VwGH 2010/08/0078

VwGH2010/08/007814.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Peck, über die Beschwerde der A S in S, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Kremser Gasse 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 17. Februar 2010, Zl. GS5-A-948/552-2009, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:

Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §113 Abs1 Z1 idF 2007/I/031;
ASVG §33 idF 2007/I/031;
ASVG §4 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ASVG §113 Abs1 Z1 idF 2007/I/031;
ASVG §33 idF 2007/I/031;
ASVG §4 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit erstinstanzlichem Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 29. Oktober 2009 wurde der Beschwerdeführerin ein Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG in der Höhe von EUR 1.300,-- vorgeschrieben. Im Rahmen einer am 29. September 2009 erfolgten Betretung durch das Finanzamt L/KIAB sei festgestellt worden, dass für V.S. keine Anmeldung vor Arbeitsantritt erstattet worden sei, weshalb EUR 500,-- Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung und EUR 800,-- Teilbetrag für den Prüfeinsatz vorzuschreiben gewesen seien.

In ihrem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch vom 5. November 2009 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie mit V.S. weder ein Dienstverhältnis "vereinbart noch gelebt" habe. Es sei unrichtig, dass V.S. im Zeitraum vom 11. bis zum 29. September 2009 an mindestens drei bis vier Tagen mitgearbeitet habe. Diese Feststellungen der Organe des Finanzamts L widersprächen den Aussagen der vernommenen Personen und seien auch keinesfalls aus der allgemeinen Lebenserfahrung abzuleiten. V.S. sei die Partnerin des Sohns der Beschwerdeführerin. Sie helfe normalerweise nicht im Buschenschankbetrieb der Beschwerdeführerin mit. Tatsächlich sei V.S. lediglich am 28. und 29. September 2009 in der Zeit von jeweils ca. 17:00 bis 20:00 Uhr tätig gewesen. Die Mitarbeit sei ausnahmsweise erfolgt, weil die üblicherweise im Buschenschank mitarbeitenden Familienmitglieder bedingt durch die Weinlese und die Teilnahme an dem am 29. September 2009 stattgefundenen Begräbnis der Großmutter der Schwiegertochter der Beschwerdeführerin teilweise ausgefallen seien. V.S. habe völlig freiwillig mitgearbeitet und hätte natürlich auch jederzeit aufhören und die Arbeit beenden können. V.S. habe nicht EUR 7,-- pro Stunde erhalten; als einzige Leistung sei ihr eine Jause mitgegeben worden. Eine solche hätte sie von der Beschwerdeführerin aber auch ohne ihre Unterstützung jederzeit bekommen können. Da somit ein Dienstverhältnis im Sinne des ASVG nicht vorgelegen sei, seien auch keine Meldepflichten verletzt worden.

Als Beweisanbote führte die Beschwerdeführerin (unter anderem) ihre eigene Einvernahme, die Einvernahme der V.S. sowie beizubringende Unterlagen über das angesprochene Begräbnis an.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch insofern Folge gegeben, als der Beitragszuschlag auf EUR 900,-- herabgesetzt wurde. Nach der Darlegung des Verwaltungsgeschehens und der Anführung der angewendeten gesetzlichen Bestimmung führte die belangte Behörde aus, es werde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass für die von der KIAB betretene V.S. vor Arbeitsantritt keine Anmeldung erstattet worden war. Für V.S. sei zweifelsfrei die Dienstnehmereigenschaft im Sinne des ASVG erfüllt. Die Gestaltung der Arbeitszeiten der V.S. sei auf die Erfordernisse des Heurigenbetriebs abgestimmt gewesen. V.S. sei an die im Betrieb geltenden Ordnungsvorschriften über Arbeitsort, Arbeitszeit und das arbeitsbezogene Verhalten gebunden gewesen. Es habe eine (grundsätzlich) persönliche Arbeitspflicht bestanden. Die Beschwerdeführerin habe die erforderlichen Betriebsmittel bereitgestellt und V.S. sei von der Beschwerdeführerin für ihre Tätigkeit entlohnt worden. Die Tätigkeit von V.S. am Betretungstag und an dem diesem vorangegangenen Tag sei daher zweifelsfrei als jene einer Dienstnehmerin zu beurteilen.

Hinsichtlich der Höhe des Zuschlags sei die Vorschreibung eines Teilbetrags für die gesonderte Bearbeitung in Höhe von EUR 500,-- gerechtfertigt. Der Teilbetrag für den Prüfeinsatz sei aufgrund der zum Zeitpunkt der Betretung gegebenen außerordentlichen Verhältnisse (Weinlese und Begräbnis einer Familienangehörigen) jedoch auf EUR 400,-- herabzusetzen. Gänzlich habe davon nicht abgesehen werden können, da V.S. jedenfalls zumindest an zwei Tagen (28. und 29. September 2009) beschäftigt gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG in der Fassung des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2007 (SRÄG 2007), BGBl. I Nr. 31/2007, haben Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden.

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird.

Gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 ASVG idF des SRÄG 2007 können den in § 111 Abs. 1 ASVG genannten Personen Beitragszuschläge vorgeschrieben werden, wenn die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde. Gemäß § 113 Abs. 2 ASVG setzt sich der Beitragszuschlag in diesem Fall nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a ASVG aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf EUR 500,-- je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf EUR 800,--. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf EUR 400,-- herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

2. Im Beschwerdefall ging die belangte Behörde vom Bestehen eines Dienstverhältnisses zwischen V.S. und der Beschwerdeführerin aus, das nicht vor Arbeitsantritt gemeldet worden war. Das Bestehen eines Dienstverhältnisses war im Einspruchsverfahren von der Beschwerdeführerin jedoch bestritten worden. Diese hatte ausgeführt, V.S. habe "einmal kurzfristig freiwillig und unentgeltlich im Familienbetrieb der künftigen Schwiegereltern" mitgeholfen und es sei kein Dienstverhältnis im Sinne des ASVG vorgelegen.

Zur Dienstnehmereigenschaft der V.S. führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass unter anderem die Bindung an im Betrieb geltende Ordnungsvorschriften, die persönliche Arbeitspflicht sowie die Entlohnung gegeben seien und im Gesamtbild die Tätigkeit der V.S. "zweifelsfrei als jene einer Dienstnehmerin" zu beurteilen sei.

3. Gemäß § 56 AVG hat der Erlassung eines Bescheids in der Regel die Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, nach den §§ 37 und 39 voranzugehen. Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs muss die Begründung eines Bescheids erkennen lassen, welchen Sachverhalt die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, zu § 60 AVG unter E 19 angeführten hg. Erkenntnisse). Zu einer lückenlosen Begründung gehört nicht nur die Feststellung des Sachverhalts, sondern auch die Anführung der Beweismittel (im Einzelnen), auf die die Feststellungen gegründet werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. März 2007, Zl. 2006/12/0115).

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheids - wie auch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt - geht nicht hervor, dass die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren geführt hat. Es ist weiters nicht ersichtlich, inwiefern sich die belangte Behörde mit den (konkreten und substantiierten) Einwendungen der Beschwerdeführerin zum Fehlen der Dienstnehmereigenschaft der V.S. auseinandergesetzt hat; dazu finden sich keine Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Die Bescheidbegründung lässt zudem nicht erkennen, auf welche Beweismittel die belangte Behörde ihre Feststellungen stützte, dass V.S. an betriebliche Ordnungsvorschriften gebunden war, dass sie eine persönliche Arbeitspflicht traf und sie für ihre Tätigkeit entlohnt wurde. Zwar findet sich im Verwaltungsakt ein - die Beschwerdeführerin betreffender - Strafantrag des Finanzamts L, in dem von einer Entlohnung der V.S. in Höhe von EUR 7,-- pro Stunde die Rede ist, auf diesen nimmt die belangte Behörde jedoch im angefochtenen Bescheid nicht Bezug.

Die Behörde kann von einem Dienstverhältnis im üblichen Sinne ausgehen, wenn jemand bei der Erbringung von Dienstleistungen arbeitend unter solchen Umständen angetroffen wird, die nach der Lebenserfahrung üblicherweise auf ein Dienstverhältnis hindeuten (wie dies bei der Tätigkeit einer Kellnerin in einem Gastwirtschaftsbetrieb der Fall ist). Dies aber nur dann, sofern im Verfahren nicht jene atypischen Umstände dargelegt werden, die einer solchen Deutung ohne nähere Untersuchung entgegenstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 99/08/0030, uva). Aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren, wonach keine Arbeitspflicht der V.S. bestanden habe und die Tätigkeit aufgrund besonderer Umstände (nämlich der Weinlese und des Begräbnisses eines Familienmitglieds) ausnahmsweise und unentgeltlich erfolgt sei, sowie weiters des von der Beschwerdeführerin behaupteten persönlichen Naheverhältnisses der Beschwerdeführerin zu V.S. hätte sich die belangte Behörde näher mit der Ausgestaltung der Beschäftigung auseinandersetzen und insbesondere die - von der Beschwerdeführerin bestrittene - Entgeltlichkeit der Beschäftigung prüfen müssen, um von einem Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG ausgehen zu können. Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift versucht, diese Begründungsmängel auszuräumen, ist darauf zu verweisen, dass eine im Bescheid fehlende Begründung in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2012, Zl. 2010/08/0031, uva.)

4. Aufgrund der mangelhaften Bescheidbegründung ist der Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gehindert. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 14. November 2012

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