VwGH 2012/23/0018

VwGH2012/23/001831.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des RR in W, vertreten durch die Mag. Wolfgang Auner Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft KG in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Dezember 2009, Zl. E1/88.834/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §49 Abs5;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §19 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §49 Abs5;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid vom 21. Dezember 2009 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen mazedonischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am 21. Dezember 2004 die österreichische Staatsbürgerin L geheiratet und (am 17. März 2005) unter Berufung auf diese Ehe einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" gestellt. Der beantragte Aufenthaltstitel sei ihm (mit Gültigkeit ab 21. Juni 2005) erteilt worden.

Nach einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 18. Mai 2007 habe bei an der ehelichen Wohnanschrift in Wien 22 durchgeführten Erhebungen die Tochter der Ehefrau des Beschwerdeführers angegeben, dass sie hier lediglich mit der Mutter und dem Bruder wohne und der Beschwerdeführer ihr gänzlich unbekannt sei. Der Hausbesorger habe ausgesagt, dass in der Wohnung außer dem Sohn der L keine weitere männliche Person wohne. Darüber hinaus - so die belangte Behörde weiter - seien bei den am 2. Juli 2007 erfolgten niederschriftlichen Vernehmungen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau im angefochtenen Bescheid näher dargestellte Widersprüche zutage getreten.

Nachdem der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 30. Juli 2007 mehrere Zeugen namhaft gemacht habe, sei am 21. September 2007 von der Bundespolizeidirektion Wien der Zeuge N vernommen worden. Dieser habe angegeben, den Beschwerdeführer seit einem halben Jahr, ca. jedes zweite Wochenende, auch privat zu sehen. Auch L sei dann immer dabei. Er sehe diese nur, wenn sie, der Beschwerdeführer und er gemeinsam fortgingen. Befragt, ob er ein Eheleben des Beschwerdeführers mit L bezeugen könne, habe der Zeuge angegeben, er sei sich diesbezüglich sicher, weil der Beschwerdeführer nie schlecht über seine Ehefrau rede. Als er zweibis dreimal mit seiner damaligen Ehefrau beim Beschwerdeführer und L in deren Wohnung auf Besuch gewesen sei, habe die Ehefrau des Beschwerdeführers für alle gekocht.

Alle weiteren geladenen Zeugen - so die belangte Behörde - seien zur Vernehmung vor der Behörde erster Instanz nicht erschienen.

Laut einem Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. Dezember 2007 habe L bei einer am 29. November 2007 an der ehelichen Wohnanschrift durchgeführten Überprüfung angegeben, dass sich der Beschwerdeführer gerade bei einem Freund aufhalte, jedoch bald nach Hause kommen werde. Im Schlafzimmer der Eheleute habe sich nur eine einfache Matratze befunden, auf der nur eine Decke und ein Kopfpolster gelegen seien. An Kleidung des Beschwerdeführers habe L lediglich zwei Hosen und einen Pullover vorweisen können. Im Badezimmer sei ein Becher mit lediglich drei Zahnbürsten vorgefunden worden. L habe keine Bilder der Hochzeit bzw. des Beschwerdeführers oder gemeinsame Fotos vorweisen können, weil es angeblich keine gebe. Ebenso wenig hätten Dokumente des Beschwerdeführers vorgezeigt werden können. L habe auch nicht angeben können, bei welcher "Firma" der Beschwerdeführer "angestellt" sei.

Bei einer am 5. Dezember 2007 mit dem Hausmeister der Wohnhausanlage aufgenommenen Niederschrift habe dieser angegeben, noch nie einen Mann in Begleitung von L gesehen zu haben. Diese wohne mit ihren beiden Kindern mit Sicherheit alleine in der Wohnung.

Der Beschwerdeführer habe in einer Stellungnahme vom 23. Jänner 2008 eine nochmalige Befragung der Mietparteien im Haus der ehelichen Wohnung "angeregt" und - ebenso wie in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 30. Jänner 2008 - das Vorliegen einer Scheinehe bestritten. In einer weiteren Stellungnahme vom 10. November 2009 habe er vorgebracht, dass nach dem Erhebungsbericht vom 18. Mai 2007 die Tochter der L angegeben habe, den Beschwerdeführer nicht zu kennen, obwohl sie auf einem aktenkundigen Foto mit dem Beschwerdeführer und ihrer Mutter abgebildet sei.

Schließlich verwies die belangte Behörde auf das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 9. Juli 2009, mit dem die Ehefrau des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde gemäß § 289 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt worden sei. L habe am 2. Juli 2007 als Zeugin vor dem "Fremdenpolizeilichen Büro" zur Sache falsch ausgesagt, indem sie bei ihrer Befragung zur Ehe mit dem Beschwerdeführer insbesondere über das gemeinsame Familienleben unrichtige Angaben gemacht habe.

Inzwischen - so die belangte Behörde - sei die Ehe des Beschwerdeführers mit L geschieden worden.

Unter Hinweis auf "sämtliche Aussagen", insbesondere die zutage getretenen Widersprüche und die durchgeführten Erhebungen kam die belangte Behörde beweiswürdigend zum Ergebnis, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit L ausschließlich deshalb geschlossen worden sei, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen.

Die Eheleute hätten durchaus (wenn auch wenige) gleichlautende Angaben gemacht, es liege jedoch gerade im Wesen einer Scheinehe, durch gleichlautende Angaben ein gemeinsames Ehe- und Familienleben der Behörde "wahrheitswidrig glaubhaft zu machen". Der Beschwerdeführer habe auch keinerlei Zeugen oder Beweismittel geltend machen können, die ein gemeinsames Ehe- und Familienleben bestätigen hätten können. Die Tage des Kennenlernens und der Hochzeit seien von den Eheleuten unterschiedlich wiedergegeben worden. Die ausgeprägte Unkenntnis über wesentliche Umstände aus dem Privat- und Familienleben des Ehepartners spreche ebenso für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe.

Es stehe daher fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit L geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe zur Verschaffung fremdenrechtlicher Vorteile stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch nach § 87 iVm § 86 FPG rechtfertige.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG nahm die belangte Behörde einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers an, der jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer eine unselbständige Beschäftigung eingehen können. Die durch den Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch die Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund des Eingehens einer Scheinehe wesentlich gemindert.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2009) geltende Fassung.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme iSd Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nie geführt hat.

Wenngleich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf eine bereits erfolgte Scheidung der Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin L hinwies, hat sie ihrer Entscheidung den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 (iVm § 87) FPG zugrunde gelegt. Dadurch ist der Beschwerdeführer aber jedenfalls nicht in Rechten verletzt. Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass auch die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG gegeben sind, wenn der Fremde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG erfüllt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0555, mwN).

In der Beschwerde wird das Vorliegen einer Scheinehe bestritten und unter anderem vorgebracht, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, alle beantragten Zeugen zu vernehmen, obwohl diese Zeugen durch Zwangsmaßnahmen zum Erscheinen gezwungen hätten werden können. Die Mitwirkungspflicht der Partei bei der amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes gehe nicht soweit, dass sich die Behörde die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens ersparen könnte. Die Namhaftmachung der Zeugen genüge der Mitwirkungspflicht der Partei.

Dieser Einwand ist berechtigt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist (vgl. erneut das hg. Erkenntnis Zl. 2011/23/0555).

Der Umstand, dass Zeugen den ihnen ordnungsgemäß zugestellten Ladungen unentschuldigt keine Folge geleistet haben, darf nicht zu Lasten der die Vernehmung von Zeugen beantragenden Partei gehen. Vielmehr ist die Behörde in diesem Fall gehalten, als Zeugen geladene Personen - erforderlichenfalls durch Verhängung von Zwangsstrafen oder durch Vorführung - zum Erscheinen und zur Aussage zu verhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juli 2008, Zl. 2007/21/0232, mwN).

Der Beschwerdeführer hatte mit Schriftsatz vom 30. Juli 2007 drei Personen mit jeweiliger Adresse genannt, die "eine aufrechte Liebesehe" des Beschwerdeführers und L bestätigen könnten. In weiterer Folge hatte die erstinstanzliche Behörde nur einen der genannten Zeugen vernommen und in der Begründung ihres Bescheides vom 30. Jänner 2008 ausgeführt, dass sie mit allen drei Personen Kontakt aufgenommen habe, jedoch "nur eine Person freiwillig" bei der Behörde erschienen sei. Eine zwangsweise Vorführung sei nicht durchgeführt worden, weil die Behörde davon ausgegangen sei, dass die angeführten Personen "nur dann erscheinen, wenn sie eine Aussage machen wollen".

In seiner Eingabe vom 30. Jänner 2008 hatte der Beschwerdeführer den Antrag, eine der drei auch schon früher als Zeugen genannten Personen, H, zu vernehmen, wiederholt und dazu neben der Adresse der Zeugin auch deren Telefonnummer angeführt. Gleichzeitig hatte er um Bekanntgabe ersucht, sollte diese Zeugin der Ladung keine Folge leisten. Auch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hatte der Beschwerdeführer die unterlassene Vernehmung dieser Zeugin als Verfahrensmangel gerügt.

Die belangte Behörde, die in der Begründung des angefochtenen Bescheides einleitend auf die Maßgeblichkeit der Gründe des erstinstanzlichen Bescheides verwies, merkte an späterer Stelle ihrer Ausführungen dazu lediglich wiederholend an, dass abgesehen vom Zeugen N alle weiteren geladenen Zeugen zur Vernehmung vor der Behörde erster Instanz nicht erschienen seien. Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung verwies sie schließlich darauf, dass der Beschwerdeführer (angeblich) keine ein gemeinsames Ehe- und Familienleben bestätigenden Zeugen oder Beweismittel habe geltend machen können. Eine konkrete Begründung, warum die Vernehmung der weiteren vom Beschwerdeführer beantragten Zeugen als nicht erforderlich erachtet wurde, enthält der angefochtene Bescheid nicht.

Damit hat die belangte Behörde der dargestellten rechtlich gebotenen Vorgangsweise bei unentschuldigtem Nichterscheinen von geladenen Zeugen nicht entsprochen. Es ist ihr daher ein relevanter Verfahrensmangel vorzuwerfen (vgl. erneut das hg. Erkenntnis, Zl. 2007/21/0232, mwN).

Im Übrigen lässt die Beweiswürdigung der belangten Behörde auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Angaben des Zeugen N vermissen. Dieser hatte ausgesagt, sich sicher zu sein, dass der Beschwerdeführer und L ein gemeinsames Eheleben führten, und dazu auf regelmäßige Treffen mit den Eheleuten sowie auf zweibis dreimalige Besuche in deren Wohnung verwiesen. Inwiefern diese Aussage im Rahmen der behördlichen Beweiswürdigung berücksichtigt wurde, lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen.

Ferner hat die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers, die im Erhebungsbericht vom 18. Mai 2007 zitierte Aussage der Tochter der L, den Beschwerdeführer nicht zu kennen, widerspreche einem im Akt aufliegenden Foto, auf dem der Beschwerdeführer, L und deren Tochter abgebildet seien, zwar erwähnt, jedoch nicht erkennbar in ihre Beweiswürdigung einbezogen.

Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Jänner 2013

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