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Wirtschaftliche Betrachtungsweise bei ausländischen Versicherungsprodukten

BMFBMF-010203/0260-VI/6/201023.4.20102010

Für die ertragsteuerliche Beurteilung von ausländischen Versicherungsprodukten, bei denen der Versicherungsnehmer einen gewissen Einfluss auf die Vermögenswerte des Deckungsstocks behält, stellt sich die Frage, ob dem Versicherungsnehmer angesichts seiner Dispositionsmöglichkeiten die (Kapital)Erträge aus den dem Deckungsstock zugehörigen Wertpapieren unmittelbar zuzurechnen sind.

Um eine einheitliche Gesetzesauslegung durch die Finanzämter und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu gewährleisten, gibt das Bundesministerium für Finanzen seine Rechtsansicht zu diesem Thema bekannt:

1. Vergleichbarkeit mit inländischen Versicherungsprodukten

Bei ausländischen Versicherungsprodukten, die jenen Produkten vergleichbar sind, die auch inländische Versicherungsunternehmen unter der Bezeichnung als Versicherungen anbieten dürfen, kann davon ausgegangen werden, dass das Versicherungsunternehmen wirtschaftlicher Eigentümer der dem Deckungsstock zugehörigen Wertpapiere ist.

Welche Produkte im Inland konzessionierte Versicherungsunternehmen unter der Bezeichnung als Versicherungen anbieten dürfen, wird durch das Versicherungsaufsichtsgesetz und die dazu ergangenen Rundschreiben der FMA geregelt. Danach dürfen folgende Vertragstypen angeboten werden:

In der Praxis werden fonds- und indexgebundene Lebensversicherungen oft mit "Garantien" verkauft. Solche "Garantien" dürfen nicht vom Versicherungsunternehmen, sondern dürfen nur von Dritten abgegeben werden (das Versicherungsunternehmen darf höchstens das Ausfallsrisiko des Garantiegebers übernehmen).

Bei der index- und fondsgebundenen Lebensversicherung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Die Vergleichbarkeitsprüfung für ausländische Versicherungsprodukte, bei denen der Versicherungsnehmer einen gewissen Einfluss auf die Vermögenswerte des Deckungsstocks behält, wird sich in der Regel an der fondsgebundenen Lebensversicherung orientieren. Aus den dargestellten Regelungen für diesen Vertragstyp ergibt sich, dass insbesondere folgende ausländische Produkte nicht mit inländischen Versicherungsprodukten vergleichbar sind:

2. Wirtschaftliches Eigentum bei nicht vergleichbaren ausländischen Versicherungsprodukten

Bei ausländischen Versicherungsprodukten, die jenen Produkten nicht vergleichbar sind, die auch inländische Versicherungsunternehmen als Versicherungen anbieten dürfen, ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Kunde ("Versicherungsnehmer") über die dem Deckungsstock zugehörigen Wertpapiere (weiterhin) so weit reichend verfügen kann, dass ihm diese als Einkunftsquelle zuzurechnen sind. Dies ist jedenfalls gegeben, wenn der Kunde laufend Einfluss auf die Zusammensetzung der ihm zuzuordnenden Wertpapiere im Deckungsstock hat, indem er ohne Einschränkungen bestimmen kann, wann welche Wertpapiere ge- und verkauft werden. Ist die Einflussmöglichkeit des Kunden nicht derart eindeutig gegeben, sprechen folgende Indizien für eine Zurechnung zum Kunden:

Diese Indizien sind als ein bewegliches System zu verstehen, dh. für die wirtschaftliche Zurechnung zum Kunden ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgeblich. Es müssen daher nicht sämtliche der genannten Voraussetzungen erfüllt sein, sondern es genügt, dass das Gesamtbild dafür spricht, dass der Kunde über die im Deckungsstock befindlichen Wertpapiere verfügen kann. Dabei ist in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht bloß auf die rechtliche Gestaltung, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.

3. Rechtsfolgen der Zurechnung des Deckungsstocks zum Kunden

Ergibt die unter Pkt. 2 dargestellte Prüfung der wirtschaftlichen Dispositionsbefugnis, dass die im Deckungsstock befindlichen Wertpapiere aus ertragsteuerlicher Sicht dem Kunden ("Versicherungsnehmer") zuzurechnen sind, sind auch die auf den Kunden entfallenden Einkünfte aus den ihm zugeordneten Wertpapieren des Deckungsstocks unmittelbar dem Kunden zuzurechnen und bei diesem zu besteuern. Im Falle eines unbeschränkt steuerpflichtigen Kunden, dem Wertpapiere des Deckungsstocks zugeordnet sind, die im Depot einer österreichischen Bank verwahrt werden, besteht daher nach Maßgabe der §§ 93 ff EStG 1988 Kapitalertragsteuerpflicht. Wird gemäß § 3 EU-QuStG festgestellt, dass der Kunde als wirtschaftlicher Eigentümer der Zinszahlungen seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU hat, ist EU-Quellensteuer einzubehalten.

4. Haftung der depotführenden Bank

Ist der Kapitalertragsteuerabzug zu Unrecht unterblieben, kann die Kapitalertragsteuer gemäß § 95 Abs. 5 Z 1 EStG 1988 ausnahmsweise auch dem Empfänger der Kapitalerträge vorgeschrieben werden. Es liegt daher grundsätzlich im Ermessen der Abgabenbehörde, die Kapitalertragsteuer dem Empfänger oder der zum Abzug verpflichteten depotführenden Bank vorzuschreiben.

Von der Vorschreibung der Kapitalertragsteuer an die depotführende Bank ist jedenfalls abzusehen, wenn das Versicherungsunternehmen gegenüber der depotführenden Bank eine schriftliche (Anleger-)Erklärung abgegeben hat, wonach

Dies gilt nicht, wenn die depotführende Bank oder ein Unternehmen desselben Konzerns (§ 15 AktG) das ausländische Versicherungsprodukt vermittelt hat und die depotführende Bank wusste oder wissen musste, dass der Kunde ("Versicherungsnehmer") und nicht das Versicherungsunternehmen über die im Deckungsstock befindlichen Vermögenswerte verfügen kann (siehe Pkt. 2). Ist dies der Fall, ist die Kapitalertragsteuer grundsätzlich der depotführenden Bank vorzuschreiben. Dies gilt sinngemäß auch für die EU-Quellensteuer.

5. Eigenständige Beurteilung für Zwecke der Versicherungssteuer

Während im Bereich der Ertragsteuern die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist, ist für das Versicherungssteuergesetz 1953 die zivilrechtliche Beurteilung maßgeblich. Liegt daher aus zivilrechtlicher Sicht eine Versicherung vor, dh. unterliegt der Vertrag dem Versicherungsvertragsgesetz 1958, kann - ungeachtet der ertragsteuerlichen Beurteilung - auch Versicherungssteuer nach dem Versicherungssteuergesetz 1953 anfallen. Davon betroffen können ausländische Versicherungsprodukte sein, bei denen

6. Anwendungszeitraum dieser BMF-Information

Die in diesem Schreiben dargestellten Grundsätze sind in allen offenen Verfahren anzuwenden. Von einer Vorschreibung der Kapitalertragsteuer an die depotführende Bank ist bei Depots, die von ausländischen Versicherungsunternehmen vor dem 1.7.2010 begründet wurden bzw. die vor dem 1.7.2010 auf ausländische Versicherungsunternehmen übertragen wurden, abzusehen. Dies gilt nicht, wenn die depotführende Bank oder ein Unternehmen desselben Konzerns (§ 15 AktG) das ausländische Versicherungsprodukt vermittelt hat und die depotführende Bank wusste oder wissen musste, dass der Kunde ("Versicherungsnehmer") und nicht das Versicherungsunternehmen über die im Deckungsstock befindlichen Vermögenswerte verfügen kann (siehe Pkt. 2).

 

Bundesministerium für Finanzen, 23. April 2010

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 20 VAG, Versicherungsaufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 569/1978
§ 18 VAG, Versicherungsaufsichtsgesetz, BGBl. Nr. 569/1978
§ 93 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 3 EU-QuStG, EU-Quellensteuergesetz, BGBl. I Nr. 33/2004
§ 95 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 15 AktG, Aktiengesetz 1965, BGBl. Nr. 98/1965
VersStG, Versicherungssteuergesetz 1953, BGBl. Nr. 133/1953
VersVG, Versicherungsvertragsgesetz 1958, BGBl. Nr. 2/1959
§ 21 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 24 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

ausländische Versicherungsprodukte, inländische Versicherungsprodukte, klassische Lebensversicherung, kapitalanlageorientierte Lebensversicherung, indexgebundene Lebensversicherung, fondsgebundene Lebensversicherung, Risikoübernahme, Tarif, Versicherungsrisiko, Einmalerlag, Depotübertragung, Veranlagungsstrategie, private insuring

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