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Mittelpunkt der Lebensinteressen

BMFP 228/1-IV/4/9717.6.19971997

EAS 1086

Zur Frage des Mittelpunktes der Lebensinteressen ergibt sich aus dem VwGH-Erkenntnis vom 22.3.91, 90/13/0073, ÖStZB 1991, 530, folgendes: Entscheidend ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt idR eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Darunter sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz innehat. Von Bedeutung sind dabei die Ausübung des Berufes, die Gestaltung des Familienlebens sowie Betätigungen religiöser und kultureller Art sowie andere Tätigkeiten zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen. Die stärkste persönliche Beziehung besteht im Regelfall zu dem Ort, an dem jemand regelmäßig mit seiner Familie lebt. Diese Annahme setzt die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindungen zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen voraus.

Es wird daher den persönlichen Lebensinteressen im Zweifel der Vorrang gebühren. Wenn demnach ein österreichischer Staatsbürger, der 20 Jahre in Deutschland gearbeitet und dort eine Familie (1 Sohn) gegründet hat, in Österreich ein Ferienhaus als Zweitwohnsitz erwirbt und nun von seinem deutschen Arbeitgeber vorübergehend nach Österreich entsandt wird, dann spricht vieles dafür, dass sich in dieser Entsendungszeit der Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin in Deutschland befindet. Dies auch dann, wenn er mittlerweile von seiner Frau geschieden wurde, sich aber seine Lebensgefährtin, mit der er eine eheähnliche Gemeinschaft führt, weiterhin in Deutschland aufhält.

Anders werden die Dinge zu sehen sein, wenn der betreffende Dienstnehmer von seinem deutschen Arbeitgeber auf Dauer nach Österreich versetzt wird, wenn die Bindungen zu seiner Lebensgefährtin eher lose sind, wenn der Sohn von der geschiedenen Gattin betreut wird oder bereits erwachsen ist und betreuende Kontakte durch den Vater nicht mehr ins Gewicht fallen.

Ob der eine oder andere Fall vorliegt, kann aber nicht im Rahmen des EAS-Verfahrens beurteilt werden, sondern wird in erster Linie vom Abgabepflichtigen selbst zu entscheiden sein. Sollte hiedurch die Gefahr eines grenzüberschreitenden Besteuerungskonfliktes eintreten, dann ist anzuraten, seine Beurteilung mit den zuständigen Finanzämtern der beiden Staaten abzustimmen. Nur dann, wenn sich auch hiebei ein Besteuerungskonflikt abzeichnet, wäre die Einleitung eines internationalen Verständigungsverfahrens zur Abklärung der Sache zu empfehlen.

Sollte sich der Lebensmittelpunkt mit 1. Juli 1997 von Deutschland nach Österreich verlagern, wobei die einzigen Einkünfte jene des deutschen Arbeitgebers sind, dann würden die Bezüge bis Ende August (entfallend auf in Deutschland ausgeübte Arbeit und auf die davon noch herrührenden Urlaubszeiten) in Österreich gemäß Art. 9 Abs. 1 DBA-Deutschland steuerfrei zu stellen sein (und zwar bis 30. Juni 1997 ohne Progressionsvorbehalt und für Juli und August mit Progressionsvorbehalt); es würden demnach nur jene Bezüge unmittelbar in die inländische Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehen sein, die auf die in Österreich ausgeübte Arbeit entfallen.

17. Juni 1997 Für den Bundesminister: Dr. Loukota

Für die Richtigkeit der Ausfertigung:

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen und Vermögen), BGBl. Nr. 221/1955

Schlagworte:

Wohnsitz, Lebensmittelpunkt, inländischer Zweitwohnsitz, Arbeitsort, Dienstnehmerentsendung, dauernder Aufenthalt, Dauerhaftigkeit, Verständigungsverfahren, Steuerfreiheit, Steuerfreistellung unter Progressionsvorbehalt, Progressionsvorbehalt

Verweise:

VwGH, 90/13/0073

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