VwGH 2013/21/0012

VwGH2013/21/00122.8.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 20. Dezember 2012, Zl. VwSen-401244/2/WEI/Ba, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A A; weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs7;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §54;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwRallg;
AsylG 2005 §10 Abs7;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §54;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Ägyptens, reiste am 22. Oktober 2011 illegal in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von internationalem Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. April 2012, bestätigt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28. Juni 2012, vollinhaltlich abgewiesen; der Mitbeteiligte wurde außerdem gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus Österreich nach Ägypten ausgewiesen.

In der Folge gab er seine bisherige Unterkunft, an der er polizeilich gemeldet war, auf und hielt sich laut eigenen Angaben "in den Moscheen und bei Arabern" auf. Dabei ist er unbestritten im Bundesgebiet verblieben. Am 11. Dezember 2012 sprach er beim Stadtpolizeikommando Linz vor und beantragte unter einem Aliasnamen neuerlich die Gewährung von internationalem Schutz.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 11. Dezember 2012 verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG und § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) und der Abschiebung (§ 46 FPG). Begründend verwies sie darauf, dass der Mitbeteiligte in Österreich keiner Beschäftigung nachgehe und hier weder über Angehörige noch über eine Wohnmöglichkeit verfüge. Selbst bei der zuletzt angegebenen Meldeadresse handelte es sich "um eine unbewohnbare Baustelle" und somit um eine "Scheinadresse". Nach dem "negativen Abschluss" des ersten Asylverfahrens sei der Mitbeteiligte, der offensichtlich nicht bereit sei, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, untergetaucht und habe sich dem Zugriff der Behörden entzogen. Die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und einer daraus resultierenden allfälligen Abschiebung durch Schubhaft sei daher erforderlich. Die Anwendung gelinderer Mittel wäre auf Grund des bereits erfolgten Untertauchens des Mitbeteiligten, der - wie erwähnt - über keinerlei familiäre, soziale oder wirtschaftliche Beziehungen in Österreich verfüge, nicht ausreichend.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. Dezember 2012 erklärte die belangte Behörde über Beschwerde des Mitbeteiligten vom 14. Dezember 2012 die Verhängung der Schubhaft und seine Anhaltung in Schubhaft auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG für rechtswidrig.

Im Übrigen wies sie - von der vorliegenden Beschwerde unbekämpft - die Administrativbeschwerde als unbegründet ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Schubhaft auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG vorlägen. Der Mitbeteiligte wurde in der Folge bis zum 3. Jänner 2013 in Schubhaft angehalten.

Begründend führte die belangte Behörde zur festgestellten Rechtswidrigkeit aus, dem Mitbeteiligten komme auf Grund seines zweiten Asylantrages faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12 Abs. 1 AsylG 2005 zu, der ihm auch nicht entsprechend den Bestimmungen des § 12a Abs. 2 leg. cit. "bescheidförmig aberkannt" worden sei. Ein Anwendungsfall des § 12a Abs. 1 leg. cit. liege nicht vor, weil im ersten Asylverfahren eine Sachentscheidung getroffen worden sei. Die Heranziehung des Schubhafttatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, der nur für noch offene Asylverfahren Sinn mache, scheide nach seinem Wortlaut schon mangels Durchsetzbarkeit der Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 aus.

Gegen diese - in Stattgebung der Administrativbeschwerde getroffene - Feststellung und das damit in Zusammenhang stehende Unterbleiben eines Kostenausspruchs zugunsten der Landespolizeidirektion Oberösterreich wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen hat:

§ 76 Abs. 2 FPG in der Stammfassung lautete wie folgt:

"Schubhaft …

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird. …"

Durch das hier anzuwendende FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, wurde im § 76 Abs. 2 Z 3 die Wortfolge "Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt" durch die Wortfolge "Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen" ersetzt.

Auf Basis dieser - seit dem 1. Juli 2011 geltenden - Rechtslage ergibt sich, dass die Landespolizeidirektion Oberösterreich in Anbetracht der seinerzeitigen asylrechtlichen Ausweisung - anders als im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 2 FPG in der Stammfassung - den Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG, nicht mehr hingegen den Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als Grundlage für ihre Schubhaftanordnung hätte heranziehen dürfen.

Das hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2009/21/0081, zum Ausdruck gebracht, in dem er ausführte, dass asylrechtliche Ausweisungen aus einem vorangegangenen Asylverfahren Schubhaft nach § 76 Abs. 2 FPG ermöglichen, ergäbe sich nunmehr - nach Inkrafttreten des FrÄG 2011 - eindeutig aus § 76 Abs. 2 Z 3 FPG. Dieser Tatbestand umfasse jetzt nämlich auch Rückkehrentscheidungen und als solche gelte zufolge der Bestimmung des § 10 Abs. 7 AsylG 2005 auch eine asylrechtliche Ausweisung.

Durch die dargestellte, mit dem FrÄG 2011 herbeigeführte inhaltliche Ausweitung des Tatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG (auf Fälle einer bestehenden asylrechtlichen Ausweisung) hat aber im gleichen Umfang der - im zitierten Erkenntnis vom 29. September 2011 angenommene weite - Anwendungsbereich der Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG eine Einschränkung erfahren. Dem Gesetzgeber kann nämlich nicht unterstellt werden, dass er eine gleichzeitige Anwendbarkeit und damit eine "Überschneidung" des Anwendungsbereiches der beiden genannten, im selben Absatz des § 76 FPG enthaltenen Bestimmungen herbeiführen wollte. Dafür enthält auch die Regierungsvorlage zum FrÄG 2011 (1078 BlgNR 24. GP 36) keinen Anhaltspunkt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit seiner Annahme, dass als Grundlage der Anordnung von Schubhaft von Anfang an nur die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG in Betracht gekommen wäre, als zutreffend, sodass die das Gegenteil vertretende Amtsbeschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war. Wien, am 2. August 2013

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