VwGH 2010/21/0176

VwGH2010/21/017629.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. April 2010, Zl. E1/10717/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1976 geborene Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 8. Dezember 2001 unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte hier einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. März 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen, zugleich wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei. Der dagegen erhobenen Berufung (Beschwerde) gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. März 2009 keine Folge.

Im April 2009 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, ihm ein "Bleiberecht aus humanitären Gründen" zu gewähren. Hierüber erging in der Folge keine Entscheidung, vielmehr wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 30. Juni 2009 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19. April 2010 keine Folge.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer seit 20. April 2009 (Widerruf seiner asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung) rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalte. Angesichts seines mehr als acht Jahre und drei Monate währenden Aufenthalts in Österreich, der beinahe durchgehend ausgeübten Berufstätigkeit, seiner ausgezeichneten Deutschkenntnisse sowie in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer den österreichischen Führerschein "gemacht" habe, strafrechtlich unbescholten sei und auch keine verwaltungsrechtlichen Strafen aufschienen, er Freunde und Bekannte in Österreich habe und auch sonst am öffentlichen Leben teilnehmen würde, sei ihm eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen. Demzufolge werde mit der Ausweisung in erheblicher Weise in sein Privatleben eingegriffen, ein Familienleben bestehe in Österreich jedoch nicht.

Das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration des Beschwerdeführers werde jedoch - so die belangte Behörde weiter - maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt während des Asylverfahrens nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Antrages temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein Privatleben während dieses Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfälligen negativen Ausgang seines Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Asylbegehren erstinstanzlich bereits am 4. März 2002 "negativ entschieden" worden sei. Aus demselben Grund relativiere sich auch die berufliche Integration des Beschwerdeführers, weil er nämlich bereits bei Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass sein Aufenthalt in Österreich nur an das Abwarten der Entscheidungen über seinen Asylantrag geknüpft sei. Auch die sonstigen, schon genannten integrationsbegründenden Umstände müssten in ihrem Gewicht wegen des Erwerbs im Status eines unsicheren Aufenthalts als gemindert angesehen werden.

Der Beschwerdeführer sei mit 25 Jahren nach Österreich eingereist und habe somit den überwiegenden Teil seines bisherigen Lebens in Pakistan verbracht, wo er die Schule besucht habe und von 1989 bis 2001 in der eigenen Landwirtschaft als Landarbeiter tätig gewesen sei. Seine Mutter sowie zwei Brüder und eine Schwester lebten nach wie vor in Pakistan, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass er dort über ein familiäres bzw. soziales Netzwerk verfüge und ausgeschlossen werden könne, dass er dort völlig isoliert leben müsste. Es sei von Bindungen zum Heimatland auszugehen und es erscheine eine Reintegration zumutbar, auch wenn der Beschwerdeführer vorbringe, in Pakistan über keine Existenzgrundlage mehr zu verfügen und sämtliche Kontakte dorthin abgebrochen zu haben. Der anhängige Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung könne den Aufenthalt eines Fremden nicht legalisieren und schränke die behördliche Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung nicht ein.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 20. April 2009, also seit mehr als zehn Monaten, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße; die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das ihm vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (Weigerung, das Bundesgebiet nach Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten Integration überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hält sich seit rechtskräftiger Abweisung seines Asylverfahrens unbestritten unrechtmäßig in Österreich auf. Der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem FrÄG 2011) ist daher erfüllt.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0214).

Unter diesem Gesichtspunkt verweist der Beschwerdeführer auf seinen knapp achteinhalbjährigen, großteils rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich, auf seine lange legale Beschäftigung im Inland, auf den Erwerb des österreichischen Führerscheins und auf seine Sprachkenntnisse. Er habe zwar in Österreich keine Verwandten, jedoch Freunde und Bekannte; er sei verwaltungs- und strafrechtlich unbescholten, verfüge über eine "aufrechte" Wohnung und habe insgesamt seinen Lebensmittelpunkt in Österreich. Demgegenüber bestünden, anders als von der belangten Behörde festgestellt, zu Pakistan keine Bindungen mehr. Bei Berücksichtigung dieser Umstände hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass die verfügte Ausweisung im Lichte des § 66 FPG unzulässig sei. Auf Grund seiner fortgeschrittenen Integration mache der Beschwerdeführer für sich auch "im Sinne der Novelle des NAG" ein Bleiberecht geltend; es sei ausdrücklich festzuhalten, dass er beim Magistrat Linz einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus dem Grunde des § 44 NAG gestellt habe.

Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Zunächst ist festzuhalten, dass sich auch unter Bedachtnahme auf die geltend gemachten Umstände nicht ergibt, dass mit der Ausweisung in ein Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen würde. Was den - unstrittigen - Eingriff in sein Privatleben anlangt, so hat die belangte Behörde aber die in der Beschwerde vorgetragenen integrationsbegründenden Umstände ohnehin zugrunde gelegt und in ihre Interessenabwägung einbezogen. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aus den genannten Umständen aber nicht ableiten müssen, seine Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Die geltend gemachten Umstände stellen sich nämlich insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei der Bewertung des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinn des - vom Beschwerdeführer außer Acht gelassenen - § 66 Abs. 2 Z 8 FPG vor allem auch berücksichtigen, dass er auf Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Diesbezüglich war es auch gerechtfertigt zu unterstellen, nach der Erlassung der erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden Entscheidung im März 2002 sei sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen.

Davon ausgehend wurde das Gewicht der erlangten Integration zutreffend als gemindert angesehen. Es ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt nicht höher einschätzte als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden - geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des seit April 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. Ein die Unzulässigkeit der Ausweisung bewirkendes, direkt aus Art. 8 EMRK abzuleitendes Aufenthaltsrecht musste dem Beschwerdeführer nicht zugestanden werden. Daran vermag auch sein Hinweis auf den bereits im April 2009 gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "aus dem Grunde des § 44 NAG" (offenbar gemeint: Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG) nichts zu ändern, wozu des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Überlegungen zur Auswirkung eines derartigen Antrags im gegebenen Zusammenhang - auch unter dem Gesichtspunkt der der Behörde auferlegten Ermessensübung - in dem schon genannten Erkenntnis Zl. 2010/21/0214 verwiesen werden kann. Auch der behauptete Abbruch aller Beziehungen zu Pakistan kann zu keinem anderen Ergebnis führen, zumal der Beschwerdeführer die behördlichen Feststellungen zu dem dort stattgefundenen Schulbesuch und der dort ausgeübten Berufstätigkeit - woraus eine (Wieder-)Anpassung an die dortigen Verhältnisse abgeleitet werden konnte - unbestritten lässt.

Wenn der Beschwerdeführer als Verfahrensmangel rügt, es hätte seine persönliche Befragung im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung durchgeführt werden müssen, so ist ihm mit der belangten Behörde zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht auf eine (mündliche) Berufungsverhandlung und auch kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (siehe auch dazu das genannte Erkenntnis Zl. 2010/21/0214). Welche ergänzenden integrationsbegründenden Gesichtspunkte eine Einvernahme des Beschwerdeführers erbracht hätte, wird in der Beschwerde im Übrigen nicht konkret dargetan.

Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich aus dem in der Beschwerde ergänzend ins Treffen geführten Umstand, bei zwei anderen pakistanischen Staatsangehörigen in vergleichbarer Situation wäre von der Erlassung einer Ausweisung abgesehen worden, für den Beschwerdeführer nichts gewinnen lässt. Auf andere Fälle hatte die belangte Behörde nämlich nicht Bezug zu nehmen, mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers hat sie sich aber nach dem Gesagten ausreichend auseinandergesetzt. Der insoweit geltend gemachte Begründungsmangel liegt daher nicht vor. Im Übrigen sei der Vollständigkeit halber etwa auf das, die zugrunde liegende Beschwerde gleichfalls abweisende hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0204, verwiesen, dem eine mit der Situation des Beschwerdeführers vergleichbare Konstellation zugrunde lag.

Insgesamt ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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