkulosetherapie mit der Niereninsuffizienz der beschwerdeführenden Partei 1) liegt mittlerweile nicht mehr vor, weil die Tuberkuloseerkrankung mittlerweile austherapiert wurde. Es ist daher nicht mehr von jener Verstärkung der privaten Interessen der beschwerdeführenden Partei 1) am Aufenthalt in Österreich auszugehen, welche zuletzt die Feststellung der vorübergehenden Unzulässigkeit ihrer Abschiebung geboten hatte.

Die beschwerdeführende Partei 2) ist gesund und auch nicht schwanger.

Was nun die Integrationsleistungen der beschwerdeführenden Partei 3) - ihren Kindergarten- und Schulbesuch und daran anknüpfend ihre dort erworbenen deutschen Sprachkenntnisse und dort geknüpfte freundschaftliche Beziehungen - sowie etwaige Integrationsleistungen der beschwerdeführenden Parteien 4) und 5) anbelangt, ist zu berücksichtigen, sie sich in einem klar anpassungsfähigen Alter befinden. Sie leben in einem Haushalt mit ihren Eltern, weswegen davon ausgegangen auszugehen ist, dass sie mit der Landessprache des Herkunftsstaates vertraut sind; sie würden auch gemeinsam mit ihren Eltern in den Herkunftsstaat zurückkehren. Zudem hielten auch sie sich nur kurz in Österreich auf. Auch sind für sie keine Umstände erkennbar, die über das ihrem kindlichen Alter entsprechende Ausmaß hinausgehende private Interessen an ihrem Verbleib in Österreich erkennen ließen; insbesondere sind die minderjährigen beschwerdeführenden Parteien gesund.

Das Bundesverwaltungsgericht vermag somit keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr der beschwerdeführenden Parteien in ihren Herkunftsstaat zu erkennen.

3.2.3.3.3. Den familiären und privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteienan einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin liegen, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen nach den unter Pkt. II. 3.2.3.3.2. dargelegten Erwägungen schwerer als die Interessen der beschwerdeführenden Parteien am Verbleib in Österreich.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes der beschwerdeführenden Parteien deren persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt.

Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

3.2.3.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der beschwerdeführenden Parteien in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist daher nicht nur nicht geboten, sondern es war dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch verwehrt, über diesen überhaupt abzusprechen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Deswegen waren die betreffenden Teile der Punkte III. der angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben.

3.2.4. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und den beschwerdeführenden Parteien kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

3.2.5. Mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

3.2.5.1. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts wurde bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 rechtskräftig verneint. Neue Vorbringen dazu wurden mit den hier zu behandelnden Folgeanträgen nicht erstattet; auch die Länderfeststellungen lassen nicht auf solche Bedrohungen schließen.

Insbesondere lässt der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) und der bei ihr vorliegende Bedarf an medizinischen Behandlungen - insbesondere an Dialyse dreimal pro Woche - und Medikation keine Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 2 oder 3 EMRK erwarten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 23.03.2017, Ra 2017/20/0038 mit Verweis auf VwGH 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und Rz 189 ff).

Nicht nur gehen die Länderfeststellung davon aus, dass eine regelmäßige Dialyse auch in Tschetschenien erhältlich ist, auch die beschwerdeführenden Parteien selbst berichteten im vorangegangenen Asylverfahren, dass der beschwerdeführenden Partei 1) in Gudermes und in Grosny kostenlos die nötige Dialyse zur Verfügung gestanden ist. Betreffend die weiteren begleitenden Medikamente ist zu sagen, dass von einer systemischen Nicht-Versorgung mit diesen Medikamenten weder nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei 1) im vorangegangenen Asylverfahren noch nach den Länderberichten ausgegangen werden kann. Auch stehen die beiden seit Abschluss des letzten Asylverfahrens von der beschwerdeführenden Partei 1) neu konsumierten Arzneien im Zusammenhang mit ihrer Nierenerkrankung. Nierenerkrankungen sind nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat behandelbar; Medikamente für chronisch-urologische Erkrankungen werden gegen Verschreibung kostenfrei abgegeben. Darüber hinaus ist wegen der familiären Unterstützung vor Ort und der Erwerbsfähigkeit der beschwerdeführenden Partei 2) davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei 1) gelegentliche Kostenpflichten von Behandlungen und Medikamente würde bestreiten können.

Daher ist, ihre Dialyse betreffend, davon auszugehen, dass der beschwerdeführenden Partei 1) in Tschetschenien eine auch regelmäßige Behandlung offen steht, die ihr zugänglich und auch leistbar ist, sodass gegenständlich nicht davon ausgegangen werden muss, dass ihr im Falle einer Rückkehr wegen Fehlens (der Zugänglichkeit zu) einer Behandlung eine markante und baldige Verschlechterung ihres Zustands drohen würde.

Grundsätzlich ist die beschwerdeführende Partei 1) auch darauf zu verweisen, dass ihr eine vorübergehende Behandlung in anderen Teilen der Russischen Föderation grundsätzlich offen steht.

Die Tuberkulose der beschwerdeführenden Partei 1) ist mittlerweile austherapiert.

Mit Blick auf diese Sachlage ergibt sich aus den Erkrankungen der beschwerdeführenden Partei 1) und deren Behandlungsnotwendigkeiten im Falle einer Rückkehr keine Verletzung von Art. 3 EMRK.

Auch lässt die Durchführung der Abschiebung der beschwerdeführenden Partei 1) selbst keine relevante Verschlechterung ihres Gesundheitszustands erwarten. Denn zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt bei der Durchführung der Abschiebung dafür zu sorgen haben wird, dass keine maßgebliche Unterbrechung der Heilbehandlungen der beschwerdeführenden Partei 1) - insbesondere keine maßgebliche Unterbrechung ihrer Dialysebehandlungen - eintritt. Diese Vorsorgeverpflichtung des Bundesamts lässt in Zusammenschau mit der guten medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat - insbesondere angesichts der guten Verfügbarkeit von Dialysebehandlungen - keine relevante Unterbrechung der medizinischen Behandlungen der beschwerdeführenden Partei 1) erwarten. Mithin tritt auch das Beweisthema, welche Auswirkungen eine solche Unterbrechung für den Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) hätte, nicht auf, sodass dem diesbezüglichen Beweisantrag der Beschwerde keine Folge zu geben war.

3.2.5.2. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Dies entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde ebenso mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.05.2017 rechtskräftig verneint. Maßgebliche Änderungen des Sachverhalts haben sich - weder in den Personen der beschwerdeführenden Parteien noch in der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien - ergeben.

3.2.5.3. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

3.2.5.4. Die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation ist daher zulässig.

3.2.6. Ebenso rechtmäßig ging das Bundesamt davon aus, dass bei Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise der beschwerdeführenden Parteien festzusetzen war.

3.2.7. Somit war die Beschwerde gegen die Spruchpunkt II. und III. der angefochtenen Bescheide mit der Maßgabe als unbegründet abzuweisen, dass die Spruchteile über die Nichtzuerkennung von Aufenthaltstiteln gemäß § 55 AsylG 2005 ersatzlos behoben werden.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann - unter anderem - eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Gemäß der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK, dessen Garantien nach Art. 47 Abs. 2 GRC auch im vorliegenden Fall Anwendung finden, kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden).

3.3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat betreffend die Anwendung des § 41 Abs. 7 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 4/2008, (also zur wortidenten Vorgängerbestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG) unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm Art. 52 GRC ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat der Asylwerber hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor dem Bundesasylamt releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof erforderlich, wenn die vom betroffenen Asylwerber bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde an den Asylgerichtshof aufgeworfenen Fragen - allenfalls mit ergänzenden Erhebungen - nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfSlg. 19.632/2012).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

3.3.2. Im vorliegenden Fall findet sich eine Rechtsgrundlage für den Entfall der mündlichen Verhandlung in § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil der Antrag der beschwerdeführenden Parteien zu Recht wegen Vorliegens einer entschiedenen Sache gemäß § 68 AVG durch das Bundesamt zurückgewiesen wurde. Bei dieser Ermessensbestimmung ("Verhandlung kann entfallen") ist die im Asylverfahren einschlägige lex specialis des § 21 Abs. 7 BFA-VG zu beachten, die den Entfall einer mündlichen Verhandlung unter die Voraussetzung stellt, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Zudem liegen hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide keine zurückweisenden Entscheidungen vor. Damit ist auch im vorliegenden Fall die zu dieser Bestimmung sowie zu § 24 Abs. 4 VwGVG ergangene, oben aufgezeigte Rechtsprechung maßgeblich.

Eine mündliche Verhandlung konnte hier deshalb unterbleiben, weil aus dem Inhalt des dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsaktes die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Die belangte Behörde kam ihrer Ermittlungspflicht durch Befragungen der beschwerdeführenden Parteien 1) und 2) nach. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den beschwerdeführenden Parteien in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern. Im Beschwerdeverfahren wurden auch keine neuen Länderberichte, die über jene hinausgingen, die in den angefochtenen Bescheiden enthalten sind, eingeführt; eine mündliche Verhandlung war daher auch in dem Sinne nicht von Nöten, dass den beschwerdeführenden Parteien in dieser der Inhalt der Länderfeststellungen vorzuhalten gewesen wäre. Der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei 1) und der Verlauf ihrer Therapien war der Vielzahl der von ihr vorgelegten medizinischen Befunde und Medikamentenlisten umfassend zu entnehmen. Die Lebensumstände der beschwerdeführenden Parteien in Österreich waren ihren Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren umfassend zu entnehmen. Schließlich wurde zuletzt am 28.03.2017 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abgehalten, in der insbesondere auch die Krankengeschichte der beschwerdeführenden Partei 1), ihre Versorgung mit medizinischen Leistungen - insbesondere Dialyse - im Herkunftsstaat vor ihrer Ausreise, ihr dauernder Bedarf an medizinischen Leistungen - insbesondere an Dialyse - sowie der geplante Ablauf zeitlich befristeter Therapien, insbesondere gegen ihre Tuberkulose, umfassend erhoben wurde. Dieses Verhandlungsprotokoll ließ im Verbund mit den nunmehr getroffenen Angaben und beigebrachten medizinischen Befunden keinen Bedarf an einer weiteren Klärung des Sachverhalts in einer weiteren mündlichen Verhandlung aufkommen.

Vor diesem Hintergrund konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben (siehe insbesondere VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0082, wonach auch Zurückweisungen von Anträgen auf internationalen Schutz gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 mit Rückkehrentscheidungen zu verbinden seien.). Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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