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22.6 Ausnahmen von der Zinsschranke (§ 12a Abs. 9 und § 26c Z 80 KStG 1988)

BMF2021-0.768.4855.11.2021

22.6.1 Langfristige öffentliche Infrastrukturprojekte im allgemeinen öffentlichen Interesse

22.6.1.1 Allgemeines und Anwendungsbereich

Rz 1309ch
Gemäß § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 sind Zinsaufwendungen aufgrund von Darlehen zur Finanzierung langfristiger öffentlicher Infrastrukturprojekte innerhalb der Europäischen Union von allgemeinem öffentlichen Interesse (zur Definition siehe näher Rz 1309ck) von der Zinsschranke ausgenommen, dh., sie sind bei der Ermittlung des Zinsüberhangs gemäß § 12a Abs. 3 KStG 1988 nicht zu berücksichtigen. Folglich sind derartige Zinsaufwendungen auch für Zwecke der Ermittlung des steuerlichen EBITDA nicht zu neutralisieren, dh. dem Gesamtbetrag der Einkünfte vor Anwendung des § 12a KStG 1988 nicht hinzuzurechnen (siehe Rz 1309bv).

Korrespondierend zu § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 bleiben die mit derartigen Infrastrukturprojekten im Zusammenhang stehenden Einkünfte gemäß § 12a Abs. 9 letzter Satz KStG 1988 bei der Ermittlung des steuerlichen EBITDA im Sinne des § 12a Abs. 4 KStG 1988 ebenfalls außer Ansatz, dh. der Gesamtbetrag der Einkünfte vor Anwendung des § 12a KStG 1988 (siehe dazu Rz 1309bj ff) ist um diese - zunächst darin enthaltenen - Einkünfte zu vermindern.

Infrastrukturprojekte, die die Voraussetzungen des § 12a Abs. 9 KStG 1988 erfüllen, sind daher für Zwecke der Zinsschranke vollständig - dh. sowohl ausgaben- wie einnahmenseitig - auszublenden.

Rz 1309ci
Ausgenommen von § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 sind Atomkraftwerke und klimaschädliche Infrastrukturprojekte (§ 12a Abs. 9 zweiter Satz KStG 1988).

Welche Infrastrukturprojekte als "klimaschädlich" iSv § 12a Abs. 9 zweiter Satz KStG 1988 anzusehen sind, wird näher durch eine noch zu erlassende Verordnung des Bundesministers für Finanzen im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) festgelegt.

Liegt ein klimaschädliches Infrastrukturprojekt vor, sind die Zinsaufwendungen aus der Finanzierung derartiger außerhalb des Anwendungsbereichs von § 12a Abs. 9 KStG 1988 liegender Projekte bei der Ermittlung des Zinsüberhangs gemäß § 12a Abs. 3 KStG 1988 zu berücksichtigen; folglich hat auch eine Neutralisierung dieser Zinsaufwendungen für Zwecke der Ermittlung des steuerlichen EBITDA zu erfolgen. Korrespondierend dazu fließen diesfalls auch die damit im Zusammenhang stehenden Einkünfte in das steuerliche EBITDA im Sinne des § 12a Abs. 4 KStG 1988 ein; dh. sie sind im Gesamtbetrag der Einkünfte vor Anwendung des § 12a KStG 1988 enthalten.

Rz 1309cj
Auch wenn der Wortlaut der von § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 auf Zinsaufwendungen "für Darlehen" beschränkt ist, bestehen im Lichte der ATAD keine Bedenken - analog zur Ausnahmebestimmung für Altverträge gemäß § 26c Z 80 zweiter Satz KStG 1988 - jegliche unter § 12a KStG 1988 fallende Zinsaufwendungen (unabhängig von der vertraglichen Bezeichnung als "Darlehen") unter die Ausnahmeregelung des § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 zu subsumieren, die dem Grunde nach zu Fremdfinanzierungsaufwendungen im Sinne des § 12a Abs. 3 zweiter Satz KStG 1988 führen (zum Zinsbegriff siehe Rz 1309at ff).

22.6.1.2 Definition langfristiger öffentlicher Infrastrukturprojekte

Rz 1309ck
Von § 12a Abs. 9 KStG 1988 sind lediglich in der Europäischen Union belegene langfristige öffentliche Infrastrukturprojekte erfasst. Diese Voraussetzung ist den Vorgaben der ATAD (Art. 4 Abs. 4 lit. b ATAD) zufolge erfüllt, wenn sowohl

  • der Projektbetreiber,
  • die Vermögenswerte (= jeweilige Infrastruktur)
  • und die damit im Zusammenhang stehenden Zinsaufwendungen und Einkünfte

in der Europäischen Union belegen sind.

Für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung ist vor diesem Hintergrund maßgeblich, dass sich die Zinsaufwendungen aus dem Infrastrukturprojekt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union steuermindernd ausgewirkt haben. Korrespondierend gilt dies auch für die mit dem Infrastrukturprojekt im Zusammenhang stehenden Einkünfte; diese müssen die für die Ermittlung des steuerlichen EBITDA maßgebliche Ausgangsgröße in einem Mitgliedstaat steuerwirksam erhöht haben.

Der Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung steht nicht entgegen, dass sich ein Infrastrukturprojekt auf mehr als einen Mitgliedstaat der Europäischen Union erstreckt (zB bei Verkehrsinfrastrukturprojekten; siehe Rz 1309cl).

Rz 1309cl
Ein langfristiges öffentliches Infrastrukturprojekt im Sinne des § 12a Abs. 9 KStG 1988 liegt vor, wenn es der Bereitstellung, dem Ausbau, dem Betrieb und/oder der Erhaltung eines umfangreichen Vermögenswertes dient, der von einem Mitgliedstaat als im allgemeinen öffentlichen Interesse stehend betrachtet wird. § 12a Abs. 9 KStG 1988 erfasst damit sowohl den Neubau, Umbau oder Ausbau einer (bereits bestehenden) Infrastruktur im allgemeinen öffentlichen Interesse. Das Bestehen eines allgemeinen öffentlichen Interesses wird voraussetzen, dass das Infrastrukturprojekt dem Nutzen der Allgemeinheit dient.

Als langfristige öffentliche Infrastrukturprojekte von öffentlichem Interesse kommen vor diesem Hintergrund insbesondere in Betracht:

  • Verkehrsinfrastrukturprojekte, wie Eisenbahntrassen- und Gleisbau, Bahnhöfe und Güterterminals, Straßen- und Tunnelbau, Wasserstraßen und Häfen, Flughäfen;
  • Energieversorgungsprojekte, wie beispielsweise Kanal-, Wasser-, Gas- oder Fernwärmenetz, Errichtung von Kraftwerken (ausgenommen Atomkraftwerke);
  • Kommunikationsinfrastrukturprojekte wie Telefon- und Glasfaserleitungen;
  • Umweltspezifische Einrichtungen wie beispielsweise Wasseraufbereitung oder Müllentsorgung;
  • Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime;
  • Bildungseinrichtungen (Schulen, Universitäten), Kindergärten, Bibliotheken, Museen;
  • Verwaltungsgebäude wie beispielsweise Rathäuser und Botschaften.

Davon ausgenommen sind - ungeachtet der Erfüllung der Definition von langfristigen öffentlichen Infrastrukturprojekten von öffentlichem Interesse dem Grunde nach - jene Infrastrukturprojekte, die dem Interesse des Klimaschutzes entgegenstehen (siehe bereits Rz 1309ci).

Rz 1309cm
Liegt ein langfristiges öffentliches Infrastrukturprojekt innerhalb der Europäischen Union von allgemeinem öffentlichen Interesse vor (siehe Rz 1309ck f), setzt § 12a Abs. 9 erster Satz KStG 1988 für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung zudem voraus, dass die Darlehen oder sonstigen Verträge nachweislich und ausschließlich zur Finanzierung des Infrastrukturprojektes verwendet werden. Für diese Zwecke hat eine nachvollziehbare Trennung der Finanzierungsaufwendungen für das begünstigte Infrastrukturprojekt von anderen Finanzierungsaufwendungen - etwa durch einen gesonderten Ausweis der Fremdfinanzierungsaufwendungen in einem eigenen, projektbezogenen Rechnungskreis - zu erfolgen.1)

1) Redaktionelle Anmerkung: Infolge eines redaktionellen Versehens wurde Rz 1309cm im Rahmen der Wartung 2021 nicht eingearbeitet. Die fehlende Randzahl wurde im Wege einer Korrektur am 3. Oktober 2022 ergänzt.

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