VwGH 2011/23/0661

VwGH2011/23/066131.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Ü in H, vertreten durch Dr. Franz Amler, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Brunngasse 12/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Jänner 2008, Zl. E1/13379/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste laut eigenen Angaben im Juli 2005 in das Bundesgebiet ein. Am 6. September 2005 heiratete er die österreichische Staatsbürgerin G. Im Hinblick darauf stellte er am 14. Dezember 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Das diesbezügliche Verfahren wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 28. März 2007 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer ausgesetzt.

Mit Bescheid vom 31. Juli 2007 erließ die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten gegen den Beschwerdeführer gemäß den §§ 87 und 86 Abs. 1 und 3 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, weil sich der Beschwerdeführer im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin berufen habe, obwohl ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Jänner 2008 gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt werde.

In der Begründung stützte sich die belangte Behörde insbesondere auf die Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers, G. Diese habe bei ihrer Einvernahme am 24. Februar 2006 ausgesagt, dass es sich bei ihrer Ehe mit dem Beschwerdeführer um eine Scheinehe handle. Die Ehe, für die ihr EUR 3.000,-- versprochen worden seien, sei von einer Freundin und einem - ihr nicht näher bekannten - türkischen Staatsangehörigen vermittelt worden. Sie habe den Beschwerdeführer zwar an ihrer Wohnadresse angemeldet, dieser habe dort aber nie geschlafen und sei dort nie zu Besuch gewesen. Diese Angaben seien von G. bei einer telefonischen Nachfrage am 20. Oktober 2006 bestätigt worden. Dabei habe sie auch angegeben, den Beschwerdeführer zuletzt vor einigen Monaten gesehen zu haben.

Weiters verwies die belangte Behörde auf die Einvernahme des Schwagers des Beschwerdeführers, I.G., am 18. Oktober 2006, in der dieser angegeben habe, es sei ihm nicht bekannt, ob der Beschwerdeführer zu dessen Ehefrau Kontakt habe bzw. ob er für die Ehe Geld bezahlt habe, zumal es zwischen ihm und dem Beschwerdeführer Streit gegeben habe. Er habe den Beschwerdeführer und dessen Ehefrau in deren Wohnung in 1210 Wien nie besucht.

Schließlich stützte sich die belangte Behörde auf einen Erhebungsbericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. November 2006 betreffend (u.a.) eine am 8. November 2006 durchgeführte Befragung der Schwester des Beschwerdeführers, S.G. Dabei habe S.G. angegeben, der Beschwerdeführer sei nach Österreich eingereist, weil sein Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden sei und er nicht in die Türkei zurückkehren habe wollen. Auf Grund privater Probleme zwischen ihrem Ehemann und dem Beschwerdeführer habe sie diesen ersucht, die Wohnung zu verlassen. Kurze Zeit später habe er ihr erzählt, er hätte eine österreichische Frau kennengelernt, die er heiraten würde. Sie habe die Frau des Beschwerdeführers kurz vor der Hochzeit bei einem gemeinsamen Ausflug kennengelernt. Über die Ehe des Beschwerdeführers habe S.G. keine Auskunft geben können, weil der Beschwerdeführer "bei diesem Thema ärgerlich werden" und "es meiden" würde.

Demgegenüber habe der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 20. Oktober 2006, in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 2007 sowie in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bestritten, dass es sich bei seiner Ehe um eine Scheinehe handle. Er habe angegeben, im Juli 2005 von Deutschland nach Österreich gekommen zu sein, um hier bei seiner Schwester und deren Ehemann eine Woche Urlaub zu machen. In dieser Zeit habe er seine nunmehrige Ehefrau G. kennengelernt. Sie hätten sich einige Male getroffen und schließlich beschlossen zu heiraten. Nach der Heirat habe er mit seiner Ehefrau regelmäßig Geschlechtsverkehr gehabt. Er habe keine Schlüssel für die Wohnung seiner Ehefrau, könne aber deren Grundriss aufzeichnen und wisse, dass es sich um eine Gemeindewohnung handle. Er habe seiner Ehefrau für die Ehe nichts bezahlt, diese habe lediglich Geld für Essen und Trinken bekommen. Die Aussage seiner Ehefrau sei unter dem Einfluss seiner Schwiegermutter zustande gekommen, die schon immer gegen die Heirat gewesen sei. Schließlich habe der Beschwerdeführer die Einvernahme des Zeugen C. beantragt, der genauere Angaben zum ehelichen Verhältnis hätte machen können.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer vom 29. Juni 2005 bis 4. Dezember 2006 an der Wohnanschrift seiner Ehefrau in 1210 Wien behördlich gemeldet gewesen sei. Seit Oktober 2005 gehe er einer Erwerbstätigkeit als Arbeiter bei einem in St. Pölten ansässigen Unternehmen nach. Seit Februar 2006 habe er einen Nebenwohnsitz in Traismauer.

In ihrer Beweiswürdigung wertete die belangte Behörde insbesondere die Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers als glaubwürdig. Daraus gehe hervor, dass nie die Absicht bestanden habe, ein gemeinsames Ehe- und Familienleben zu führen. Diese Aussage werde auch durch weitere Indizien gestützt. So habe der Beschwerdeführer angegeben, er sei nur für einen einwöchigen Urlaub nach Österreich gekommen, während seine Schwester ausgesagt habe, der Beschwerdeführer sei nach Österreich eingereist, weil sein Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden sei und er nicht in die Türkei zurückkehren habe wollen. Weiters habe seine Schwester ausgesagt, dass der Beschwerdeführer das Thema seiner Ehe meide und ärgerlich werde, wenn er darauf angesprochen werde. Schließlich sei es "äußerst ungewöhnlich", dass der Beschwerdeführer über keine Wohnungsschlüssel für seine Wohnung verfüge. Zum Antrag auf Einvernahme des Zeugen C. führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, worin die genaueren Angaben bestehen würden, die dieser Zeuge zum ehelichen Verhältnis machen könne.

Die belangte Behörde erachtete es somit als erwiesen, dass der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin G. die Ehe lediglich deswegen eingegangen sei, um in den Genuss eines Aufenthaltstitels zu gelangen. Dieses Fehlverhalten rechtfertige jedenfalls die Gefährdungsannahme im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG.

Im Hinblick auf den seit etwa zweieinhalb Jahren bestehenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich anerkannte die belangte Behörde im Rahmen der nach § 66 FPG vorzunehmenden Abwägung einen mit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Allerdings werde das Gewicht der aus seinem Aufenthalt und insbesondere seiner Erwerbstätigkeit abzuleitenden Integration durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer Scheinehe reduziert. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers seien somit nicht als schwerwiegender zu beurteilen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Die belangte Behörde konnte auch keine für den Beschwerdeführer günstigen Parameter erblicken, wonach die Ermessensübung zu seinen Gunsten zu erfolgen hätte. Schließlich erachtete die belangte Behörde eine Dauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren als angemessen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im vorliegenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer ist im Hinblick auf seine aufrechte Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin G. Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Für ihn gelten somit gemäß § 87 FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 86 Abs. 1 FPG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wenn der Fremde - im Sinn des Tatbestands des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG -

eine sogenannte Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt und sich trotzdem für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf diese Ehe berufen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. März 2012, Zl. 2011/23/0257, mwN).

Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und wendet sich insbesondere gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Jedenfalls vor Begründung seines Nebenwohnsitzes in Traismauer habe er mit seiner Ehefrau ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, Bedenken an der Beweiswürdigung der belangten Behörde hervorzurufen.

Der Beschwerdeführer bringt lediglich pauschal vor, mit seiner Ehefrau eine normale Ehe geführt zu haben. Er hat aber weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde konkrete Lebenssachverhalte vorgebracht, die für die Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK sprechen würden. Der Umstand, dass er den Grundriss der Wohnung seiner Ehefrau aufzeichnen konnte und wusste, dass es sich um eine "Gemeindewohnung" handle, führt nicht dazu, dass die belangte Behörde vom Bestehen eines tatsächlichen Familienlebens ausgehen musste. Gleiches gilt für die - in der Beschwerde als Indiz gegen das Bestehen einer Aufenthaltsehe herangezogene - Aussage der Schwester des Beschwerdeführers, wonach dieser ihr erzählt habe, er habe eine österreichische Frau kennengelernt, die er heiraten würde.

Wenn der Beschwerdeführer darauf verweist, dass die Begründung seines Nebenwohnsitzes aus rein praktischen Erwägungen im Zusammenhang mit seiner Arbeitsstätte erfolgt sei, ist ihm entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung nicht auf den Umstand des Bestehens eines Nebenwohnsitzes gestützt hat. Anders als die Beschwerde offenbar vermeint, ist es auch nicht erforderlich, dass die belangte Behörde in diesem Zusammenhang feststellt, wo der Beschwerdeführer zwischen dem Aufenthalt bei seiner Schwester und der Begründung seines Wohnsitzes in Traismauer tatsächlich aufhältig war.

Der Beschwerdeführer vermag aber vor allem nicht darzulegen, aus welchen Gründen seine Ehefrau eine unrichtige Aussage über das Nichtbestehen eines Familienlebens hätte machen sollen. Das in diesem Zusammenhang erstattete, nicht näher konkretisierte Vorbringen, seine Ehefrau sei von ihrer Mutter zu ihrer (unrichtigen) Aussage bewogen worden, vermag für sich genommen keine Bedenken an der von der belangten Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung zu wecken. Soweit der Beschwerdeführer in der Beschwerde erstmals die Einvernahme seiner Schwiegermutter beantragt, stellt dies eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung dar (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Der Beschwerdeführer rügt schließlich das Unterlassen der im Verwaltungsverfahren beantragten Einvernahme des Zeugen C. Das nicht näher substantiierte Vorbringen, der Zeuge könne genauere Angaben zum ehelichen Verhältnis machen, enthält allerdings keine Darstellung, zu welchen konkreten, auf ein tatsächliches Familienleben hindeutenden Umständen oder Lebenssachverhalten der Zeuge hätte befragt werden sollen (vgl. diesbezüglich etwa das Erkenntnis vom 21. November 2011, Zl. 2008/18/0574). Der Beschwerdeführer zeigt somit keinen relevanten Verfahrensmangel auf.

Wenn die belangte Behörde daher im Rahmen ihrer ausreichend begründeten Beweiswürdigung - gestützt auf die Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers und die weiteren, zusammengefasst dargestellten Indizien - zum Ergebnis gelangte, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangen sei, begegnet dies im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden eingeschränkten Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, VwSlg. 11.894 A/1985) keinen Bedenken.

Auch die von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung erweist sich nicht als rechtswidrig. Die belangte Behörde hat sowohl die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers als auch seine Erwerbstätigkeit bei ihrer Interessenabwägung ausreichend berücksichtigt. Sie ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass die geltend gemachte soziale und berufliche Integration im Wesentlichen auf das rechtsmissbräuchliche Eingehen einer verpönten Aufenthaltsehe zurückzuführen war, sodass das Gewicht dieser Integration als entsprechend gemindert anzusehen war. Der belangten Behörde kann somit nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthaltes nicht überwiegen.

Gründe, wonach die - in der Beschwerde auch nicht bekämpfte - Ermessensübung durch die belangte Behörde zum Nachteil des Beschwerdeführers nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre, sind nicht ersichtlich.

Der Beschwerdeführer rügt schließlich noch die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes. Dem ist entgegenzuhalten, dass er keine überzeugenden Umstände darlegt, die einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung bereits für einen früheren Zeitpunkt vorhersehbar erscheinen lassen.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 31. Mai 2012

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