VwGH 2011/23/0143

VwGH2011/23/014313.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des P, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Jänner 2008, Zl. SD 511/06, betreffend Aufhebung eines Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste laut eigenen Angaben am 13. Juni 2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde in erster Instanz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. März 2002 abgewiesen, wogegen der Beschwerdeführer Berufung erhob.

Bereits zuvor war der Beschwerdeführer mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 29. November 2001 wegen des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 (erster Fall) des Suchtmittelgesetzes (SMG) und § 15 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, weil er wiederholt Heroin und Kokain in Verkehr gesetzt (bzw. dies versucht) hatte.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. September 2003 wurde der Beschwerdeführer wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und 3 erster Fall SMG und § 15 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er jeweils mehrere Monate hindurch Heroin und Kokain in großen Mengen verpackt und an Dritte zum Zweck des Weiterverkaufs übergeben bzw. Kokain an Dritte verkauft habe, wobei es teilweise beim Versuch geblieben sei. Unter einem wurde die bedingte Strafnachsicht betreffend das Urteil vom 29. November 2001 widerrufen.

Im Hinblick auf diese Verurteilungen wurde gegen den Beschwerdeführer mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. Februar 2004 gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Am 28. Mai 2004 wurde der Beschwerdeführer bedingt aus der Strafhaft entlassen.

Am 30. November 2005 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin und beantragte in der Folge am 15. Dezember 2005 die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes. Begründend verwies er insbesondere auf seine Ehe sowie darauf, dass seine Ehefrau zwei Kinder in die Ehe mitbringe, die ihn als Vater anerkennen würden; er lebe nunmehr in geordneten Verhältnissen, sodass keine Gefahr eines Rückfalls mehr bestehe.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 10. Jänner 2008 wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 65 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ab.

Einleitend stellte die belangte Behörde fest, dass das gegenständliche Aufenthaltsverbot gemäß § 125 Abs. 3 FPG (im Hinblick darauf, dass das Asylverfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des FPG am 1. Jänner 2006 noch anhängig war) derzeit als Rückkehrverbot gelte.

Weiters führte die belangte Behörde aus, dass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes auf Grund der Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin nach § 87 FPG (iVm § 86 Abs. 1 FPG) zu überprüfen sei. Im Hinblick auf die zweimalige Verurteilung zu nicht unerheblichen Freiheitsstrafen, auf den jeweils mehrmonatigen Tatzeitraum und die erheblichen, in Verkehr gesetzten Suchtgiftmengen vertrat die belangte Behörde die Auffassung, auch das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der Haftentlassung am 28. Mai 2004 könne nichts daran ändern, dass von ihm (nach wie vor) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Auch die von ihm geltend gemachte Stabilisierung seiner Verhältnisse durch die Eheschließung könne angesichts des erheblichen strafbaren Verhaltens keine Gewähr dafür bieten, dass er nicht erneut straffällig werde. Schließlich verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer seit 21. September 2007 als unselbständig beschäftigt aufscheine, obwohl er über keine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz verfüge und die Beschäftigung somit als unrechtmäßig zu qualifizieren sei.

Im Rahmen der Interessenabwägung nahm die belangte Behörde auf die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin Bedacht, hielt aber fest, dass diese Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sei, zu dem der Beschwerdeführer weder in Österreich zur Niederlassung berechtigt gewesen sei noch mit einem ständigen Weiterverbleib habe rechnen dürfen. Die zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Interessen seien nicht von solchem Gewicht, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes in den Hintergrund zu treten habe. Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände sah die belangte Behörde auch keine Veranlassung, das Rückkehrverbot im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens zu beheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2008 geltende Fassung.

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein darauf abzielender Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes nur im Grunde des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig ist (vgl. das Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2009/21/0387, mwN auch zur Geltung des § 86 FPG für Rückkehrverbote). Bei dieser Beurteilung kommt es darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes oder Rückkehrverbotes erforderlich ist, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. das Erkenntnis vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/23/0665, mwN).

Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang insbesondere vor, dass er sich über einen Zeitraum "von bald vier Jahren" nach der Haftentlassung wohlverhalten habe. Darüber hinaus hätten sich seine Lebensumstände massiv geändert, weil er nunmehr "in einer aufrechten Familie" mit seiner Ehefrau sowie deren zwei Kindern lebe und einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgehe. Sein Gesinnungswandel manifestiere sich auch darin, dass er sich um soziale Integration bemühe und einen Deutschkurs absolviert habe. Vor diesem Hintergrund stelle sein persönliches Verhalten keine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr (iSd § 86 Abs. 1 FPG) dar.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Der Beschwerdeführer wurde zweimal wegen Überlassens von Heroin bzw. Kokain verurteilt. Er hat sich von der ersten Verurteilung nicht davon abhalten lassen, erneut einschlägig straffällig zu werden, wobei der - massive - Rückfall innerhalb offener Probezeit erfolgte und durch die gewerbsmäßige Begehungsweise gekennzeichnet ist. Die mit der Suchtgiftkriminalität regelmäßig einhergehende große Wiederholungsgefahr hat sich in seinem Fehlverhalten somit bereits nachdrücklich manifestiert. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass es in beiden Fällen beim Versuch geblieben sei, ist dem entgegenzuhalten, dass beiden Verurteilungen zumindest auch Straftaten zugrunde lagen, die vollendet worden sind.

Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass die aus dem - den rechtskräftigen Verurteilungen jeweils zugrunde liegenden - Fehlverhalten des Beschwerdeführers abzuleitende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und insbesondere für die Gesundheit Dritter auch den erhöhten Gefährdungsmaßstab iSd § 86 Abs. 1 FPG erfüllt. An dieser Einschätzung vermag auch die dargestellte Änderung der Lebensumstände des Beschwerdeführers nichts zu ändern, zumal diese Umstände - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat -

für sich genommen keinen ausreichenden Anlass dafür bieten, von einem Wegfall der Gründe auszugehen, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das schon genannte Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2009/21/0387). Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu prüfen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat. In Anbetracht des massiven Rückfalls des Beschwerdeführers ist der seit der bedingten Entlassung aus der Strafhaft am 28. Mai 2004 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im Jänner 2008 vergangene Zeitraum von etwas über drei Jahren und sieben Monaten zwar nicht unbeachtlich, aber im Ergebnis dennoch zu kurz, um verlässlich einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden erhöhten Gefährdung iSd § 86 Abs. 1 FPG annehmen zu können.

Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG ist auch zu prüfen, ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes bzw. Rückkehrverbotes im Grunde des § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei dieser Entscheidung das ihr eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2009/21/0229).

Der Beschwerde gelingt es auch nicht, eine Fehlerhaftigkeit der im angefochtenen Bescheid unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung aufzuzeigen. Zwar wurde das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht nur durch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin verstärkt, sondern auch - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - durch die Bindungen zu den beiden Kindern seiner Ehefrau. Allerdings hat die belangte Behörde zu Recht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die nunmehrige familiäre Bindung zu einem Zeitpunkt eingegangen ist, zu dem er nicht mit seinem dauernden Verbleib in Österreich rechnen durfte. Daran ändert - entgegen der Beschwerdeauffassung - auch nichts, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers zu diesem Zeitpunkt noch anhängig war, zumal sich der Beschwerdeführer bereits ab der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages im März 2002 seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste. Dies gilt umso mehr für die Zeit nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes bzw. Rückkehrverbotes. Die belangte Behörde musste auch nicht annehmen, dass die Absolvierung eines Deutschkurses sowie verschiedener Weiterbildungskurse und die Aufnahme einer Beschäftigung geeignet seien, das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet im vorliegenden Fall entscheidungserheblich zu verstärken. Demgegenüber kommt dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung der (insbesondere auch den Handel mit Heroin betreffenden) Suchtgiftkriminalität ein sehr hoher Stellenwert zu (vgl. erneut das Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2009/21/0387). Im Ergebnis sind somit - auch insofern kann der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden - die aus einer Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes resultierenden negativen Auswirkungen auf das Familienleben des Beschwerdeführers sowie eine allfällige Trennung von seiner Ehefrau weiterhin im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen.

Entgegen der Beschwerdeansicht erweist sich der angefochtene Bescheid als ausreichend begründet und wurde dem Beschwerdeführer ausweislich der vorgelegten Verwaltungsakten auch hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Soweit die Beschwerde fehlende Ermittlungen rügt, legt sie nicht konkret dar, zu welchen Ergebnissen diese Erhebungen geführt hätten. Es mangelt der Beschwerde somit an der erforderlichen Relevanzdarstellung.

Schließlich zeigt die Beschwerde auch keine Aspekte auf, die die belangte Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einer Aufhebung des Rückkehrverbotes hätten veranlassen müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2012

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