VwGH 2011/22/0316

VwGH2011/22/031613.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des F in Wien, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 21. Oktober 2011, Zl. 154.135/3-III/4/11, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in Angelegenheit eines Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu Recht erkannt:

Normen

12010E267 AEUV Art267;
AVG §38;
AVG §73 Abs2;
12010E267 AEUV Art267;
AVG §38;
AVG §73 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 25. August 2011 auf Übergang der Entscheidungspflicht auf die sachlich zuständige Oberbehörde (die belangte Behörde) gemäß § 73 Abs. 1 und 2 AVG ab.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, habe am 2. Dezember 2010 persönlich bei der Österreichischen Botschaft Abuja einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Familienangehöriger gestellt, welcher am 24. Februar bei der Niederlassungsbehörde erster Instanz (Landeshauptmann von Wien) eingelangt sei. Am 27. Juni 2011 habe er dort niederschriftlich zu seinem Antrag angegeben, er halte sich bereits seit ungefähr 11. März 2011 abgesehen von einer ca. einwöchigen Unterbrechung durch einen Aufenthalt in Deutschland und Ungarn durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Die Niederlassungsbehörde habe ihm in der Folge zur Kenntnis gebracht, dass nach Aktenlage eine Überschreitung des visumsfreien Aufenthalts vorliege, was einer Antragsbewilligung entgegenstehe, weiters, dass im Hinblick auf das mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Mai 2011 (Zlen. EU 2011/0004 bis 0008) an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtete und unter der Zahl C-256/11 anhängige Vorabentscheidungsersuchen das vorliegende Verfahren ausgesetzt werde.

Ferner führte die belangte Behörde aus, es stehe fest, dass die gesetzlich normierte Entscheidungsfrist vom Landeshauptmann von Wien nicht eingehalten worden sei. Die Verzögerung sei aber weder ausschließlich noch überwiegend auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen. Zuerst habe die Behörde erster Instanz näher dargestellte Ermittlungsschritte zur Identitätsabklärung und zum Bestehen eines Aufenthaltsverbots gesetzt. Der Antrag wäre sodann nach dem feststehenden Sachverhalt gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG, allenfalls § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG abzuweisen gewesen. Aufgrund der "aufgetretenen Unsicherheit der Rechtslage" habe die Behörde dann aber gemäß § 38 AVG das Verfahren innerhalb der Entscheidungsfrist am 27. Juni 2011 faktisch ausgesetzt, um die Beantwortung der dem EuGH vorgelegten Fragen abzuwarten, wobei Frage 1a)

("Ist der Artikel 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, dessen Ehegatte und minderjährige Kinder Unionbürger sind, den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat des Ehegatten und der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern, und zwar selbst dann, wenn diese Unionsbürger hinsichtlich des Lebensunterhaltes nicht auf den Drittstaatsangehörigen angewiesen sind?")

in direktem Bezug zum Fall des Beschwerdeführers stehe und damit der Inhalt der Vorabentscheidung des EuGH entscheidungsrelevant gewesen sei. Entgegen der vom Beschwerdeführer dargelegten Ansicht sei sein Fall von jenem der Familie Zambrano verschieden, da seiner in Österreich lebenden Tochter, einer österreichischen Staatsbürgerin, schon durch deren ebenfalls in Österreich lebende Mutter, eine mit ihm verheiratete österreichische Staatsbürgerin, Unterhalt gewährt würde und somit auch ohne seinen Aufenthalt in Österreich der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus von Tochter und Ehefrau verliehenen Rechte gewährleistet sei. Die Aussetzung sei damit nicht grundlos gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, welche die Rechtmäßigkeit der Aussetzung des über den Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels bestreitet, da ihrer Ansicht nach jedenfalls die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorlägen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG haben die Behörden, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über die Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

Gemäß § 73 Abs. 2 erster und dritter Satz AVG geht auf schriftlichen Antrag einer Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über, wenn der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen wird. Der Devolutionsantrag ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

§ 38 AVG lautet:

38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Im vorliegenden Verfahren hat die Niederlassungsbehörde erster Instanz zwar nicht bescheidförmig, aber unstrittig faktisch das Verfahren über den Erstantrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ausgesetzt. In diesem Fall ist keine schuldhafte Verletzung der Entscheidungspflicht anzunehmen, wenn die Behörde zu einer Aussetzung nach § 38 AVG berechtigt war (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 132ff zu § 38 AVG und 338ff zu § 73 AVG).

Somit ist allein zu prüfen, ob die erstinstanzliche Behörde mit der faktischen Aussetzung des über den Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtmäßig gehandelt hat. Vor diesem Hintergrund geht das Beschwerdevorbringen, wonach nach Ansicht des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels vorlägen, ins Leere. Damit verkennt der Beschwerdeführer nämlich die nach § 38 AVG zu prüfenden Tatbestandsvoraussetzungen.

Die Ansicht der belangten Behörde, dass die angeführte Frage I.a des Vorabentscheidungsersuchens von Bedeutung für das Verfahren der Beschwerdeführerin ist, stellt sich als unbedenklich dar.

Dass aber mit Blick auf die im hg. Vorabentscheidungsersuchen vom 5. Mai 2011, EU 2011/0004 bis 0008, enthaltene Vorlagefrage die Aussetzung nach § 38 AVG dem Gesetz entspricht, steht mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit der Vornahme einer Aussetzung im Fall von beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren im Einklang (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, Zl. 2011/22/0284, mwH).

Die Abweisung des Devolutionsantrags durch die belangte Behörde erfolgte damit zu Recht.

Da sohin bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 13. Dezember 2011

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