VwGH 2010/18/0213

VwGH2010/18/021324.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des D N in W, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. April 2010, Zl. E1/132.826/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides - so die belangte Behörde - seien im Ergebnis auch für die Berufungsentscheidung maßgebend gewesen. Ergänzend werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer seit 7. April 2005 im Besitz von Aufenthaltstiteln sei, weil seine Mutter österreichische Staatsbürgerin sei.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Februar 2008 sei der Beschwerdeführer wegen schweren Betruges gemäß § 146 und §147 Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten (und die Zahlung von EUR 10.000,-- an den Privatbeteiligten) rechtskräftig verurteilt worden, weil er einem Kreditinstitut vorgetäuscht habe, zahlungsfähiger und - williger Kunde zu sein, und dadurch die Auszahlung eines Kredites in der Höhe von EUR 10.000,-- erwirkt habe. Er habe jedoch weder eine einzige Rate zurückgezahlt, noch habe das für die Rückzahlung der Kreditraten eingerichtete Girokonto jemals eine positive Deckung aufgewiesen.

Durch das genannte Urteil sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG zweifelsfrei erfüllt. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes seien daher - vorbehaltlich der Bestimmungen des § 61 und § 66 FPG - im Grunde des § 60 Abs. 1 leg.cit. gegeben. Erschwerend trete hinzu, dass der Beschwerdeführer am 4. Juli 2007 rechtskräftig wegen einer Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO bestraft worden sei.

Der Beschwerdeführer sei ledig und für sein am 20. Mai 2009 geborenes Kind sorgepflichtig. Er lebe mit diesem, der Kindesmutter und drei weiteren Kindern seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt. Weitere familiäre Bindungen bestünden zu seiner Mutter sowie zu einer Großmutter, die der Beschwerdeführer während des Verfahrens jedoch nicht richtig namentlich habe nennen können. Zwar sei von einem mit dem Aufenthalt verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiter Straftaten, insbesondere der Eigentumskriminalität - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, im zweiten Jahr seines Aufenthaltes in Österreich im dargestellten Ausmaß straffällig werde, lasse seine offenbare Geringschätzung maßgeblicher, in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. "Zweifelsfrei nicht unzubewerten" seien die familiären Bindungen des Beschwerdeführers. Er sei jedoch längst volljährig und lebe mit seiner Mutter nicht im gemeinsamen Haushalt. Diese sei bereits im Bundesgebiet niedergelassen gewesen, bevor der Beschwerdeführer überhaupt nach Österreich gekommen sei. "Bei seinen geltend gemachten Brüdern" handle es sich um Halbbrüder. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sei ebenfalls serbische Staatsangehörige und zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Drei ihrer Kinder stammten aus ihrer Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger und besäßen daher die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer gehe einer ordentlichen Beschäftigung nach, seine Lebensgefährtin befinde sich in Karenz. Angesichts dieser Umstände sei der Beschwerdeführer nicht als "schwerwiegend integriert" anzusehen. Er halte sich verhältnismäßig kurz im Bundesgebiet auf und sei strafrechtlich verurteilt worden. Die der Integration des Beschwerdeführers zugrunde liegende soziale Komponente werde durch sein strafbares Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert. Dass der Beschwerdeführer Anfang der 90er Jahre vorübergehend in Österreich ein Jahr Volksschule, zwei Jahre Hauptschule und zwei Jahre Sonderschule besucht habe und während des letzten Schuljahres ins Ausland übersiedelt sei, ändere daran nichts. Diese Aufenthaltszeiten in Österreich lägen mindestens zehn Jahre vor seiner letzten Einreise und seien daher nicht geeignet, das Ausmaß seiner Integration in Österreich maßgeblich zu verstärken. Der Beschwerdeführer könne seinen Sorgepflichten seinem Kind gegenüber auch vom Ausland aus nachkommen und den Kontakt zu diesem und seiner Lebensgefährtin vom Ausland aus halten - eine Einschränkung, die er im öffentlichen Interesse zu tragen haben werde. Seine Lebensgefährtin sei selbsterhaltungsfähig, weil sie über ein eigenes Einkommen verfüge und für die Kinder (aus ihrer Ehe) Alimente von deren leiblichem Vater erhalte. Den Kindern seiner Lebensgefährtin gegenüber sei der Beschwerdeführer nicht obsorgepflichtig, und es bestehe auch kein Verwandtschaftsverhältnis zu diesen. Dass einer Ausreise bzw. Heimreise des Beschwerdeführers unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden, sei nicht geltend gemacht worden. Ihm sei daher eine Integration in seiner Heimat durchaus zuzumuten. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers seien nicht so stark ausgeprägt, dass das maßgebliche öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten hätte. Artikel 8 EMRK stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weshalb sich dieses auch als zulässig im Sinn des § 66 FPG erweise.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Aufgrund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 29. Februar 2008 bestehen gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt, keine Bedenken.

Der Beschwerdeführer wendet sich in erster Linie gegen die Annahme der belangten Behörde, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG lägen vor. Die über ihn verhängte bedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten sei "im unteren Rahmen des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG" angesiedelt, sodass die belangte Behörde bereits aus diesem Grund nicht ohne weiteres auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG schließen dürfe. Das Landesgericht für Strafsachen Wien, das sich einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer habe machen können, habe eine zur Gänze bedingte Freiheitsstrafe für ausreichend erachtet, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Zudem rechtfertige die Erfüllung des § 60 Abs. 2 FPG für sich noch nicht die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, vielmehr müsse die belangte Behörde zwingend eine Gefährdungsprognose iSd § 60 Abs. 1 FPG durchführen. Die belangte Behörde sei jedoch nicht auf das individuelle Verhalten des Beschwerdeführers eingegangen. Hätte sie sich damit auseinandergesetzt, hätte sie keine negative Gefährdungsprognose abgegeben dürfen.

Dazu ist zunächst auszuführen, dass die belangte Behörde das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen zu beurteilen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2011, Zl. 2011/18/0009 mwN).

Dem Vorwurf der unterbliebenen Gefährdungsprognose ist entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht nur auf die Verurteilung hingewiesen, sondern auch - wenn auch nur kursorisch aber letztlich doch hinreichend - das dieser zugrunde liegende und das sonstige Fehlverhalten des Beschwerdeführers dargelegt hat. Zudem hat sie explizit die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides auch für ihre Begründung maßgebend erachtet (vgl. zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise Hengstschläger/Leeb, AVG § 67 Rz 9ff, sowie die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Da die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides eine in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Gefährdungsprognose enthält, in der nachvollziehbar dargelegt wurde, weshalb der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, ist der angefochtene Bescheid dadurch, dass die Gefährdungsprognose im angefochtenen Bescheid nicht ein zweites Mal explizit ausgeführt wurde, nicht mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Wenn der Beschwerdeführer ins Treffen führt, er sei um Schadenswiedergutmachung bemüht, das von ihm gesetzte strafbare Verhalten liege bereits vier Jahre zurück und er habe sich jahrelang wohlverhalten, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, dass er zwar am 26. Juli 2006 durch Täuschung die Kreditauszahlung erwirkte, sein Fehlverhalten jedoch durch die Nichtrückzahlung der Kreditraten bis - eigenen Angaben zufolge - Juni 2008 fortsetzte. Darüber hinaus wurde er mit Urteil vom 29. Februar 2008 auch zur Zahlung von EUR 10.000,-- an das geschädigte Kreditinstitut verurteilt. Da die stufenweise Schadenswiedergutmachung erst nach der Verurteilung einsetzte, ist nicht zu erkennen, inwiefern dadurch eine "Verhaltensänderung eindrucksvoll dokumentiert" werden sollte. Zutreffend hat die belangte Behörde auch auf die Verwaltungsstrafe des Beschwerdeführers wegen des Lenkens eines Fahrzeuges (ohne Lenkberechtigung) in betrunkenem Zustand im Juni 2007 hingewiesen. Von einem entscheidungsrelevanten Wohlverhalten des Beschwerdeführers kann daher keine Rede sein. Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers lag bei Erlassen des angefochtenen Bescheides noch nicht so lange zurück, um auf Grund des seither verstrichenen Zeitraumes einen Wegfall oder eine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Die Relevanz des diesbezüglich geltend gemachten Begründungsmangels wurde somit nicht aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 60 Abs. 1 FPG als gegeben erachtet hat.

Die Beschwerde wendet sich auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gegen den angefochtenen Bescheid.

Im Rahmen ihrer Interessenabwägung hat die belangte Behörde den rechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zuletzt seit 2005, seine Lebensgemeinschaft mit einer serbischen Staatsangehörigen und ihrem gemeinsamen, 2009 geborenen Kind, die familiären Beziehungen im Bundesgebiet zu seiner die österreichische Staatsbürgerschaft innehabenden Mutter, seiner Großmutter und seinen Halbbrüdern sowie seine ordentliche Beschäftigung berücksichtigt und ist zutreffend von einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ausgegangen. Zu Recht hat sie jedoch auch auf die Volljährigkeit des Beschwerdeführers und die Tatsache hingewiesen, dass dieser mit seiner Mutter und seinen Brüdern nicht im gemeinsamen Haushalt lebt. Gegenüber den drei Kindern seiner Lebensgefährtin aus erster Ehe ist der Beschwerdeführer - unbestritten - nicht obsorgepflichtig; diese werden im Bundesgebiet nicht nur durch ihre Mutter versorgt, sondern auch von ihrem Vater finanziell unterstützt. Zutreffend hat die belangte Behörde auch darauf hingewiesen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet von 1990 bis 1994 nicht maßgeblich ins Gewicht fällt, liegen doch zwischen diesem und der neuerlichen Einreise des Beschwerdeführers im Jahr 2005 über zehn Jahre, die er unstrittig in Serbien verbrachte. Da der Beschwerdeführer insgesamt etwa 20 Jahre in seiner Heimat lebte, ist davon auszugehen, dass er mit der Sprache und dem Kulturkreis dieses Landes ausreichend vertraut ist.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht die aus seinem Fehlverhalten resultierende Gefährdung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Vermögenskriminalität gegenüber, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer - somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - selbst dann als dringend geboten erscheinen lässt, wenn man berücksichtigt, dass ein großer Teil seiner Familie, insbesondere seine Lebensgefährtin und sein Sohn, in Österreich leben. Soweit der Beschwerdeführer auf die Unmöglichkeit der Führung des Familienlebens in seinem Heimatland hinweist, ist ihm zu entgegnen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes vom Ausland aus - ebenso wie ein allenfalls auf Grund der dortigen Arbeitsmarktsituation geringeres Einkommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. September 2011, Zl. 2008/18/0355) - mit Blick auf sein Verhalten und der von ihm ausgehenden Gefahr im öffentlichen Interesse hinzunehmen ist. Seinen Unterhaltspflichten gegenüber seinem minderjährigen Kind kann er auch vom Ausland aus nachkommen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 2011); gleiches gilt für eine allenfalls erforderliche oder gebotene finanzielle Unterstützung dessen Mutter.

Da sich sohin die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 24. Jänner 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte