VwGH 2012/01/0063

VwGH2012/01/006319.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der M A in E, vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Bahnhofplatz 2, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 7. April 2011, Zl. IVW2-PS-2326/001-2009, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §23 Abs1;
FrG 1997 §31 Abs4;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §12 Z1 litb;
FrG 1997 §23 Abs1;
FrG 1997 §31 Abs4;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §12 Z1 litb;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. April 2011 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer armenischen Staatsangehörigen, vom 13. Jänner 2009 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10 Abs. 1 Z. 1 und 39 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009; im Folgenden: StbG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, die Beschwerdeführerin habe seit dem Jahr 1991 ihren ununterbrochenen Hauptwohnsitz in Österreich und habe sich auch im Bundesgebiet aufgehalten. In der Zeit nach dem 24. März 2003 (dem Gültigkeitsende der am 22. September 1999 von der Bezirkshauptmannschaft Amstetten erteilten weiteren Niederlassungsbewilligung) bis zum 9. Mai 2003 (der rechtswirksamen Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung durch die Bezirkshauptmannschaft Amstetten) habe sich die Beschwerdeführerin jedoch auf Grund eines von ihr verschuldeten Fristversäumnisses ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten. Da der Antrag auf eine weitere Niederlassungsbewilligung nicht vor Ablauf des letzten Aufenthaltstitels - d.h. vor dem 24. März 2003 - gestellt worden sei, komme der Beschwerdeführerin die Bestimmung des § 31 Abs. 4 erster Satz Fremdengesetz 1997 nicht zu Gute. Die Beschwerdeführerin sei somit im Zeitraum vom 25. März 2003 bis 8. Mai 2003 unrechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen und erfülle derzeit nicht die Verleihungsvoraussetzung eines zehnjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG. Im Übrigen erfülle die Beschwerdeführerin im Hinblick auf § 11a Abs. 1 StbG auch das gesetzliche Erfordernis einer mindestens fünfjährigen Ehedauer nicht, zumal sie erst seit 15. März 2008 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sei.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. Februar 2012, B 616/11-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 15. Mai 2012. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war.

Die belangte Behörde verneinte die Erfüllung der Frist eines seit mindestens zehn Jahren rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, weil sich die Beschwerdeführerin im Zeitraum von 25. März 2003 bis 8. Mai 2003 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Dagegen bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin sich seit ihrem dritten Lebensjahr in Österreich aufhalte, hier ihre gesamte individuelle Sozialisation erlebt und auch den gesamten Schul- und Bildungsweg in Österreich absolviert habe. Ebenso sei klar, dass die Beschwerdeführerin sich nicht das geringste Fehlverhalten zu Schulden habe kommen lassen. Es sei richtig, dass es in der Kette der Niederlassungs- bzw. Aufenthaltsbewilligungen "eine scheinbare Lücke" vom 24. März 2003 bis 9. Mai 2003 gebe. Der belangten Behörde sei aber völlig klar, dass die Beschwerdeführerin auch in dieser Zeit in Österreich gelebt, hier die Schule besucht "und sich in keiner Weise illegal aufgehalten" habe. Auf Grund der gerade das Fremdenrecht betreffenden Unmöglichkeit eines rechtlichen Überblicks wegen der zahlreichen Novellierungen und Änderungen in den vergangenen 20 Jahren könne ein derartiger geringfügiger Formalverstoß der Beschwerdeführerin nicht als rechtlich relevantes Fehlverhalten angelastet werden. Daher sei "bei einer teleologischen korrekten Auslegung als auch bei Anwendung eines gesetzeskonformen Ermessensspielraumes natürlich von einer völligen Einbürgerung aufgrund des rechtschaffenden Aufenthaltes der Beschwerdeführerin" seit ihrem dritten Lebensjahr in Österreich auszugehen. Da ein über 20jähriger ordnungsgemäßer Aufenthalt im Bundesgebiet vorliege, seien auch sämtliche sonstigen Voraussetzungen erfüllt.

Mit diesem Vorbringen wird keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit aufgezeigt:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Beurteilung der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG hinsichtlich des rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthaltes im Bundesgebiet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde zurückzurechnen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. März 2012, Zl. 2009/01/0036, und vom 19. Oktober 2011, Zl. 2009/01/0063, mwH). Gleiches gilt - angesichts des identen Wortlautes ("rechtmäßig und ununterbrochen") - auch für das Erfordernis des fünfzehnjährigen Aufenthaltes nach § 12 Z. 1 lit. b StbG (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 15. März 2012, Zl. 2009/01/0036).

Zum Erfordernis des rechtmäßigen (und ununterbrochenen) zehnjährigen Aufenthaltes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 20. Juni 2008, Zl. 2008/01/0316, bereits ausgesprochen, dass für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (am 1. Jänner 2006) die Rechtmäßigkeit auch mit Aufenthaltstiteln nach den Vorschriften des Fremdengesetzes 1997 und des Aufenthaltsgesetzes nachgewiesen werden kann. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Zeitraum von 25. März 2003 bis 8. Mai 2003 ist daher nach dem Fremdengesetz 1997 zu beurteilen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2012, Zl. 2010/01/0049, und vom 21. Jänner 2010, Zl. 2008/01/0285).

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 (in der Fassung BGBl. I Nr. 134/2002; im Folgenden: FrG) lauten (samt Überschriften) auszugsweise:

"Erteilung weiterer Niederlassungsbewilligungen

§ 23. (1) Fremden, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Niederlassungsbewilligung auf Dauer niedergelassen bleiben, ist - sofern die Voraussetzungen des 2. Abschnittes weiterhin gesichert scheinen - auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung mit demselben Zweckumfang zu erteilen. Waren die Fremden bisher im Besitz einer Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck und erklären sie nunmehr der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung zu stehen (§ 7 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 - AlVG, BGBl. Nr. 609), so ist ihnen auf Antrag eine weitere Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, ausgenommen unselbständige Erwerbstätigkeit, zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer der weiteren Niederlassungsbewilligung beginnt mit dem Tag der Erteilung.

Rechtmäßiger Aufenthalt

§ 31. (1) …

(4) Fremde, die einen Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels oder vor Entstehen der Sichtvermerkspflicht eingebracht haben, halten sich bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Als Entscheidung in diesem Sinne gilt auch eine von der Behörde veranlaßte Aufenthaltsbeendigung (§ 15)."

Gemäß § 31 Abs. 4 FrG halten sich Fremde nur dann bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie den Antrag vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des ihnen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels oder vor Entstehen der Sichtvermerkspflicht eingebracht haben. Gemäß § 23 Abs. 1 letzter Satz FrG beginnt die Gültigkeitsdauer der weiteren Niederlassungsbewilligung mit dem Tag ihrer Erteilung.

Nach dem FrG verfügen somit Fremde im Fall der verspäteten Einbringung eines Antrages auf Ausstellung eines weiteren Aufenthaltstitels - auch wenn sie zur Stellung eines Verlängerungsantrages im Inland berechtigt sind - während des Verlängerungsverfahrens über keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Aufgrund der Bestimmung des § 23 Abs. 1 FrG entstehende Lücken werden, je nachdem, ob die Antragstellung rechtzeitig erfolgte, durch § 31 Abs. 4 FrG zu Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes oder haben, wenn dies nicht der Fall ist, als Zeiten nicht rechtmäßigen Aufenthaltes zu gelten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000, Zl. 99/18/0436, sowie die dort auszugsweise zitierten Erläuterungen zu § 23 FrG; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 2011, Zl. 2009/01/0063).

Die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei im Zeitraum von 25. März 2003 bis 8. Mai 2003 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig gewesen, begegnet somit keinen Bedenken. Dass die Beschwerdeführerin, wie sie vorbringt, seit ihrem dritten Lebensjahr bzw. seit rund 20 Jahren in Österreich aufhältig sei und sie am Fristversäumnis kein relevantes Verschulden treffe, vermag daran nichts zu ändern. Damit erfüllte sie nach dem Gesagten im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Aufenthaltsfrist gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG (ebenso wie diejenige gemäß § 12 Z. 1 lit. b StbG) nicht.

2. Gemäß § 11a Abs. 1 StbG ist einem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet und unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8, Abs. 2 und 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn 1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und bei fünfjähriger aufrechter Ehe im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt;

2. die eheliche Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht aufgehoben ist und 3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist.

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass die Beschwerdeführerin (erst) seit 15. März 2008 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet ist. Damit erweist sich aber auch die Annahme der belangten Behörde, eine Verleihung nach § 11 a Abs. 1 Z. 1 StbG komme schon mangels Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung einer fünfjährigen aufrechten Ehe nicht in Betracht, nicht als rechtswidrig.

3. Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 19. September 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte