VwGH 2011/22/0127

VwGH2011/22/012722.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des EN, vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5/III, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 31. März 2011, Zl. 156.081/3- III/4/11, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10 Abs2 Z2;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs2 Z2;
AVG §68 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 7. April 2004 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Am selben Tag habe er beim Bundesasylamt einen Asylantrag eingebracht. Diesem Antrag sei im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 22. November 2006 keine Folge gegeben worden. Unter einem sei gegen den Beschwerdeführer eine Ausweisung ausgesprochen worden. Die Behandlung der gegen die im Asylverfahren ergangene Entscheidung gerichteten Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 10. Dezember 2009, 2008/23/0862, abgelehnt.

Am 15. Jänner 2010 habe der Beschwerdeführer beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingebracht. Diese Behörde (gemeint richtig: der Landeshauptmann von Steiermark) habe nach § 44b Abs. 2 NAG von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark eine Stellungnahme eingeholt, die dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden sei. Der Beschwerdeführer habe dazu seinerseits Stellung genommen.

Nach § 44b Abs. Z 1 NAG seien, wenn kein Fall des § 44a NAG vorliege, Anträge gemäß den §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde. Diese Voraussetzung liege im gegenständlichen Fall vor, weil von der Asylbehörde im Instanzenzug eine solche gegen den Beschwerdeführer ausgesprochen worden und diese auch rechtskräftig sei. Im Rahmen dieser Entscheidung habe der unabhängige Bundesasylsenat am 22. November 2006 eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt.

Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, mit einer slowakischen Staatsangehörigen befreundet zu sein, als Zeitungszusteller für die C P GmbH tätig zu sein und zwischenzeitig einen Deutschkurs mit Niveau A2 abgelegt zu haben. Dazu werde festgehalten, dass er mit seiner "angeblichen Lebensgefährtin" bereits seit 15. Februar 2009 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebe. Sie halte sich sogar in einem anderen Bundesland auf. Es könne daher nicht von einem mit ihr bestehenden intensiv ausgeprägten Privat- und Familienleben ausgegangen werden. Die Deutschprüfung habe der Beschwerdeführer zu einem Zeitpunkt, nämlich am 28. Jänner 2001 (gemeint: 2011), abgelegt, als er sich seines unerlaubten Aufenthalts bewusst gewesen sei. Jedenfalls ergebe sich aus dem Vorbringen nicht, dass ein seit Erlassung der Ausweisung maßgeblich geänderter Sachverhalt vorläge, der im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG nunmehr zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Die im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Ausweisungsentscheidung vorgenommene Abwägung nach Art. 8 EMRK erweise sich in ihrem Ergebnis immer noch als zutreffend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

§ 44 Abs. 3 und § 44b Abs. 1 NAG (samt Überschrift; in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) lauten:

"Niederlassungsbewilligung - beschränkt

§ 44. …

(3) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' zu erteilen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

...

§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a vor, sind Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend (§ 10 AsylG 2005, § 66 FPG) unzulässig ist, oder

3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in der Stellungnahme festgestellt hat, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt."

Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er vom unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 22. November 2006 rechtskräftig ausgewiesen wurde. Sein Antrag nach § 44 Abs. 3 NAG war daher gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurückzuweisen, es sei denn, es wäre im Hinblick auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen seit der ergangenen Ausweisung eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK erforderlich (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Juni 2010, 2010/22/0075, vom 21. Dezember 2010, 2009/21/0403, und vom 14. April 2011, 2010/21/0294).

Die belangte Behörde gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Sachverhaltsänderung, wonach nunmehr die Erteilung eines Aufenthaltstitels infolge Art. 8 EMRK geboten gewesen wäre, nicht vorliege. Insoweit tätigte sie Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers und nahm eine inhaltliche Bewertung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten integrationsbegründenden Umstände vor. Damit erkannte sie zwar - mit Blick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers zutreffend - die Notwendigkeit, das Antragsvorbringen inhaltlich prüfen zu müssen. Sie hat aber die Rechtslage dahin verkannt, dass sie dann die in erster Instanz ausgesprochene Antragszurückweisung nicht hätte bestätigen dürfen. Mit einer Antragszurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG darf nämlich nach Erlassung einer Ausweisung nach der oben wiedergegeben Rechtsprechung nur dann vorgegangen werden, wenn im Hinblick auf das Antragsvorbringen eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK nicht erforderlich ist. Davon kann im vorliegenden Fall schon nach den Ausführungen der belangten Behörde keine Rede sein.

Der Rechtsirrtum der belangten Behörde liegt darin, dass sie erkennbar davon ausgeht, ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG liege nur dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Im Ergebnis vertritt die belangte Behörde somit die Auffassung, dass im Falle einer Antragstellung nach § 44 Abs. 3 NAG bezogen auf Sachverhaltsänderungen lediglich die Antragsbewilligung oder die Antragszurückweisung, nie aber eine Antragsabweisung, in Betracht kommen könnte.

Im vorliegenden Fall liegt nun - wie bereits erwähnt - eine Änderung des Sachverhaltes vor, die einer Neubewertung nach Art. 8 EMRK zu unterziehen ist. Anders als die belangte Behörde meint, ist darin bereits eine maßgebliche Änderung im Sinn des § 44b Abs. 1 NAG zu sehen. Die nach § 44b Abs. 1 Z 1 NAG ausgesprochene Antragszurückweisung erweist sich daher - unabhängig davon, ob die vom Beschwerdeführer geltend Umstände letztlich auch tatsächlich zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels führen - als rechtlich verfehlt.

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt läge nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK geboten hätte (vgl. zu einer solchen Konstellation das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2011/22/0138 bis 0141). Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete (vgl. zur auch bei einer Beurteilung nach § 68 Abs. 1 AVG relevanten Frage, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, etwa die in Hengstschläger/Leeb, AVG, § 68, Rz 26f., zitierte hg. Rechtsprechung) - Zurückweisung gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zulässig.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, eine Konstellation wie die vorliegende rechtfertige die Antragszurückweisung, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz des Verhandlungsaufwandes

abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil eine Verhandlung nicht stattgefunden hat.

Wien, am 22. Juli 2011

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