VwGH 2010/21/0035

VwGH2010/21/003529.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 23. Dezember 2009, Zl. Senat-FR-09-0042, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §54;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs4;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §10;
FrPolG 2005 §125 Abs3;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §54;
FrPolG 2005 §60;
FrPolG 2005 §62 Abs4;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, stellte am 7. Juli 2004 einen Asylantrag. Dieser wurde laut den Feststellungen der belangten Behörde am 26. Juli 2004 vom Bundesasylamt gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen, zugleich wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia zulässig sei; aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich zudem, dass die Entscheidung mit der Ausweisung des Beschwerdeführers verbunden wurde. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer Berufung. In der Folge wurde ihm, wie sich ebenfalls aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Juni 2005 wurde gegen ihn ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot, mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid derselben Behörde vom 19. Oktober 2006 ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen. Im Jahr 2007 reiste er nach Italien aus, wo er sich laut seinen Angaben ca. sieben Monate aufhielt, bevor er sich wieder in seinen Heimatstaat begab. Im April 2007 wurde das Asylverfahren vom unabhängigen Bundesasylsenat eingestellt.

Am 11. August 2009 stellte der Beschwerdeführer nach seiner Wiedereinreise einen (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz. Mit sofort in Vollzug gesetztem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom selben Tag wurde über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 Asylgesetz 2005 und der Abschiebung verhängt. Nach Zulassung des Asylverfahrens wurde er am 18. August 2009 aus der Schubhaft entlassen. Am 29. September 2009 erhob er Beschwerde gemäß § 82 FPG und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und der Anhaltung in Schubhaft.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Schubhaftbeschwerde keine Folge und stellte - unter Kostenzuspruch an den Bund - fest, dass die Festnahme, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 11. bis zum 18. August 2009 nicht rechtswidrig gewesen seien.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde sowie Erstattung einer Gegenäußerung durch den Beschwerdeführer erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Schubhaftbescheid vom 11. August 2009 entgegen der in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck gebrachten Ansicht der belangten Behörde nicht "unanfechtbar" geworden ist. Vielmehr ist der Schubhaftbescheid, wann immer er ergangen ist, innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Beendigung der Schubhaft einer Anfechtung zugänglich, wenn er seinerseits innerhalb von sechs Wochen nach seiner Erlassung in Vollzug gesetzt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2008/21/0565). Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall gegeben - die Schubhaftbeschwerde ist unstrittig noch innerhalb der sechswöchigen Frist erhoben worden -, sodass die belangte Behörde auch über die Rechtmäßigkeit des Schubhaftbescheides abzusprechen hatte (was sie laut dem oben wiedergegebenen Spruch und der übrigen Begründung des angefochtenen Bescheides aber ohnedies getan hat).

Die Begründung der belangten Behörde hinsichtlich der Erfüllung des Tatbestandes des § 76 Abs. 2 Z 3 FPG beschränkt sich auf den Hinweis, dass "das rechtskräftige Aufenthaltsverbot aus dem Jahr 2005 mit Gültigkeitsdauer bis 2015, zumal nach den Übergangsbestimmungen des § 125 Abs. 3 FPG vor dem Inkrafttreten des FPG 2005 erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer nach diesem Bundesgesetz gelten, und infolge des Umstandes, dass das vom BF im Jahr 2004 angestrengte Asylverfahren eingestellt wurde, und das vom Rückkehrverbot zum Aufenthaltsverbot wurde, zu beachten" sei.

Der Beschwerdeführer macht demgegenüber geltend, die Schubhaft hätte fallbezogen nicht auf § 76 Abs. 2 Z 3 FPG gegründet werden dürfen. Mit diesem Vorbringen ist er im Recht:

Gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 FPG (in der Stammfassung) kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54 FPG) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60 FPG) verhängt worden ist. Die genannte Bestimmung knüpft ihrem Wortlaut nach an eine durchsetzbare fremdenpolizeiliche Ausweisung oder an ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot an (vgl. dazu und zur Gleichsetzung von Rückführungsentscheidungen das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389); das Bestehen eines Rückkehrverbotes genügt für die Erfüllung dieses Schubhafttatbestandes nicht.

Bei Schubhaftverhängung existierte im Beschwerdefall aber weder eine durchsetzbare Ausweisung nach den §§ 53 oder 54 FPG noch ein Aufenthaltsverbot. Das mit Bescheid vom 22. Juni 2005 erlassene zehnjährige Aufenthaltsverbot gilt zufolge § 125 Abs. 3 zweiter Satz FPG - der Beschwerdeführer war am 1. Jänner 2006 unstrittig Asylwerber - als Rückkehrverbot, welches nicht in ein - zumal durchsetzbares - Aufenthaltsverbot umgedeutet werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2009, Zl. 2008/21/0647).

Entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Auffassung ändert daran auch die Ausreise des Beschwerdeführers im Jahr 2007 nichts. Gemäß § 62 Abs. 4 FPG in der hier maßgeblichen Stammfassung gilt zwar ein rechtskräftig durchgesetztes Rückkehrverbot als Aufenthaltsverbot. Von einer "Durchsetzung" eines der gegen den Beschwerdeführer verhängten Rückkehrverbote, die jedenfalls die Erlassung eines Ausweisungsbescheides voraussetzt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0164), ist hier aber infolge der freiwilligen Ausreise des Beschwerdeführers, die ohne Bestehen einer durchsetzbaren Ausweisung erfolgt ist - die erstinstanzliche asylrechtliche Ausweisung vom 26. Juli 2004 ist nicht durchsetzbar geworden -, nicht auszugehen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2009, Zl. 2007/21/0535).

Da somit der von der Bezirkshauptmannschaft Baden allein herangezogene Schubhaftgrund nicht vorlag, erweist sich der angefochtene Bescheid - auch im Umfang der Kostenentscheidung - schon deshalb als rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. Februar 2012

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