Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein äthiopischer Staatsangehöriger, reiste am 20. März 1999 illegal nach Österreich ein und stellte kurz darauf einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde im März 2000 mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde, nachdem zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Juli 2003 abgelehnt. Am 12. April 2005 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag, der im Februar 2006 mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde, nachdem zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. November 2008 wiederum abgelehnt.
Am 29. Oktober 2007 hatte der Beschwerdeführer eine äthiopische Staatsangehörige geheiratet. Am 22. Dezember 2008 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt". Nach der Aktenlage war dieses Verfahren bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch anhängig.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. Februar 2010 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus. Begründend führte sie zunächst aus, dass sich der Beschwerdeführer "seit Jahren" ohne Aufenthaltsberechtigung im Inland aufhalte. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung (gemäß § 53 Abs. 1 FPG) seien somit gegeben.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG ging die belangte Behörde angesichts des langjährigen Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers und seiner Ehe von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein "Privat- bzw. Familienleben" aus. Allerdings habe sich sein Aufenthalt zunächst auf einen (letztlich abgewiesenen) Asylantrag gestützt und in der Folge habe er diesen "durch Stellung eines unberechtigten (Asyl-)Folgeantrages" verlängert, was eine grobe Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstelle. Der Beschwerdeführer sei beruflich nicht integriert und nicht selbsterhaltungsfähig. Die familiären Bindungen seien als relativiert anzusehen, weil sie zu einem Zeitpunkt entstanden seien, zu dem weder er noch seine Ehefrau, eine Asylwerberin, mit einem weiteren Aufenthalt in Österreich hätten rechnen können. Es sei kein Umstand ersichtlich, der es für den Beschwerdeführer unzumutbar erscheinen lasse, für die allfällige Dauer eines ordnungsgemäßen Niederlassungsverfahrens in seine Heimat zurückzukehren. Die vom Beschwerdeführer in seinem Antrag (vom 28. April 2009) gemäß § 51 Abs. 1 FPG angeführten Gründe, warum eine Rückkehr nach Äthiopien unmöglich sei, seien nicht im Ausweisungsverfahren zu prüfen gewesen. Schließlich verfüge der Beschwerdeführer in seiner Heimat noch über enge familiäre Bindungen, zumal dort noch seine Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern leben würden.
Die belangte Behörde verwies weiters darauf, dass der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Dieses Interesse habe der Beschwerdeführer, der bestrebt gewesen sei, seinen unerlaubten Aufenthalt mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu prolongieren, nachhaltig beeinträchtigt. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Inlandsaufenthaltes nicht überwiegen.
Es seien auch keine besonderen Gründe ersichtlich, die im Rahmen des Ermessens Anlass zu einer Abstandnahme von der Erlassung der Ausweisung gegeben hätten. Auch ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung könne an der Zulässigkeit der Ausweisung nichts ändern.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei - im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am 1. Februar 2010 - um die Fassung BGBl. I Nr. 135/2009.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sein Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet wurde. Da er unstrittig über keine Berechtigung zum Aufenthalt verfügt, ist die belangte Behörde zutreffend von der Erfüllung des Ausweisungstatbestandes des § 53 Abs. 1 FPG ausgegangen.
Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0176, mwN).
Der Beschwerdeführer bekämpft die gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung der belangten Behörde und verweist in diesem Zusammenhang insbesondere darauf, dass er seit (knapp) elf Jahren im Inland lebe und dass er mit einer Asylwerberin verheiratet sei, die zum vorläufigen Aufenthalt in Österreich berechtigt sei.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
Die belangte Behörde hat zwar zutreffend festgehalten, dass der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie der Beschwerdeführer - nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich verbleiben. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. § 66 Abs. 2 Z 8 FPG). Die genannte Bestimmung hat freilich vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2011/23/0176, mwN).
Es ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall vorzuwerfen, dass sie bei der Bewertung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen und des entgegenstehenden Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht ausreichend auf seine familiäre Situation Bedacht genommen hat. Insbesondere hätte die belangte Behörde stärker berücksichtigen müssen, dass das Asylverfahren der ebenfalls aus Äthiopien stammenden Ehefrau des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht rechtskräftig beendet und ihr somit in diesem Stadium eine gemeinsame Rückkehr mit dem Beschwerdeführer in ihr Herkunftsland nicht zumutbar war. Feststellungen, wonach ihr ausnahmsweise die Rückreise in den Herkunftsstaat zugemutet werden könne, hat die belangte Behörde nicht getroffen. Insbesondere bleibt sie eine ausreichende Begründung dafür schuldig, weshalb sie die verfügte Ausweisung des Beschwerdeführers und die damit verbundene sofortige Trennung von seiner Ehefrau für dringend geboten erachtete und sie mit der Ausweisung des Beschwerdeführers nicht zuwartete, bis feststeht, dass die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch gegen seine Ehefrau zulässig und ihr eine gemeinsame Ausreise zumutbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0197, mwN). Der bloße Hinweis der belangten Behörde darauf, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in seiner Heimat gegebenenfalls nur für die Zeit eines ordnungsgemäßen Niederlassungsverfahrens erforderlich wäre, ist diesbezüglich nicht hinreichend. Außerdem hat die belangte Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass der (wenn auch auf zwei Asylanträge gegründete) Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits knapp elf Jahre angedauert hat (vgl. zur besonderen Bedeutung eines über zehnjährigen Aufenthaltes im Inland etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2013, Zl. 2011/23/0365, mwN).
Angesichts dieser Umstände erweist sich die Ausweisung des Beschwerdeführers als unverhältnismäßig.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 17. April 2013
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)