VwGH 2012/08/0167

VwGH2012/08/016714.2.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der S D in V, vertreten durch Mag. Stephan Hemetsberger, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Hietzinger Hauptstraße 158, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 20. Jänner 2012, Zl. Senat-MD-10-1275, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §111 Abs2;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs1a;
MRK Art6 Abs1;
StGB §34 Abs2;
VStG §19;
VStG §51 Abs7;
ASVG §111 Abs1 Z1;
ASVG §111 Abs2;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs1a;
MRK Art6 Abs1;
StGB §34 Abs2;
VStG §19;
VStG §51 Abs7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Straf- und Kostenausspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruches) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, sie habe es als handelsrechtliche Geschäftsführerin der D. GmbH zu verantworten, dass diese als Dienstgeberin am 6. April 2009 H B. als Maurer und H B. als Schalungszimmerer sowie vom 1. Februar bis 4. September 2009 D D. als bautechnischen Gehilfen auf der Baustelle in W. beschäftigt habe, ohne die genannten Dienstnehmer als in der Krankenversicherung pflichtversicherte Personen vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden.

Sie habe dadurch § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 und Abs. 1a ASVG verletzt und werde gemäß § 111 Abs. 2 ASVG mit Geldstrafen zu je EUR 1.000,--, insgesamt EUR 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je drei Tagen, insgesamt neun Tage) bestraft.

Die Beschwerdeführerin vertrete die D GmbH seit 26. November 2008 als handelsrechtliche Geschäftsführerin und sei deren alleinige Gesellschafterin. H B. und H B. seien von der D. GmbH zumindest am 6. April 2009 um 9.40 Uhr auf einer Baustelle in Wien mit einfachen Hilfsarbeiten (unter anderem mit Schalungsarbeiten und dem Verbringen von Erdaushubmaterial) beschäftigt worden. D D., der Ehemann der Beschwerdeführerin, sei von der D. GmbH mindestens seit dem 1. Februar 2009 ganztägig beschäftigt worden. Zumindest ab diesem Zeitpunkt habe D D. das operative Geschäft der D. GmbH geführt. Er habe Angebote erstellt, Werkverträge abgeschlossen und als Ansprechpartner für die Vertragspartner der D. GmbH fungiert. Die drei genannten Personen seien von der D. GmbH nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung gemeldet worden.

Der Behauptung der Beschwerdeführerin, D D. habe ihr lediglich auf Grund seiner ehelichen Beistandspflicht Gefälligkeitsdienste geleistet, sei entgegenzuhalten, dass Art und Umfang der Tätigkeit über derartige Beistandspflichten hinausgingen. Die Tätigkeiten seien überdies nicht für die Beschwerdeführerin, seine Ehefrau, sondern für die D. GmbH geleistet worden.

Soweit die Beschwerdeführerin in Bestreitung der Dienstgebereigenschaft der D. GmbH vorbringe, eine E. GmbH sei auf Grund eines Werkvertrages vom 1. April 2009 Subunternehmerin der D. GmbH gewesen, so sei dem nicht zu folgen. Zum Zeitpunkt des (angeblichen) Vertragsabschlusses sei handelsrechtlicher Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der E. GmbH P Z. gewesen. Ein Vergleich mit der vom Finanzamt vorgelegten Musterzeichnung dieses Geschäftsführers ergebe, dass es sich bei der Unterschrift auf dem Werkvertrag nicht um jene des P Z. gehandelt habe. Weiters sei P Z. laut ZMR-Auszug zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses schon seit vier Tagen nicht mehr in Österreich wohnhaft gemeldet gewesen. Dem Bericht des Masseverwalters betreffend den Konkurs der E. GmbH vom 24. Juni 2009 sei zu entnehmen, dass die E. GmbH seit ihrer Gründung keine Abgaben gemeldet und keine Abgabenzahlungen geleistet habe. Die Löschung der E. GmbH wegen Vermögenslosigkeit sei mit 17. April 2009, sohin nur zwei Wochen nach Abschluss des (angeblichen) Werkvertrages, im Firmenbuch eingetragen worden. Die E. GmbH habe die aus der Zeit ab Oktober 2008 rückständigen Sozialversicherungsbeiträge und Abgaben nicht bezahlt und nie über eine Gewerbeberechtigung verfügt. Der (angebliche) Werkvertrag vom 1. April 2009 sei nicht gültig zustande gekommen, er sei ein Scheingeschäft. Ein weiterer Anhaltspunkt, dass die D. GmbH die Beschäftigerin gewesen sei, sei darin zu erblicken, dass vor Ort nur Bautafeln der D. GmbH angebracht gewesen seien, hingegen nicht solche der E. GmbH. Gegen die Feststellung der Beschäftigung bei der D. GmbH spreche auch nicht, dass H B. und H B. auf den Personenblättern als Arbeitgeber eine "E. Bau" angegeben hätten, sohin nicht einmal der korrekte Firmenwortlaut der E. GmbH genannt worden sei. H B. habe sich bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme nicht erinnern können, jemals für die E. GmbH gearbeitet zu haben. Auch deren Geschäftsführer sei ihm nicht bekannt gewesen. Im Gegensatz dazu habe er jedoch D D. gekannt. Die an der Tatörtlichkeit von den Genannten verrichteten Arbeiten sei der D. GmbH zuzurechnen. Diese sei Dienstgeberin der drei genannten Personen und nicht - wie von der Beschwerdeführerin behauptet - die E. GmbH.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, es habe sich um drei versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse iSd § 4 Abs. 2 ASVG gehandelt. Die D. GmbH habe die genannten Personen nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung gemeldet. Der Tatbestand des § 111 Abs. 1 Z 1 erster Fall iVm § 33 Abs. 1 ASVG sei erfüllt. D D. habe deponiert, dass seine Anmeldung auf Grund der hohen Kosten ganz bewusst unterlassen worden seien. Hinsichtlich der beiden anderen Arbeiter sei versucht worden, die Meldeverpflichtung mittels eines Scheingeschäftes zu umgehen. Der Beschwerdeführerin sei vorsätzliches Verhalten zur Last zu legen.

Zur Strafbemessung führte die belangte Behörde aus, dass Erschwerungs- und Milderungsgründe nicht hervorgekommen seien. Im Hinblick auf das schwere Verschulden und aus spezialpräventiven Gründen erscheine die festgesetzte Geldstrafe auch unter Berücksichtigung "trister wirtschaftlicher Verhältnisse" der Beschwerdeführerin (der Berufung zufolge verfüge sie weder über ein monatliches Einkommen von EUR 3.000,-- noch über Vermögen, dafür bestünden Sorgepflichten "für mj. Kinder") als angemessen. Die Beschwerdeführerin solle mit den verhängten Geldstrafen von der Begehung weiterer derartiger Straftaten abgehalten werden. Der Allgemeinheit solle signalisiert werden, dass es sich nicht um Bagatelldelikte handle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Juli 2012, B 224/12- 6, abgelehnte, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene und von der Beschwerdeführerin auftragsgemäß ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurde der angefochtene Bescheid nicht nach Ablauf der Frist des § 51 Abs. 7 VStG erlassen. Wie sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt, langte die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis am 22. Oktober 2010 bei der erstinstanzlichen Behörde ein. Die fünfzehnmonatige Frist gemäß § 51 Abs. 7 VStG hätte am 22. Jänner 2012 geendet. Das vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Straferkenntnis wurde der Beschwerdeführerin nach dem 22. Jänner 2012 zugestellt, der Erstbehörde ist es jedoch im Wege einer Telekopie (Fax) bereits am 20. Jänner 2012, sohin innerhalb der fünfzehn-monatigen Frist des § 51 Abs. 7 VStG, zugegangen. Die behauptete Rechtswidrigkeit liegt daher nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 2012, Zl. 2012/08/0010).

Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und meint, die belangte Behörde hätte von der Gültigkeit des Werkvertrages zwischen der E. GmbH und der D. GmbH ausgehen und annehmen müssen, dass die genannten Dienstnehmer bei der E. GmbH beschäftigt gewesen seien.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde ist jedoch im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich zustehenden Kognitionsbefugnis (vgl. § 41 VwGG) nicht zu beanstanden. Die Beschwerde vermag keine Umstände aufzuzeigen, die die Feststellungen der belangten Behörde als unschlüssig erscheinen ließen.

Des Weiteren bringt die Beschwerde vor, D D. habe - gerade in der Aufbauphase der D. GmbH - seine Dienste ausschließlich im Hinblick auf seine Unterstützung in aufrechter Ehe erbracht. Dem ist zu erwidern, dass es sich bei der D. GmbH um eine Kapitalgesellschaft mit Rechtspersönlichkeit handelt, weshalb die von D D. für dieses Unternehmen erbrachte Leistung nicht als im Rahmen einer ehelichen Beistandspflicht gegenüber seiner Ehegattin - ungeachtet deren Geschäftsführerfunktion - erbracht angesehen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2011, Zl. 2009/08/0181, mwN). Gegen das Vorliegen eines unentgeltlichen Gefälligkeitsdienstes spricht auch die Feststellung der belangten Behörde, wonach die Anmeldung des D D. auf Grund der zu erwartenden hohen Kosten für die D. GmbH unterlassen worden sei.

Die Beschwerde war daher, soweit sie den Schuldspruch betrifft, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Allerdings ist der Beschwerde gegen den Strafausspruch (und dem folgend auch gegen die Auferlegung eines Beitrags zu den Verfahrenskosten) Erfolg beschieden:

Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinn des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Diese sei nicht als Milderungsgrund bei der Strafbemessung berücksichtigt worden.

Im vorliegenden Fall erlangte die Beschwerdeführerin mit Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigte am 11. Jänner 2010 erstmals offiziell Kenntnis von dem gegen sie erhobenen Tatvorwurf. Als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist dieser Tag anzunehmen. Mit Straferkenntnis der Behörde erster Instanz vom 30. September 2010 endete das erstinstanzliche Verfahren. Die dagegen erhobene Berufung langte am 22. Oktober 2010 bei der belangten Behörde ein. Der Berufungsbescheid wurde dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 1. Februar 2012 zugestellt. Das gesamte Verfahren seit der ersten Verfolgungshandlung dauerte über zwei Jahre.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfahrensverzögerung der Sphäre der Beschwerdeführerin zuzurechnen wäre. Es liegt auch keine ungewöhnliche Komplexität und Schwierigkeit dieser Rechtssache vor. Die Verfahrensdauer ist nicht mehr angemessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Dieser Umstand in Anwendung des § 19 VStG iVm § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten. Die belangte Behörde hat, indem sie diesen Umstand unberücksichtigt gelassen hat, das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechenden Weise angewendet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2010/09/0209, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang des Straf- und des Kostenausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf die im §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 14. Februar 2013

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