VwGH 2012/23/0011

VwGH2012/23/001120.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Y, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 18. November 2009, Zl. E1/4398/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

32002F0946 Bekämpfung Schlepperei;
32002L0090 Schlepperei-RL;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §114 Abs2;
FrPolG 2005 §114 Abs4;
FrPolG 2005 §114 Abs5;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
32002F0946 Bekämpfung Schlepperei;
32002L0090 Schlepperei-RL;
62003CJ0136 Dörr VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §1;
EURallg;
FrPolG 2005 §114 Abs2;
FrPolG 2005 §114 Abs4;
FrPolG 2005 §114 Abs5;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 3. September 2005 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag (im dritten Rechtsgang) mit Bescheid vom 14. Mai 2008 ab und stellte fest, dass (u.a.) die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Zugleich verfügte es die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Türkei. Die letztlich nur gegen diesen Spruchpunkt aufrecht erhaltene Berufung wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Februar 2009 ab.

Davor, nämlich am 31. August 2007 hatte der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, mit der er zwei gemeinsame, am 30. April 2007 und am 11. Mai 2008 geborene Kinder hat.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 18. März 2009 wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 2 und 4 erster Fall sowie Abs. 5 erster Fall FPG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verurteilt. Diesem Urteil lag zugrunde, der Beschwerdeführer habe (überwiegend im Auftrag des H.) gewerbsmäßig als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Zusammenwirken mit weiteren Tätern die rechtswidrige Einreise und Durchreise von dazu nicht berechtigten Fremden (vorwiegend türkischen Staatsangehörigen) in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Österreich, Italien, Deutschland) gefördert, wobei er mit dem Vorsatz gehandelt habe, sich durch das dafür insgesamt geleistete Entgelt von etwa 5.000 EUR pro geschleppter Person unrechtmäßig zu bereichern.

Angesichts dessen wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 30. Juni 2009 gemäß § 86 Abs. 1 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Unter einem wurde ausgesprochen, dass die aufschiebende Wirkung einer Berufung "ausgeschlossen" werde. Demzufolge wurde der Beschwerdeführer nach seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft am 9. Juli 2009 in die Türkei abgeschoben.

Der gegen den erwähnten Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 18. November 2009 keine Folge. Sie bestätigte das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot mit der Maßgabe, dass die Dauer mit zehn Jahren festgesetzt wurde.

Die belangte Behörde stellte die erwähnte Verurteilung des Beschwerdeführers fest und führte insgesamt sechs Fälle betreffend den Zeitraum Oktober 2007 bis (zur Festnahme des Beschwerdeführers) Ende Mai 2008 an, in denen er Schleppungen organisiert habe. Das Strafgericht habe - so die belangte Behörde daran anschließend - den Beschwerdeführer als sogenannten "Verteiler" eingestuft, der für die Rekrutierung von "PKW-Schleppern" zuständig gewesen sei. Er habe dafür jeweils 600 bis 700 EUR erhalten, womit dann auch die angeworbenen "Mitarbeiter" bezahlt worden seien. Der Beschwerdeführer habe sich dadurch an den Geschleppten bereichert und diese Personen ausgebeutet.

Weiters habe das Strafgericht festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer unter Alias-Identitäten in Deutschland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt habe. Nach einer Verurteilung wegen Kokainschmuggels habe er sich dort zwischen 2001 und 2003 in Haft befunden und er sei nach seiner bedingten Entlassung mit einem Aufenthaltsverbot belegt und in die Türkei abgeschoben worden. Es bestehe ein am 6. Februar 2004 ausgestellter nationaler Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Kiel zur Vollstreckung des Strafrestes (von 527 Tagen).

In der weiteren Begründung ging die belangte Behörde vom Vorliegen einer Gefährdung iSd § 86 Abs. 1 FPG aus. Einerseits verwies sie dazu mit näheren Ausführungen auf das als "unerwünscht" qualifizierte "Phänomen der Schlepperei" und legte dar, dass der Bekämpfung dieser Kriminalitätsform - auch aus dem Blickwinkel der Europäischen Union - ein hoher Stellenwert zukomme. Andererseits bezog sie sich dabei auch auf das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, der gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung zur Erlangung eines nicht bloß geringfügigen Vermögensvorteils gehandelt habe, womit die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens schwer beeinträchtigt worden sei. Insbesondere bei gewerbsmäßig, über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangener Schlepperkriminalität bestehe eine Wiederholungsgefahr.

Unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG hielt die belangte Behörde fest, dass das Familienleben des Beschwerdeführers, der während des Verfahrens über einen nicht berechtigten Asylantrag nur über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügt habe, in einem Zeitraum begründet worden sei, als sein Aufenthalt "nicht gesichert" gewesen sei. Das bewirke eine wesentliche Minderung der Interessen des Beschwerdeführers. Im Übrigen habe er die Straftaten begangen, während er Leistungen aus der Grundversorgung bezogen habe. Das zeige - ebenso wie beim Voraufenthalt in Deutschland - den mangelnden Integrationswillen des Beschwerdeführers. Den gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehe aber vor allem die aus den dargestellten, im Rahmen einer Schlepperorganisation gewerbsmäßig begangenen Straftaten resultierende massive Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Dieses Interesse sei "bei allem Verständnis" weit höher zu gewichten als das gegenläufige private Interesse, sodass die durch das Aufenthaltsverbot bewirkte Beendigung des Zusammenlebens in Österreich vom Beschwerdeführer und seinen Familienangehörigen im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen sei. Dem zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend gebotenen Aufenthaltsverbot stehe daher § 66 FPG nicht entgegen.

Schließlich begründete die belangte Behörde noch näher, dass eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers nicht in Betracht komme und eine Dauer des Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren "unbedingt" erforderlich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Dezember 2009) geltende Fassung.

Die belangte Sicherheitsdirektion begründete die Annahme, sie sei zur Berufungsentscheidung zuständig gewesen, im angefochtenen Bescheid mit der Feststellung, die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen, sodass dem Beschwerdeführer nicht die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zukomme. Im Ergebnis meinte sie, dass daher die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 FPG, wonach über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern entscheiden, nicht gegeben seien. Es komme daher die allgemeine Regelung des § 9 Abs. 1 Z 2 FPG zur Anwendung, wonach in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz zuständig seien.

In der Beschwerde wird darauf nicht eingegangen, allerdings die Zuständigkeit der belangten Behörde (allein) mit dem Hinweis bestritten, der Beschwerdeführer sei türkischer Staatsangehöriger.

Dem ist zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die unabhängigen Verwaltungssenate im Fall von türkischen Staatsangehörigen - außer sie sind begünstigte Drittstaatsangehörige - nur dann in Berufungssachen nach dem FPG zuständig sind, wenn diese die Voraussetzungen gemäß Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erfüllen (vgl. etwa zuletzt das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0454, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0131, mwN). Dafür, dass diese Bedingungen hier erfüllt sein könnten, bestehen aber keine Anhaltspunkte; das zeigt auch die Beschwerde nicht auf.

Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer österreichischen Staatsbürgerin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG (iVm § 87 FPG) nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Die Beschwerde wendet sich der Sache nach auch gegen die von der belangten Behörde gemäß dieser Bestimmung vorgenommene Gefährdungsprognose und meint, die im angefochtenen Bescheid angestellten generalpräventiven Überlegungen zu den Ursachen und Auswirkungen des "Phänomens der Schlepperkriminalität" hätten außer Acht zu bleiben. Das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers rechtfertige keineswegs die weitreichenden negativen Folgerungen, wie sie im angefochtenen Bescheid angenommen worden seien. Es sei unzulässig, auf die Wiederholung eines Deliktes zu schließen, ohne dass auch nur der geringste Anhaltspunkt gegeben sei.

Richtig ist, dass der angefochtene Bescheid auch allgemeine Ausführungen zum "Phänomen der Schlepperei" enthält, wonach dabei die größten Verlierer die geschleppten Personen seien und den Nutzen aus den unmenschlichen Tragödien einzig und allein die Schlepper ziehen würden, sodass dieser Form der unerwünschten Kriminalität sowohl sicherheitspolizeilich als auch fremdenpolizeilich rigoros ein Riegel vorzuschieben sei. Mit diesen Überlegungen hat die belangte Behörde aber nur in nicht unzulässiger Weise das grundsätzlich besonders große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Schlepperkriminalität näher begründet. Sie durfte dabei - durchaus im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe das schon von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2007/18/0135; vgl. daran anschließend auch die Erkenntnisse vom 28. Juni 2007, Zl. 2007/21/0170, und vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0103) - weiters davon ausgehen, dass der Bekämpfung der Schlepperei aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) vor dem Hintergrund der Richtlinie 2002/90/EG des Rates und des Rahmenbeschlusses 2002/946/JI (jeweils) vom 28. November 2002 auch aus unionsrechtlicher Sicht ein hoher Stellenwert zukomme.

Die belangte Behörde beschränkte sich aber nicht nur darauf, sondern sie stellte im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG eine Beziehung zum näher festgestellten, dem strafgerichtlichen Urteil zugrundeliegenden persönlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers her und legte es ihrer Prognosebeurteilung zugrunde. Entgegen der Beschwerdemeinung durfte die belangte Behörde aber daraus - angesichts der gewerbsmäßigen Begehung im Rahmen einer kriminellen Organisation und dem erkennbaren Gewinnstreben zum Nachteil der geschleppten Personen in einer Mehrzahl von Fällen in Verbindung mit dem erst durch die Verhaftung beendeten, mehrere Monate umfassenden Tatzeitraum - von einer weiterhin aktuellen Gefahr iSd § 86 Abs. 1 FPG ausgehen. Dafür sprechen im Übrigen auch die - in der Beschwerde nicht bestrittenen - Feststellungen zum Voraufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland unter Aliasidentitäten und zu der dort erfolgten Verurteilung und Haftverhängung wegen Suchtgiftschmuggels.

Soweit die Beschwerde weiters kritisiert, im angefochtenen Bescheid habe "nicht einmal ansatzweise" eine Auseinandersetzung darüber stattgefunden, ob ein Eingriff in die Rechte des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und seiner Kinder gemäß Art. 8 EMRK gerechtfertigt sei, widerspricht das - wie schon die obige Wiedergabe der Bescheidbegründung zeigt - der Aktenlage. Es ist aber auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde unter Abwägung der wechselseitigen Interessen zu dem Ergebnis kam, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Angesichts des - wie erwähnt - besonders großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung der Schlepperkriminalität in Verbindung mit der von ihm insoweit weiterhin ausgehenden erheblichen Gefahr haben der Beschwerdeführer und seine Angehörigen eine durch das Aufenthaltsverbot bewirkte Trennung in Kauf zu nehmen. Auch insofern kann der belangten Behörde somit nicht entgegengetreten werden.

Daher erweist sich die Beschwerde, in der unter dem Gesichtspunkt des Ermessens und der Gültigkeitsdauer nichts ins Treffen geführt wird, als unbegründet. Sie war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich - im Rahmen des ausdrücklichen ziffernmäßigen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Dezember 2012

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