Normen
AsylG 2005 §10 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs7;
AVG §56;
AVG §69 Abs1;
AVG §70;
FrÄG 2009;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z5;
FrPolG 2005 §76 Abs2a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 2005 §10 Abs1;
AsylG 2005 §10 Abs7;
AVG §56;
AVG §69 Abs1;
AVG §70;
FrÄG 2009;
FrÄG 2011;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2a Z5;
FrPolG 2005 §76 Abs2a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 26. Juni 2008 bis zum 31. Juli 2008 für rechtmäßig erklärt wurde, sowie im Kostenpunkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste gemäß seinen Angaben am 12. Mai 2006 in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit - unbekämpft gebliebenem - Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juli 2007 gemäß §§ 3 und 8 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen; außerdem wies das Bundesasylamt den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Gambia aus.
Am 30. April 2008 wurde der Beschwerdeführer in einer Wohnung in 1150 Wien aufgegriffen. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme gab er an, tatsächlich in einer Wohnung in 1120 Wien Unterkunft genommen zu haben, wo er jedoch nicht behördlich gemeldet sei. Eine Meldung an einer Anschrift in 1110 Wien bestehe nur deshalb, damit er "von der Caritas die Unterstützung bekomme", dort sei er jedoch nicht wohnhaft.
Im Zuge der erwähnten niederschriftlichen Einvernahme stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Folge verhängte die Bundespolizeidirektion Wien (im Folgenden: BPD) gegen ihn mit Bescheid vom 30. April 2008 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung. Gegen den Beschwerdeführer bestehe - so die BPD - eine durchsetzbare, rechtskräftige Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005. Die Anordnung eines gelinderen Mittels komme im Hinblick auf die Scheinmeldung in 1110 Wien nicht in Betracht.
Am 26. Juni 2008 wurde das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers von Amts wegen wieder aufgenommen. Eine weitere Behandlung des zweiten Antrags vom 30. April 2008 unterblieb daraufhin. Mit Bescheid vom 23. Juli 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz aber neuerlich gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab und verfügte abermals gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 seine Ausweisung nach Gambia.
Der bis 31. Juli 2008 weiterhin in Schubhaft angehaltene Beschwerdeführer erhob Schubhaftbeschwerde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. September 2008 gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) dieser Beschwerde gemäß § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG keine Folge und erklärte den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 30. April 2008 bis zum 31. Juli 2008 - unter Kostenzuspruch an den Bund - für rechtmäßig. Das begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass gegen den Beschwerdeführer seit 18. Juli 2007 eine rechtskräftige und durchsetzbare Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 bestanden habe. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens - in der Folge die belangte Behörde wörtlich -
"erging neuerlich ein den Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten verneinender Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.7.2008, welcher wiederum eine Ausweisung gemäß § 10 Abs 1 AsylG verfügte. Dieser Bescheid ist beim Bundesasylgerichtshof anhängig, was jedoch kein vorläufiges Recht auf Aufenthalt gewährt".
Im Übrigen führte die belangte Behörde aus, warum das gegebene Sicherungsbedürfnis nur durch Schubhaft abgedeckt werden könne.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hatte im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 30. April 2008 einen - zweiten - Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Demgemäß war die in der Folge angeordnete gegenständliche Schubhaft nur rechtmäßig, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden konnte.
§ 76 Abs. 2 FPG - in der hier maßgeblichen Stammfassung - lautete wie folgt:
"Schubhaft
…
(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn
1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG) erlassen wurde;
2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;
3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder
4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.
…"
Die BPD ging bei ihrer Schubhaftanordnung davon aus, es sei § 76 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Diese Ansicht ist im Hinblick auf die am 30. April 2008 bestehende asylrechtliche Ausweisung des Beschwerdeführers vom 3. Juli 2007 aus Anlass der Beendigung seines ersten Verfahrens auf internationalen Schutz zutreffend. Diese Ausweisung war nämlich rechtskräftig und insofern daher jedenfalls auch durchsetzbar. Dass sie ab Stellung des neuerlichen Antrags auf internationalen Schutz angesichts des dem Beschwerdeführer damit zukommenden faktischen Abschiebeschutzes (zunächst) nicht vollzogen werden konnte, steht der Annahme, es läge eine durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung im Sinn des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG vor, nicht entgegen. Das ergibt der Vergleich mit dem ähnlich strukturierten Tatbestand nach § 76 Abs. 2 Z 3 FPG, der gleichfalls durchsetzbare - dort fremdenpolizeiliche - aufenthaltsbeendende Maßnahmen anspricht und Schubhaft ermöglicht, und zwar ungeachtet des mit der Asylantragstellung einhergehenden faktischen Abschiebeschutzes. Dass die Ausweisung aus einem vorangehenden Asylverfahren stammt und daher bereits in Rechtskraft erwachsen war, schließt die Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG schon nach seinem Wortlaut nicht aus (so im Ergebnis auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2011, B 4/11). Auch die spezifisch auf Folgeanträge Bezug nehmenden und erst mit dem hier noch nicht anwendbaren FrÄG 2009 eingeführten Schubhafttatbestände nach § 76 Abs. 2a Z 1 und Z 5 FPG sprechen nicht gegen die Annahme, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG sei in einem Fall wie dem vorliegenden erfüllt. § 76 Abs. 2a FPG bezieht sich nämlich insgesamt auf Konstellationen mit erhöhtem Sicherungsbedürfnis (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0234, Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe) und tritt dergestalt selbständig neben die Schubhaftgründe des § 76 Abs. 2 FPG (zu der sich daraus partiell ergebenden Doppelgleisigkeit - Erfüllung eines Schubhafttatbestandes nach § 76 Abs. 2 FPG einerseits und zugleich eines solchen nach § 76 Abs. 2a FPG andererseits - vgl. abermals das zuvor genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 2011). Schließlich bestätigt aber auch die seit dem 1. Juli 2011 geltende Rechtslage auf Basis des FrÄG 2011, dass die BPD § 76 Abs. 2 Z 1 FPG als Grundlage für ihre Schubhaftanordnung heranziehen durfte. Dass asylrechtliche Ausweisungen aus einem vorangegangenen Asylverfahren Schubhaft nach § 76 Abs. 2 FPG ermöglichen, ergibt sich nämlich nunmehr eindeutig aus § 76 Abs. 2 Z 3 FPG - demnach kommt Schubhaft in Betracht, wenn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist - iVm § 10 Abs. 7 AsylG 2005, wo angeordnet wird, dass eine durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung als durchsetzbare Rückkehrentscheidung gilt. Dass insofern gegenüber der hier zu beurteilenden Rechtslage eine Ausweitung der Schubhafttatbestände vorgenommen worden sei, lässt sich den Gesetzesmaterialien aber nicht entnehmen.
Zusammenfassend ergibt sich damit, wie schon eingangs festgehalten, dass die BPD ihre Schubhaftanordnung vom 30. April 2008 auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG stützen durfte. Mit der Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens am 26. Juni 2008 trat allerdings der seinerzeitige, u.a. die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Gambia nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aussprechende Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juli 2007 außer Kraft und entfaltete damit keine Rechtswirkungen mehr (vgl. nur Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 Rz 6). Es existierte damit nicht länger eine rechtskräftige (und durchsetzbare) Ausweisung, weshalb dann aber auch der zunächst vorliegende Schubhaftgrund nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nicht (mehr) zum Tragen kommen konnte. Das haben weder die BPD, die dessen ungeachtet die Haft des Beschwerdeführers fortsetzte, noch die belangte Behörde, die auch die nach dem 26. Juni 2008 bis zur Entlassung des Beschwerdeführers andauernde Schubhaft für rechtmäßig erklärte, berücksichtigt. Da die belangte Behörde nicht aufgezeigt hat, dass anstelle des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nun ein anderer die Schubhaft rechtfertigender Grund getreten sei, erweist sich der bekämpfte Bescheid insoweit, als er die Schubhaft über den 26. Juni 2008 hinaus für rechtmäßig erklärt - und damit auch im Kostenpunkt - als inhaltlich rechtswidrig. Was allerdings die Beurteilung des Schubhaftbescheides und die vor dem 26. Juni 2008 liegende Anhaltung in Schubhaft anlangt, so kann der BPD und der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie nicht nur von der Erfüllung des Tatbestandes nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ausgegangen sind, sondern auch ein die Schubhaft erforderndes Sicherungsbedürfnis angenommen haben. Das bedarf in Anbetracht der vom Beschwerdeführer am 30. April 2008 selbst zugestandenen Scheinmeldung an einer Anschrift in 1110 Wien keiner weiteren Erörterung. Die demgegenüber einen Sicherungsbedarf verneinende vorliegende Beschwerde geht darüber kommentarlos hinweg. Sie bestreitet auch nicht die im bekämpften Bescheid ergänzend getroffene Feststellung, dass der Beschwerdeführer das ihm im Zuge des ersten Asylverfahrens zugewiesene Quartier verlassen hat, was im Übrigen nach der Aktenlage eine Zustellung des seinerzeitigen Bescheides des Bundesasylamtes vom 3. Juli 2007 durch Hinterlegung im Akt erforderlich machte. Soweit sich die vorliegende Beschwerde daher auch dagegen richtet, dass die belangte Behörde den Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 30. April 2008 bis zum 25. Juni 2008 für rechtmäßig erklärte, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Im Übrigen war der angefochtene Bescheid hingegen aus den oben dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach der genannten Aufwandersatzverordnung inkludiert ist und weil die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe nicht zu entrichten war.
Wien, am 29. September 2011
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