Solange Recht als Rechtssatz in seiner papierenen Form verharrt und nur entsprechend formalen Rechtserzeugungsregeln Geltung beansprucht – was Schreiber „verfassungsmäßige Geltung“ nennt2 –, ist es totes Recht. Damit es „lebendes Recht“ wird oder zum „law in action“ gerechnet werden kann, muss es wahrgenommen, artikuliert, umgesetzt und durchgesetzt werden. Damit Zivilprozesse stattfinden, muss sich jemand finden, der die Rolle des Klägers auf sich nimmt, damit Strafverfolgung und eventuell ein Strafverfahren vor Gericht sich ereignen, muss regelmäßig Anzeige erstattet werden, damit eine Steuervergünstigung berücksichtigt wird, muss sie geltend gemacht werden, damit eine Sozialleistung gezahlt wird, muss sie von jemandem beansprucht werden usw. Recht besitzt keine Automatik, die für seine selbsttätige Verwirklichung sorgt, sondern ist auf Menschen oder Gruppen angewiesen, die ihre Interessen wahrnehmen und sich dazu der rechtlichen Angebote bedienen. Mit einem Wort: Recht muss aus seinem Latenzzustand bewegt werden, es muss „mobilisiert“ werden.3 Während sich die Rechtswissenschaften vorwiegend mit den Quellen und der Entstehungsgeschichte von Recht, nicht aber mit seinen tatsächlichen Funktionen beschäftigen,4 so gehört die Mobilisierung des Rechts als Nebenbedingung seiner Effektivität mit Sicherheit zum Kernbereich der rechtssoziologischen Fragestellungen zum Verhältnis von Gesellschaft und Recht.5 Rechtsgeltung wird in dieser Sichtweise zur Frage nach den jeweiligen Geltungschancen und erfordert darum einen graduellen Rechtsbegriff, der eine Abstufung zwischen Recht und Nicht-Recht ermöglicht.6