VwGH 2010/11/0151

VwGH2010/11/015118.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des G R in P, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Fabrikstraße 26, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 9. Juni 2010, Zl. VwSen-522494/16/Br/Th, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs2;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z12;
FSG-GV 1997 §13 Abs1;
FSG-GV 1997 §13 Abs2;
FSG-GV 1997 §5 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs2;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §7 Abs3 Z12;
FSG-GV 1997 §13 Abs1;
FSG-GV 1997 §13 Abs2;
FSG-GV 1997 §5 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 9. Juni 2010 entzog der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung (erkennbar für die Klasse B) für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung. Als Rechtsgrundlagen wurden § 24 Abs. 1 und 4, § 25 Abs. 2 FSG sowie § 5 Abs. 1 Z. 4 und § 13 Abs. 1 FSG-GV angegeben.

Begründend führte der UVS aus, durch insgesamt drei aktuelle Gutachten (gemeint: die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. D. vom 6. April 2010, die verkehrspsychologische Stellungnahme Dris. Wei. vom 18. Mai 2010 und das amtsärztliche Gutachten Dris. Wim. vom 1. Juni 2010), welche von einer beim Beschwerdeführer vorliegenden paranoiden Persönlichkeitsstörung ausgingen, sei "nunmehr" die "derzeit" negative Beurteilung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen untermauert. Das vom Beschwerdeführer ausgehende Risiko sei mit den Schutzinteressen der Verkehrssicherheit nicht mehr in Einklang zu bringen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

12. die Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen als Lenker eines Kraftfahrzeuges nicht eingehalten hat;

Gesundheitliche Eignung

(4) Wenn das ärztliche Gutachten die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen von der Erfüllung bestimmter Auflagen, wie insbesondere die Verwendung von bestimmten Behelfen oder die regelmäßige Beibringung einer fachärztlichen Stellungnahme abhängig macht, so sind diese Auflagen beim Lenken von Kraftfahrzeugen zu befolgen.

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

Dauer der Entziehung

§ 25.

(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.

…"

1.2. Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):

"Gesundheit

§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

1. schwere Allgemeinerkrankungen oder schwere lokale Erkrankungen, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

2. organische Erkrankungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

3. Erkrankungen, bei denen es zu unvorhersehbaren Bewußtseinsstörungen oder -trübungen kommt,

4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:

  1. a) Alkoholabhängigkeit oder
  2. b) andere Abhängigkeiten, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

    5. Augenerkrankungen, die das Sehvermögen beeinträchtigen.

    Psychische Krankheiten und Behinderungen

§ 13. (1) Als ausreichend frei von psychischen Krankheiten im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 gelten Personen, bei denen keine Erscheinungsformen von solchen Krankheiten vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht einer psychischen Erkrankung ergibt, der die psychische Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme beizubringen, die die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt.

(2) Personen, bei denen

1. eine angeborene oder infolge von Krankheiten, Verletzungen oder neurochirurgischen Eingriffen erworbene schwere psychische Störung,

  1. 2. eine erhebliche geistige Behinderung,
  2. 3. ein schwerwiegender pathologischer Alterungsprozeß oder
  3. 4. eine schwere persönlichkeitsbedingte Störung des Urteilsvermögens, des Verhaltens und der Anpassung besteht,

    darf eine Lenkberechtigung nur dann erteilt oder belassen werden, wenn das ärztliche Gutachten auf Grund einer psychiatrischen fachärztlichen Stellungnahme, in der die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitbeurteilt wird, die Eignung bestätigt.

    …"

    2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. § 24 Abs. 1 FSG erlaubt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach hervorgehoben hat, die Entziehung oder Einschränkung einer Lenkberechtigung nur dann, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung "nicht mehr gegeben sind". Eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kommt daher nur dann in Betracht, wenn seit ihrer Erteilung die Umstände in Bezug auf die Erteilungsvoraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4 FSG sich entscheidend geändert haben. Aus der Rechtskraft der Erteilung der Lenkberechtigung folgt, dass bei im Wesentlichen unverändertem Sachverhalt in Bezug auf die Erteilungsvoraussetzungen die Lenkberechtigung nur als Folge einer Wiederaufnahme des Erteilungsverfahrens durch Abweisung des Erteilungsantrages oder Erteilung einer eingeschränkten Lenkberechtigung der Sache nach entzogen oder eingeschränkt werden kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. August 2003, Zl. 2001/11/0183, vom 20. April 2004, Zl. 2004/11/0020, und vom 20. April 2004, Zl. 2003/11/0189).

2.2. Für den Beschwerdefall ergibt sich daraus Folgendes:

2.2.1. Unstrittig ist, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 19. August 2008 - befristet bis zum Ablauf des 27. Juli 2010 - die Lenkberechtigung für die Klasse B erteilt wurde (die aus diesem Anlass zusätzlich vorgeschriebene "Auflage eine 3monatige Kontrolluntersuchung bei einem Facharzt für Psychiatrie" wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid aufgrund ihrer Missverständlichkeit als nicht rechtswirksam beigesetzt qualifiziert).

Dieser Bescheid war damit begründet, dass sich laut einer (im Verwaltungsakt erliegenden) ärztlichen Stellungnahme Dris. W., eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, vom 3. Juli 2008 der Zustand des Beschwerdeführers, bei dem eine anhaltend wahnhafte Störung und eine querulatorische Persönlichkeitsstörung vorliege, gegenüber der letzten Untersuchung nicht verändert hätte und die Erteilung einer Lenkberechtigung für zwei Jahre, dies unter der Auflage der Durchführung von psychiatrischen Kontrolluntersuchungen im Abstand von drei Monaten, in Betracht komme. Überdies war im erwähnten Bescheid ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei einer verkehrspsychologischen Testung Defizite im Bereich der visuellen Auffassung, der Reaktionssicherheit, der Belastbarkeit und des Konzentrationsvermögens aufgewiesen habe.

Es ist daher davon auszugehen, dass bereits anlässlich der Erteilung der Lenkberechtigung im Jahr 2008 beim Beschwerdeführer erhebliche Beeinträchtigungen vorlagen, die zumindest Zweifel an seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nach sich zogen.

2.2.2. Der angefochtene Bescheid lässt, ebenso wie die von der belangten Behörde verwerteten ärztlichen Stellungnahmen (Dris. D. und Dris Wim.) und die verkehrspsychologische Stellungnahme (Dris. Wei.), nicht erkennen, inwiefern sich seit der zuletzt erfolgten Erteilung der Lenkberechtigung im Jahr 2008 der Zustand des Beschwerdeführers entscheidend verschlechtert haben sollte. Das gilt sowohl für die von den Ärzten angenommene paranoide Persönlichkeitsstörung als auch für die verkehrspsychologischen Parameter.

Im Übrigen enthält der angefochtene Bescheid auch keine Feststellungen dazu, inwieweit die beim Beschwerdeführer unstrittig vorliegenden Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet überhaupt Auswirkungen auf das Lenken von Kraftfahrzeugen haben (dass der Beschwerdeführer im Straßenverkehr auffällig geworden wäre, wird von der belangten Behörde nicht festgestellt). Wie die belangte Behörde selbst zutreffend ausführt, schließen derartige Beeinträchtigungen die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht zwingend aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. August 1999, Zl. 99/11/0149 (= Slg. Nr. 15.206/A), vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0039, und vom 21. Februar 2006, Zl. 2005/11/0209).

2.2.3. Im Lichte der unter Pkt. 2.1. wiedergegebenen hg. Judikatur erweist sich der angefochtene Bescheid demnach mit auf einer Verkennung der Rechtslage beruhenden Feststellungsmängeln behaftet.

2.2.4. Es sei in diesem Zusammenhang klargestellt, dass der angefochtene Bescheid auch dann rechtswidrig wäre, wenn man, anders als die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, zur Auffassung gelangte, der seinerzeitige Bescheid vom 19. August 2008 habe die Lenkberechtigung für zwei Jahre unter der Auflage erteilt, dass sich der Beschwerdeführer im Abstand von drei Monaten einer psychiatrischen Kontrolluntersuchung unterziehe, weil die Nichteinhaltung einer solchen Auflage nicht per se zur Annahme des Fehlens der gesundheitlichen Eignung führt, sondern gemäß § 7 Abs. 3 Z. 12 FSG eine bestimmte Tatsache bildet, welche allenfalls die Verkehrszuverlässigkeit des Betreffenden ausschließt.

2.3. Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 18. September 2012

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