VwGH 90/13/0073

VwGH90/13/007322.3.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Dipl.Ing. Dr. R gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1989, Zl. 6/1-1282/87-13, betreffend Einkommensteuer 1983 und 1984, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §26 Abs1;
DBAbk BRD 1955 Art1 Abs1;
DBAbk BRD 1955 Art1 Abs2;
DBAbk BRD 1955 Art15 Abs3;
DBAbk BRD 1955 Art16;
EStG 1972 §1 Abs1;
BAO §26 Abs1;
DBAbk BRD 1955 Art1 Abs1;
DBAbk BRD 1955 Art1 Abs2;
DBAbk BRD 1955 Art15 Abs3;
DBAbk BRD 1955 Art16;
EStG 1972 §1 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist (nach den Beschwerdebehauptungen seit 1. Juni 1980) Professor an der technischen Universität in N und hat dort eine Wohnung. Er behielt seine bisherige Wohnung in M bei, wo auch seine Gattin und sein Sohn wohnen.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1983 und 1984 in Österreich Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit bezogen hatte. Der Prüfer vertrat die Auffassung, der Beschwerdeführer sei unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 EStG 1972 erfüllt seien. Infolge der unbeschränkten Steuerpflicht sei bei der Berechnung des anzuwendenden Steuersatzes das Welteinkommen zugrundezulegen.

Das Finanzamt folgte den Prüfungsfeststellungen und erließ am 7. August 1986 u.a. die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung und führte aus, er sei "deutscher Staatsbeamter und kann weder Steuerinländer noch unbeschränkt steuerpflichtig sein". Der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liege in N. Es werde beantragt, "sein Einkommen dem Steuersatz für beschränkt Steuerpflichtige zu unterwerfen".

In der Vorhaltsbeantwortung vom 29. Juni 1987 brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, für die in den Streitjahren in Österreich entfaltete Tätigkeit seien ihm das Forschungssemester 1983/84 und während der Vorlesungszeit nur Wochenenden mit Flügen N-M zur Verfügung gestanden, wobei 1983 acht Flüge und 1984 zwölf Flüge erfolgt seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung in Ansehung der Einkommensteuer 1983 und 1984 als unbegründet ab. Sie nahm Bezug auf § 26 BAO und vertrat die Auffassung, der Beschwerdeführer habe unbestrittenermaßen einen inländischen Wohnsitz, weshalb gemäß § 1 Abs. 1 EStG 1972 die unbeschränkte Steuerpflicht des Beschwerdeführers gegeben sei. Da er in den Streitjahren auch in der BRD einen Wohnsitz gehabt habe, liege ein Doppelwohnsitz vor, sodaß gemäß Art. 16 des mit der BRD abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA-BRD) das Besteuerungsrecht nach dem Gesamteinkommen dem Staat zukomme, zu dem die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. Nach den Prüfungsfeststellungen habe sich der Beschwerdeführer von Juli 1983 bis Mai 1984 in M aufgehalten. Zu diesem Aufenthalt kämen noch die Wochenenden, die er in M verbracht habe. Der Beschwerdeführer habe in M auch sein kulturelles Engagement gezeigt, und zwar als Generalsekretär des Vereines für Stadtgestaltung mit Sitz in M. Insgesamt ergebe sich somit, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in Österreich gelegen sei, sodaß "die Anwendung des progressiven Steuersatzes" zu Recht erfolgt sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Gemäß § 1 Abs. 1 EStG 1972 sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig.

Gemäß § 26 Abs. 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Im Hinblick auf die unbekämpft gebliebene und mit dem Akteninhalt übereinstimmende Feststellung der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer seine bisherige Wohnung in M auch nach seiner Ernennung zum Universitätsprofessor an der technischen Universität in N beibehalten und wiederholt benutzt hat, ist der belangten Behörde beizupflichten, daß damit die unbeschränkte Steuerpflicht des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Abs. 1 EStG 1972 gegeben ist. Die Dauer des Aufenthaltes ist bei dieser Sachlage entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für die Beurteilung des Vorliegens eines Wohnsitzes im Sinne des § 26 Abs. 1 BAO, und des § 1 Abs. 1 EStG 1972 nicht von erheblicher Bedeutung.

Mit der Annahme eines inländischen Wohnsitzes des Beschwerdeführers und damit seiner unbeschränkten Steuerpflicht allein ist allerdings der Beschwerdefall noch nicht entschieden, weil nach den Sachverhaltsfeststellungen die belangte Behörde davon ausgehen mußte, daß der Beschwerdeführer in den Streitjahren auch in der BRD einen Wohnsitz hatte.

2.1. Nach Art. 1 Abs. 1 des DBA-BRD soll durch dieses Abkommen vermieden werden, daß Personen, die in einem der beiden oder in beiden Vertragstaaten einen Wohnsitz haben, doppelt zu Steuern herangezogen werden, die nach der Gesetzgebung jedes der beiden Staaten u.a. unmittelbar vom Einkommen erhoben werden.

Nach Art. 1 Abs. 2 dieses Abkommens hat eine natürliche Person einen Wohnsitz im Sinne dieses Abkommens in dem Vertragstaat, in dem sie eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Wenn sie in keinem der Vertragstaaten einen Wohnsitz hat, gilt als Wohnsitz der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes.

Nach Art. 15 Abs. 1 hat der Wohnsitzstaat kein Besteuerungsrecht, wenn es in den vorhergehenden Artikeln dem anderen Vertragstaate zugewiesen worden ist. Nach Abs. 3 dieser Bestimmung schließt Abs. 1 nicht aus, daß der Wohnsitzstaat die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften und Vermögensteilen nach dem Satz erheben kann, der dem Gesamteinkommen oder dem Gesamtvermögen der steuerpflichtigen Person entspricht.

Wenn eine Person in jedem der Vertragstaaten einen Wohnsitz hat, so ist gemäß Art. 16 des Abkommens, soweit sich das Besteuerungsrecht nach dem Wohnsitz richtet, der Wohnsitz maßgebend, zu dem die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Wenn dies nicht festzustellen ist, werden die obersten Finanzbehörden der Vertragstaaten sich nach Art. 21 verständigen.

2.2. Bei der Auslegung dieser Bestimmungen ist zunächst festzuhalten, daß der Wohnsitzbegriff in Art. 1 Abs. 2 des Abkommens mit denselben Worten umschrieben wird, die in § 26 Abs. 1 BAO verwendet werden. Unter Bezugnahme auf die obigen Ausführungen zu Punkt 1 ist daher davon auszugehen, daß in den Streitjahren ein Doppelwohnsitz des Beschwerdeführers in Österreich und in der BRD im Sinne des Art. 16 des Abkommens vorliegt. Da Art. 15 Abs. 3 des Abkommens den Progressionsvorbehalt nur dem Wohnsitzstaat einräumt und die belangte Behörde dieses Recht bei der Besteuerung der im Inland erzielten Einkünfte des Beschwerdeführers in Anspruch genommen hat, war im Sinne des Art. 16 zu prüfen, ob in den Streitjahren die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zum österreichischen Wohnsitz des Beschwerdeführers bestanden, mit anderen Worten, ob M der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers war.

2.3. Mit der Auslegung des Art. 16 DBA-BRD hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Februar 1970, Zl. 1001/69, befaßt und ausgeführt, daß unter persönlichen Beziehungen alle jene zu verstehen sind, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er sie beibehalten und benutzen wird. Von Bedeutung sind dabei die Ausübung des Berufes, die Gestaltung des Familienlebens sowie Betätigungen religiöser und kultureller Art sowie andere Tätigkeiten zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen. Die stärkste persönliche Beziehung besteht im Regelfall zu dem Ort, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt. Diese Annahme setzt die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1990, Zl. 89/14/0054, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, kann der Auffassung der belangten Behörde, daß die stärksten Beziehungen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 16 DBA-BRD in den Streitjahren zu seinem Wohnsitz in M bestanden haben, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Seine persönlichen Beziehungen zu dem M-Wohnsitz waren nämlich wesentlich stärker als zu dem N-Wohnsitz, insbesondere wenn man berücksichtigt, daß der Familienwohnsitz weiterhin in M war und der Beschwerdeführer die vorlesungsfreie Zeit, die in den Streitjahren im Hinblick auf ein Forschungssemester besonders umfangreich war, in M verbracht hat und auch in den übrigen Monaten wiederholt an den Wochenenden in M war. An diesem Ort hatte auch den Verein für Stadtgestaltung ihren Sitz, deren Generalsekretär der Beschwerdeführer war. Die persönlichen Beziehungen des Beschwerdeführers waren daher nahezu ausschließlich nach M orientiert, während sich die wirtschaftlichen Beziehungen auf beide Wohnsitze erstreckten. Berücksichtigt man allein die Höhe der erzielten Einkünfte, können die wirtschaftlichen Beziehungen zu N als stärker angesehen werden als jene zu M. Entscheidend für die Lösung der Frage, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen gelegen ist, ist jedoch das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Da die persönlichen Beziehungen zu M klar stärker waren als jene zu N, die wirtschaftlichen Beziehungen nur ein geringes Übergewicht zu Gunsten Ns zeigen und zudem wirtschaftlichen Betätigungen im Leben eines Menschen nur eine weitergehenden Zwecken dienende Funktion zukommt, sodaß wirtschaftlichen Beziehungen in der Regel eine geringere Bedeutung als persönlichen Beziehungen zukommt (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 25. Februar 1970), ist die belangte Behörde mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß in den Streitjahren der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers in M gelegen war.

2.4. Die vom Beschwerdeführer dagegen vorgetragenen Argumente überzeugen nicht. Daß er Tätigkeiten für den oben genannten Verein auch von N aus ausgeübt hat, vermag nichts daran zu ändern, daß im Hinblick auf den Sitz des Vereines in M auf Grund der Vereinstätigkeit des Beschwerdeführers Beziehungen zu M aufrechterhalten wurden. Daß Umstände des Privatlebens bei der Beurteilung, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt, erst in zweiter Linie herangezogen werden dürfen, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und widerspricht außerdem der oben zitierten Judikatur. Eine Parallele zu ausländischen Saisonarbeitern kann schon deshalb nicht gezogen werden, weil diese im Inland in der Regel weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, der Beschwerdeführer hingegen nach dem oben Gesagten in Österreich jedenfalls einen Wohnsitz hatte.

Die Auffassung des Beschwerdeführers, der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei "durch niemand als den Steuerpflichtigen selbst feststellbar, da der Stellenwert seines Lebens nicht durch äußere Momente bestimmt wird, sondern durch die eigene Wertschätzung", kann ebenfalls nicht geteilt werden, weil es das zitierte Abkommen nicht der Beurteilung des Steuerpflichtigen überläßt, welchen Wohnsitz er als den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bezeichnet, sondern auf die stärksten persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen abstellt, deren Vorliegen nur anhand objektiv feststellbarer Umstände beurteilt werden kann.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich die Auffassung vertritt, "daß der Begriff des Mittelpunktes der Lebensinteressen weder ein brauchbares noch anwendbares Bewertungsmoment für die Beurteilung der Steuerpflicht gemäß § 1 EStG darstellt, weil hiezu die sachliche Wertschätzung fehlt", vermengt er in unzulässiger Weise die Bestimmungen des § 1 Abs. 1 EStG 1972 und des Art. 16 DBA-BRD. Während der Mittelpunkt der Lebensinteressen nach dem oben Gesagten für die Beurteilung der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht keine Rolle spielt, wird in Art. 16 des genannten Abkommens der Mittelpunkt der Lebensinteressen als Tatbestandsmerkmal ausdrücklich genannt, nicht hingegen der gewöhnliche Aufenthalt, nach welchem der Beschwerdeführer die Abgrenzung im Sinne des Art. 16 DBA-BRD vornehmen will.

2.5. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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