VwGH 2008/21/0527

VwGH2008/21/052719.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Hans Pucher, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 25. Juni 2008, Zl. Senat-FR-08-0078, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §80 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §80 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Georgien, reiste 2003 nach Österreich und stellte hier einen Asylantrag. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Mai 2007 wurde dieser Antrag abgewiesen. Zugleich erklärte das Bundesasylamt die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien für zulässig und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien aus.

Wegen der Begehung von Diebstählen war der Beschwerdeführer zunächst zweimal strafgerichtlich verurteilt worden. Die deswegen verhängten Freiheitsstrafen verbüßte er letztlich (nach Widerruf des bei der ersten Verurteilung bedingt nachgesehenen Strafteils) zur Gänze, und zwar von November 2004 bis Dezember 2006.

Am 15. Juni 2007 wurde der Beschwerdeführer, gegen den mittlerweile am 27. April 2005 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war, erneut wegen §§ 127 ff. StGB verurteilt, diesmal zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe. Diese Strafhaft endete im Hinblick auf die Vorhaft ab 14. April 2007 am 14. April 2008.

Noch am 14. April 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer seitens der Bundespolizeidirektion St. Pölten "gemäß § 76" des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet; zugleich wurde ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Gerichtshaft eintreten. Der demzufolge in unmittelbarem Anschluss an die Strafhaft in Schubhaft genommene Beschwerdeführer stellte in der Folge einen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Mai 2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer erneut nach Georgien aus. Nach Erlassung dieses Bescheides trat die Bundespolizeidirektion St. Pölten am 6. Mai 2008 erstmals zwecks Beschaffung eines Heimreisezertifikates an das Bundesministerium für Inneres heran.

Mit Eingabe vom 18. Juni 2008 erhob der Beschwerdeführer Schubhaftbeschwerde. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25. Juni 2008 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) diese Beschwerde gemäß § 83 FPG iVm "§ 67 Abs. 3" AVG ab und stellte fest, dass der Schubhaftbescheid vom 14. April 2008 und die seither erfolgte Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht rechtswidrig seien. Außerdem stellte die belangte Behörde gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0234, Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe). Daraus ergibt sich nicht nur die in § 80 Abs. 1 FPG ausdrücklich festgehaltene behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, vielmehr ist daraus auch abzuleiten, dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig (vgl. zuletzt, bezogen auf die Dauer einer bereits verhängten Schubhaft, das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, Zlen. 2008/21/0595 ua.).

Vor diesem Hintergrund macht der am 1. August 2008 mangels Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch Georgien aus der Schubhaft entlassene Beschwerdeführer mit Recht geltend, dass im vorliegenden Fall stets klar gewesen sei, dass es zu seiner Abschiebung eines Heimreisezertifikates bedürfe; es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb "nicht schon im Vorfeld" die Ausstellung eines entsprechenden Heimreisezertifikates bei der georgischen Botschaft beantragt worden sei.

Tatsächlich ist die Bundespolizeidirektion St. Pölten - siehe oben - erst am 6. Mai 2008 in Angelegenheiten "Ausstellung eines Heimreisezertifikates" tätig geworden. Es ist aber kein Grund ersichtlich, der sie daran gehindert hätte, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht bereits während der bis zum 14. April 2008 andauernden Strafhaft des Beschwerdeführers zu veranlassen (zu einem ähnlich gelagerten Fall siehe das hg. Erkenntnis vom 23. September 2010, Zl. 2009/21/0280). Dabei wird nicht übersehen, dass Heimreisezertifikate oft nur befristet ausgestellt werden, sodass ein Zuwarten mit ihrer Beschaffung am Beginn einer längeren Haft des betreffenden Fremden geboten erscheinen kann. Wenn die Fremdenpolizeibehörde aber - wie im vorliegenden Fall - auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin mit der (versuchten) Beschaffung eines Heimreisezertifikates völlig untätig bleibt, so erweist sich die Verhängung von Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft im Sinn des eingangs Gesagten regelmäßig als unverhältnismäßig. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen.

Die belangte Behörde ist über diese Problematik in Verkennung der Rechtslage kommentarlos hinweggegangen. Der angefochtene Bescheid war daher wegen der vorrangig aufzugreifenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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