VwGH 2011/04/0008

VwGH2011/04/000817.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien 1. A, 2. B und 3. C, alle in F, alle vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler, Mag. Nicolas Stieger, Dr. Thomas Kaufmann und Mag. Andreas Droop, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 15. November 2010, Zlen. UVS-318-002/E8-2007, UVS-414-007/E8- 2007, betreffend gewerberechtliche Genehmigung der Änderung einer Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: X GmbH in F, vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Kapuzinergasse 14; weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1994 §74 Abs2 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2 Z2;
GewO 1994 §77 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
GewO 1994 §74 Abs2 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2 Z2;
GewO 1994 §77 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit der Berufung gegen Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides (gewerberechtliche Genehmigung) keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit näher umschriebener Maßgabe bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B vom 22. Februar 2007 wurde der Mitbeteiligten die Baubewilligung (Spruchpunkt I.) und die gewerberechtliche Genehmigung (Spruchpunkt II.) für die Änderung und den Betrieb einer näher bezeichneten gewerblichen Betriebsanlage (innerbetriebliche Reststoffbehandlung in einer Produktionsanlage für veredelte Kartoffelprodukte) gemäß (u.a.) § 81 iVm §§ 74 und 77 GewO 1994 unter Auflagen erteilt.

Der dagegen von den beschwerdeführenden Parteien erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass die einen Bestandteil des Bescheides bildenden Plan- und Beschreibungsunterlagen näher bezeichnete Dokumente umfassten und das Projekt um näher umschriebene weitere Maßnahmen (Auflagen) ergänzt werde.

Begründend führte sie zusammengefasst aus, die beschwerdeführenden Parteien hätten als Nachbarn der gegenständlichen Anlage Einwände wegen gesundheitsgefährdender, ekelerregender und belästigender Geruchsimmissionen erhoben. Nach den - in einem mehrjährigen Verfahren eingeholten - Sachverständigengutachten aus den Bereichen der Lufthygiene und Medizin sei jedoch nicht zu erwarten, dass die beschwerdeführenden Parteien bei einem projekts- und ordnungsgemäßen Betrieb der geänderten Betriebsanlage zur innerbetrieblichen Reststoffbehandlung und bei Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen durch Gerüche in ihrer Gesundheit gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt würden. Schon im lufthygienischen Gutachten vom 2. März 2006 sei (aufgrund emissionsseitig erhobener Befunde) die Prognose gestellt worden, dass eine wesentliche Belästigung der Nachbarn durch Abluftströme der Anlage mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Die nachfolgenden umfangreichen (immissionsseitigen) amtlichen Erhebungen hätten die Richtigkeit dieser Prognose "sicher und nachvollziehbar" bestätigt. Der (lufthygienische) Amtssachverständige DI M. habe auf der Grundlage seiner Erhebungen (insgesamt ca. 36 Begehungen im Zeitraum Jänner 2006 bis Juni 2007) erklärt, dass die Häufigkeit der beklagten fauligen Gerüche mit Sicherheit unter 5% der Jahresstunden und damit gemäß der deutschen Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) deutlich unter dem für Wohngebiete zulässigen Ausmaß von 10% liege. Der (zuletzt befasste lufthygienische) Amtssachverständige DI S. habe in seinem Gutachten vom 14. Juni 2010 auf der Grundlage von Immissionsuntersuchungen vom 18. Februar 2010 bis 8. Juni 2010 (die 55 Begehungen umfassten) für intensive vergärungs- bzw. fäulnisartige Gerüche eine Geruchshäufigkeit von 4% der Jahresstunden abgeleitet. Auch diese Geruchshäufigkeit liege unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze der GIRL. Selbst eine Auswertung der Aufzeichnungen der beschwerdeführenden Parteien über Geruchswahrnehmungen vom 28. Februar 2010 bis 15. Juni 2010 habe laut diesem zuletzt eingeholten Gutachten ergeben, dass die Zumutbarkeitsgrenze im Sinne der GIRL deutlich unterschritten werde. Im medizinischen Gutachten (vom 18. August 2006) werde ausgesagt, dass ein Standard erreicht sei, bei welchem unzumutbare Geruchsbelästigungen ausgeschlossen werden könnten, bzw. dass es sich um seltene Ereignisse handle, die nicht mehr als erheblich und gesundheitsbeeinträchtigend bzw. -gefährdend zu betrachten seien.

Die Behauptung der beschwerdeführenden Parteien in der Berufungsverhandlung, die auftretenden Gerüche seien ekelerregend, seien durch das lufthygienische Gutachten vom 14. Juni 2010 nicht bestätigt worden. Der Sachverständige habe aufgrund der technologischen Gegebenheiten und der theoretisch möglichen Emissionsquellen das Auftreten ekelerregender Geruchsimmissionen bezweifelt und grundsätzlich erklärt, dass er Gerüche, die mit Abwasserbehandlung zusammenhingen, nicht als ekelerregend einstufe.

Die im Berufungsverfahren eingeholten lufthygienischen Gutachten (vom 23. Juli 2007 und vom 14. Juni 2010) hätten klar die Immissionsprognose, die im erstinstanzlichen Verfahren angestellt worden sei, bestätigt. Aus diesem Grund sei es nicht erforderlich gewesen, noch einmal ein medizinisches Gutachten einzuholen, zumal sich das medizinische Gutachten vom 18. August 2006 auf die lufthygienischen Gutachten stütze, die diese Immissionsprognose enthielten.

Die beschwerdeführenden Parteien hätten sich mit ihren Einwendungen im erstinstanzlichen Verfahren gegen (gesundheitsbeeinträchtigende) Geruchsimmissionen durch die gegenständliche Anlage gewendet. Die Art, Häufigkeit und Intensität der Geruchsimmissionen sei von einem lufthygienischen Sachverständigen festgestellt worden. Die medizinische Sachverständige habe unter anderem die Auswirkungen von Geruchsimmissionen auf die Gesundheit der beschwerdeführenden Parteien beurteilt. Die von den beschwerdeführenden Parteien weiters beantragte Einholung eines chemischen Gutachtens könne unterbleiben, da die genaue Kenntnis der Substanzen, die die eingewendeten Gerüche verursachten, zu keinem anderen Ergebnis führen könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete (wie auch die Mitbeteiligte) eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die gegenständliche Entscheidung bezieht sich nur auf die Genehmigung der gewerberechtlichen Änderung der Betriebsanlage (Punkt II. des erstinstanzlichen Bescheides); hinsichtlich der baurechtlichen Genehmigung ist über die Beschwerde von dem dafür zuständigen Senat abzusprechen.

2. Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie (unter anderem) wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, das Leben oder die Gesundheit der Nachbarn zu gefährden (Z. 1) oder die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen (Z. 2).

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen insbesondere im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Die Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 77 GewO 1994 vorliegen, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige, und zwar grundsätzlich aus dem Gebiet der gewerblichen Technik und aus dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Gutachten über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrung zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend den Tatbestandsmerkmalen des § 74 Abs. 2 GewO 1994 auszuüben vermögen. Die Auswirkungen einer zu genehmigenden Betriebsanlage sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten, d.h. am belastendsten sind (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 14. März 2012, Zl. 2010/04/0143, mit weiteren Nachweisen).

3. Die beschwerdeführenden Parteien machen (unter anderem) geltend, das Gutachten des lufthygienischen Sachverständigen DI S. vom 14. Juni 2010, auf das sich die belangte Behörde stütze, sei unschlüssig gewesen. So räume der Sachverständige ein, dass die Überprüfung - wenn auch nicht häufig - intensive, sehr unangenehme, eher "fäulnisartige" Gerüche ergeben hätte. Von einer die Kontrolle durchführenden Polizeibeamtin seien die Gerüche "als kaum auszuhalten" eingestuft worden. Befragt nach den Ursachen dieser "Gerüche" habe der Sachverständige angegeben, es kämen dafür Ammoniak oder Schwefelwasserstoff als Hauptimmissionsbestandteile in Frage. Es seien aber genauso gut Substanzen, die bei einer Zersetzung von Stärke, Zucker und Öl unter anaeroben oder aeroben Bedingungen entstehen können, als mögliche Ursache anzusehen. Hauptwahrscheinlich sei aber jedenfalls ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen. Nach seiner subjektiven Einschätzung seien Gerüche, die mit Abwasserbehandlungsanlagen zusammenhingen und die im vorliegenden Fall eine mögliche Quelle sein dürften, jedenfalls als intensiv und äußerst unangenehm einzustufen. Aufgrund dieser Einschätzung wäre daher (vor statistischer Auswertung der Häufigkeit der Geruchsemissionen) zu klären gewesen, auf welche Substanzen die Geruchsemission tatsächlich zurückzuführen ist und warum solche Gase bzw. Gerüche aus der beantragten Anlage entweichen. Erst wenn die Art der Schadstoffemission und deren Zusammensetzung unzweifelhaft feststünden, könne die Auswertung über ihre Häufigkeit vorgenommen werden. In der Folge wäre ein medizinisches Gutachten über die Gesundheitsschädlichkeit dieser Schadstoffemissionen einzuholen gewesen.

Im gesamten Verfahren hätten die beschwerdeführenden Parteien stets beantragt, zur Ursache und Zusammensetzung der Schadstoffemissionen ein chemisches und medizinisches Gutachten einzuholen. In der Berufungsverhandlung hätten sie diese Anträge noch einmal wiederholt und insbesondere ausgeführt, dass die Gerüche von Schadstoffen wie Schwefelwasserstoff und Ammoniak herrührten, die auch in geringsten Dosen gesundheitsgefährdend seien. Die belangte Behörde habe diese Beweise zu Unrecht nicht aufgenommen.

4. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

4.1. Im gegenständlichen Fall stützt die belangte Behörde ihre Einschätzung, die gegenständlichen Emissionen seien für Nachbarn weder gesundheitsgefährdend noch unzumutbar belästigend, insbesondere auf die lufthygienischen Sachverständigengutachten aus den Jahren 2006 und 2007 des Sachverständigen DI M. und aus dem Jahr 2010 des Sachverständigen DI S. Auch die medizinische Sachverständige habe diese Beurteilung (in einem Gutachten im Jahr 2006) geteilt; eine ergänzende medizinische Begutachtung sei nach Auffassung der belangten Behörde nicht erforderlich, weil das lufthygienische Gutachten aus dem Jahr 2010 das vorangegangene lufthygienische Gutachten (aus dem Jahr 2006), das der Medizinerin vorgelegen habe, ohnedies bestätige.

Diese Begründung erweist sich nach Überprüfung der vorliegenden Gutachten als unzutreffend:

4.2. Der lufthygienische Gutachter DI M. ging in seinem Gutachten vom 2. März 2006 davon aus, dass ein "fauliger Geruch", der nach Umschreibung der Nachbarn die Hauptursache für die Beschwerden darstelle, bei mehreren Begehungen "in keinem Fall festzustellen" gewesen sei. Ausgehend von diesem erhobenen Sachverhalt erscheine zwischenzeitlich ein Standard erreicht, der trotz der weiterhin gegebenen Unsicherheiten und Widersprüche aus Sicht des Sachverständigen als vertretbar eingestuft werden müsse. Auch in seiner Gutachtensergänzung vom 21. April 2006 wies der oben genannte Sachverständige darauf hin, dass in keinem Fall die von den Nachbarn als "faulig" ("bestialischer Gestank") zu umschreibende Geruchsimmission festgestellt worden sei. Demzufolge fand auch eine Beurteilung, welche Ursache die von den Nachbarn behaupteten "fauligen Gerüche" haben könnten, nach der Aktenlage nicht statt.

Auf dieser Grundlage gelangte die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten vom 18. August 2006 zu dem Ergebnis, dass "inzwischen … angeblich ein Standard erreicht (worden sei), bei welchem unzumutbare Geruchsbelästigungen ausgeschlossen werden können bzw sollte es sich nur um seltene Ereignisse handeln, die jedoch nicht mehr als erheblich und gesundheitsbeeinträchtigend bzw -gefährdend zu betrachten" seien.

In einem im Berufungsverfahren eingeholten weiteren Gutachten des lufthygienischen Sachverständigen DI M. hielt dieser fest, dass bei mehreren immissionsseitigen Erhebungen im Zeitraum Sommer 2006 bis Sommer 2007 keine "fauligen Gerüche" festzustellen gewesen seien. Trotzdem zog er - offenbar auf der Grundlage der Behauptungen der beschwerdeführenden Parteien - die Schlussfolgerung, dass die von den beschwerdeführenden Parteien beanstandeten "fauligen Gerüche" im Erhebungszeitraum nur in geringer Häufigkeit aufgetreten seien.

In einem "zur besseren Absicherung der vorliegenden Ergebnisse der Begutachtung" von der belangten Behörde eingeholten weiteren lufthygienischen Gutachten vom 14. Juni 2010 führte der Sachverständige DI S. aus, dass bei einer Überprüfung (Begehung am 25. Februar 2010, 16:55 Uhr; Polizeiinspektion F) ein "intensiver, ausgeprägter Geruch nach vergärenden Kartoffeln und abgestandenem Pommes-Fett" wahrgenommen worden sei. Diese Wahrnehmung sei nach telefonischer Rücksprache mit der Polizeiinspektion F als "Geruch mit durchaus fäulnisartigem Charakter" bzw. als "beschwerderelevanter Geruch" eingestuft worden. Bei sämtlichen anderen Begehungen sei kein derartiger Geruch bzw. kein Geruch mit entsprechend hoher Belästigungsrelevanz und damit kein Geruch mit sehr unangenehmer Geruchscharakteristik feststellbar gewesen. Es seien allerdings häufig im Nahbereich, aber auch in einer größeren Entfernung von mehreren hundert Metern "Pommes-frites-artige, ölige Gerüche" festgestellt worden, bei denen es sich jedoch nicht um die beschwerderelevanten Geruchswahrnehmungen handle. Unter ausschließlicher Berücksichtigung der einmaligen Feststellung intensiver, fäulnisartiger Gerüche könne davon ausgegangen werden, dass die Zumutbarkeitskriterien für Geruchshäufigkeiten entsprechend der GIRL nicht überschritten würden. Die Darstellung der Anrainer lasse die Vermutung zu, dass zeitweise sehr unangenehme, fäulnisartige und intensive Gerüche auftreten könnten. Inwieweit in diesem Fall ekelerregende Gerüche aufträten, könne mit der vorliegenden Erhebung nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilt oder außer Rede gestellt werden. Aufgrund der Aktenlage, der technologischen Gegebenheiten und der theoretisch möglichen Emissionsquellen würden ekelerregende Geruchsimmissionen jedoch eher bezweifelt.

In der Gutachtenserörterung anlässlich der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom 4. Oktober 2010 ergänzte der Sachverständige DI S. überdies, dass die Geruchswahrnehmungen zur Überprüfung der Beschwerden von Organen vorgenommen worden seien, die "als Profis zu bezeichnen" seien. Die im schriftlichen Gutachten erwähnten Wahrnehmungen durch ein Organ der Polizeiinspektion F werde "als kaum auszuhalten, möchte dort nicht wohnen, sowie als sehr intensiv und sehr unangenehm" eingestuft und sei im Erhebungsprotokoll als "ausgeprägter Geruch nach vergärenden Kartoffeln und abgestandenem Pommesfett" beschrieben. Es lasse sich aus Sicht des Sachverständigen nicht feststellen, was den beschriebenen Geruch verursacht habe. Auf Grund der gegenständlichen Anlage, die sich in der unmittelbaren Nähe der Nachbarn befinde, komme Ammoniak oder Schwefelwasserstoff als Hauptimmissionsbestandteil in Frage. Es seien aber genauso gut Substanzen, die bei einer Zersetzung von Stärke, Zucker und Öl unter anaeroben oder aeroben Bedingungen entstehen können, als mögliche Substanzen anzusehen. Hauptwahrscheinlich sei aber jedenfalls ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen (Seiten 4f der Verhandlungsschrift).

Im Folgenden brachte der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Parteien ausdrücklich vor, dass die festgestellten Gerüche von entsprechenden Schadstoffen (Schwefelwasserstoff, Ammoniak) herrührten, die auch in nur geringsten Dosen gesundheitsgefährdend seien. Zu diesem Beweisthema beantragte er die Einholung eines medizinischen sowie eines chemischen Gutachtens (Seite 6 der Verhandlungsschrift).

4.3. Bei diesem aktenkundigen Verfahrensstand überzeugt die Begründung der belangten Behörde für die Annahme eines spruchreifen Sachverhalts und das Übergehen der Beweisanträge der beschwerdeführenden Parteien nicht.

Anders als der lufthygienische Sachverständige DI M. in seinem Gutachten aus dem Jahr 2006 und ihm folgend die medizinische Sachverständige in ihrem Gutachten aus demselben Jahr stellte insbesondere der lufthygienische Sachverständige DI S. im zuletzt eingeholten Gutachten (aus dem Jahr 2010) nicht in Frage, dass es - von der gegenständlichen Anlage stammende - Geruchsimmissionen gibt, die in der Nachbarschaft als "fäulnisartige und intensive Gerüche" wahrgenommen werden können. Schon deshalb ist das Argument der belangten Behörde, eine ergänzende medizinische Beurteilung habe unterbleiben können, weil sich die "Immissionsprognose" der lufthygienischen Gutachten, auf die sich die Medizinerin stütze, im Laufe des Verfahrens nicht geändert habe, nicht haltbar.

Auch die Begründung der belangten Behörde, die genaue Kenntnis der Substanzen, die die eingewendeten Gerüche verursachten, sei für das Verfahrensergebnis irrelevant, überzeugt nicht. Träfe die Behauptung der beschwerdeführenden Parteien zu, dass die vereinzelt wahrgenommenen Immissionen aufgrund ihrer Inhaltsstoffe gesundheitsgefährdend sind, käme es auf die Häufigkeit ihres Auftretens nicht an, weil das damit zusammenhängende Kriterium der Zumutbarkeit von Immissionen (gemäß § 77 Abs. 2 GewO 1994) ausschließlich in Ansehung des Tatbestandsmerkmales der Belästigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 von rechtlicher Relevanz ist. Unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 hat es hingegen außer Betracht zu bleiben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 98/04/0019, mwN, sowie die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, GewO3 (2011), Rz 23 zitierte hg. Rechtsprechung). Es kann auch nicht erkannt werden, dass die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung durch die festgestellten Immissionen von vornherein oder nach den Ergebnissen des bisherigen Beweisverfahrens ausgeschlossen wäre.

5. Das Beweisverfahren erweist sich aus diesen Gründen als mangelhaft und der entscheidungsrelevante Sachverhalt als ergänzungsbedürftig, weshalb der angefochtene Bescheid - im Umfang der Zuständigkeit des entscheidenden Senats (gewerberechtliche Genehmigung) - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft die zu hoch verzeichnete Eingabegebühr.

Wien, am 17. Dezember 2012

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