EAS 1160
In EAS 969 wurde ausgeführt, dass es im Rahmen der Gestaltungsfreiheit liegt, darüber zu entscheiden, mit wem jemand einen Dienstvertrag abschließen möchte. Wenn hiebei die gewählte zivilrechtliche Gestaltung nicht bloß "auf dem Papier" existiert, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht dementsprechend vollzogen wird, ist sie auch der Besteuerung zugrundezulegen. Bei steuerlicher Nichtanerkennung gewählter zivilrechtlicher Gestaltungen ist ein strenger Maßstab anzulegen (VwGH 4.3.1983, 81/17/0102, ÖStZB 1983, 339).
Entsendet eine österreichische Gesellschaft einen ihrer Mitarbeiter für zwei Jahre zu einer deutschen Konzerngesellschaft, bei der dieser dort die Leitung des Produktmanagements für einen bestimmten Bereich übernimmt, und wird in dem mit dem Mitarbeiter abgeschlossenen Entsendungsvertrag ausdrücklich vereinbart, dass für diese Zweijahresentsendung der Mitarbeiter "Dienstnehmer des Entsenders" verbleibt und dass nur im Fall einer Entsendungsverlängerung der Vertrag mit dem Entsender aufgehoben und durch einen lokalen Anstellungsvertrag ersetzt wird, dann bedürfte es gewichtiger Umstände faktischer Art, die die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses zum österreichischen Unternehmen zu einer bloß äußerlichen Erscheinungsform herabmindern, und dass es in Wahrheit die deutsche Gesellschaft ist, die die echte Arbeitgeberrolle übernimmt.
Im Rahmen des ministeriellen EAS-Verfahrens können Sachverhaltsbeurteilungsfragen (hier: Frage des wirtschaftlichen Arbeitgebers während der Entsendungszeit) nicht mit Wirkung für einen konkreten Besteuerungsfall entschieden werden, denn dies setzt eine eingehendere Auseinandersetzung mit allen im konkreten Fall maßgebenden Gegebenheiten voraus, wie dies nur im Rahmen eines auf der Grundlage der freien Beweiswürdigung von den Abgabenbehörden zu führenden Ermittlungsverfahrens möglich ist. Dennoch verdient festgehalten zu werden, dass eine Umqualifizierung des vertraglich Vereinbarten, nämlich eine steuerliche Nichtanerkennung der bloßen Entsendung durch den inländischen Arbeitgeber unter Annahme eines Arbeitgeberwechsels nicht gerechtfertigt sein wird, wenn laut Entsendungsvertrag typische Arbeitgeberaufgaben weiterhin vom entsendenden österreichischen Unternehmen wahrgenommen werden und nicht auf das ausländische Unternehmen übergehen:
- Die Gehaltsvereinbarung sowie die Teilnahmeberechtigung am Erfolgsbonus- und Aktienerwerbsplan des Konzerns wird mit der österreichischen GmbH getroffen;
- für allgemeine Nebenleistungen (z.B. Unfallversicherung und betriebliche Altersversorgung) bleibt der Mitarbeiter "Betriebsangehöriger" des österreichischen Unternehmens;
- die Arbeitszeiten und die Urlaubsberechtigung werden mit der österreichischen GmbH vereinbart (dass der österreichische Arbeitgeber hier die Regelungen des Aufenthaltslandes akzeptiert, ändert nichts daran, dass er es ist, der die diesbezüglichen Regelungen mit seinem Arbeitnehmer vereinbart);
- die Einsatzortzuweisung erfolgt durch die österreichische GmbH, wobei von ihr auch festgelegt wird, dass die deutsche GmbH andere Aufenthalte nur im Falle von Geschäftsreisen anordnen darf;
- es hat allein der bisherige Arbeitgeber über eine Beendigung des mit seinem Arbeitnehmer bestehenden Dienstverhältnisses zu entscheiden, wenn nach Ablauf der Zweijahresentsendung kein Arbeitgeberwechsel vorgenommen wird;
- während der Zweijahresentsendung kann aus in der Person oder in dem Verhalten des Mitarbeiters liegenden Gründen das Beschäftigungsverhältnis nur beendet werden, wenn dies nach österreichischem Recht einen Kündigungsgrund darstellt.
Es ist allerdings bekannt, dass auf deutscher Seite eine Beurteilungstendenz besteht, nach der Arbeitsgestellungsverhältnisse bei verbundenen Unternehmen steuerlich nicht anerkannt werden. Für dieses Problem wird gegenwärtig im Rahmen österreichisch-deutscher Konsultationen nach Lösungen gesucht. Sollte es daher im vorliegenden Fall so sein, dass die deutsche Steuerverwaltung in Kenntnis der vorliegenden EAS-Auskunft darauf besteht, unter Hinwegsetzung über die im Entsendungsvertrag ausdrücklich vereinbarte Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses zum österreichischen Arbeitgeber im Entsendungszeitraum einen Arbeitgeberwechsel zur deutschen GmbH anzunehmen, und gelangen die österreichischen Abgabenbehörden im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu dem gegenteiligen Ergebnis, sollte sonach dadurch im Entsendungs- und im Rückkehrjahr wegen eines Qualifikationskonfliktes (unterschiedliche Anwendung der 183-Tage-Klausel des Art. 9 Abs. 2 DBA-Deutschland) eine Doppelbesteuerung eintreten, dann wäre das BM für Finanzen bereit, auf der Grundlage von § 48 BAO solange auf den österreichischen Besteuerungsanspruch zu verzichten, bis die Frage in dem anhängigen österreichisch-deutschen Konsultationsverfahren einer Lösung zugeführt ist.
31. Oktober 1997
Für den Bundesminister:
Dr. Loukota
Für die Richtigkeit
der Ausfertigung:
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | Art. 9 Abs. 2 DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen und Vermögen), BGBl. Nr. 221/1955 |
Schlagworte: | Dienstnehmerentsendung, Konzerngesellschaft, wirtschaftliche Betrachtungsweise, Arbeitgeberwechsel im internationalen Konzern, Arbeitskräftegestellung, verbundene Unternehmen, Qualifikationskonflikt, 183-Tage-Frist, Verständigungsverfahren |
Verweise: | VwGH 04.03.1983, 81/17/0102 |