VwGH 2009/22/0078

VwGH2009/22/00783.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der K, vertreten durch Dr. Robert Lattermann, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Stiftgasse 21/20, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. Dezember 2008, Zl. 152.862/2-III/4/08, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels sowie Versagung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten II.a und II.b (Abweisung der Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. Dezember 2008 verfügte die belangte Behörde gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 sowie § 70 AVG die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin, einer indischen Staatsangehörigen, über den von ihr am 1. September 2006 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (Spruchpunkt I.a). Unter Hinweis auf diese Normen nahm die belangte Behörde auch das Verfahren über den Verlängerungsantrag vom 30. Juli 2007 wieder auf (Spruchpunkt I.b). Unter Spruchpunkt II.a wies die belangte Behörde den Erstantrag vom 1. September 2006 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Auch den Verlängerungsantrag vom 30. Juli 2007 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" wies sie - unter Hinweis auf § 21 Abs. 1 NAG - ab.

Diese Aussprüche begründete sie damit, dass die Beschwerdeführerin nach Einbringung ihres Antrages vom 1. September 2006 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Ehefrau eines österreichischen Staatsbürgers am 5. September 2006 eine Einkommensbestätigung, ausgestellt vom Zeitschriftenhandel Eduard W am selben Tag, vorgelegt habe. Auf Grund dieser zusätzlich vorgelegten Einkommensbestätigung habe die Behörde erster Instanz festgestellt, dass sämtliche Voraussetzungen für die Ausstellung des begehrten Aufenthaltstitels erfüllt seien und dieser sei am 18. Oktober (nach der Aktenlage am 19. September) 2006 ausgefolgt worden.

Kriminalpolizeiliche Ermittlungen hätten ergeben, dass Eduard W als Inhaber des gleichnamigen Zeitschriftenhandels im April 2006 verstorben und mit seinem Tod das Unternehmen geschlossen worden sei. Im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG stehe eindeutig fest, dass die nach dem Tod des Firmeninhabers ausgestellte Einkommensbestätigung als falsches Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren zu werten sei, das durch die Erteilung der Niederlassungsbewilligung und den Eintritt der Rechtskraft abgeschlossen worden sei. Sowohl die objektive als auch die subjektive Tatseite einer gerichtlich strafbaren Handlung seien erfüllt. Es komme dabei nicht darauf an, ob die strafbare Handlung von der dadurch begünstigten Partei gesetzt oder veranlasst worden sei. Somit seien beide Verfahren in den Stand vor der Erlassung des Aufenthaltstitels bzw. vor Verlängerung des Aufenthaltstitels zurückzuversetzen.

Gegründet auf die Verwendung einer falschen Einkommensbestätigung als Beweismittel zur Erlangung eines Aufenthaltstitels werde festgestellt, dass durch die falschen Angaben über ausreichende Unterhaltsmittel und wegen der damit verbundenen negativen Beispielwirkung auf andere Fremde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in hohem Maß gegeben sei. Damit widerstreite der Aufenthalt der Beschwerdeführerin dem öffentlichen Interesse nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG und sie erfülle nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG für die Erteilung eines Aufenthaltstitels.

Am 30. Juli 2007 habe die Beschwerdeführerin die Verlängerung des Aufenthaltstitels beantragt. Diesen hätte sie, weil dieser nunmehr als Erstantrag zu werten sei, gemäß § 21 Abs. 1 NAG vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen müssen.

In der Folge nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung nach den §§ 72 und 74 NAG vor und stellte fest, dass keine humanitären Gründe vorlägen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die vorgelegte Einkommensbestätigung gefälscht ist. Sie meint, dass "in keinster Weise nachvollziehbar" sei, dass die objektive und subjektive Tatseite einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sei. Es werde in der Bescheidbegründung nicht angeführt, gegen welche strafgesetzliche Norm die Beschwerdeführerin verstoßen haben soll.

Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, soweit damit die Wiederaufnahme der Verfahren verfügt wurde, nicht aufgezeigt.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren wieder aufzunehmen, wenn der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist. Unter diesen Voraussetzungen kann gemäß § 69 Abs. 3 leg. cit. die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Das Gesetz verlangt somit nur, dass der Bescheid durch die strafbare Handlung herbeigeführt worden ist und nicht, dass die Straftat von der betroffenen Partei gesetzt wurde. Wer die strafbare Handlung begangen hat, ist für die Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Bedeutung (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz. 9).

Dem angefochtenen Bescheid ist eindeutig zu entnehmen, dass die belangte Behörde von einer Fälschung der Einkommensbestätigung, somit von einem gerichtlich strafbaren Tatbestand ausgeht. (§ 223 StGB stellt die Herstellung einer falschen Urkunde mit dem Vorsatz, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, unter Strafe. Nach § 293 StGB ist weiters zu bestrafen, wer ein falsches Beweismittel mit dem Vorsatz herstellt, dass es in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht werde.) Sie nimmt hingegen nicht an, dass die Beschwerdeführerin selbst die strafbare Handlung getätigt hat. Dass jedoch eine gefälschte Urkunde vorgelegt wurde, wird in der Beschwerde - die erkennbar nur die Verantwortlichkeit der Beschwerdeführerin verneint (arg.: "Gegen welche strafgesetzliche Norm ich verstoßen haben soll...") -

nicht bestritten. Gegen die Wiederaufnahme der Verfahren zur Erteilung bzw. Verlängerung des Aufenthaltstitels hegt der Gerichtshof somit keine Bedenken.

Bei der Versagung des Aufenthaltstitels durfte die belangte Behörde grundsätzlich davon ausgehen, dass die Vorlage gefälschter Urkunden durch einen Antragsteller mit dem Ziel der Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung des Gesetzesbegriffs der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit in § 11 Abs. 4 Z 1 NAG ist aber eine das Gesamtverhalten eines Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0908).

In der Berufung hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihr Ehemann "- aus menschlich nachvollziehbaren Gründen - im Jahr 2006 eine falsche Einkommensbestätigung vorgelegt" habe und dieser damals alles für die Beschwerdeführerin, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig gewesen sei, erledigt habe. Er habe der Beschwerdeführerin gegenüber nie erwähnt, dass eine Bestätigung falsch gewesen sei. Zu diesem Vorbringen traf die belangte Behörde keine Feststellungen, sondern ging in Verkennung der Rechtslage davon aus, dass bereits die Vorlage gefälschter Unterlagen allein für die Bejahung der nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG anzustellenden Prognose ausreiche (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis 2008/22/0908).

Wegen dieses Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid, soweit damit der Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Hinweis auf § 11 Abs. 2 Z 1 NAG abgewiesen wurde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Diese Rechtswidrigkeit führt dazu, dass der Rechtsansicht der belangten Behörde, der Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels sei wegen der Inlandsantragstellung abzuweisen, der Boden entzogen ist. Daher war auch diesbezüglich (Pkt. II.b) der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 3. März 2011

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