VwGH 2012/23/0003

VwGH2012/23/000320.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der Y in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Dezember 2009, Zl. E1/410294/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, reiste Anfang Oktober 2002 nach Österreich ein und stellte (mit falschen Identitätsangaben) einen erfolglos gebliebenen Asylantrag. Der antragsabweisende und die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Ghana verfügende Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juni 2005 erwuchs nach Zurückziehung der dagegen erhobenen Berufung am 19. Dezember 2005 in Rechtskraft.

Bereits davor, nämlich am 28. November 2005, hatte die Beschwerdeführerin den (ursprünglich ebenfalls aus Ghana stammenden) österreichischen Staatsbürger M. geheiratet. Unter Berufung auf diese Ehe stellte die Beschwerdeführerin am 19. Dezember 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, die ihr dann am 2. Dezember 2006 in Form eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" mit einer Gültigkeit bis 2. Dezember 2007 erteilt wurde. Am 26. November 2007 brachte die Beschwerdeführerin einen Verlängerungsantrag ein, wobei von ihr der Vorname des Ehemannes mit "K" angegeben wurde.

Im Zuge des Verlängerungsverfahrens wurden Ermittlungen wegen des Verdachtes des Vorliegens einer sogenannten "Aufenthaltsehe" ("Scheinehe") vorgenommen, die dazu führten, dass die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 17. September 2009 gegen die Beschwerdeführerin ein auf § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gestütztes, mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erließ.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangten Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 2009 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Ausgehend von näher begründeten beweiswürdigenden Überlegungen kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger M. geschlossen und sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung und eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen habe, obwohl mit ihm ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nie geführt worden sei. Das Verhalten der Beschwerdeführerin, eine Scheinehe zwecks Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile einzugehen, laufe den öffentlichen Interessen zuwider und bewirke eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung, insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten "Ehe- und Fremdenwesens". Es stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft an einer gesetzlich gesteuerten Zuwanderung berühre, sodass die Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Bei der von der belangten Behörde sodann gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte sie den etwas über sieben Jahre dauernden Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich, der allerdings bis 2005 nur durch eine vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung "abgesichert" gewesen sei. Aus dem eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin in den letzten Jahren beschäftigt gewesen sei. Diesem Umstand komme jedoch wenig Bedeutung zu, weil die Beschäftigung nur aufgrund einer von der Scheinehe abgeleiteten Bewilligung habe ausgeübt werden dürfen. Den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin, die noch Bindungen zum Heimatstaat (Eltern, Geschwister) besitze, stehe gegenüber, dass sie - wie erwähnt - durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Ehe und Berufung darauf in mehreren Anträgen das Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens erheblich beeinträchtigt habe. Zusammenfassend ging die belangte Behörde daher von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses aus, weshalb das Aufenthaltsverbot auch im Grunde des § 66 FPG zulässig sei. Die belangte Behörde sah auch keinen Grund, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von dieser Maßnahme Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde und einer Gegenäußerung durch die Beschwerdeführerin erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Dezember 2009 geltende Fassung.

Die belangte Behörde stützte das gegenständliche Aufenthaltsverbot in tragender Weise auf die Annahme, die Beschwerdeführerin habe (im Sinne des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG) eine sogenannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit ihrem österreichischen Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung und eines Befreiungsscheines auf diese Ehe berufen.

Diese Annahme begründete die belangte Behörde zunächst mit mehreren Widersprüchen, die bei den niederschriftlich aufgenommenen, im angefochtenen Bescheid im Einzelnen wiedergegebenen Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes am 17. März 2008 aufgetreten seien. So hätten sie schon den Zeitpunkt des Kennenlernens unterschiedlich mit Mai 2005

(= sechs Monate vor der Eheschließung) bzw. mit drei bis vier

Monate vor der Eheschließung (= Juli/August 2005) angegeben. Nach

der Darstellung der Beschwerdeführerin seien sie von der Wohnung zum Standesamt gemeinsam mit der Straßenbahn gekommen, der Aussage ihres Ehemannes zufolge gemeinsam mit dem Auto gefahren, was den Schluss nahelegt, dass sie tatsächlich nicht (wie erwartbar) gemeinsam dorthin gefahren sind. Weiters habe die Beschwerdeführerin ausgesagt, am Tag nach der Eheschließung bei ihrem Ehemann eingezogen zu sein, während dieser den Zeitpunkt des Zusammenziehens mit "ca. vier Monate vor der Hochzeit" angegeben habe.

Gegen die behördliche Annahme, dabei handle es sich um maßgebliche Widersprüche, wird in der Beschwerde geltend gemacht, der belangten Behörde hätte auffallen müssen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann "kulturbedingt" Zeitpunkte oder Zeiträume anders wahrnehmen würden und über gleiche Ereignisse verschiedene Wahrnehmungen hätten.

Dem kann nicht gefolgt werden. Vielmehr liefert das von der Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Argumentation angeführte Beispiel ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Die Beschwerde stellt nämlich (im Einklang mit den diesbezüglichen Niederschriften) dar, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin bei seiner Vernehmung als Trauzeugen seiner Ehefrau einen Mann namens N. K., angeblich einen Bekannten der Beschwerdeführerin, in Erinnerung hatte, während die Beschwerdeführerin ausgesagt habe, ihre Trauzeugin sei die in London lebende Freundin A. R. gewesen. Dabei kann es sich aber kaum um "verschiedene Wahrnehmungen über gleiche Ereignisse" handeln, sondern dies lässt sich wohl nur damit erklären, dass die Umstände der Eheschließung - anders als es bei einer "echten" Ehe zu unterstellen wäre - derart waren, dass sich der Ehemann nicht einmal mehr an die Person, die als Trauzeuge seiner Ehefrau fungiert hatte, erinnern konnte. In dieses Bild passt auch, dass - insoweit gibt es auch übereinstimmende Angaben - der beigezogene Dolmetscher die Funktion des Trauzeugen des Ehemannes hatte.

Außerdem hat die belangte Behörde bei der Beweiswürdigung - zu Recht - weiters einbezogen, dass sich die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann in Bezug auf den Ablauf des Vortags der Vernehmung (Sonntag) in gravierende und unauflösliche Widersprüche verwickelt hatten, die den Schluss zuließen, die Eheleute würden entgegen ihren Angaben nicht zusammenwohnen. Während die Beschwerdeführerin nämlich davon gesprochen habe, sie seien um 9.00 Uhr aufgestanden und hätten gemeinsam gefrühstückt, habe ihr Ehemann angegeben, er sei, als die Beschwerdeführerin noch geschlafen habe, um 9.30 Uhr aufgestanden und habe allein gefrühstückt. Mittagessen habe es keines gegeben. Demgegenüber habe die Beschwerdeführerin geschildert, dass sie zu Mittag Reis und Suppe gegessen hätten. Schließlich hätten sie auch noch weitere, näher dargestellte unterschiedliche Aussagen zu den Geschehnissen an diesem Tag getätigt.

Entgegen der Beschwerdemeinung können diese widersprüchlichen Angaben nicht mit - wie es auch in diesem Zusammenhang heißt - "unterschiedlichen Wahrnehmungen von gleichen Ereignissen" erklärt werden. Auch der Einwand, diese Angaben deuteten "geradezu nicht auf eine Scheinehe" hin, weil "solche Angaben" leicht abzusprechen seien, überzeugt nicht, setzte das doch voraus, dass die Eheleute mit einer Befragung zum Ablauf des Vortags gerechnet hätten, was nicht zwingend unterstellt werden kann.

Die belangte Behörde stützte sich bei ihrer Beweiswürdigung überdies auf einen Bericht vom 17. Dezember 2008 über Erhebungen an der gemeinsamen Meldeadresse. Danach habe die (namentlich genannte) seit 1967 in dieser Funktion tätige Hausbesorgerin bei einer Befragung am 31. März 2008 angegeben, den Ehemann der Beschwerdeführerin sehr gut zu kennen, weil er auf derselben Stiege wohne. Auf Vorhalt von Fotos habe sie erklärt, dass dieser immer mit derselben Frau (identifiziert als F, die ebenfalls aus Ghana stammt) in dieser Wohnung zusammengelebt habe. Die Beschwerdeführerin sei ihr vollkommen unbekannt. Es gebe sonst keine zweite dunkelhäutige Frau "auf der Stiege".

Die Beschwerde versucht die Glaubwürdigkeit dieser Angaben zu erschüttern, indem sie darauf verweist, der Ehemann der Beschwerdeführerin sei wegen seiner Beschäftigung als Straßen- bzw. Tunnelarbeiter sehr selten in seiner Wohnung anwesend. Wenn der Hausbesorgerin aber nicht bekannt sei, dass er "fast nie" nach Hause komme, hätte sie sich auch nicht "hundertprozentig" sicher sein können, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Ehewohnung gewohnt habe.

Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, die Hausbesorgerin wäre zur Frequenz der Aufenthalte des Ehemannes der Beschwerdeführerin in der besagten Wohnung befragt worden, ist allein entscheidungswesentlich, ob auch die Beschwerdeführerin dort gelebt hat. Dass sie sich während des Zeitraums des behaupteten Zusammenlebens von (Ende) 2005 bis Mitte 2008 aus besonderen Gründen nur sporadisch in der Ehewohnung aufgehalten hätte, wurde nicht vorgebracht. Ausgehend davon war es jedenfalls nicht unschlüssig, dass die belangte Behörde annahm, die Beschwerdeführerin hätte von der Hausbesorgerin auf dem ihr gezeigten Foto wiedererkannt werden müssen. Deren Angaben stehen im Übrigen im Einklang mit den weiteren Ausführungen in dem genannten Bericht, wonach in den nächsten Monaten (ab April 2008) an der gemeinsamen Meldeadresse mehrmals fremdenpolizeiliche Kontrollen durchgeführt worden seien, ohne dass die Beschwerdeführerin angetroffen habe werden können. Es sei immer F anwesend gewesen. Der Beweiswert dieser Ermittlungsergebnisse wird aber nicht allein dadurch erschüttert, dass - wie die Beschwerde kritisiert - die näheren Daten der Kontrollen im Bericht nicht angeführt worden sind, weil die Beschwerdeführerin dessen inhaltliche Richtigkeit insoweit nicht bestreitet.

Die Beschwerde führt weiters noch ins Treffen, aus dem genannten Bericht gehe "indirekt" hervor, dass die "Ex-Gattin" F im Kinderzimmer gewohnt habe und nur vorübergehend habe bleiben wollen, weil sie ihre Kleider in einem Koffer im Kinderzimmer gehabt habe. Das deute nicht darauf hin, dass sie das Schlafzimmer und die dort der Beschwerdeführerin vorbehaltenen Schränke benützt habe.

Dem ist vorweg zu entgegnen, dass es - wie erwähnt - in erster Linie um den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Ehewohnung geht. Es wäre lediglich ein zusätzliches, für eine Aufenthaltsehe sprechendes Indiz, wenn der Ehemann der Beschwerdeführerin tatsächlich nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer wieder bzw. immer mit seiner früheren Ehefrau zusammengelebt hätte, wie die Hausbesorgerin ausgesagt hat. Für die Richtigkeit dieser Angaben spricht aber nicht nur das schon erwähnte Ergebnis der mehrfachen Kontrollen ab April 2008, sondern auch der in der Beschwerde nicht berücksichtigte Umstand, dass dem genannten Bericht zufolge bei den Erhebungen in der Wohnung am 31. März 2008 die "Ex-Gattin" F zunächst im (angeblich nur von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann benützten) Schlafzimmer angetroffen worden und das (angeblich von F benützte) Bett im Kinderzimmer nicht bezogen gewesen sei.

Angesichts der sonstigen Ermittlungsergebnisse kommt es schließlich nicht darauf an, ob der Beschwerdeführerin die kontoführende Bank ihres Ehemannes und ein drittes (in Ghana lebendes) erwachsenes Kind ihres Ehemannes hätte bekannt sein müssen und ob der Ehemann der Beschwerdeführerin wegen eines offenen Kredits über 15.000 EUR von der belangten Behörde als "hoch verschuldet" angesehen werden durfte. Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen können daher dahingestellt bleiben.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass es der Beschwerde nicht gelungen ist, eine Unschlüssigkeit oder Mangelhaftigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

Dass die belangte Behörde auf Basis der darauf gegründeten Feststellungen im angefochtenen Bescheid davon ausging, es sei eine Gefährdungsannahme im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, wird in der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Diese Schlussfolgerung steht überdies im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa zuletzt das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2012/23/0005, u. v.a.).

In der Beschwerde werden auch die nach § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung und die Ermessensübung zum Nachteil der Beschwerdeführerin nicht bekämpft. Insbesondere wird nicht behauptet, das Aufenthaltsverbot, gegen dessen Dauer in der Beschwerde ebenfalls nichts ins Treffen geführt wird, bewirke einen unzulässigen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin. Eine solche Annahme ist im vorliegenden Fall auch nicht indiziert.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 20. Dezember 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte