VwGH 2010/22/0031

VwGH2010/22/003119.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der SN in W, geboren am 19. Mai 1975, vertreten durch Dr. Wolfgang Langeder, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Stutterheimstraße 16-18, Stg. 2 Et. 4, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 2. Dezember 2009, Zl. 146.281/4-III/4/08, betreffend Niederlassung und Wiederaufnahme des Verfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs5;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
NAG 2005 §24;
AVG §68 Abs5;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
NAG 2005 §24;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch nach § 68 Abs. 4 Z 1 AVG (Spruchpunkt 2.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Hinsichtlich des Spruchpunktes 3. wird der angefochtene Bescheid insoweit aufgehoben, als damit die Anträge auf Erteilung des Erstaufenthaltstitels und auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels abgewiesen wurden.

Im Übrigen, somit betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG, wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Pakistans, beantragte, datiert mit 14. November 2005, die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehörige eines österreichischen Staatsbürgers; dieser Antrag wurde bewilligt.

In der Folge stellte sie am 1. Juni 2007, 15. Jänner 2008 und 9. Juni 2008 Anträge auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels. Die Anträge vom 1. Juni 2007 und 15. Jänner 2008 wurden bewilligt.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 verfügte die erstinstanzliche Behörde die Wiederaufnahme der Verfahren über den Erstantrag sowie über die abgeschlossenen Verlängerungsanträge vom 1. Juni 2007 und 15. Jänner 2008 jeweils gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 AVG (Spruchpunkt 1.a) - 1.c)). Zugleich wies sie den Erstantrag gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab (Spruchpunkt 2.a)). Ebenso wies sie die Verlängerungsanträge vom 1. Juni 2007, 15. Jänner 2008 und 9. Juni 2008 wegen unzulässiger Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 1 NAG ab (Spruchpunkte 2.b) - 2.d)).

Diese Aussprüche begründete sie im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin "beziehungsweise" ihr Ehemann unter anderem eine Einkommensbestätigung der "Fa. EW" vom 2. Mai 2006 vorgelegt und das Ermittlungsverfahren ergeben habe, dass EW als Inhaber des gleichnamigen Zeitschriftenhandels im April 2006 verstorben sei und mit seinem Tod "die Firma" geschlossen worden sei. Die nach dem Tod des Firmeninhabers ausgestellte Einkommensbestätigung sei somit als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu werten. Die Beschwerdeführerin habe unter Verwendung einer falschen Einkommensbestätigung versucht, eine Niederlassungsbewilligung zu erlangen. Dabei handle es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Normen, die eine geordnete Einwanderung zum Ziel hätten. Damit widerstreite der Aufenthalt der Beschwerdeführerin dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG und sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Wegen der Versagung des Erstaufenthaltstitels handle es sich bei den Verlängerungsanträgen um Erstanträge, die nach § 21 Abs. 1 NAG im Ausland einzubringen gewesen wären. Zur Antragstellung im Inland sei die Beschwerdeführerin nicht berechtigt gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung insoweit statt, als sie den Ausspruch über die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag gemäß § 69 Abs. 4 AVG (Spruchpunkt 1.a) des erstinstanzlichen Bescheides) ersatzlos behoben hat (Spruchpunkt 1.).

Mit Spruchpunkt 2. erklärte sie den "am 26. September 2006 in Kartenform ausgefolgten Kurzbescheid", der (dem Ehemann) der Beschwerdeführerin am 26. September 2006 ausgefolgt worden sei, gemäß § 68 Abs. 4 Z 1 AVG von Amts wegen für nichtig.

Diese Aussprüche begründet sie im Wesentlichen damit, dass der Erstaufenthaltstitel durch den Landeshauptmann von Niederösterreich erteilt worden sei; für die Wiederaufnahme des Verfahrens wäre - gemäß § 69 Abs. 4 AVG - somit nicht der Landeshauptmann von Wien, sondern ausschließlich der Landeshauptmann von Niederösterreich zuständig gewesen. Aus diesem Grund sei die verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag ersatzlos zu beheben. Da jedoch die Beschwerdeführerin am 21. August 2006 bereits den Hauptwohnsitz nach Wien verlegt gehabt habe, sei für die (im September 2006 erlassene) Entscheidung über den Erstantrag vom 14. November 2005 (eingereicht am 18. November 2005) der Landeshauptmann von Wien und nicht der Landeshauptmann von Niederösterreich örtlich zuständig gewesen. Somit sei der in Kartenform ausgefolgte "Kurzbescheid" gemäß § 68 Abs. 4 Z 1 AVG von Amts wegen für nichtig zu erklären.

Im Spruchpunkt 3. bestätigte die belangte Behörde die Wiederaufnahme der Verfahren über die Verlängerungsanträge sowie die Abweisung dieser Anträge und des Erstantrags. Die Wiederaufnahme der Verfahren stützte sie darauf, dass die Einkommensbestätigung der "Fa. EW" "ohne jeden Zweifel falsch" sei. EW sei bereits im "März 2006" verstorben und sein Sohn mit gleichlautendem Namen habe gegen Entgelt weiterhin Bestätigungen ausgestellt, obwohl die bezogenen Personen tatsächlich nie für dieses Unternehmen gearbeitet hätten. Die Bestätigungen seien daher inhaltlich unrichtig und seien, auch das sei amtsbekannt, zahlreich in Verfahren zur Erlangung eines Aufenthaltstitels mit der Zielsetzung, der Behörde das "Nichtvorliegen des Versagungsgrundes gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG" vorzutäuschen, vorgelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe, indem sie durch Passivität die Vorgangsweise des Ehemannes zu korrigieren unterlassen habe, gefälschte Urkunden über ihr Familieneinkommen vorgelegt und diese Vorgangsweise des Ehemannes dadurch zumindest so lange begünstigt, als dies dem Antrag zum Erfolg verholfen habe. Dieses Verhalten habe öffentlichen Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG widersprochen.

Entscheidungswesentlich für die Ausfolgung des weiteren Aufenthaltstitels sei das zunächst vermeintliche Vorhandensein eines fehlerfreien und gültigen Erstaufenthaltstitels gewesen. Weiters würde der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG führen. Der Ehemann der Beschwerdeführerin erziele nämlich lediglich ein durchschnittliches Monatseinkommen von EUR 1.002,46.

Letztlich wohne die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Ehemann und dessen drei minderjährigen Kindern in einer Wohnung mit einer Größe von 61 m2. Die dauernde Nutzung dieser Unterkunft durch fünf Personen sei auf Grund der zu geringen Wohnungsgröße als nicht ortsüblich anzusehen und es dürfe der Beschwerdeführerin auch gemäß § 11 Abs. 2 Z 2 NAG kein Aufenthaltstitel erteilt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid im Umfang der Spruchpunkte 2. und 3. erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

1. Zunächst ist der Beschwerde Recht zu geben, dass gemäß § 68 Abs. 5 AVG nach Ablauf von drei Jahren nach dem in § 63 Abs. 5 AVG bezeichneten Zeitpunkt eine Nichtigerklärung aus den Gründen des § 68 Abs. 4 Z 1 leg. cit. nicht mehr zulässig ist. Die belangte Behörde erklärte jedoch mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 2009 den "am 26. September 2006 in Kartenform ausgefolgten Kurzbescheid" für nichtig. Da dies nach Ablauf von mehr als drei Jahren erfolgte, war dieser Ausspruch gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Dadurch ist weiters der Abweisung des Erstantrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels die Grundlage entzogen.

2. Hingegen bestätigte die belangte Behörde zu Recht die von der ersten Instanz verfügte Wiederaufnahme der Verfahren über die Anträge der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels. Diese Wiederaufnahme wurde damit begründet, dass eine falsche Einkommensbestätigung vorgelegt worden sei.

In der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass Voraussetzung für die Wiederaufnahme ein strafrechtliches Verhalten oder die Erschleichung des Bescheides sei. "Ich persönlich habe aber keine Bestätigung vorgelegt, noch war mir bekannt, ob mein Mann gefälschte Bestätigungen vorgelegt hat oder nicht. Mein Mann arbeitete lange Zeit als Zeitungskolporteur. Ein mir vorwerfbares Verhalten besteht nicht, die Wiederaufnahme ist daher unzulässig."

Mit diesem Berufungsvorbringen wird nicht behauptet, dass die vorgelegte Einkommensbestätigung richtig sei. Die Beschwerdeführerin hat lediglich ein ihr vorwerfbares Verhalten bestritten.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wieder aufzunehmen, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Unter diesen Voraussetzungen kann gemäß § 69 Abs. 3 leg. cit. die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Das Gesetz verlangt somit nur, dass der Bescheid durch die strafbare Handlung herbeigeführt worden ist und nicht, dass die Straftat von der betroffenen Partei gesetzt wurde. Wer die strafbare Handlung begangen hat, ist für die Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Bedeutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. März 2011, 2009/22/0078 mwN).

Ungeachtet dessen, dass im vorliegenden Fall die falsche Einkommensbestätigung nur im Verfahren über die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgelegt worden ist, führt diese Handlung zur Wiederaufnahme der Verfahren über die nachfolgenden Verlängerungsanträge. Durch die Urkundenvorlage wurde nämlich im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG bewirkt, dass die Behörde die Verlängerungsanträge bewilligt hat. Die durch die genannte Urkundenvorlage herbeigeführte positive Erledigung des Erstantrags war nämlich Voraussetzung für die Beurteilung der nachfolgenden Anträge als Verlängerungsanträge und für deren Erfolg. Diese mittelbare Wirkung der Vorlage einer falschen Urkunde für die Verlängerungsverfahren wird nicht dadurch beseitigt, dass die Erstbewilligung in Rechtskraft erwachsen ist und das diesbezügliche Verfahren nicht wieder aufgenommen wurde.

Daraus folgt, dass die erstinstanzliche Behörde zu Recht die Verlängerungsverfahren wieder aufgenommen hat.

3. Die belangte Behörde hat weiters die Anträge der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels unter Hinweis auf das Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1, § 11 Abs. 2 Z 2 und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG und die Unzulässigkeit der Inlandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen. Sie ist dabei davon ausgegangen, dass es sich nicht um Verlängerungsanträge, sondern zufolge der Aufhebung der Erstbewilligung um Erstanträge handelt. Da diese Ansicht nach dem Gesagten nicht dem Gesetz entspricht, sind die weiteren Anträge als Verlängerungsanträge zu werten. Daraus ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Abweisung dieser Anträge durch die belangte Behörde. Zum einen ist die nur für Erstanträge normierte Voraussetzung der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG nicht anzuwenden. Zum anderen ist - verneint in einem solchen Fall die Behörde das Vorliegen von allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 11 NAG - ihr eine Abweisung der Verlängerungsanträge verwehrt und sie hat gemäß § 25 Abs. 1 NAG vorzugehen und die zur Aufenthaltsbeendigung zuständige Fremdenpolizeibehörde - gegebenenfalls unter Anschluss einer Stellungnahme des Fremden - zu verständigen.

4. Somit waren die Aussprüche der belangten Behörde über die Abweisung der Anträge auf Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Jänner 2012

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