VwGH 2008/22/0920

VwGH2008/22/09207.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 29. Oktober 2008, Zl. Fr-376/4/08, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §61 Z4;
VwRallg;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §61 Z4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde - soweit für die hier gegenständliche Entscheidung wesentlich - aus, der Beschwerdeführer sei mehrfach strafgerichtlich verurteilt worden. Zuletzt habe ihn das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 8. März 2007 - in erster Linie wegen Einbruchsdiebstähle - rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und gleichzeitig seine Einweisung in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angeordnet.

Der Beschwerdeführer sei 1981 in S geboren. Im Alter von fünf Jahren sei er gemeinsam mit den Eltern zurück in sein Heimatland gegangen. Dort habe er fünf Jahre gelebt, wobei er drei Jahre lang die Volksschule besucht habe. Anschließend sei er mit den Eltern wieder nach Österreich gezogen, wo er seither lebe. Der Beschwerdeführer habe die weiteren Pflichtschuljahre in Österreich absolviert und seine Berufsausbildung - eine Lehre als Autolackierer - hier abgeschlossen. Wegen eines im Zusammenhang mit Suchtgift gestandenen Unfalles seines Bruders habe dann der Beschwerdeführer "begonnen, selbst Drogen zu nehmen", und er sei zur Finanzierung seiner Drogensucht straffällig geworden. Seine Eltern lebten in S. In Bosnien lebten keine Verwandten des Beschwerdeführers.

Auf Grund des - oben erwähnten - etwa fünf Jahre andauernden Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Bosnien-Herzegowina sei er nicht im Sinn des § 61 (Z 4) FPG als von klein auf im Inland aufgewachsen anzusehen. Sohin stehe diese Bestimmung der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer bekämpft die Zulässigkeit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes u.a. aus dem Blickwinkel des § 61 Z 4 FPG. Das diesbezügliche Vorbringen ist berechtigt.

Gemäß § 61 Z 4 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

Dass einer der in § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände im vorliegenden Fall verwirklicht wäre, wurde von der belangten Behörde nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht erkennbar. Den Feststellungen zufolge liegt keine Verurteilung wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe vor. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erwiese sich daher gemäß § 61 Z 4 FPG als unzulässig, wenn der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides als von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen anzusehen wäre. Dafür, dass Letzteres nicht gegeben wäre, gibt es nach der Aktenlage, der zufolge der Beschwerdeführer bereits seit längster Zeit zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigt ist, keine Hinweise. Die belangte Behörde geht demgemäß allein davon aus, der Beschwerdeführer sei nicht im Sinn des § 61 Z 4 FPG von klein auf im Inland aufgewachsen.

Nach der Rechtsprechung kommt es für die Frage, welches Lebensalter der Wendung "von klein auf" zu subsumieren ist, maßgeblich auf die Integration in das in Österreich gegebene soziale Gefüge sowie auf die Kenntnis der deutschen Sprache an. Die Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises, wie sie für die vom Schutzzweck der hier relevanten Bestimmung geforderte Vertrautheit mit dem sozialen Gefüge eines Staates maßgeblich ist, beginnt aus dem Blickwinkel der Sozialisation des Kindes etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres, wobei jedoch die Abgrenzung zum vorangehenden Lebensabschnitt fließend ist. Die genannte altersmäßige Abgrenzung ist auch aus entwicklungspsychologischer Sicht von Bedeutung, wird doch die "Phase der ersten Verselbständigung" - das ist das Stadium, in dem Kinder auch familienfremde Erzieher akzeptieren, mit anderen Kindern Freundschaften anbahnen, Spiele spielen, sich im Gruppenleben integrieren und somit ihren Lebensbereich über ihre unmittelbare familiäre Sphäre hinaus ausdehnen können - mit etwa drei Jahren erreicht. Vor diesem Hintergrund ist die Wendung "von klein auf" so zu deuten, dass sie jedenfalls für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann. Aber auch eine Person, die zwar vor Vollendung ihres vierten Lebensjahres nach Österreich eingereist bzw. in Österreich geboren ist, sich jedoch danach wieder für längere Zeit ins Ausland begeben hat und somit nicht bereits im Kleinkindalter sozial in Österreich integriert wurde, wird man von dieser Regelung - weil eine solche Person nicht in Österreich "aufgewachsen ist" - nicht als erfasst ansehen können (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, 2006/18/0363). Im Falle von "Heimataufenthalten" des Fremden kommt es darauf an, ob diese in ihrer Gesamtheit dazu geführt haben, dass der Fremde mit diesem Land ähnlich wie ein ständig dort Lebender vertraut ist und es somit tatsächlich als seine Heimat angesehen werden kann. Dabei kommt es jedenfalls primär auf die Dauer dieser Aufenthalte (in Relation zum Lebensalter des Fremden) an; nicht unwesentlich ist aber auch, in welchen Lebensabschnitt diese Aufenthalte fallen (vgl. das zur insoweit gleichartigen Rechtslage nach § 38 Abs. 1 Z 4 FrG ergangene hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, 2000/18/0136).

Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof einem Fremden, der im Alter von rund fünfdreiviertel Jahren das Bundesgebiet verlassen und lediglich während eines Zeitraumes von etwa vierdreiviertel Jahren in der Heimat die Volksschule besucht hat, zugebilligt, im Sinn dieser Bestimmung von klein auf im Inland aufgewachsen zu sein (vgl. wiederum das bereits erwähnte Erkenntnis vom 21. September 2000, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Eine vergleichbare Konstellation liegt nach den oben wiedergegebenen Feststellungen auch hier vor, sodass der Beschwerdeführer im Sinn des § 61 Z 4 FPG als von klein auf im Inland aufgewachsen anzusehen ist. Dann aber erweist sich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer als unzulässig, weil nach dem oben Gesagten jene Tatbestände, die dennoch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ermöglicht hätten, nicht erfüllt sind.

Der angefochtene Bescheid war sohin schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 7. April 2011

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