VwGH 2013/22/0254

VwGH2013/22/025422.1.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der S, vertreten durch Dr. Metin Akyürek, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Köstlergasse 1/23, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 4. Juni 2013, Zl. 164.115/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §64 Abs1;
NAG 2005 §64 Abs3;
NAGDV 2005 §8 Z7 litb;
UniversitätsG 2002 §75 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
NAG 2005 §64 Abs1;
NAG 2005 §64 Abs3;
NAGDV 2005 §8 Z7 litb;
UniversitätsG 2002 §75 Abs6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres - im Weiteren als bescheiderlassende Behörde bezeichnet - den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung der ihr zum Zweck eines Studiums erteilten Aufenthaltsbewilligung gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und § 8 Z 7 lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV) ab.

Begründend führte die bescheiderlassende Behörde aus, die der Beschwerdeführerin zuletzt erteilte Aufenthaltsbewilligung für Studierende sei bis 15. November 2012 gültig gewesen sei. Am 13. November 2012 habe sie den hier gegenständlichen Verlängerungsantrag eingebracht. Sie müsse zur Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung nachweisen, dass der vom Gesetz geforderte Studienerfolg vorliege. Im vorliegenden Fall sei als das vorangegangene Studienjahr, für den der Nachweis des Studienerfolges zu erbringen sei, das Studienjahr 2011/2012 maßgeblich.

Aus der im Verfahren vorgelegten Bestätigung über den Studienerfolg gehe hervor, dass die Beschwerdeführerin zwar in der Zeit von 31. Jänner 2011 bis 12. November 2012 acht Lehrveranstaltungen mit positiver Beurteilung absolviert habe. Im Hinblick auf die Maßgeblichkeit des Studienjahrs 2011/2012, das am 1. Oktober 2011 begonnen und am 30. September 2012 geendet habe, könnten aber nur die in dieser Zeit abgelegten Prüfungen berücksichtigt werden. Ausgehend davon sei anhand der vorgelegten Studienerfolgsbestätigung zum Ergebnis zu kommen, dass die Beschwerdeführerin einen Studienerfolg im Ausmaß von lediglich sieben Semesterstunden aufweise. Somit liege der vom Gesetz für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung geforderte Studienerfolg nicht vor.

Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, im Jänner 2012 unerwartet erkrankt zu sein. Deswegen wäre sie an der erfolgreichen Ablegung von Prüfungen gehindert worden.

Der vorgelegten ärztlichen Bestätigung sei zu entnehmen, dass die Erkrankung der Beschwerdeführerin im Jänner 2012 unerwartet und unvorhergesehen eingetreten sei und sie die Universität auf Grund dieser Erkrankung nicht regelmäßig habe besuchen können. Es sei jedoch - so die bescheiderlassende Behörde in ihren rechtlichen Überlegungen - nicht nachvollziehbar, inwiefern sich diese Erkrankung auf das "gesamte übrige Studienjahr negativ auswirken" hätte sollen. Es wäre der Beschwerdeführerin jedenfalls möglich gewesen, schon zuvor, nämlich in der Zeit von Oktober 2011 bis Dezember 2011 Prüfungen zu absolvieren. Dies gelte auch für die Zeit nach der Erkrankung und zwar selbst dann, wenn man eine "entsprechende Rekonvaleszenzphase" berücksichtige. In der Zeit von Oktober 2011 bis 14. Juni 2012 sei aber keine Prüfung erfolgreich abgelegt worden.

Somit gelange die bescheiderlassende Behörde zum Ergebnis, dass keine Gründe im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG vorgelegen seien, die der Einflusssphäre der Beschwerdeführerin entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar gewesen wären. Ihre Aufenthaltsbewilligung könne nicht verlängert werden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. September 2013, B 783/2013-6, ablehnte und unter einem die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren nach Aufforderung ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die bescheiderlassende Behörde erwogen:

Zunächst ist zur anzuwendenden Rechtslage des VwGG festzuhalten, dass im vorliegenden Fall gemäß § 8 VwGbk-ÜG aufgrund der durch den Verfassungsgerichtshof vor dem 31. Dezember 2013 erfolgten Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (u.a.) das VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden ist. Des Weiteren ist im gegebenen Zusammenhang zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass ungeachtet dessen, dass im gegenständlichen Verfahren gemäß § 9 Abs. 2 VwGbk-ÜG iVm Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG idF. BGBl. I Nr. 51/2012 mit Ablauf des 31. Dezember 2013 das Verwaltungsgericht Wien an die Stelle der bescheiderlassenden Behörde (Bundesministerin für Inneres) getreten ist, weiterhin von der bescheiderlassenden Behörde die Rede ist.

In der Sache selbst stellen sich im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (6. Juni 2013) die Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 68/2013 sowie jene der NAG-DV in der Fassung des BGBl. II Nr. 201/2011 als maßgeblich dar.

§ 64 Abs. 1 und Abs. 3 NAG (samt Überschrift) lautet:

"Studierende

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie

  1. 1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
  2. 2. ein ordentliches oder außerordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule, anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule oder einen anerkannten privaten Studiengang oder anerkannten privaten Hochschullehrgang absolvieren und im Fall eines Universitätslehrganges dieser nicht ausschließlich der Vermittlung einer Sprache dient.

    Eine Haftungserklärung ist zulässig.

(2) ...

(3) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen der Durchführung eines ordentlichen oder außerordentlichen Studiums, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn dieser nach den maßgeblichen studienrechtlichen Vorschriften einen Studienerfolgsnachweis der Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, Pädagogischen Hochschule oder anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule erbringt. Gleiches gilt beim Besuch eines anerkannten privaten Studienganges oder anerkannten privaten Hochschullehrganges. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Studienerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

(4) ..."

§ 8 Z 7 lit. b NAG-DV (samt Überschrift) hat folgenden Wortlaut:

"Weitere Urkunden und Nachweise für Aufenthaltsbewilligungen

§ 8. Zusätzlich zu den in § 7 genannten Urkunden und Nachweisen sind dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung weitere Urkunden und Nachweise anzuschließen:

  1. 1. ...
  2. 7. für eine 'Aufenthaltsbewilligung - Studierender':

    ...

    b) im Fall eines Verlängerungsantrages ein

    schriftlicher Nachweis der Universität, der Fachhochschule, der akkreditierten Privatuniversität, der Pädagogischen Hochschule, der anerkannten privaten Pädagogischen Hochschule, des anerkannten privaten Studienganges oder des anerkannten privaten Hochschullehrganges über den Studienerfolg im vorangegangenen Studienjahr, insbesondere ein Studienerfolgsnachweis gemäß § 75 Abs. 6 des Universitätsgesetzes 2002 (UG), BGBl. I Nr. 120 idF BGBl. I Nr. 13/2011 sowie ein aktuelles Studienblatt und eine Studienbestätigung gemäß § 62 Abs. 4 UG;

    8. ..."

    § 75 Abs. 6 Universitätsgesetz 2002 (§ 75 UG wurde vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 74/2006) sieht Folgendes vor:

    "Zeugnisse

§ 75. ...

(6) Die Universität hat einer oder einem ausländischen Studierenden ab dem zweiten Studienjahr auf Antrag der oder des Studierenden einen Studienerfolgsnachweis auszustellen, sofern sie oder er im vorausgegangenen Studienjahr positiv beurteilte Prüfungen im Umfang von mindestens 16 ECTS-Anrechnungspunkten (8 Semesterstunden) abgelegt hat."

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Beschwerdeführerin nicht gegen die Richtigkeit der behördlichen Feststellungen wendet, woraus sich ergibt, dass sie für das hier maßgebliche Studienjahr 2011/2012 den vom Gesetz für die Verlängerung ihrer "Aufenthaltsbewilligung - Studierender" geforderten Studienerfolg nicht aufweist. Vor dem Hintergrund der Feststellungen der bescheiderlassenden Behörde erweist sich auch die diesbezügliche rechtliche Beurteilung als unbedenklich.

Die Beschwerde richtet sich allerdings gegen die weitere Auffassung der bescheiderlassenden Behörde, die Erkrankung der Beschwerdeführerin stelle keinen Grund nach § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG dar, wonach trotz Fehlens eines Studienerfolges die Aufenthaltsbewilligung verlängert werden könnte. Dazu wird in erster Linie geltend gemacht, die Behörde gehe "von falschen Annahmen" aus, wenn sie meine, die Beschwerdeführerin hätte trotz ihrer Erkrankung Prüfungen ablegen und den geforderten Studienerfolg erbringen können. Das im Verwaltungsverfahren von der Beschwerdeführerin erstattete Vorbringen sei ignoriert worden; den Ausführungen der Behörde fehle jeglicher Begründungswert. Die Behörde habe zur von ihr angesprochenen Frage jegliche Ermittlungen unterlassen und der Beschwerdeführerin auch kein Parteiengehör eingeräumt.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Die bescheiderlassende Behörde geht - insoweit ist ihr beizupflichten - aufgrund der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bestätigung zutreffend davon aus, dass die (vorübergehende) Erkrankung der Beschwerdeführerin im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG sowohl als unabwendbar als auch unvorhersehbar anzusehen gewesen sei und dieser Erkrankung fallbezogen auch grundsätzlich die Eignung zukomme, insgesamt den Tatbestand des § 64 Abs. 3 letzter Satz NAG zu erfüllen. Allerdings meint sie, es sei dennoch gerechtfertigt, den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abzuweisen, weil die Beschwerdeführerin vor ihrer Erkrankung sowie nach ihrer Erkrankung "auch unter Berücksichtigung einer entsprechenden Rekonvaleszenzphase" Prüfungen hätte absolvieren können, sodass es ihr ungeachtet ihrer Erkrankung möglich gewesen wäre, den gesetzlich geforderten Studienerfolg zu erbringen.

Die bescheiderlassende Behörde hat aber überhaupt keine Feststellungen getroffen, die es ermöglicht hätten, eine derartige Schlussfolgerung in gesetzmäßiger Weise zu ziehen. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin in der Berufung auf die ihr vorgegebene Gestaltung des Studiums hingewiesen und vorgebracht, dass es ihr wegen der Erkrankung und angesichts aufeinander aufbauender Prüfungen nicht möglich gewesen wäre, den für die Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung geforderten Studienerfolg zu erbringen. Anders als die bescheiderlassende Behörde vor Augen hat, ist es fallbezogen erst nach Feststellung des insoweit maßgeblichen Sachverhalts - wozu der Beschwerdeführerin erforderlichenfalls Parteiengehör einzuräumen wäre - möglich, eine dem Gesetz entsprechende Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob das Fehlen des Studienerfolges unter Umständen gar nicht auf die Erkrankung zurückzuführen wäre.

Sohin war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, welche im gegenständlichen Fall aufgrund § 8 VwGbk-ÜG zur Anwendung zu bringen war.

Wien, am 22. Jänner 2014

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