VwGH 2012/18/0188

VwGH2012/18/018819.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie die Hofräte Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der GA in W, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 14. April 2008, Zl. E1/137.769/2008, betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/029;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §69a idF 2009/I/029;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei am 26. Juni 2002 mit einem vom selben Tag bis 19. September 2002 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist. Sie sei damals in Begleitung ihrer Tochter gewesen, die ebenfalls über ein Visum C verfügt habe.

Am 9. September 2002 habe die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eingebracht. Diesen Antrag habe sie mit der Herstellung der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann und zwei weiteren Kindern, die allesamt damals im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen gewesen seien, begründet. Den Ehemann habe die Beschwerdeführerin am 25. Dezember 2001 neuerlich geheiratet. Die "Vormundschaft" über die beiden bereits in Österreich lebenden Kinder sei nach der Scheidung der ersten Ehe dem Vater (dem Ehemann der Beschwerdeführerin) zugesprochen worden. Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 2003 sei allerdings der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Beschwerdeführerin sei dennoch nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist. Sie habe ihren Aufenthalt in Österreich unrechtmäßig fortgesetzt. Auch die eingangs genannte Tochter der Beschwerdeführerin sei unrechtmäßig im Inland geblieben. Am 10. April 2003 habe die Beschwerdeführerin ein weiteres Kind geboren. Dieses verfüge ebenfalls über keinen Aufenthaltstitel.

Es könne - so die belangte Behörde in ihren rechtlichen Überlegungen - kein Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Zur Beurteilung nach § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei verheiratet und für vier Kinder sorgepflichtig. Es sei ihr mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 23. August 2006 die alleinige Obsorge über die Kinder übertragen worden. Dem sei zu Grunde gelegen, dass die Beschwerdeführerin seit Ende März 2005 von ihrem Ehemann getrennt lebe. Dieser habe den zuletzt geborenen Sohn im Mai 2005 in die Türkei gebracht, "von wo er erst Ende März 2006 wieder zurück nach Österreich gekommen sei". Das Scheidungsverfahren ruhe derzeit. Die Scheidungsklage sei (offenkundig gemeint: in erster Instanz) "wegen unzureichender Scheidungsgründe" abgewiesen worden.

Es sei von einem mit der Ausweisung verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er für das Erreichen von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, hier konkret: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse habe die Beschwerdeführerin gravierend verstoßen, weil sie zunächst mit einem "Touristenvisum" in das Bundesgebiet eingereist sei und Österreich selbst dann nicht verlassen habe, als ein von ihr eingebrachter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen worden sei. Vielmehr habe sie den unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich jahrelang aufrechterhalten. Es sei weiters darauf Bedacht zu nehmen, dass zwei der Kinder der Beschwerdeführerin über keinen Aufenthaltstitel verfügten. Gegen das dritte Kind sei wegen gerichtlich strafbarer Handlungen ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen worden. Zum vierten Kind der Beschwerdeführerin merkte die belangte Behörde schließlich an, dass auch diesem die Verlängerung des ihm zuvor gewährten Aufenthaltstitels nicht mehr möglich sei. Mit dem Ehegatten bestehe kein gemeinsamer Haushalt mehr. Dieser sei am 25. März 2005 "nach familiärer Gewalt" aus der Wohnung gewiesen worden. Es sei gegen ihn auch ein Betretungsverbot erlassen worden.

Auch unter Bedachtnahme auf die familiäre Situation der Beschwerdeführerin sei die Erlassung der Ausweisung zulässig. Es sei nicht "aktenkundig", dass einer gemeinsamen Ausreise der Beschwerdeführerin mit ihren Kindern unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. April 2010, B 1045/08-10, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (23. April 2008) nach den Bestimmungen des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 2/2008 richtet.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Richtigkeit der Ausführungen der belangten Behörde, aus denen sich ergibt, dass sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und der die Ausweisung ermöglichende Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt war. Vor dem Hintergrund der behördlichen Feststellungen bestehen auch sonst gegen die Richtigkeit dieser Beurteilung keine Bedenken.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene Bescheid verstoße gegen Art. 8 EMRK. Dazu verweist sie auf die bisherige Dauer ihres Aufenthalts im Inland sowie darauf, dass sie in Österreich ein "intensives" Privat- und Familienleben führe.

Zu diesem Vorbringen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin selbst einräumt, dass sie bereits seit Jahren von ihrem Ehemann getrennt lebe, weil dieser gegen sie gewalttätig geworden sei.

Hinsichtlich des Familienlebens führt die Beschwerdeführerin in erster Linie ins Treffen, dass sie mit drei ihrer vier Kinder im gemeinsamen Haushalt lebe. Die Tochter G sei an Epilepsie erkrankt und bedürfe permanenter Therapie, die sie in Österreich auch erhalte. Bei Abbruch dieser Therapie käme es zu einem lebensbedrohenden Gesundheitszustand. In der Türkei hätte die Beschwerdeführerin keinen Zugang zur Therapie für ihre Tochter. Sie verfüge nämlich über keine Krankenversicherung. Aus eigenen Mitteln könne sie die Therapie nicht finanzieren.

Auf die Ausführungen zur Erkrankung der Tochter der Beschwerdeführerin war hier allerdings nicht näher einzugehen. Ein solches Vorbringen hat die Beschwerdeführerin nämlich im Verwaltungsverfahren nie erstattet. Insbesondere hat sie Derartiges auch in der Berufung, in der sie (auch) auf ihre Tochter G ausdrücklich Bezug genommen hat, nicht behauptet. Es handelt sich bei diesem Vorbringen somit um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Im Übrigen lässt die Beschwerdeführerin die Ausführungen der belangten Behörde, dass auch die Kinder über kein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügten (gegen eines besteht den Feststellungen zufolge ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot; zudem wurden die übrigen Kinder, wie sich aus den sie betreffenden Akten des Verwaltungsgerichtshofes Zlen. 2011/23/0617 bis 0619 ergibt, ebenfalls ausgewiesen), unbestritten. Weiters wird auch die behördliche Beurteilung, dass das Familienleben zwischen der Beschwerdeführerin und jenen drei Kindern, mit denen sie im gemeinsamen Haushalt lebt, in der Türkei weiter geführt werden könne, nicht substantiiert in Frage gestellt. Zwar verweist die Beschwerdeführerin darauf, dass sie infolge ihres mehrjährigen Aufenthalts in Österreich den Kontakt zu den in der Türkei lebenden Verwandten abgebrochen habe und auch die bisherige Wohnung in der Türkei aufgegeben worden sei. Jedoch ist dem zu entgegnen, dass allfällige mit der Wiedereingliederung in das Heimatland verbundene Schwierigkeiten im öffentlichen Interesse hinzunehmen sind.

Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang aber auch noch vorbringt, die Rückkehr in ihr Heimatland sei für sie überhaupt existenzbedrohend, ist sie darauf hinzuweisen, dass die Frage einer allfälligen Gefährdung im Sinn des Art. 3 EMRK im Ausweisungsverfahren keiner näheren Beurteilung zu unterwerfen ist. Vielmehr stehen dafür eigene Verfahren zur Verfügung (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2012, Zl. 2012/18/0158, mwN).

Es ist mit der belangten Behörde festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin, deren Aufenthaltsstatus sich während ihres gesamten Aufenthalts immer als unsicher dargestellt hat und die von Beginn ihrer Einreise an nicht mit einem dauernden Aufenthalt in Österreich rechnen durfte, gegen maßgebliche öffentliche Interessen verstoßen hat. Es trifft nämlich die behördliche Ansicht zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt Fremder regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert beizumessen ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 12. Dezember 2012, mwN). Gegen diese Normen hat die Beschwerdeführerin mit ihrem Verhalten, indem sie versucht, durch den unrechtmäßigen Verbleib in Österreich für die Behörden vollendete Tatsachen zu schaffen, in gravierender Weise verstoßen. Soweit die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerdeergänzung geltend macht, sie sei infolge Gewalttätigkeiten ihres Ehemannes Opfer von familiärer Gewalt geworden und ihr stehe ein Aufenthaltstitel nach § 69a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu, ist sie darauf hinzuweisen, dass diese - erst mit BGBl. I Nr. 29/2009 neu geschaffene (Datum des Inkrafttretens: 1. April 2009) - Bestimmung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 23. April 2008 noch gar nicht existiert hat. Der Vollständigkeit halber ist hier aber anzumerken, dass die Beschwerdeführerin in keiner Weise dargelegt hat, dass sie die Voraussetzungen zur Erteilung des in § 69a NAG genannten Aufenthaltstitels erfüllen würde. Darüber hinaus hat aber schon die belangte Behörde zutreffend darauf hingewiesen, dass der von der Beschwerdeführerin gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - den Feststellungen zufolge hat sie einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen wegen eines behauptetermaßen aus Art. 8 EMRK resultierenden Anspruches gestellt - der Ausweisung nicht entgegenstand (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0282, mwN).

Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Februar 2013

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