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28.7 Progressionsvorbehalt

BMF2023-0.871.81913.3.2024

28.7.1 Allgemeines

Rz 7588
Als Progressionsvorbehalt werden jene Bestimmungen bezeichnet, die eine Berücksichtigung der aus der Bemessungsgrundlage auszuscheidenden Teile des Welteinkommens für Zwecke der Tarifermittlung ermöglichen. Dadurch können jene Teile des Einkommens, die beispielsweise nach Anwendung einer sich aus einem Doppelbesteuerungsabkommen ergebenden Befreiung in der Besteuerungskompetenz eines Staates verbleiben, mit dem Steuersatz besteuert werden, der auf das Welteinkommen entfällt.

28.7.2 Rechtsgrundlage

Rz 7589
In Österreich ist der Progressionsvorbehalt nicht explizit im Gesetz verankert. Er ergibt sich zwangsläufig aus den Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (§§ 1, 2 und 33 EStG 1988) und dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. (Grundsatzerkenntnis VwGH 21.10.1960, 0162/60 ; VwGH 30.4.1964, 0880/62; VwGH 21.5.1985, 85/14/0001).

Rz 7590
Die unmittelbare Rechtsgrundlage für die Berechnung des Progressionsvorbehaltes stellt somit nicht etwa ein Doppelbesteuerungsabkommen dar, sondern ergibt sich aus der Anordnung des EStG 1988, dass sich der Steuersatz nach dem (Gesamt)Einkommen des unbeschränkt Stpfl bemisst (VwGH 29.7.2010, 2010/15/0021; 7.9.2022, Ra 2021/13/0067). Bestimmungen in einem Doppelbesteuerungsabkommen haben nur einschränkenden oder klarstellenden Charakter (siehe dazu näher Rz 7592).

Rz 7591
Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen sind die Steuern von den Einkünften, die Österreich nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zur Besteuerung überlassen werden, nach dem Satz zu erheben, der dem Welteinkommen entspricht. Es ist daher bei der Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes zwingend auf die ausländischen Einkünfte Bedacht zu nehmen. Zur Steuerermittlung in diesen Fällen entsprechend § 33 Abs. 11 EStG 1988 siehe Rz 7365 sowie LStR 2002 Rz 813. Die Geltendmachung des Progressionsvorbehaltes steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde, auch wenn diese als "Kann-Bestimmung" in den diversen Abkommen abgefasst oder in diesen gar nicht erwähnt ist. Die zwingende Anwendung des EStG 1988 für die Berechnung des Progressionsvorbehaltes hat ferner zur Folge, dass die ausländischen Einkünfte stets nach österreichischem Recht zu ermitteln sind (VwGH 6.3.1984, 83/14/0107). Näheres zur Ermittlung der Höhe der ausländischen Einkünfte siehe Rz 17.

28.7.3 Doppelbesteuerungsabkommen

Rz 7592
In den meisten von Österreich abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen findet sich im Methodenartikel (Art. 23A Abs. 3 bzw. Art. 23B Abs. 2 OECD-MA) eine Bestimmung, die für den abkommensrechtlichen Ansässigkeitsstaat einen Progressionsvorbehalt vorsieht. Da sich die Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt jedoch bereits aus dem innerstaatlichen Recht ergibt, ist dieser bei unbeschränkt Steuerpflichtigen auch dann anzuwenden, wenn er im Abkommen nicht ausdrücklich eingeräumt wurde. Diesfalls steht das Abkommen der Anwendung des im innerstaatlichen Recht verankerten Progressionsvorbehalts nicht entgegen. Denn wird der Progressionsvorbehalt in einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht angeführt, kann damit lediglich konstatiert werden, dass er weder (ausdrücklich) eingeräumt noch verboten wurde (VwGH 29.7.2010, 2010/15/0021). Dies gilt auch dann, wenn das Abkommen zur Frage des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat keine Bestimmungen enthält (VwGH 7.9.2022, Ra 2021/13/0067).

Die Anwendung des Progressionsvorbehalts erfolgt bei unbeschränkt Steuerpflichtigen daher nicht nur, wenn Österreich der abkommensrechtliche Ansässigkeitsstaat ist (VwGH 29.7.2010, 2010/15/0021), sondern ab der Veranlagung für das Jahr 2023 auch, wenn Österreich der abkommensrechtliche Quellenstaat (VwGH 7.9.2022, Ra 2021/13/0067) ist (Rz 7595).

Rz 7593
Als Ansässigkeitsstaat gilt in den Doppelbesteuerungsabkommen jener Staat, in dem der Abgabepflichtige iSd Abkommens ansässig ist, dh. primär über eine ständige Wohnstätte (für Österreich gilt § 26 BAO) verfügt. Im Falle eines Wohnsitzes in beiden Vertragsstaaten (Doppelwohnsitz) wird die Ansässigkeit auf Grund des Gesamtbildes, in erster Linie der persönlichen (VwGH 18.1.1996, 93/15/0145; VwGH 22.3.1991, 90/13/0073) aber auch der wirtschaftlichen Verhältnisse beurteilt (Mittelpunkt der Lebensinteressen).

Rz 7594
Lässt sich im Falle eines Doppelwohnsitzes der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht feststellen, sind weitere Kriterien in subsidiärer Reihenfolge der gewöhnliche Aufenthalt und die Staatsbürgerschaft. Ein Verständigungsverfahren (Verfahren zwischen den obersten Finanzbehörden der beiden Vertragsstaaten) wäre zur Lösung der Ansässigkeitsfrage dann erforderlich, wenn sämtliche vorangeführten Abgrenzungsmerkmale versagen.

Rz 7595
Ist ein Abgabepflichtiger in Österreich bloß auf Grund eines Zweitwohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig und kommt wegen des im Ausland befindlichen Mittelpunktes der Lebensinteressen auf Grund der Abkommensdefinitionen nur dem ausländischen Staat die Funktion des Ansässigkeitsstaates zu, ist in Österreich ab der Veranlagung 2023 im Allgemeinen auch ein Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen, da ein DBA der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat in der Regel nicht entgegensteht (VwGH 7.9.2022, Ra 2021/13/0067). Ist der Abgabepflichtige auf Grund der Zweitwohnsitzverordnung jedoch nicht unbeschränkt steuerpflichtig (Rz 26a), erfolgt kein Progressionsvorbehalt.

Rz 7596
Bei kurzfristigen Auslandsaufenthalten (im Ausmaß von weniger als zwei Jahren) wird idR davon auszugehen sein, dass keine Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in das Ausland erfolgt. Bei länger als fünf Jahre dauernden Aufenthalten im Ausland wird hingegen die äußere Vermutung für die Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen in das Ausland sprechen, wenn auch der Ehegatte und die haushaltszugehörigen Kinder in das Ausland übersiedeln. Für Zeiträume dazwischen wird die Frage im Einzelfall an Hand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu klären sein. Das Vorliegen einer von der Steuerverwaltung des DBA-Partnerstaates ausgestellten Ansässigkeitsbescheinigung (in der ausdrücklich eine Ansässigkeit im Sinn des Doppelbesteuerungsabkommens bestätigt wird) stellt ein gewichtiges Indiz für die Anerkennung der Ansässigkeitsverlagerung in das Ausland dar (ständige Verwaltungspraxis im Verständigungsverfahren).

Rz 7597
Ein unterjähriger Wechsel des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist möglich. Dieser Wechsel hat jedoch keine Auswirkung auf die Anwendung des Progressionsvorbehaltes, solange im Inland aufgrund eines Wohnsitzes unbeschränkte Steuerpflicht besteht (siehe bereits Rz 7595).

28.7.4 Privilegienrecht

Rz 7597a
Bei Angehörigen der ausländischen diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen, die wie beschränkt Steuerpflichtige zu behandeln sind (Rz 326), erfolgt mangels unbeschränkter Steuerpflicht kein Progressionsvorbehalt.

Bei unbeschränkt Steuerpflichtigen kommt ab der Veranlagung für das Jahr 2023 der Progressionsvorbehalt hingegen auch für durch privilegienrechtliche Abkommen (zB Wiener Diplomatenkonvention, Wiener Konsularkonvention oder Amtssitzabkommen) befreite Einkünfte zur Anwendung, sofern das jeweilige Abkommen dies nicht verbietet (VwGH 7.9.2022, Ra 2021/13/0067). Der Progressionsvorbehalt erfolgt auch, wenn das jeweilige Abkommen ihn nicht erwähnt.

Bei der Berechnung des Progressionssteuersatzes ist folgendermaßen vorzugehen:

28.7.5 Berechnung

Rz 7598
In einem ersten Schritt ist das progressionswirksame Welteinkommen inklusive ausländischer Progressionseinkünfte zu ermitteln. Dabei sind gegebenenfalls Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und sonstige Freibeträge (§§ 41 und 105 EStG 1988) abzuziehen, wobei für die Ermittlung der Sonderausgaben-Einschleifung, der Spendendeckelung sowie des Selbstbehalts für außergewöhnliche Belastungen auch steuerbefreite Auslandseinkünfte zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 24.05.2007, 2004/15/0051).

Ausländische Einkünfte, die als inländische Einkünfte nicht progressionserhöhend wären (zB Einkünfte gemäß § 67 Abs. 11 EStG 1988), wirken sich auch im Rahmen des Progressionsvorbehaltes nicht aus.

Rz 7599
Im zweiten Schritt wird die auf das Welteinkommen entfallende Tarifeinkommensteuer ohne Berücksichtigung von Absetzbeträgen berechnet. Dabei ist ab der Veranlagung 2007 § 33 Abs. 11 EStG 1988 zu berücksichtigen (siehe Rz 7365 sowie LStR 2002 Rz 813).

Rz 7600
Im dritten Schritt wird der Durchschnittssteuersatz aus der Tarifeinkommensteuer ohne Berücksichtigung von Absetzbeträgen nach der Formel "Österreichische Tarifeinkommensteuer ohne Berücksichtigung von Absetzbeträgen mal 100 dividiert durch veranlagungspflichtiges Welteinkommen" ermittelt.

Rz 7601
Im vierten Schritt wird die inländische Steuerschuld berechnet. Dabei sind die ausländischen Einkünfte aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden; eine aliquote Kürzung von Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen findet nicht statt. Der Durchschnittssteuersatz aus der Tarifeinkommensteuer ohne Berücksichtigung von Absetzbeträgen ist nur auf das im Inland zu versteuernde Einkommen anzuwenden. Sodann sind zustehende Absetzbeträge mit Ausnahme des Kinderabsetzbetrages abzuziehen (§ 33 Abs. 11 EStG 1988).

Ausländische Einkünfte erhöhen somit indirekt über den höheren Tarifeinkommensteuersatz die inländische Steuerschuld, während Verluste im Ausland das im Inland zu versteuernde Einkommen verringern (vgl. § 2 Abs. 8 EStG 1988).

Beispiel: (vereinfacht dargestellt)

Ein in Österreich ansässiger Steuerpflichtiger (Alleinverdiener ohne Kind) betreibt in Österreich und im Ausland je einen Gewerbebetrieb. Der Gewinn 2024 aus dem österreichischen Gewerbebetrieb beträgt 30.000 Euro, jener des ausländischen Betriebes 40.000 Euro. Es wird zunächst die Tarifeinkommensteuer ohne Berücksichtigung von Absetzbeträgen für 70.000 Euro berechnet: 20.174,7 Euro. Der Durchschnittssteuersatz beträgt unter Anwendung der oben dargestellten Formel 28,82%. Die inländischen Einkünfte (30.000 Euro) sind mit 28,82% zu versteuern (8.646 Euro), davon ist der Alleinverdienerabsetzbetrag in Höhe von 572 Euro abzuziehen. Die Einkommensteuer 2024 beträgt daher für die inländischen Einkünfte 8.074 Euro.

Rz 7602
Bei der Berechnung des Progressionsvorbehaltes entfaltet die ausländische Steuer infolge des Abzugsverbotes des § 20 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 keine progressionsmindernde Wirkung.

28.7.6 Veranlagung

Rz 7603
Sind im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten, zählen zu den anderen Einkünften iSd § 41 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 auch solche, die zwar im Wege eines Doppelbesteuerungsabkommens einem anderen Staat zur Besteuerung zugewiesen, bei der österreichischen Besteuerung jedoch im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Wege des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen sind (VwGH 21.5.1985, 85/14/0001).

Rz 7604
Es ist also durchaus zulässig, eine Veranlagung nach § 41 EStG 1988 nur zwecks Vornahme eines Progressionsvorbehaltes durchzuführen (VfGH 10.3.1967, B 213/66).

Werden ausländische Einkünfte auf Grund eines Doppelbesteuerungsabkommens überhaupt nicht - also auch nicht für Zwecke eines Progressionsvorbehaltes - bei der Veranlagung erfasst, dann sind sie auch nicht für die Frage des Überschreitens der Veranlagungsgrenze von Bedeutung (VwGH 16. 9.1970, 0397/70).

Randzahlen 7605 bis 7700: derzeit frei

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